5. Kapitel

Einen Augenblick waren alle Dämonen auf der Erde still und richteten ihre Sinne an diesen einen Ort.

Wie es James vorausgesagt hatte, hatten eben nicht nur die ansässigen Dämonen Mariposas Kräfte bemerkt. Die meisten nahmen es nur zur Kenntnis und machten dann dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Doch andere konnten sich dieser Kraft nicht ganz so verschließen.

Leonard hob das Kinn.

Er war noch nicht lange in der vierten Dimension.

Wie jeder anständige Dämon war er nicht gerne hier. Aber er stand in der Schuld. Bei der schlimmsten Dämonin, die man sich vorstellen konnte.

Er wusste selbst nicht, wie er sich auf das hatte einlassen können, aber nun war er hier. Er sollte herausfinden, wo sich Viktorias Sohn befand. Leonard schnaubte leise. Als ob er es bewerkstelligen könnte.

Leonard hatte schon von Mikael gehört, aber nie etwas persönlich mit ihm zu tun gehabt. Trotz seines jungen Dämonenalters war er schon mächtig. Zwar nicht so wie sein Vater, aber immerhin mächtiger als seine Mutter. Auch wenn sie das nicht hören wollte.

Leonard wusste nicht, was sie jetzt mit ihrem Sohn vorhatte. Das ging ihn auch nichts an. Er wollte nur seine Schuld loswerden.

Doch diese Macht interessierte ihn.

Es war eine schwache dämonische Macht, aber irgendetwas hatte sie verstärkt.

Er schärfte seine Sinne und schloss die Augen.

Dann lächelte er.

Das war ja interessant. Die Kraft kam direkt aus der hiesigen Heimat von Damians Clan. Zumindest hatte er dort einige Dämonen gespürt. Da schlug er doch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe.

Er konnte Mikael suchen und herausfinden, wem diese Kraft gehörte.

Fröhlich vor sich hin pfeifend ging er zu seinem Auto.

Vielleicht war er doch nicht so lange hier auf dieser Dimension, wie er eigentlich befürchtet hatte.



Mikael führ sein Motorrad an das Tor.

Als ob er schon erwartet worden wäre, öffnete es sich und er fuhr hindurch. Er hatte sich immer noch nicht beruhigt. Er merkte, dass seine Haut immer noch verfärbt war. Wenigstens war sein Körper wieder auf die normale Größe geschrumpft.

Vor dem Eingang der Villa stieg er ab und rannte beinahe hinein.

Kassandra empfing ihn.

„Mick! Beruhige dich erst einmal!"

Er schnaubte.

„Geh mir aus dem Weg, Kassandra! Ich hole sie und bringe sie nach Hause."

Kassandra schüttelte den Kopf.

„Sie ist besser hier aufgehoben. Callum meinte..."

Mikael brüllte laut los.

„Callum kann mich mal am Arsch lecken!"

Kassandra hob beide Hände.

„Er ist ihr Vater Mikael! Du kannst ihm nicht verbieten..."

Mikael schob sie grob zur Seite.

„Schöner Vater! Er hat sich jahrelang nicht um sie gekümmert und nun will er den fürsorglichen Daddy spielen? Das ist lachhaft! Wo ist sie?"

Kassandra schloss einen Moment die Augen.

„Mikael! Du weißt, dass dämonische Väter nicht gerade die fürsorglichsten sind! Die meisten lassen ihre Kinder und die Frauen wirklich sofort im Stich. Callum hat sich wenigstens um Amanda gekümmert! Schau dich doch mal um! Überall sind ihre Bilder und Skulpturen!"

Er sah sich um.

„Wer ist Amanda?"

Kassandra seufzte.

„Amanda ist Mariposas Mutter. Sie ist auf dem Weg hierher. Und auch deswegen wirst du Mariposa nicht mitnehmen! Du wirst nun ein braver Junge sein und dich brav hinsetzen!"

Das war der falsche Satz. Mikael spürte seine Wut hervorkriechen. Sein Shirt platzte nun als er sich in einen Dämon verwandelte.

