30 Azael


Ich stand an der Bar und kippte mir einen Shot Blut nach dem anderen rein.

Sie verstand es nicht.

Shot.

Linnea verstand nicht, was sie da von mir verlangte.

Shot.

Sie wollte, dass sie ich sie zu einem Dämon mache?

Shot.

Wollte sie das auch noch, wenn sie begriff, dass sie ihre Freundinnen verlassen muss?

Shot.

Wenn sie versteht, dass jeder, den sie liebt, stirbt? Und sie weder am Sterbebett noch auf der Beerdigung dabei sein könnte?

Shot.

Immer, immer und immer wieder.

Shot.

Sie und ich könnten bis ans Ende der Zeit zusammen sein. Jung und stark. Aber das wäre nur das Szenario, das sie sah und sich vorstellte.

Shot.

Was sie nicht sah, war der viel wahrscheinlichere Ausgang, dieser Fantasie.

Shot.

Meine Mutter, die Viper, die Linnea das Herz herausreißen würde, nachdem die mitbekommen hatte, was geschehen war.

Shot.

Und das würde sie.

Ich rieb mir durch die Haare und fluchte wortlos, während ich das kleine Glas zu dem Dämonenmann schob, der hinter der Bar stand, die für Wesen wie uns war.

»Noch einen, Az?«

Er kannte mich. Klar. Welcher Dämon in der City, weltweit, kannte mich nicht.

Bevor ich nicken konnte, tauchte Cahir neben mir auf. »Ich denke, Azael hat genug für heute.«

Ich knurrte, doch war schon so ›betrunken‹, dass es sehr schwächlich klang.

Möglicherweise hatte er recht und es war besser, wenn ich aufhörte, Blut zu trinken.

Cahir wandte sich an mich und stützte sich an den Tresen. »Wo ist Lin?«

»Wo sind ihre Freundinnen und Trixxi?«, fragte ich gegen und reib mir wieder übers Gesicht.

Ein Freund lachte. »Letztere hab' ich kurz auf dem Klo gevögelt und Miriam und Paulina hab' ich in ein Taxi gesetzt, nachdem deine Ex angedroht hat, sie ihrer Arme und Beine zu entledigen, wenn ich sie nicht auf der Stelle flachlege.«

»Ah, und da hast du, Flittchen wie du bist, nicht gezögert?«

Cahir zuckte mit der Schulter. »Ich bin frei wie ein Vogel, Az. frei wie ein Vogel. Außerdem ist mir heute ehe danach, als würde ich gerne einen Schwanz mit nach Hause nehmen.« Er grinste und fragend an erneut: »Also, wo ist Linnea?«

Ich hörte in mich hinein und sagte dann: »Zu Hause.«

»Und warum ist sie das, da sie noch nicht mal getanzt hat?«

Ich schwieg, knurrte und erklärte Cahir dann knapp, was den Streit verursacht hat. »Warum versteh sie das nicht? Warum reicht ihr ein Leben nicht? Warum müssen es unendlich viele sein?«

Cahir schwieg, hörte zu, dachte nach und sagte plötzlich ernst: »Az, ich bitte dich.«

»Was?«

»Würde es dir denn reichen?« Ich spürte seinen Blick. »Würde es dir reichen, ein einziges Leben als alter Mann an der Seite einer wunderschönen Frau zu verbringen. Ein Leben, in dem du ab einem bestimmten Zeitpunkt niemandem mehr offen zeigen kannst, dass du deinen Partner liebst, denn wer würde schon einen 80-Jährigen mit einer Mitte 20-Jährigen akzeptieren? Sie will alles, Az. nimmst du ihr das übel?«

»Nein«, zischte ich und meinte es so. »Aber ... Ich will nicht, kann es nicht noch mal ertragen.«

Cahirs plötzliche Ruhe war sein Zuspruch. Er wusste sehr genau, dass es mich zerstören würde. »Du und sie, ich seid verbunden, Az. Denkst du nicht, die Viper ... würde es akzeptieren?«

Ich lachte tonlos auf. »Es wäre ein Grund mehr, Lin zu töten. Und selbst wenn ich es verstecken könnte. Wenn ich Lin lange genug vor der Viper beschützen kann. Es wird der Tag kommen, da nimmt sie mir meine Liebe wieder. Mutter akzeptiert es nicht, wenn wir unser Herz nutzen. Das weißt du. Liebe ist Schwäche«, brummte ich ihr Motto.

Stille.

Dann spürte ich, wie eine Hand auf meine Schulter zudrückte. »Dann lass dieses Mal die Liebe zu Lin zu deiner Stärke werden.«

Cahir ging und ... ließ mich alleine. Alleine mit seinen Worten.

