Kapitel 3


Am folgenden Morgen wurde sie von Castus zum Frühstück abgeholt und von ihm in den Speisesaal geleitet. Dort angekommen setzte sie sich auf ihren Platz und wartete auf Luzifer.

Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, angesichts des vielen Essens. Es gab ein typisches englisches Frühstück mit kleinen Würstchen, Ei und Speck. An Brötchen gab es mehr Sorten, als sie zählen konnte und daneben waren noch allerlei Salate gedeckt worden.

Als Luzifer endlich den Speisesaal betrat, runzelte Liliana ihre Stirn. Der Teufel sah besorgt aus.

Er setzte sich neben sie und bedeutete ihr stumm, dass sie beginnen konnte. Sie schüttelte ihre Gedanken ab und griff beherzt zu. Sie hatte seit gestern früh nichts mehr gegessen, da Luzifer ja meinte ihr ihr Abendessen verbieten zu müssen.

Wie auf Kommando grummelte ihr Bauch laut und peinlich berührt legte sie die Hand darauf. Luzifer quittierte dies mit einer hochgezogenen Augenbraue.

„Das Fasten gestern Abend hat deinem Bauch wohl nicht so gefallen", er sah sie kurz an, ehe er nach einem Brötchen griff. Lilianas Wangen glühten und sie ließ den Blick sinken.

Peinlich berührt begann sie sich ihr Essen zu richten.

„Hör auf damit!" Erschrocken ließ sie ihre Gabel zurück auf den Tisch fallen. „Womit denn?" „Mit diesem Gefühl. Du bist beschämt. Das kann ich nicht ausstehen", energisch schnitt der Teufel sein Brötchen entzwei. „Ich verstehe nicht...Woher...?" „Ich kann fühlen, was du fühlst." „Heißt das du bist ein Empath?" „So kann man es ausdrücken." „Oh!", überrascht zog sie die Augenbrauen nach oben.

Stumm widmete Liliana sich wieder ihrem Essen.

Sie fühlte sich nun noch unwohler in der Gegenwart des Teufels, als ohnehin schon. Was wäre wenn sie etwas fühlte, das ihm nicht gefallen würde? Würde er sie nur deswegen bestrafen?

Mit einem schnellen Blick bemerkte sie, dass Luzifer sich ganz seinem Essen widmete und entspannte sich sogleich.

„Bist du etwa stumm geworden?", fragte Luzifer. Sie starrte ihn einige Sekunden an, in denen sie zu überlegen schien. „Nein. Ganz und gar nicht. Aber ich wollte mir erst einmal meinen Bauch vollschlagen, ehe ich mich wieder gegen dich auflehne. Dann kannst du mir immerhin das Essen nicht verbieten", provozierend sah sie ihn an. „Der Ausschluss vom Essen ist nicht die einzige Bestrafung, die ich auf Lager habe. Versprochen." „Schön für dich", sie lächelte ihn zuckersüß an.

Sein Mund verzog sich angesichts ihrer Antwort zu einem breiten, atemberaubenden Grinsen. Vielleicht lag es auch daran, dass er ihre Wut spüren konnte. Wer wusste das schon.

Hätte sie nicht gewusst, dass sie gerade dem Teufel gegenübersaß, hätte ihr Herz vermutlich einen Sprung gemacht. Sein Lächeln war einfach viel zu hinreißend für den Teufel.

Stumm setzten sie ihr Frühstück fort. Als sie dies endlich beendet hatten, geleitete Luzifer sie noch zu ihrer Zelle, in die er sie wieder einschloss. Castus stand rechts neben ihr an der Wand und hatte anscheinend nun die Aufgabe, sie zu bewachen. Wie eine Säule hatte er seinen Posten bezogen und hätte sie nicht gewusst, dass er echt war, hätte sie ihn womöglich für eine sehr lebendige Statue gehalten.

