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⛧⛧⛧⛧⛧⛧ Kapitel 6 ⛧⛧⛧⛧⛧⛧


Als ich über den Highway fahre und der Wind durch das offene Fenster hereinweht und meine Haare durcheinanderbringt, atme ich das erste Mal, seit das passiert ist, richtig durch. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie angespannt ich die ganze Zeit über war, obwohl es mehr als nur logisch ist. So ganz sickert immer noch nicht durch, was wirklich passiert ist, doch ich weiß, dass das nicht mehr lange brauchen wird. Ich war schon immer gut darin, schlechte Erlebnisse in meinem Leben zu verdrängen und damit schnell abzuschließen.

Die Musik, die aus dem Radio dröhnt, beruhigt mich gerade auch nicht wirklich, aber macht die Fahrt definitiv etwas erträglicher. Ich bin ziemlich froh, dass der Highway um diese Uhrzeit ziemlich leer ist, denn wenn er das nicht wäre, dann wäre es wahrscheinlich nur noch eine Frage der Zeit, bis ich mit einem anderen Auto zusammenstoße, weil ich mich nicht richtig auf die Straße konzentrieren kann. Wieso hatte ich es für eine gute Idee gehalten, dass ich noch fahren kann? Ich bin mir sicher, dass ich gerade nicht in einem Zustand bin, in dem es schlau ist, mit einem Auto durch die Gegend zu fahren.

Ich seufze, dann setze ich den Blinker, obwohl sowieso niemand auf der Straße ist und fahre rechts ran. Dort stelle ich den Motor aus und schnappe mir mein Handy aus der Freisprechanlage. Mit diesem steige ich aus und nehme zur Sicherheit den Schlüssel mit. Mitten auf dem Highway zu stoppen birgt genug Gefahren, da brauche ich nicht noch einen Autodieb, der mir mein heiliges Baby klaut. Mir gehen hunderte von Gedanken durch den Kopf, aber was mir gerade am meisten im Kopf herum spukt, ist dieser verdammte Erzengel. Irgendwas in mir drinnen sagt mir, dass ich ihm trauen kann, aber die Vergangenheit hatte mir gezeigt, dass ich niemanden trauen sollte, den ich erst seit ein paar Minuten kenne. Dieses seltsame Gefühl des Vertrauens ergibt überhaupt keinen Sinn und das ist es, was mir am meisten Angst macht.

Mit einer Hand öffne ich den Kofferraum, während ich mein Handy entsperre und meine Kontakte durchgehe. Ich wundere mich tatsächlich, warum ich Bobby mittlerweile nicht endlich mal als Schnellwahlkontakt eingespeichert habe. Immerhin habe ich ihn schon oft in Momenten angerufen, in denen ich nicht sonderlich viel Zeit hatte, um seine Nummer zu wählen, wenn ich schnell Hilfe brauchte. Da wäre es eigentlich nur logisch, dass ich ihn als Schnellwahlkontakt einspeichere, aber jedes Mal, wenn ich mir das vornehme, mache ich es dann doch nicht.

„Hey Kleine, was gibts?", meldet er sich schon nach dem zweiten Klingeln und ich sehe mich ein letztes Mal um, bevor ich mich komplett zu meinem Notizbuch in meinem Kofferraum drehe und meine Aufmerksamkeit auf Bobby richte.

„Ich habe wahrscheinlich nicht so viel Zeit. Hast du deinen Laptop parat?" Ich weiß, dass Bobby jetzt wahrscheinlich mit den Augen rollt, als ich auf jegliche Begrüßungen und Höflichkeiten verzichte. Doch das scheint er auch als ein Zeichen zu sehen, dass ich gerade keine Zeit habe und in einer ernsten Situation bin. Denn sobald ich meine Frage ohne Begrüßung gestellt habe, verändert sich seine Stimme und er ist konzentrierter, als eben noch.

„Na klar. Was brauchst du?", fragt er mich.

„Woran erkenne ich einen Engel?" Ohne lange Herumzureden komme ich zum Punkt, denn ich würde diese Unterhaltung gerne beenden, bevor Gabriel wieder kommt. Und ich gehe davon aus, dass er das tun wird. Zumindest klang es eben, als er verschwunden ist, ja so, als würde er dort hinkommen, wo ich mich zu dem Zeitpunkt befinden werde, zu dem er fertig ist.

„Engel?" Ich höre den ungläubigen Unterton in Bobbys Stimme. Kein Wunder, wo ich doch weiß, dass die Existenz von Engeln relativ unbekannt ist. Ich frage mich bloß weshalb.