„Behandle mich nicht wie einen kleinen Kerl, Kassandra! Ich bin Mikael, Sohn des Großfürsten Damians und du hast mir gar nichts zu befehlen!"

Seine Stimme war nun tief und bedrohlich. Doch Kassandra ließ sich davon nicht beeindrucken.

„Mir ist es scheißegal wer du bist! Vergiss nicht, wer dich aus diesem verdammten Waisenhaus geholt hat. Das waren Callum und ich! Wir hätten dich in dem Drecksloch auch verrecken lassen können!"

Sie standen sich bedrohlich gegenüber. Mikael inzwischen in seiner vollen Dämonengestalt. Er beruhigte sich nicht. Nein, er war wütend, denn sie schienen alle gewusst zu haben, was er nur geahnt hatte.

„Was ist hier los?"

Eine weitere dröhnende Stimme ertönte.

Callum kam auf Mikael zu. Auch er war in Dämonengestalt.

„Du Arschloch! Du hast Mariposa mitgenommen! Sie ist kein Dämon!"

Callum schlug ihm hart auf die Schulter.

„Aber sie ist meine Tochter! Du hast kein Recht, dich hier so auf zu führen! Wie lange kennst du sie, mh? Ein paar Tage! Und du führst dich auf...Moment!" Callum trat Mikael beinahe auf die Füße und sah ihm fest in die Augen. „Verdammte Scheiße! Erzähle mir nicht, du hast dich in sie verliebt!"

Mikael schnaubte.

„Erzähl keinen Mist! Es stimmt, dass ich sie nicht so gut kenne! Aber immerhin habe ich ihr auch geholfen und wohne bei ihr!"

Callum packte ihn an den Hals und hob ihn hoch. Man merkte, dass Callum der mächtigere Dämon war. Mikael versuchte sich zu befreien, doch Callum hielt ihn unbarmherzig fest.

„Du wirst dich von meiner Tochter fernhalten! Ich will nicht, dass sie mit einem Dämon zusammen ist! Sie soll ein unbeschwertes Leben haben und nicht in die ganze Sache hinein gestoßen werden!"

Mikael fauchte ihn an.

„Das hast du doch schon getan! Du hast sie gezeugt, du Idiot!"

Er presste seine Hand gegen Callums Brust und ließ einen Feuerball los.

Callums Griff lockerte sich und er wurde durch die Wucht gegen die Wand geschleudert.

„Du verfluchter kleiner Mistkäfer!"

Callum stand auf und streckte die Hand aus.

„Callum!"

Alle anwesenden Dämonen drehten sich zu der Frau um, die an der Tür stand und die Hände in die Hüfte gestemmt hatte. Sie tippte mit dem Fuß auf den Boden und ihr Blick war mörderisch.

Callum wandelte sich sofort zurück in seine menschliche Gestalt.

„Amanda! Wie bist du so schnell hierhergekommen?"

Sie schnaubte.

„Ich bin eine Hexe, vergessen? Auch wenn ich es nicht mehr so oft praktiziere, habe ich meine Kräfte noch. Und nun erkläre mir mal, warum der junge Dämon so wütend auf dich ist!"

Mikael wandelte sich nicht zurück.

Hexe?

Mariposas Mutter war eine Hexe?

Das erklärte wirklich einiges!



Amanda drückte Mikael eine dampfende Tasse in die Hand.

Er starrte erst sie und dann die Tasse misstrauisch an.

„Was ist das?"

Sie lächelte ihm zu und tätschelte seine Wange.

„Trinke einfach. Das ist eine spezielle Mischung. Der Tee beruhigt jeden noch so wild gewordenen Dämon!"

Callum saß ihm mit finsterem Gesicht gegenüber. Auch er hielt eine Tasse in der Hand, trank aber nicht.

„Du trinkst auch, Callum! Und starr ihn nicht so böse an! Er hat in gewisser Weise Recht!"

Callum blickte zu Amanda und auf einmal bildete sich ein Lächeln auf den Lippen und er trank gehorsam.

Amanda zwinkerte Kassandra zu, die an der Tür stand, um sicher zu sein, dass sich die beiden beruhigt hatten.