„Soll ich nun für immer in dieser Zelle bleiben?", rief sie Luzifer noch hinterher, ehe er um die nächste Ecke verschwinden konnte. Dieser blieb abrupt stehen und drehte sich langsam zu ihr um. „Nein. Ich sagte dir doch, dass sich dein Aufenthalt hier bessern könnte. Du musst nur artig sein und auf das hören, was man dir sagt", er sprach mit ihr, als wäre sie irgendein Tier, das man nur gut genug bestechen musste, damit es das tat, was von ihm verlangt wurde. „Träum weiter. Ich lasse mir von dir niemals etwas sagen", sie verschränkte die Arme, was ihre Aussage noch unterstreichen sollte. Allerdings schien ihn das wenig zu beeindrucken. „Meinetwegen. Dann versauere hier unten", achselzuckend wollte er sich schon von ihr abwenden. „Du bist ein mieses Arschloch. Ich hoffe du weißt das." „Nein. Ich bin der Teufel. Das ist noch viel schlimmer!" Sie schnaubte verächtlich.

Anscheinend gab es nichts mehr zu sagen, denn sie wurde nun wieder allein gelassen. Niedergeschmettert zog sie ihre Schuhe aus und legte sich anschließend wieder auf ihr Bett, das sich angesichts des plötzlichen Gewichts beschwerte.

Nun hatte sie ihr erstes Mahl mit Luzifer überstanden und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Noch weniger wusste sie, wie sie den Teufel einschätzen sollte. So böse, wie sie ihn kennengelernt hatte, war er nicht immer. Er hatte durchaus nette Seiten an sich, die sich allerdings nur flüchtig zeigten. Was sollte sie davon halten?

Gedankenverloren analysierte sie ein weiteres Mal die Gemälde über ihrer Zelle und musste feststellen, dass ihr eine wichtige Sache entgangen war. In dem Bild, in dem er von den anderen verurteilt wurde, waren sehr viele Engel zu sehen und jeder einzelne von ihnen hatte blonde Haare und blaue Augen. Bis auf Luzifer. Er war der einzige mit schwarzen Haaren. Seine Augen konnte man leider nicht erkennen, weshalb sie nicht sagen konnte, ob sie auch damals schon schwarz gewesen waren.

Warum unterschied er sich so von seinen Brüdern? Oder war es womöglich nur eine Art des Künstlers zu signalisieren, dass dies hier die Geschichte von Luzifer war? Hatte der Teufel womöglich ebenfalls blonde Haare gehabt und sie waren erst schwarz geworden, nachdem er gefallen war?

So viele Fragen und jede einzelne würde unbeantwortet bleiben.

Um nicht länger darüber nachzudenken, drehte sie sich zur Seite und erblickte direkt Castus, der weiterhin unbewegt dastand. Seine Augen glühten in ihrem unheimlichen Gelb und seine Flügel bewegten sich ein wenig, bei jedem seiner Atemzüge. Die ledrige Haut schimmerte leicht im Fackelschein und erschuf somit die Illusion, als würde er brennen. Sein groteskes Gesicht sollte ihr womöglich Angst einjagen, aber sie fand es eher faszinierend. Obwohl es so gefährlich aussah, hatte es auch etwas Sanftes an sich.

Das hatte sie bisher nie so bemerkt. Wie denn auch? Castus verhielt sich ihr gegenüber immer nur grob. Da waren seine Gesichtszüge eher Nebensache gewesen.

Einige Stunden nach dem Frühstück wurde sie von dem neuen Dämon, der Castus abgelöst hatte, aus der Zelle geführt und zum Speisesaal geleitet. Es war wohl Zeit für das Mittagessen.

Dort angekommen, entdeckte sie Luzifer, der anscheinend auf sie gewartet hatte. Ohne ihn weiter zu beachten setzte sie sich auf ihren Platz und inspizierte das aufgetragene Essen. Es gab eine Art Buffet, in dem zwei verschiedene Suppen, drei Hauptspeisen und eine Nachspeise serviert wurden.