„Ja. Ich hab hier nen Typen, der behauptet ein Engel zu sein. Ich will wissen, ob seine Story stimmt." Bobby grummelt etwas undeutliches vor sich hin, dann höre ich ihn tippen. Ich bete innerlich, dass sein Computer ihn heute nicht im Stich lässt – nicht so, wie das letzte Mal, als ich schnell wichtige Informationen gebraucht habe. Das war für uns beide blöd. Für mich, weil ich beinahe draufgegangen wäre und für Bobby, weil er sich schuldig gefühlt hatte.

„Warte kurz, ich suche Mal, ob ich etwas finden kann."

„Danke, Bobby." Im Hintergrund höre ich ihn immer mal wieder tippen, wahrscheinlich, weil er nach einer vertrauenswürdigen Seite sucht. Als Jäger ist man darauf angewiesen die Mythologien verschiedenster Seiten im Internet zu durchforsten. Über die Jahre lernt man dann die Seiten kennen, denen man vertrauen kann. Und die, denen man lieber nicht vertrauen sollte. Es wäre eigentlich eine sinnvolle Sache, einmal eine gesonderte Seite für Jäger einzurichten, auf denen Jäger ihre Tipps und Tricks preisgeben könnten. Doch so etwas birgt natürlich auch Gefahren, weswegen es bisher noch niemand getan hatte. Aus diesem Grund hatte ich mir irgendwann ein dickes Notizbuch besorgt, in das ich alles reinschreibe, was ich gebrauchen könnte. Ich weiß, dass meine Eltern ebenfalls solche Notizbücher führen, immerhin vergleichen wir unsere Eintragungen regelmäßig, damit für keinen von uns ein Nachteil entsteht.

„Geht es dir sonst gut?", reißt mich Bobbys Stimme aus meinen Überlegungen und ich schrecke beinahe etwas auf. Direkt darauf schalle ich mich selbst für meine Unvorsichtigkeit und sehe mich hektisch um, ob sich in der Zwischenzeit nicht etwas angeschlichen hat. Aber zum Glück scheint alles ruhig zu sein.

„Ja... nein. Ist eine lange Geschichte, ich rufe dich morgen noch Mal an und erzähle dir alles.", versuche ich Bobby abzuwimmeln. So sehr er auch Familie für mich ist... ich muss jetzt ersteinmal selbst verstehen, was hier eigentlich geschieht und mir dann mit meinen Eltern Gedanken machen, was wir tun, sollte Gabriels Geschichte wirklich stimmen.

„Wo bist du denn gerade?"

„Am Rand eines Highways in Seattle." Im Hintergrund ertönt wieder das Klicken und kurz darauf höre ich Bobby etwas murmeln, das scheinbar aber nicht für meine Ohren bestimmt war, denn er erzählt es mir nicht deutlicher, sondern führt unser Gespräch weiter. Zum Glück weiß ich, dass Bobby Multitaskingfähig ist und weiterhin nach meinen Informationen sucht, während er sich mit mir unterhält.

„Ich mache mir ein bisschen Sorge, Zoe. Deine Eltern gehen auch nicht an ihre Handys." Ich hätte beinahe spöttisch aufgelacht und einen sarkastischen Kommentar dazu abgegeben, als er das sagt, doch verkneife es mir. Zynismus wird mich jetzt auch nicht weiterbringen, sondern den Prozess der Informationsbeschaffung noch verlangsamen.

„Ist wirklich okay, Bobby. Es geht uns gut. Ich bin gerade aber leider nicht sonderlich erpicht darauf, über den heutigen Tag zu reden."

„Alles klar, schon gut. Ich suche dir deine Information über Engel heraus und höre auf Fragen zu stellen." Ich weiß, dass er mir meine abweisende Art gerade keineswegs übel nimmt, deshalb mache ich mir auch keine Sorgen, dass ich ihn in irgendeiner Art und Weise erzürnen könnte.

„Danke." Ein paar Augenblicke ist alles still, dann räuspert er sich am anderen Ende de Leitung und ich halte meinen Stift und mein Notizbuch in meinen Händen bereit.

„Also erkennen kannst du einen Engel an seinen Flügeln. Oder an seiner Gnade.", fasst er offensichtlich zusammen, was er im Internet gefunden hatte.

„Was ist denn seine Gnade?"