„Ich glaube, du kannst gehen, Kassi-Schatz! Ich habe die Jungs hier unter Kontrolle. Sage James, dass ich bald komme und nach meiner Tochter sehe. Aber ich denke, die beiden stürzen wieder aufeinander, wenn sie sich nicht einmal aussprechen!"

Kassandra lachte laut auf, öffnete aber die Tür.

„Ich kenne niemanden, der so mit Dämonen umgeht, Mandy-Darling! Aber ich denke, du hast sie unter Kontrolle!"

Sie hob noch einmal die Hand und ging dann.

Amanda setzte sich neben Callum und legte ihm eine Hand auf den Schenkel. Diese Geste war irgendwie zu vertraut fand Mikael. Schließlich hatte er im Bericht gelesen, dass Mariposas Vater sie im Stich gelassen hatte. Doch Amanda schien das anders zu sehen. Irgendwas lief hier verkehrt.

Amanda seufzte leise.

„Er sieht wirklich gut aus, Callum. Etwas ernst vielleicht, aber das kenne ich ja von dir! Also, Mikael...ich darf dich doch so nennen? Was ist da zwischen dir und unserer Tochter?"

Mikael hob die Augenbrauen.

„Da ist nichts. Das habe ich schon Callum erklärt. Ich kam vor einigen Tagen hier in dieser Dimension an und wollte nicht in die Villa. Also bin ich losgelaufen und stand auf einmal vor Mariposas Pension."

Callum brummte.

„Und warum bist du hier hereingestürmt, wütend wie ein Stier? Das sah doch ganz anders aus."

Mick wurde wieder wütend, aber irgendwie führte seine Hand ein Eigenleben und die Tasse war wieder an seinem Mund. Der Tee verbrühte seine Lippen.

„Verfluchte Scheiße! Was war das?", brüllte er.

Callum lachte dröhnend.

„Hexen Zauber! Amanda spürt, wenn wir wütend werden und dann flößt sie uns diese seltsamen Getränke ein. Ich habe keine Ahnung, was da drin ist, aber es hilft! Oder bist du noch wütend?"

Mikael stellte die Tasse vorsichtshalber auf den Tisch. Aber es stimmte, was Callum sagte. Er war wieder ruhig.

„Nein! Bin ich wirklich nicht!"

Amanda lächelte ihn an.

„Ich denke, ich weiß, warum du ausgerechnet vor Mariposas Pension standest. Es war wohl dieselbe Anziehungskraft, die auch Callum befallen hat, kaum dass er hier auf der Erde war."

Callum lächelte wieder. Verflucht, es wirkte nun bald schon lächerlich. Er hatte Callum noch nie so oft mit hochgezogenen Mundwinkeln gesehen. Es sei denn, er hatte über irgendjemand schallend gelacht und selbst das war bisher wirklich nur selten vorgekommen.

„Soll das heißen, Mariposa hat mich angelockt?"

Amanda schüttelte den Kopf.

„Nein! Das denke ich nicht. Wir haben sie aus allem herausgehalten. Sie kennt keine Zaubersprüche oder so etwas. Ich wollte nicht, dass sie erfährt, was sie in Wirklichkeit ist!"

Mikael lehnte sich zurück.

„Halbe Hexe, halber Dämon. Eine gefährliche Mischung würde ich sagen!", murmelte Mikael.

Amanda nickte.

„Ja! Und sehr begehrt. Leider. Dabei bin ich nicht einmal eine schwarze Hexe."

Mikael hob eine Augenbraue.

„Schwarze Hexe?"

Callum atmete tief ein.

„Amanda ist eine weiße Hexe. Sie verwenden ihre Kunst nur, um anderen zu helfen. Schwarze Hexen sind da schlimmer! Sie benutzen schwarze Magie und Flüche. Wir bekämpfen sie, aber es gibt nicht mehr viele von ihnen. Dennoch...wie du schon sagtest: wenn es herauskommen würde, dass Mariposa ein Mischling ist, würden sehr viele hinter ihr her sein! Und ich rede nicht nur von Dämonen. Ich rede von Vampiren. Von anderen Hexen. Von Nymphen und Sirenen! Und vergiss deinen Vater und seine Meinung über Halbwesen nicht! Alles, was in der Unterwelt zu Hause ist, würde sie jagen! Deswegen waren wir sehr vorsichtig. Und deswegen habe ich mich fern gehalten und nur von der Ferne agiert."