Liliana zog skeptisch eine Augenbraue hoch angesichts der dampfenden Flüssigkeiten.

Es ist doch viel zu heiß für Suppe, dachte sie gerade, als der Teufel begann sich seinen ersten Teller mit einer der warmen Vorspeisen zu füllen.

„Keinen Hunger?", fragte er sie, als sie nach einigen Minuten immer noch unbewegt auf ihrem Stuhl saß. „Ähm... Doch."

Sie schnappte sich ebenfalls die Kelle und füllte sich den Teller. Im Gegensatz zu Luzifer hatte sie sich allerdings nur sehr wenig aufgetan. Dies quittierte der Teufel mit einem einzigen, nichtssagenden Blick, ehe er nach seinem Löffel griff.

„Guten Appetit", wünschte er ihr, ehe er anfing zu essen, was Liliana ihm nach einer Erwiderung nachmachte. Die Stille wurde hier und da von einem schlurfenden Geräusch unterbrochen und langsam kam die Braunhaarige sich albern vor.

„Luzifer?" „Hm?" „Warum bin ich hier? Was willst du von mir?", fragte sie ihn direkt, während sie ihr Besteck ablegte. Seine Augen schnellten in ihre Richtung und auch er setzte sich nach einem prüfenden Blick aufrecht hin und pausierte sein Essen. „Du könntest Michael und Gabriel zum Sieg verhelfen", erklärte er ruhig. „Warum ich?", sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Weil du eine reine Seele bist." „Reine Seele?", echote sie. „Ja. Reine Seelen sind eigentlich den Engeln vorbehalten, aber manchmal schafft es eine auf die Erde. So wie in deinem Fall." „Also bist du auch eine reine Seele?", fragte sie neugierig nach. „Nein. Nicht mehr."

Nicht mehr?

„Hat das etwas damit zu tun, dass du ein gefallener Engel bist?" Er starrte sie eine Zeit lang an und Liliana glaubte schon eine Grenze überschritten zu haben, aber dann wurde sein Blick sanfter und er seufzte. „Zum Teil. Reine Seelen verlieren ihren Wert, wenn die Person... anfängt schreckliche Dinge zu tun. Als ich fiel, war ich noch eine reine Seele. Aber... es ist kompliziert", er wandte sich ab und Liliana meinte so etwas wie Trauer in seinem Gesicht erkennen zu können. „Verstehe. Danke, dass du mir so viel erzählt hast", sie lächelte ehrlich und nachdem sich ihre Blicke abermals getroffen hatten, erwiderte er es. Sein Lächeln war umwerfend.

Schnell wandte sie sich wieder ihrem Essen zu, denn sie wollte nicht noch einmal von Verlangen übermannt werden, das hier mehr als nur fehl am Platz war.

„Ab heute wird Brutus dich für ein paar Tage bewachen. Ich brauche Castus an der Front", informierte er sie nach einiger Zeit der Stille. „Front?", verwirrt runzelte sie die Stirn. „Im Krieg gegen Gott", rief er ihr ins Gedächtnis. „Oh", es bildete sich ein Kloß in ihrem Hals und plötzlich hatte sie keinen Hunger mehr.

Luzifer führte Krieg gegen Gott, um die Herrschaft über die Menschen zu erlagen. Was das für Folgen haben könnte, wollte sie sich gar nicht erst ausmalen. Zudem würde er ihre Freunde auslöschen.

Sie legte ihr Besteck weg und lehnte sich zurück. Übelkeit überkam sie und sie schluckte, um es irgendwie zu verdrängen, aber es funktionierte nicht.

Sie war wohl unnatürlich blass geworden, denn Luzifer sah sie daraufhin stirnrunzelnd an.