„Das ist quasi die Essenz, die ihm die Kräfte verleiht. Sie müsste wie Blut hervorquillen, nur beißend blau, wie helles Licht. Und beim Benutzen der Kräfte kann sie sich auch zeigen." Helles, beißendes Licht? Meint er etwa so etwas, wie das, was ich gesehen hatte, als Gabriel meine Eltern geheilt hatte? Ein ungutes Gefühl schleicht sich in mir hoch, als ich realisiere, dass Gabriels Geschichte wirklich zu stimmen scheint.

„Bei jedem Einsetzen?", frage ich deshalb zur Sicherheit noch Mal nach. Wenn sich das Licht immer zeigt, dann könnte er mir ja einfach eine kleinen Zauber zeigen und dann könnte ich mir sicher sein, dass er die Wahrheit sagt. Und wenn ich kein beißendes Licht sehe, dann töte ich ihn.

„Nein. Hier steht, dass sie nur bei besonders mächtigen Zaubern leuchtet. Also zum Beispiel bei einem starken Heilzauber." Ich seufze. Gut, also ist ein kleiner, unauffälliger Zauber doch keine Lösung. Aber ein Heilzauber? Den musste er bei meinen Eltern definitiv anwenden, immerhin sind diese beinahe gestorben. Und er hatte mich immerhin auch extra gewarnt, dass ich mich von ihm wegdrehen solle, damit meine Augen nicht verbrennen. Und daraufhin habe ich ein helles, beißendes Licht gesehen, genau so, wie Bobby es mir beschrieben hatte... ich beschließe, dass ich trotzdem noch eine weitere Sicherheit brauche und erinnere mich daran, dass Bobby etwas von „Gnade" gesagt hatte.

„Das heißt ich müsste den Engel nur anschneiden und dann würde ich seine Gnade sehen?" Während ich spreche kritzele ich die Informationen, die ich soeben bekommen habe notdürftig in mein Notizbuch und hoffe, dass ich sie in Zukunft, falls ich sie brauchen sollte, noch entziffern kann. So eine Sauklaue hatte ich ja schon lange nicht mehr, als ich geschrieben habe...

„Willst du mir gerade sagen, dass du es planst, diesen Engel anzugreifen?" Der Unglauben in seiner Stimme wird beinahe von dem Entsetzen überschattet, das er gerade empfinden muss.

„Möglicherweise? Was kannst du mir noch erzählen? Gibt es Schwächen?"

„Im Grunde genommen gibt es hier eine Menge Schwächen und Waffen, aber an mindestens drei viertel von ihnen kommst du nicht heran." Ich rolle mit den Augen. War ja klar, dass es wieder einen Haken gibt.

„Wie meinst du das?", verlange ich dann aber nach mehr Details, damit ich mir wenigstens vorstellen kann, welche Probleme es mit den Waffen gibt.

„Es gibt wohl ein paar magische Artefakte, die du als Sterbliche niemals bekommen könntest – von benutzen reden wir erst gar nicht." Trotzdem kritzele ich die Worte unter die Erwähnung der Gnade, damit ich die Information wenigstens festgehalten habe und sie nicht vergessen kann. Dass ich die Waffen nicht einsetzen kann, ist ja eine andere Sache, über die ich mir wann anders Gedanken machen kann.

„Sehr aufbauend. Gibt es irgendwas, das ich spontan benutzen könnte?"

„Hast du heiliges Öl dabei?", möchte Bobby wissen und ich antworte ihm, während ich heiliges Öl zu den Schwächen in meinem Notizbuch hinzufüge.

„Nein.", nuschele ich und drehe meinen Kopf dann erneut kurz, um die Gegend zu erkunden. Aber auch weiterhin kann ich nichts auffälliges sehen. Es ist schon ein Wunder, dass kein einziges Auto an mir vorbei gefahren ist, seitdem ich hier stehe. Aber mir soll es nur Recht sein, dann muss ich mich nicht gegen seltsame Perverse verteidigen. Dafür habe ich gerade ja wirklich gar keinen Nerv.

„Dann bleibt dir nicht mehr sonderlich viel übrig. Henochische Sigillen helfen, aber die sind eher dazu da, um Engel aus irgendwelchen Gebäuden fernzuhalten...", erklärt er und stößt dann noch einen nachdenklichen Laut aus, sodass ich gar nicht erst beginne zu reden, weil ich weiß, dass er noch etwas fragen möchte. Und als hätte er diesen Gedanken gehört, beginnt er sogleich auch schon zu reden.

„Weißt du, welche Art von Engel du vor dir hast?"