Er sah zu Amanda, die ihn nickend anlächelte.

„Die meisten Mischwesen kann man so schützen. Sie leben hier auf der Erde ein ganz normales Leben. Zumindest halbwegs. Es kommen manchmal die Kräfte heraus. Bei Mischwesen zwischen Menschen und Unterweltbewohner sind die Kräfte schwach. Aber bei den anderen Mischwesen sind die Kräfte ausgeprägter. Mariposa kann zum Beispiel Träume beeinflussen!"

Mikael nickte.

„Das weiß ich. Ich habe die Berichte gelesen!"

Amanda nickte.

„Dann weißt du also, dass sie ziemliche Probleme damit hatte. Sie kann es kaum kontrollieren. Wenn sie wütend ist, dann passiert es. Aber es gibt noch etwas anderes. Es gibt Dämonen, die sich zu Hexen hingezogen fühlen. Sie können sich nicht dagegen wehren und wissen meist nicht, warum sie ihr Weg gerade zu dieser Frau führt. Callum war noch nie hier auf dieser Dimension gewesen, als er vor vielen Jahren hierher kam. Doch gleich am ersten Abend stand er vor meiner Tür. Ich erkannte den Dämon in ihm und wollte nichts mit ihm zu tun haben. Aber er war wie unter Zwang immer wieder bei mir aufgetaucht! Dann verliebte ich mich doch in ihn. Wir zeugten Mariposa und ab den Zeitpunkt beschlossen wir, unser Kind zu schützen. Es hat auch gut funktioniert. Mariposa wuchs halbwegs unbekümmert auf. Doch als du auftauchtest, änderte sich alles. Ihre Kräfte scheinen sich zu verstärken, wenn du bei ihr bist."

Mikael hob eine Augenbraue.

„Und das ist schlecht?"

Amanda sah Callum an. Der nickte nach einer Weile. Es wirkte resigniert. Erst als er nickte, antwortete sie.

„Das nicht. Aber wir müssen nun mehr aufpassen. Nicht nur du wirst gespürt haben, was Mariposa losgetreten hat."

Mikael fluchte.

„Und ich bin nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt! Aber bestimmt nicht interessant genug!"

Callum nickte.

„Du bist genauso wertvoll für andere. Du bist der Sohn von Damian. Wenn sie euch zusammen in die Finger bekommen könnten..."

Mikael schnaubte.

„Wer denn? Wer sollte mich hier finden? Ich meine, du wusstest auch nicht, wo ich war!"

Callum zuckte mit den Schultern.

„Ich habe mich auch nicht darum gekümmert. Wenn ich mich angestrengt hätte, dann wäre die Lage anders!"

Die Tasse schwebte auf einmal vor Mikaels Gesicht. Er sah Amanda nur genervt an.

„Ich bin ganz ruhig! Ich brauche den Tee nicht!"

Amanda nickte.

„Das weiß ich. Aber du hast immer noch nicht die entscheidende Frage gestellt."

Er hob eine Augenbraue.

„Und die wäre?"

„Warum wirst du von Mariposa angezogen?"

Er zuckte mit der Schulter.

„Ich denke, das wird mit jedem Dämon funktionieren!"

Sie schüttelte den Kopf.

„Nein! Schau doch uns an. Für mich gab es nur Callum. Es ist sozusagen der Coulter-Fluch!"

Mikael lachte spöttisch.

„Der Coulter-Fluch?"

Sie sah ihn ernst an und die Tasse wackelte vor seinem Gesicht herum. Resigniert nahm Mikael einen Schluck.

„Also! Was soll dieser Coulter-Fluch sein?"

Amanda lehnte sich an Callum.

