Kapitel 2

Der nächste Morgen begann mit der leichten Wärme der Sonne, die durch die Fenster von Mitsuris Haus fiel. Yukina wachte auf, eingerollt in eine weiche Decke, und hörte gedämpfte Stimmen aus der Küche. Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Die Ereignisse der letzten Nacht hatten sie sensibel für jede Art von Geräusch gemacht.

Langsam schlich sie sich zur Tür und öffnete sie einen Spalt, um einen Blick ins Esszimmer zu werfen. Dort saß Mitsuri, lächelnd wie immer, doch ihr Gast zog Yukinas Aufmerksamkeit sofort auf sich. Es war ein Mann mit mittellangen, schwarzen Haaren, Bandagen um den Mund und einer weißen Schlange, die sich um seinen Hals wand. Seine Augen waren ungewöhnlich: eines war golden, das andere tiefgrün. Er strahlte eine kühle und ernste Präsenz aus, die Yukina unsicher machte.

Erschrocken zog sie sich zurück und versteckte sich hinter der Tür. Doch Mitsuri hatte sie längst bemerkt. Mit ihrer sanften Stimme rief sie: „Yukina, komm ruhig rein. Es ist alles in Ordnung."

Yukina zögerte, aber ihre Neugier war größer als ihre Angst. Langsam trat sie in den Raum, blieb jedoch nah an Mitsuris Seite. Die Frau lächelte ermutigend, legte eine beruhigende Hand auf Yukinas Schulter und sprach mit einer warmen Stimme: „Das hier ist Obanai Iguro. Er ist ein Dämonenjäger, genau wie ich. Er ist gekommen, um nach mir zu sehen und sicherzustellen, dass alles in Ordnung ist."

Obanai beobachtete Yukina mit einem durchdringenden Blick, doch seine Stimme war ruhig und nicht unfreundlich. „Du bist also Yukina." Seine Augen wanderten kurz zu Mitsuri. „Sie hat mir von dir erzählt."

Yukina wich seinem Blick aus und drückte sich fester an Mitsuri. „Warum bist du hier?" Ihre Stimme war leise, aber voller Misstrauen.

Obanai zog eine Augenbraue hoch, bevor er antwortete: „Ich bin hier, weil Mitsuri meine Kollegin ist. Wir arbeiten zusammen, um Dämonen zu töten. Es ist meine Aufgabe, sicherzustellen, dass sie keine Hilfe braucht."

Mitsuri kicherte leise und legte den Kopf schief. „Obanai, du bist immer so ernst. Yukina hat keine Angst vor dir zu haben."

Obanai schüttelte den Kopf und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Yukina. „Ich bin nicht hier, um dir Angst zu machen. Aber du solltest wissen, dass die Welt da draußen gefährlich ist. Du hast großes Glück, Mitsuri getroffen zu haben."

Yukina sah ihn skeptisch an. „Warum... trägst du Bandagen?"

Mitsuri lachte und legte eine Hand auf Yukinas Kopf. „Das ist eine lange Geschichte, Yukina. Vielleicht erzählt er sie dir eines Tages, wenn er Lust hat."

Obanai verzog keine Miene, aber seine Schlange hob den Kopf und zischte leise, als ob sie protestieren wollte. Yukina wich ein wenig zurück, ihr Blick blieb auf der Schlange. „Und warum hast du eine Schlange? Ist sie... gefährlich?"

„Kaburamaru ist nicht gefährlich, solange du ihn nicht provozierst", erklärte Obanai knapp. „Er hilft mir, Dämonen zu bekämpfen."

„Eine Schlange, die Dämonen bekämpft?" Yukina blinzelte ungläubig und wandte sich an Mitsuri. „Ist das wirklich wahr?"

Mitsuri nickte mit einem breiten Lächeln. „Ja, es ist wahr. Kaburamaru ist sehr schlau, genau wie Obanai. Du wirst sehen, dass sie ein gutes Team sind."

Yukina schwieg einen Moment und sah zu, wie Obanai eine Teetasse in die Hand nahm. Seine Bewegungen waren präzise, fast schon steif. Schließlich fragte sie: „Kämpfst du auch so wie Mitsuri? Mit einem Schwert?"

Obanai nickte langsam. „Ja. Aber ich kämpfe auf meine Weise. Jeder Dämonenjäger hat seinen eigenen Stil."

Mitsuri lächelte sanft. „Yukina, wenn du möchtest, kannst du bei uns mehr über Dämonen und Dämonenjäger lernen. Aber du musst nichts überstürzen. Du bist noch jung, und es gibt keinen Grund zur Eile."

Obanai fügte mit seiner ruhigen Stimme hinzu: „Es ist gut, vorsichtig zu sein. Wenn du jemals kämpfen willst, musst du verstehen, dass es nicht nur Mut braucht, sondern auch Disziplin und Kontrolle."

Yukina blickte zwischen den beiden hin und her. In ihrer kindlichen Art konnte sie noch nicht alles verstehen, was sie sagten, aber sie spürte die Ernsthaftigkeit in Obanais Stimme und die Wärme in Mitsuris. Sie nickte schließlich zaghaft. „Vielleicht... eines Tages."

Mitsuri zog sie in eine sanfte Umarmung. „Das ist eine gute Einstellung, Yukina. Eines Tages wirst du selbst entscheiden können, was du möchtest."

Obanai beobachtete die Szene schweigend, doch seine Augen weichten für einen Moment auf, bevor er schließlich sagte: „Wenn du Mitsuri vertraust, dann wirst du gut aufgehoben sein."

Yukina sah ihn an, diesmal mit einem kleinen Funken Vertrauen in ihren Augen. Vielleicht, dachte sie, war dieser Mann mit der Schlange doch nicht so furchteinflößend, wie sie anfangs geglaubt hatte.