„Einen Erzengel.", antworte ich ihm kurz und höre ihn kurz seufzen. Ich ziehe eine Augenbraue hoch, ohne es wirklich zu registrieren. Dieses Seufzen hat nichts Gutes zu bedeuten.

„Das... könnte sich als schwierig erweisen. Damit sind deine Chancen gerade erheblich gesunken, weil die normalen Verteidigungsmethoden bei den Erzengeln nicht funktionieren. Also wird eine Engelsfalle wahrscheinlich nicht funktionieren." Schnell füge ich Engelsfalle mit einem Fragezeichen zu meiner Auflistung hinzu. Auch, wenn das für Gabriel nicht funktioniert, sollte ich mir definitiv ansehen, wie man eine Engelsfalle zeichnet. Wer weiß, wann mir das noch Mal nützlich wird.

„Ist das so was wie eine Teufelsfalle?"

„Ja, so ähnlich. Alternativ gibt es auch noch einen Exorzismus speziell für Engel." Auch das kommt auf meine Liste mit einem riesigen Fragezeichen.

„Echt jetzt?"

„Jup. Wenn du deinem Engel schaden möchtest, dann ist deine einzige Chance ihm seine Erzengelsklinge zu stehlen. Das ist die einzige für dich erreichbare Waffe, die ihn töten kann." Naja, ob die Waffe wirklich erreichbar für mich ist, bezweifele ich. Denn ich vermute, dass besagter Engel die Waffe direkt an seinem Körper trägt. Und ihn anzugreifen wäre nicht nur ziemlich dumm, sondern auch sehr hoffnungslos. Denn ich bin mir sicher, dass er nicht mal einen Finger bewegen müsste, damit er meinen Angriff vereiteln kann.

„Ich glaube das wäre reiner Selbstmord.", gebe ich deshalb nur zurück. Unauffällig sehe ich mich wieder um, als ich das Gefühl habe, dass ich beobachtet werde, doch kann niemanden entdecken. Trotzdem lege ich meinen Stift zur Vorsicht auf mein Notizbuch und greife nach meiner Machete, die an der Unterseite meines Koferraumdeckels befestigt ist. Mit dieser in der Hand drehe ich mich um und lehne mich dann an mein Auto.

„Da muss ich dir leider zustimmen..."

„Kannst du für mich noch alles mögliche über Schutzengel herausfinden und mir die Infos mailen?", bitte ich ihn. Ich weiß, dass er sich ziemlich sicher direkt morgen früh oder sogar heute noch daran setzen wird und weiß sehr zu schätzen, dass ich meine Informationen vielleicht noch erhalte, bevor ich das Gespräch mit Gabriel führen kann. Dann kann ich ihm gleich alle Fragen stellen, die mich brennend interessieren, nachdem ich die Unterlagen von Bobby gelesen habe.

„Na klar, mache ich."

„Danke, du bist der beste." Ein sanftes Lächeln schleicht sich auf mein Gesicht und ich stoße mich von meinem Auto ab, dann lege ich die Machete wieder dahin zurück, wo sie hingehört, da ich ahne, dass das Gespräch jetzt beendet ist.

„Kein Ding. Pass auf dich auf und ruf mich morgen an, in Ordnung?"

„Mache ich, bis dann.", bestätige ich Bobby, dann lege ich auf, ohne auf eine Erwiderung zu warten und seufze. Das war eine Menge Input gerade.

Als ich mein Handy aus der Hand lege, nachdem Bobby aufgelegt hat, krame ich sofort in meinem Kofferraum nach einem langen Dolch, mit dem ich diesen Engel zur Not angreifen könnte. Auch, wenn Bobby sagt, dass ich einen Erzengel nur mit einer Erzengelsklinge töten kann, klang es aber so, dass ich ihn mit einem normalen Dolch stark genug verletzen kann, um seine Gnade zu sehen. Das heißt, wenn er sich weigert mir seine Flügel zu zeigen, dann habe ich noch die Chance mit der Gnade und wenn das auch nicht funktioniert, dann habe ich ein Problem. Aber wenn er sich so verhält, wie ich ihn einschätze, dann wird er mir seine Flügel ohne Bedenken zeigen. Denn bisher schien er ja doch recht kooperativ zu sein. Und meine Chancen, wenn ich ihn angreife, stehen nicht besonders gut, das ist mir mehr als nur bewusst. Ich bin mir auch sicher, dass er diese drei Dämonen ohne Probleme selbst aus den Körpern meiner Eltern und Mike hätte vertreiben können. Dass er mir dabei geholfen hat, dass ich es tun kann, war nur Höflichkeit, da bin ich mir sicher.