„Vor einigen hundert Jahren hatte sich eine Coulter-Hexe einen Spaß mit einem Dämon erlaubt. Sie hatte ihm die große Liebe vorgespielt und ihn dann fallen gelassen. Er wurde daraufhin wahnsinnig vor Wut. Er suchte eine schwarze Hexe auf und er kaufte sich sozusagen einen Fluch für alle Coulter-Hexen, die nach der Hexe kamen, die ihn so verletzt hatte."

Mikael ließ einen empörten Laut aus.

„Verarsch mich nicht!"

Sie schüttelte den Kopf.

„Ich verarsche dich nicht, Mikael! Jede von uns weißen Coulter-Hexen bekommt sozusagen einen Dämon zugeteilt. Kommt er nicht auf diese Dimension, wird sie nicht glücklich. Sie kann zwar einen menschlichen Mann haben und auch Kinder bekommen, aber es wird immer so sein, als ob ihr etwas fehlt! Meine Mutter zum Beispiel war jahrelang in einer Ehe gefangen. Ich will nun nicht sagen, was mein Vater alles mit ihr angestellt hat, aber es war nicht gerade gut! Außerdem werden wir immer nur Mädchen bekommen, es sei denn, eine Hexe durchbricht den Fluch und lässt sich auf den Dämon ein!"

Sie sah zu Callum.

„Wir dachten eigentlich, dass der Fluch gebrochen sei. Aber es scheint nicht so zu sein!"

Callum streichelte ihr über den Schenkel.

„Vielleicht doch, Liebes. Schau dir Mikael an. Er scheint absolut kein Interesse an unserer Tochter zu haben. Und du hast Mariposa auch nicht von Mikael schwärmen hören!"

Sie zuckte mit den Schultern.

„Aber er wurde von ihr angezogen!"

Mikael hob die Hand.

„Ich wurde nicht angezogen! Das ist Blödsinn! Ich wollte einfach nicht hier in die Villa! Es war ein Zufall."

Amanda zuckte mit den Schultern.

„Das kann auch sein. Aber warum hat sich ihre Macht so verstärkt? Ich bin mir sicher, dass William heute Nacht kein Auge zubekommt! Er wird wieder über Wochen Albträume haben und sich nicht erklären können, woher sie kommen!"

Callum seufzte.

„Vielleicht ist es auch etwas anderes. Wir müssen abwarten, was passiert. Aber eines weiß ich jetzt mit Sicherheit. Wir werden unser Mädchen nicht mehr aus allem raushalten können!"



Mariposa wachte auf. Ihr Kopf dröhnte vor Schmerzen. Stöhnend drehte sie sich auf die Seite und erstarrte.

Wo war sie hier? Und wie war sie hierhergekommen?

Sie erinnerte sich nur noch daran, dass sie sich mit William gestritten hatte. Dann war James auf einmal aufgetaucht und ein Kerl, der behauptete, ihr Vater zu sein.

Sie kicherte. Der Kerl war etwa fünfundzwanzig gewesen. Sie war einunddreißig. Ihr Gedächtnis musste ihr einen Streich spielen. Anders konnte sie es sich nicht erklären.

Langsam richtete sie sich auf.

Das Zimmer war geschmackvoll eingerichtet. Die Möbel waren modern und schienen ziemlich neu zu sein. Leichte Vorhänge hingen an dem Fenster und dem Ausgang zu einem Balkon. Zumindest nahm sie an, dass es ein Balkon war. An der Wand erkannte sie ein Gemälde ihrer Mutter. Es passte sehr gut in dieses Zimmer.

Neben ihrem Bett fand sie auf einem Nachttisch eine Thermoskanne und eine Tasse.

Sie öffnete die Kanne und sofort erfüllte ein aromatischer Duft das Zimmer. Sie lächelte. Dieser Tee erinnerte sie an ihre Kindheit. Ihre Mutter hatte ihr auch immer Tee gebracht, wenn sie unglücklich war. Und seltsamerweise ging es ihr danach immer besser.

Sie füllte die Tasse und trank einen Schluck.

Oh ja. Es war wirklich wie zu Hause. Sogar die richtige Menge Honig war beigefügt worden.