Ein Jahr war vergangen, seit Yukina Mitsuri getroffen hatte. In dieser Zeit hatte sie viel durchgemacht, doch mit Mitsuris Geduld und Wärme hatte sie es geschafft, ihr Trauma langsam zu verarbeiten. Die nächtlichen Albträume wurden seltener, und ihre Augen, die einst nur Schmerz ausstrahlten, begannen wieder zu leuchten. Doch eines Tages, während Mitsuri mit Yukina im Garten saß und sie über die Zukunft sprachen, überraschte Yukina Mitsuri mit einer plötzlichen Bitte.

„Mitsuri..." begann Yukina vorsichtig, während sie ein Blatt zwischen ihren Fingern drehte. „Ich glaube, ich bin bereit, mit dem Training zu beginnen. Aber... ich möchte, dass Obanai mich trainiert."

Mitsuri legte überrascht den Kopf schief, doch ihr Lächeln blieb unverändert. „Oh? Und warum möchtest du zu Obanai?"

Yukina zögerte, doch schließlich sprach sie ehrlich: „Er ist streng, aber... ich habe das Gefühl, dass er mir zeigen kann, wie ich wirklich stark werde. Außerdem..." Sie sah Mitsuri direkt an. „Er hat in diesem Jahr so viel für mich getan. Ich will ihm zeigen, dass ich es ernst meine."

Mitsuri klatschte begeistert in die Hände. „Das ist eine wunderbare Idee, Yukina! Ich bin sicher, Obanai wird dir ein hervorragender Lehrer sein. Und ich weiß, dass er insgeheim stolz auf dich ist, auch wenn er es nie zugeben würde."

Ein paar Tage später verabschiedete Mitsuri Yukina herzlich, als diese ihre wenigen Habseligkeiten zusammenpackte und sich auf den Weg zu Obanais Anwesen machte. Kaburamaru zischte leise, als Yukina vor der Tür stand und anklopfte. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und Obanai stand da, mit seinem typischen, stoischen Blick.

„Du bist also gekommen", sagte er knapp, doch Yukina bemerkte einen Hauch von Zufriedenheit in seiner Stimme.

„Natürlich bin ich das", antwortete Yukina mit einem kleinen Lächeln. „Du hast gesagt, dass ich stark werden kann, wenn ich hart arbeite. Und ich will es wirklich."

Obanai nickte und trat zur Seite, um sie hereinzulassen. „Dann verschwende keine Zeit. Wenn du hier bist, gibt es keine Ausreden. Das Training beginnt morgen früh."

Das Training war alles andere als leicht. Obanai war streng, forderte von Yukina Disziplin und unermüdliche Anstrengung. Jeden Morgen vor Sonnenaufgang weckte er sie, und sie begannen mit intensiven Übungen, die ihre Ausdauer, Schnelligkeit und Stärke auf die Probe stellten. Doch Yukina zeigte eine bemerkenswerte Entschlossenheit. Sie war schnell, sowohl körperlich als auch geistig, und lernte in einem Tempo, das selbst Obanai beeindruckte – auch wenn er es nie offen zugab.

„Du bist schneller, als ich erwartet habe", sagte er eines Tages, als Yukina erfolgreich eine Reihe von Bewegungen ausgeführt hatte, die selbst erfahrene Jäger herausforderten. „Aber Geschwindigkeit allein wird dich nicht retten. Du musst auch Geduld haben."

Yukina, die schwer atmend vor ihm stand, wischte sich den Schweiß von der Stirn und nickte. „Ich weiß. Aber... ich will nie wieder jemanden verlieren. Wenn ich stark genug werde, kann ich vielleicht... Menschen beschützen."

Obanai sah sie einen Moment lang schweigend an, bevor er schließlich sagte: „Wenn du das wirklich willst, dann musst du weiterarbeiten. Es gibt keine Abkürzungen. Stärke kommt mit Zeit und Schmerz."

Die Tage vergingen, und Yukina verbesserte sich in einem Tempo, das selbst Obanai insgeheim erstaunte. Sie lernte, wie man ein Schwert führte, wie man sich lautlos bewegte, und wie man die Bewegungen eines Gegners voraussah. Doch was Obanai am meisten beeindruckte, war ihr Wille. Selbst wenn sie erschöpft war, gab sie nicht auf. Sie stand immer wieder auf, bereit, weiterzumachen.

Eines Abends, nach einem besonders harten Trainingstag, saßen die beiden schweigend am Feuer. Kaburamaru schlängelte sich wie gewohnt um Obanais Schultern, doch diesmal kroch die Schlange langsam zu Yukina hinüber und legte sich um ihren Arm.

„Er mag dich", sagte Obanai trocken, als Yukina überrascht auf Kaburamaru hinabblickte.

„Wirklich?" Yukina streichelte die Schlange vorsichtig, und ein kleines Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Das ist schön. Ich mag ihn auch."

Obanai beobachtete sie einen Moment lang, bevor er sagte: „Du machst Fortschritte, Yukina. Aber du bist noch weit davon entfernt, bereit zu sein, Dämonen zu bekämpfen."

Yukina hob den Kopf und sah ihn mit ernster Entschlossenheit an. „Ich weiß. Aber ich werde so lange trainieren, wie es nötig ist."

Obanai nickte und blickte in die Flammen. „Dann verschwende keine Zeit. Morgen früh geht es weiter."

Yukina lächelte leicht. Sie wusste, dass Obanai nicht der Typ war, der Lob aussprach, aber seine Worte bedeuteten, dass er an sie glaubte. Und das war alles, was sie brauchte, um weiterzumachen.

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