Ich greife nach einer Wasserflasche, die noch verschlossen in meinem Kofferraum liegt und öffne sie. Ich muss mir nur kurz die Beine vertreten, dann kann ich mir meine Waffe schnappen und weiter fahren. Und wenn ich zu Hause bin, dann werde ich selbst definitiv auch in dieser Nacht keine Ruhe finden, bis dieser Engel aufgetaucht ist und ich mich vergewissert habe, dass er uns nichts Böses möchte. Vielleicht informiere ich mich tatsächlich noch, was diese henochischen Sigillen sind und schmiere sie direkt mit der Erneuerung des Dämonenschutzes an unsere Hauswand, wer weiß.

Gerade, als ich das zu Ende gedacht habe und entschlossen den Kofferraum schließe und mich anschließend umdrehe, taucht Gabriel wie aus dem Nichts vor mir auf. Ich stoße einen leisen Schrei aus, weil ich mich so erschrocken habe. Dann allerdings besinne ich mich und halte sofort den Dolch in die Höhe. Gabriel scheint zu merken, weshalb ich das tue, denn er hebt abwehrend die Hände.

„Ich habe nicht vor dir etwas zu tun, Schätzchen.", fügt er noch hinzu und verleiht seiner Geste damit noch mehr Aussagekraft. Ich sehe ihn skeptisch an und trete einen Schritt näher an ihn heran.

„Ich möchte deine Flügel sehen!"

„Meine Flügel?", fragt er mich verwundert. Ich rolle mit den Augen.

„Oder deine Gnade, such dir eins aus!" Mit Nachdruck sehe ich ihn an und sehe, dass sein Blick auf meinen Dolch gleitet, dann verzieht er das Gesicht.

„Na dann doch lieber die Flügel.", nuschelt er. Ich sehe ihn zufrieden an und trete dann einen Schritt von ihm zurück. Gabriel sieht mich noch einmal kurz an, dann blitzt es um uns herum. Ich halte schnell meinen Arm vor meine Augen, um mich gegen das beißende Licht zu schützen. Als es wieder abnimmt, sehe ich auf. Gabriel steht weiterhin vor mir, dieses Mal allerdings mit Flügeln. Seine Flügel sind das Schönste, das ich jemals gesehen habe und sie heben sich perfekt von seinen dunklen Klamotten ab. Alles um uns herum ist in einem goldenen Licht getaucht und ich weiß, dass das Licht von seinen goldenen Flügel stammen muss. Alles in allem ist das hier vor mir eine Erscheinung, die einem Erzengel angemessen erscheint. Das scheint auch Gabriel zu merken, denn er sieht mich mit einer kleinen Portion Stolz an, bevor plötzlich wieder alles dunkel wird. Seine Flügel sind verschwunden und er sieht wieder aus wie ein normaler Mensch.

„Ich weiß nicht, ob ich dir trauen kann, Gabriel. Dass du ein Engel bist glaube ich dir. Aber das heißt noch lange nichts.", meine ich dann allerdings und gehe an dem Erzengel vorbei. Sein Blick verfolgt mich und ich fühle mich augenblicklich schlecht, dass ich diese Worte ausgesprochen habe. Seit er aufgetaucht ist, hat er nichts als Gutes für mich getan und ich behandele ihn immer noch so, als würde er jeden Moment mit seiner Erzengelsklinge auf mich losgehen. Als ich ihn wieder anblicke, ist er mir ein Stück näher gekommen, aber hält immer noch einen angemessenen Abstand ein.

„Ich kann verstehen, dass das schwer für dich ist. Ich kann dir allerdings versprechen, dass ich keine bösen Absichten habe. Ich wurde geschickt, um dich zu schützen. Ich weiß nicht vor wem oder vor was-"

„Weshalb weißt du das nicht?" Ich unterbreche ihn unwirsch, doch wenn es ihn stört, dann lässt er sich davon nicht beeindrucken. Oder er zeigt es zumindest nicht.

„Weil der Himmel niemals eine klare Botschaft verfassen kann. Immer muss alles ganz besonders mystisch und geheimnisvoll wirken. Schrecklich nervig, wenn du mich fragst.", erklärt er auf meine Frage hin und ich kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Irgendwie ist dieser Erzengel schon ziemlich cool. Und wenn es nur sein Humor ist, den ich momentan so mag.