Langsam stand sie auf und schlüpfte in die Pantoletten, die für sie bereit standen. Mit der Tasse in der Hand ging sie auf die offene Tür zu. Es war tatsächlich ein Balkon. In den Blumenkästen fand sie Lavendel und eine weiße Spur. Sie wusste, dass es Salz war. Ihre Mutter hatte auch Lavendel gepflanzt und auf die Erde immer eine Spur Salz verstreut. Irgendwann hatte Mariposa gelesen, dass es ein Schutz gegen Hexen und Flüche sein sollte.

Sie lachte leise vor sich hin. Als ob es Hexen wirklich geben würde. Ihre Mutter war schon seltsam, was diese Sachen betraf. Sie war eben ein Freigeist und Mariposa hatte sich vor langer Zeit schon damit abgefunden, dass ihre Mutter wohl ein Hippie war.

Sie trank einen Schluck und sah sich um. Sie kannte die Gegend, die hinter dem eisernen Zaun war. Hier wohnte auch Williams Vater. Aber wenn sie sich so umsah, dann war seine protzige Villa eher eine schäbige Hütte. Der moderne Bau, in dem sie sich gerade befand, war riesig. Auf dem Dach sah sie Männer mit Maschinengewehren stehen, die stur geradeaus starrten. Egal, wer hier wohnte, es schien ein wichtiger Mensch zu sein.

Das Gelände vor ihr war riesig. Es war eine Art Park angelegt worden, in dem man wahrscheinlich stundenlang herumlaufen konnte.

Ja, William würde sich wahrscheinlich schwarz ärgern, wenn er wüsste, dass sie hier war.

Sie lachte leise und ging wieder ins Zimmer. Sie stellte die Tasse ab und griff nach dem Morgenmantel, der bereit gelegt wurde. Sie fand ihre eigene Kleidung nicht. Doch schon alleine der Pyjama den sie trug war edel. Und der Morgenmantel war auch nicht von minderer Qualität. Und alles passte, als ob es nur für sie gekauft worden wäre.

Vorsichtig öffnete sie die Tür und schaute heraus.

Vor ihrer Tür standen wieder zwei Männer. Auch sie trugen Waffen.

„Äh! Entschuldigung?", fragte sie leise.

Einer der Männer schaute sie an. Er lächelte leicht und sprach dann leise in ein kleines Funkgerät.

„Sie ist wach."

Er wartete anscheinend auf eine Antwort, die auch prompt kam. Dann nickte er ihr zu.

„Wenn sie mich bitte begleiten wollen? Sie werden erwartet!"

Sie hob verblüfft eine Augenbraue.

„Von wem denn, um Gottes Willen?"

Der Mann lachte leise. Er war ihr sehr sympathisch, weil er trotz seiner Größe und seiner Bewaffnung nicht bedrohlich auf sie wirkte. Sie war sich aber sicher, dass es anderen Menschen anders ging.

„Ich bin nicht befugt, ihnen etwas zu erklären, Miss Coulter. Aber sie werden bald alles erfahren. Da bin ich mir sicher!"

Er lief voraus und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Sie liefen eine Weile durch die Flure und Mariposa erkannte an den Wänden noch mehr Gemälde, die ihre Mutter gemalt hatte. War es etwa der unbekannte Gönner, der sie hier beherbergte?

Sie liefen eine Treppe hinunter und der Mann blieb vor einer Doppeltür stehen.

„Gehen sie nun hinein, Sie werden erwartet!"

Mariposa nickte und klopfte leise an.

Als sie das Herein hörte, öffnete sie die Tür.

Der erste, den sie entdeckte, war Mikael. Er stand am Fenster, die Arme vor der Brust gekreuzt. Seine Miene war wieder wie versteinert.

„Mikael? Was machst du hier?"

Er wandte seinen Blick auf die andere Seite des Raumes. Sie folgte dem Blick und erstarrte.

Auf einer Couch saß der junge Mann, der behauptete ihr Vater zu sein und ihre Mutter. Beide hielten sich an der Hand.

„Hallo, kleiner Schmetterling!"

Mariposa knickten die Knie weg und sie spürte die Arme von Mikael, die sie auffingen.

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