„Alles in Ordnung?", fragte er sie. Sie schaffte es nur den Kopf zu schütteln und presste sich gleich darauf eine Hand vor den Mund. „Ist dir schlecht?" Diesmal nickte sie und Luzifer stand sofort auf und gab einem unbekannten Dämon ein Zeichen, der die ganze Zeit vor den schweren Flügeltüren gestanden hatte und nun durch diese verschwand. Der Teufel goss ein wenig Wasser in ihr Glas und reichte es ihr, welches sie dankend annahm. Nach einem Schluck der kalten Flüssigkeit war es schon besser geworden und sie atmete erleichtert auf. „Danke. Schon besser." „Brutus holt dir Tabletten, die du nehmen kannst, wenn du wieder Übelkeit verspüren solltest. Nimm sie mit nach unten." Es hörte sich eher wie ein Befehl an, als wie eine Empfehlung. „Okay."

Er ging wieder zurück an seinen Platz und aß noch die letzten Bissen auf, ehe Brutus wiederkam, Liliana ohne ein einziges Wort das Medikament in die Hand drückte und sich wieder zu seinem Posten vor der Tür begab. In stiller Übereinkunft standen die beiden auf und Luzifer geleitete sie diesmal wieder nach unten zu ihrer Zelle. Der Dämon folgte ihnen unauffällig und stellte sich an genau die Stelle, wo auch Castus zuvor Wache gehalten hatte.

„Darf ich dich noch etwas fragen?", zaghaft drehte sie sich zu Luzifer um und spielte nervös mit ihren Händen, da sie Angst vor der Antwort hatte. „Natürlich." „Warum führst du Krieg gegen Gott?" Er starrte sie einige Zeit abschätzend an, ehe er tief Luft holte. „Kennst du die Geschichte über Noah und seine Arche?" Sie nickte. „Also weißt du auch, dass Gott bereits einmal von vorne begonnen hat, die Erde mit euch Menschen zu besiedeln?", er zog eine Augenbraue hoch und wirkte dadurch noch gefährlicher, als es ohnehin der Fall war. „Ja. Und was hat das jetzt mit deiner Intention zu tun?", verständnislos runzelte sie die Stirn. „Gott möchte noch einmal von vorne anfangen. Aber das kann ich nicht zulassen. Er hat bereits zweimal Fehler begangen und nun ist es Zeit für einen neuen Schöpfer." „Dich?", sie schnaubte verächtlich, „Du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass du gegen Gott siegen könntest!?" „Jeder kann getötet werden. Selbst Gott", provozierend verschränkte er die Arme vor seiner muskulösen Brust. „Nun. Dann hoffe ich, dass du niemals erfolgreich sein wirst, denn ich würde niemals einen Schöpfer wie dich akzeptieren." „Wer sagt, dass du noch leben wirst, wenn ich gesiegt habe?"

Sie schnappte hörbar nach Luft.

„Warum tötest du mich dann nicht gleich?", ihre Wut war deutlich zu hören. „Gute Frage. Ich könnte dich auf der Stelle umbringen, aber dann würde in wenigen Sekunden eine neue reine Seele geboren werden und die Suche von Neuem beginnen. Das Risiko ist zu groß, dass Michael und Gabriel sie zuerst finden." „Also behältst du mich hier, bis du gesiegt hast, um mich dann zu töten?" „Richtig." „Du bist der größte Abschaum", sie ballte ihre Hände zu Fäusten und musste sich sehr stark zurückhalten, sonst wäre sie ihm an die Gurgel gesprungen. Er zuckte unbeteiligt die Schultern und drehte sich um, um sie allein zu lassen.

Als er um die nächste Ecke und somit aus ihrem Blickfeld verschwunden war, verpuffte ihre Wut und machte der Verzweiflung Platz.

Sie würde also sterben. Aber vorher noch ihre Familie und all ihre Freunde. Ganz zu schweigen von dem Rest der Menschheit.

Sie hatte irgendwie gehofft hier herauszukommen und wieder in ihr altes Leben schlüpfen zu können. Ihre Familie und ihre Freunde wiedersehen zu können, aber diese Hoffnung wurde soeben zerstört.

Sie hatte all ihre Liebsten bereits verloren.

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