„Aber was ich eigentlich sagen wollte: Ich bin hier, um dich zu beschützen. Wir können sicherlich gemeinsam herausfinden, weshalb ich das tun soll. Aber fürs erste solltest du nach Hause kommen und etwas schlafen. Und morgen beantworte ich dir alle Fragen, die du mir stellst." Ich sehe ihn nachdenklich an. Doch irgendwas in mir drinnen sagt mir, dass das die beste Möglichkeit ist. Auch, wenn ich eine Menge Fragen an ihn habe, glaube ich nicht, dass ich sonderlich viele Informationen aufnehmen könnte, wenn er mir diese jetzt beantwortet.

„Na schön. Gewonnen. Du kannst bei uns schlafen. Und morgen früh reden wir.", biete ich an. Allerdings biete ich ihm das nur an, damit ich mir sicher sein kann, dass er nicht davonrennt, bevor ich ihm die Fragen gestellt habe, die ich beantwortet haben möchte.

„Engel schlafen nicht." Ich rolle erneut mit den Augen.

„Dann leg dich hin und starr eben die Decke an, was weiß ich. Was ist nun?", dränge ich ihn zu einer Antwort. Gabriel schmunzelt kurz, dann nickt er.

„Na schön, ich komme mit. Das ist wahrscheinlich das Beste, um meinen Job als Schutzengel richtig zu machen." Er sieht mich bestimmt an und ich erwidere seine Entscheidung kurz mit einem Nicken, dann öffne ich die Fahrertür meines Audis und steige ein. Gabriel tut es mir gleich und setzt sich auf den Beifahrersitz. Als ich den Motor aufheulen lasse, springt direkt wieder die Musik an und ich beginne leicht zu grinsen, als ich das Lied höre, das dort abgespielt wird. Es ist fast so, als hätte AC/DC beschlossen Gabriel mit „Highway to Hell" zu verspotten. Ich biege wieder auf den Highway und drehe das Radio etwas leiser. Wenn ich alleine bin, dann tendiere ich dazu besonders laut Musik zu hören und mir die Seele aus dem Leib zu brüllen, doch das erscheint mir gerade nicht angemessen.

„Kann ich dir jetzt schon eine Frage stellen?", wende ich mich dann nach einem kurzen Moment an Gabriel, der seinen Kopf zu mir dreht und mich fragend ansieht. Dies nehme ich als Bestätigung, dass er mir eine Frage gestattet. Schnell sehe ich wieder auf die Straße, bevor ich noch einen Unfall baue, weil ich von der Straße abkomme.

„Wenn ich henochische Sigillen auf unser Haus kritzele, dann würde ich dich auch aussperren, oder?"

„Ja. Aber woher kommt das plötzliche Bedürfnis, sich gegen Engel zu schützen?", fragt er mich interessiert und ich lache leicht.

„Bis eben wusste ich nicht mal, dass Engel existieren. Ich kenne keinen Jäger, der bisher einen Engel getroffen hat.", erkläre ich und werfe ihm einen Blick zu, als ich seinen auf mir spüre. Seine Miene zeigt eine Mischung aus nachdenklich und etwas, das ich nicht deuten kann, bevor er wieder zu sprechen beginnt und den Blick wieder von mir abwendet.

„Wir halten uns meistens aus den Angelegenheiten der Menschen heraus. Deshalb ist es umso ungewöhnlicher, dass mir dieser Auftrag zugeteilt wurde. Der hohe Rat hat mich seit Jahrhunderten nicht mehr auf die Erde geschickt." Ich verkneife es mir zu fragen, wer denn der hohe Rat ist, denn ich denke, dass diese Frage meine momentane Aufmerksamkeitsspanne übersteigt. Außerdem hatte er vorhin schon angedeutet, dass er von einer Gruppe an hochrangigen Engeln gesandt wurde und ich gehe einfach mal davon aus, dass dies der hohe Rat ist. Würde vom Namen her zumindest Sinn machen.

„Das heißt du warst seit Jahrhunderten nicht mehr hier?"

„Doch. Aber das lag eher daran, dass ich mich vor meinen Brüdern und meinem Vater versteckt habe." Mein Blick gleitet schon wieder zu ihm und ich realisiere unwillkürlich, dass ich mir einen ungünstigen Zeitpunkt für so eine Unterhaltung ausgesucht habe. Meine Neugierde gewinnt nämlich gerade die Überhand und ich habe das Bedürfnis das Auto rechts ran zu fahren und ihn mit allen Fragen zu löchern, die mir durch den Kopf gehen. Allerdings glaube ich nicht, dass sonderlich viele Antworten davon noch in meinem Kopf bleiben werden.

„Deine Brüder? Meinst du Michael, Raphael und Luzifer?" Ich entscheide mich deshalb für eine Frage, auf die ich mir die Antwort schon denken kann. So zeige ich allerdings Interesse und halte das Gespräch am Laufen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. Ich blinke, als ich vom Highway abbiege und bin mir nicht sicher, ob ich froh sein soll, dass ich wieder in die vertrauten Straßen meiner kleinen Wohngruppe einbiege und mein Zuhause nun nur noch wenige Minuten entfernt ist. Auch, wenn ich dann nachsehen kann, ob es meinen Eltern wirklich gut geht, bedeutet eine Ankunft zu Hause auch, dass ich Gabriel nun offiziell in unser Haus einlade. Und auch, wenn ich eben noch sehr begeistert von dieser Idee war, bin ich mir gerade nicht wirklich sicher, ob diese Idee wirklich so gut ist, wie ich sie eben noch gefunden habe. Ich schüttele den Kopf und konzentriere mich lieber wieder auf die Konversation, die ich eben mit Gabriel hatte, anstatt auf meine Zweifel. Denn wenn ich jedes Mal auf meine Zweifel hören würde, wenn diese auftauchen würden, dann wäre ich eine grottige Jägerin.

„Genau die." Ich versuche mich an das zu erinnern, das ich ihn gefragt habe. Ich hatte ihn nach seinen Brüdern gefragt, richtig? Ja, bestätige ich mir selbst in meinem Kopf und ich schmunzele. Dann allerdings werde ich wieder ernst und nicke, als Zeichen, dass ich seine Antwort verstanden habe.

„Das heißt sie wussten nicht, wo du bist?"

„Nein. Ich habe einen Vertrauten im hohen Rat. Er ist der einzige, der wusste, wo ich mich befand und wie man mich nannte. Aber scheinbar bin ich nun aus meinem wohlverdienten Urlaub zurück." Ich höre das leichte Bedauern in seiner Stimme und hätte ihn beinahe mitleidig angesehen. Das Ganze ist sicherlich auch nicht ganz leicht für ihn. Aber darüber werde ich mir morgen Gedanken machen.

„Hast du wirklich keine Theorie, was das hier alles soll?", frage ich dann allerdings doch noch, damit ich diese Nacht beruhigt schlafen kann und nicht völlig im Dunklen stehe.

„Ich vermute, dass es etwas mit der Apokalypse zu tun hat.", erwidert er völlig ruhig, als würde er mir erzählen, was es morgen zum Mittagessen gibt. Ich allerdings werde bei der Erwähnung des Wortes „Apokalypse" hellhörig und sehe ihn mit großen Augen an. Verstehen wir unter dem Wort Apokalypse das Gleiche? Nämlich den Untergang der Welt?

„Was?!", höre ich mich geschockt fragen, als ich bei uns zu Hause auf den Parkplatz fahre und den Motor meines Autos zum Stillstand bringe. Gabriel dreht den Kopf wieder zu mir und dieses Mal erwidere ich den Blick, weil ich immerhin nicht mehr auf die Straße achten muss.

„Morgen, Zoe. Das ist zu viel für eine Autofahrt." Sanft sieht er mich an und doch erkenne ich den auffordernden Ausdruck in seinem Gesicht, der mich bittet, auf ihn zu hören und nicht weiter zu fragen. Und obwohl es mir widerstrebt mich daran zu halten, realisiere ich, dass ich aus Gabriel heute keine Informationen mehr herausbekommen werde und mir meinen Atem sparen kann.

„Okay.", antworte ich ihm deshalb nur ebenso sanft wie er eben und öffne dann meine Autotür. Gabriel scheint es mir gleichzutun und ebenfalls auszusteigen.

„Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, wie ich meinen Eltern erkläre, dass ich dich eingeladen habe, die Nacht über bei uns zu bleiben.", äußere ich meine Gedanke laut, als ich meinen Rucksack vom Rücksitz nehme und dann mein Auto abschließe. Während ich auf dem Weg zu unserer Wohnungstür bin, krame ich in meinem Rucksack nach meinem Haustürschlüssel und ziehe ihn heraus, als ich ihn gefunden habe.

Ich schließe die Haustür auf und ziehe direkt im Eingangsbereich meine Schuhe aus. Vorsichtig ziehe ich mir meine Jacke aus und überlege mir kurz, wo ich sie hinlegen soll, ohne, dass sie überall alles vollblutet, doch ich finde keinen idealen Ort. Kurzerhand öffne ich die Tür des Gäste-Wcs und schmeiße die Jacke dort einfach auf die Fliesen. Von denen kann ich das Blut morgen besser wegwaschen, als von dem Teppich oder vom Holzboden. Auffordernd sehe ich dann zu Gabriel, der mich ein paar Sekunden lang anstarrt, dann aber schließlich seufzt und sich ebenfalls die Schuhe auszieht und sie neben meine stellt. Die Jacke zieht er ebenfalls aus und hängt sie an den Harken. Dann sieht er mich auffordernd an. Ich blicke ihn ebenfalls noch kurz an, dann beschließe ich allerdings meine Zweifel über Bord zu schmeißen und führe ihn in unser Haus.

„Mum? Dad? Wo seid ihr?", rufe ich in die Stille herein und höre nur ein kurzes „Hier!" aus dem Wohnzimmer. Ich hatte irgendwie erwartet, dass beide schon im Bett liegen, doch da hatte ich mich scheinbar geirrt. Als ich in das Zimmer trete, sehe ich meine Eltern beide auf dem Sofa sitzen und stelle erleichtert fest, dass sie eigentlich ziemlich gesund und wohlauf wirken. Zumindest körperlich.

Ich gehe auf beide zu und knie mich vor den Beiden auf den Boden.

„Wie geht es euch?", frage ich sanft und sehe sie mir genau an. Beide wirken zwar etwas mitgenommen, doch ihre Körper sind soweit wieder unversehrt und sie sehen nicht so aus, als wären sie eben beinahe noch gestorben. Und auch von anderen Auffälligkeiten kann ich nichts entdecken. Scheinbar hatte Gabriel wirklich nicht gelogen, sondern meine Eltern anhaltend geheilt. Einzig der etwas leere Blick meiner Mutter zeigt mir, dass ich mir diesen schrecklichen Abend nicht eingebildet hatte.

„Gut. Uns geht es gut, Schatz."

„Zoe, was- DU bringst ihn hierher?"

„Ich weiß es selbst auch nicht so richtig... aber ich habe eine Menge Fragen an ihn... und habe es für das Beste gehalten, wenn ich ihn hier schlafen lasse, damit er mir morgen meine Fragen beantworten kann."

„Bist du dir sicher, dass das eine gute Idee ist?"

„Er hatte jetzt so viele Chancen mich zu töten und hat keine davon wahrgenommen. Ich denke, dass wir ihm vorerst vertrauen sollten." Meine Eltern scheinen nicht zu bemerken, dass ich nicht so hinter meinen Worten stehe, wie ich gerade tue, doch das soll mir nur Recht sein. Nach dem, was meine Eltern durchgemacht haben, muss ich ihnen jetzt nicht noch unnötig Panik machen. Skeptisch sieht mein Vater den Erzengel vor mir an, dann steht er auf. Ich weiß nicht, was er vorhat, doch das soll mich in diesem Moment auch nicht stören, denn ich sehe zu meiner Mutter, um an ihrem Gesicht zu sehen, was sie von meinem Vorschlag hält. Sie erwidert meinen Blick kurz, dann nickt sie zögerlich. Ich lächele und drehe mich dann zu meinem Vater um. Gerade in dem Moment sehe ich, dass er Gabriel einen Schwall Wasser ins Gesicht kippt. Ich bin mir sicher, dass es Weihwasser ist und beginne beinahe zu lachen, als Gabriel wie ein gegossener Pudel vor uns steht. Dieser presst die Augen zusammen und prustet das Wasser dann beinahe schon genervt wieder aus.

„Das nehme ich jetzt als Beleidigung.", kommentiert er das Ganze nur und streicht sich die nassen Haare aus dem Gesicht. Dann sieht er zu meinem Vater.

„Ich bin kein Dämon.", fügt er anschließend noch hinzu und mit einem Schnippsen seiner Finger ist er wieder trocken, so als wäre das eben gar nicht passiert. Fasziniert beobachte ich ihn, schüttele dann aber schnell mit dem Kopf, als ich das bemerke, so als würde ich mich damit selbst von meinen Gedanken losreißen.

„Was sind Sie dann?", möchte meine Mutter wissen und steht ebenfalls von dem Sofa an. Fragend sieht sie Gabriel an, der sich mit einem leichten Lächeln zu ihr dreht.

„Ich bin Erzengel Gabriel." Stille breitet sich aus und meine Eltern blinzeln ihn ungläubig an. Meine Mutter durchbricht allerdings nach wenigen Sekunden die Stille.

„Oh, na dann..." 


(Überarbeitet)

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