Worte, die in meiner Brust kitzelte und etwas weckten, dass ich am Ende des Abends, als ich langsam nüchtern werdend, über die Dächer sprang und immer wieder nachdachte, als Hoffnung identifizierte.

Hoffnung darauf, dass es doch ein Leben geben konnte, indem wir Zeit hatten. Endlos viel Zeit.

***

Ich öffnete die Tür der Wohnung und sah Linnea an, die mitten im Wohnzimmer stand. Noch in dem Kleid der Party steckend, sah sie so verloren aus, dass ich schlucken musste.

»Lass uns eine Runde spazieren, Liebes.« Mein Blick war etwas angespannt, aber deutlich milder als noch auf der Party. Am liebsten würde ich sie an mich reißen und küssen, bis und beiden schlecht davon wurde. »Ich denke, ich muss dir einiges erklären, bevor wir uns entscheiden, etwas zu tun, dass du vielleicht bereuen wirst.«

Oder mit deinem Leben bezahlst, fügte ich gedanklich hinzu und schaffte es nicht ganz, die Gefahren beiseitezuschieben.

Ich erwiderte mehrere Herzschläge nur meinen Blick, bis ich zögerlich nickte. »Na schön, aber wieso spazieren gehen? Hast du keine Angst, dass deine Mutter irgendwo auftaucht oder die Jäger vom letzten Mal? Nicht, dass uns wieder heimlich zugehört wird.«

»Die Viper weiß, wo wir wohnen, Lin. Wenn sie es jetzt schon wollte, hätte sie dich längst umgebracht. Und sobald Jäger auftauchen, reiß' ich ihnen die Köpfe ab.«

Ausreichend Wut im Magen hatte ich, um mich diesmal nicht so vorführen zu lassen und sie an diesen Mistmaden auszulassen, klang sehr verlockend. Ich nickte in den Flur und wartete, bis Lin an mir vorbeigelaufen war. Ich schloss die Tür, folgte ihr das Treppenhaus hinab und dann hinaus auf die Straße. Wir liefen eine Weile, ehe ich anfing zu sprechen.

»Wenn ich mich dazu entscheide, dich zu einem Vollblut Dämon zu machen, musst du dir aller Konsequenzen und Gefahren bewusst sein. Du musst wissen, worauf du dich einlässt.« Ich sah sie an. »Ich will für jedes Argument, dass ich die gleich vorbringen werde, einzeln hören, dass du bereit bist, den Preis zu zahlen. Verstehen wir uns da?«

Und die Preise waren hoch. Verdammt hoch.

Lin knetete die Hände vor Nervosität. »Ja, ist gut.«

Ich nickte etwas unwillig. »Um dich zu einem Dämon zu machen, werden wir gegenseitig und zeitgleich unser Blut aufnehmen«, begann ich zu erzählen. »Ich trinke von dir, du von mir. Im selben Rhythmus. Immer. Solange, bis mein Blut vollständig in dir ist, und deines vollständig in mir. Wir werden beide sterben.« Bevor sie etwas fragen oder sagen konnte, brachte ich sie mit einem Blick zum Schweigen. »Wir werden nur kurz tot sein. Ein paar Sekunden. Dann wachen wir auf. Ich, wie ich war, du ... wirst dann jedoch ein Dämon sein. Bis zu einem gewissen Grad unsterblich.« Mein Kiefer mahlte. »Frag mich nicht, wie es möglich ist, aber sobald wir das getan haben, ist dein Blut und meines verbunden und es fließt in unseren Adern. Wir werden gewissermaßen eins.« Ich ließ sie das kurz verarbeiten, ehe ich ihr die erste Konsequenz aufzeigte. »Um das Ritual ganz abzuschließen, musst du Blut trinken. Frisches Blut, direkt aus einem Menschen. Bis auf den letzten Tropfen.« Ich blieb stehen und betrachtete sie, ließ ihr Zeit zu begreifen, was das bedeutete.

Das Licht eines Schaufensters, dessen Laden schon lange geschlossen hatte, erhellte sie einseitig und ließ sie in dem weißen Kleid aussehen wie einen Engel.

»Das heißt, ich werde sterben und wieder erwachen und dann muss ich einen Menschen umbringen, um das Ritual abzuschließen?«, wiederholte sie fragend und versteifte sich. »Ist das der einzige Weg?«

»Der Einzige, ja.« Ich nickte und schlenderte weiter. Und verdammt verboten, dachte ich. »Bist du bereit, ein Leben zu nehmen, um deines zu ändern? Du tötest einen Menschen, an meiner Seite zu sein, und ich will, muss hören, dass du dafür bereit bist.«

Sie starrte mich an, sehr lange. Bis Lin zu Boden sah und überlegte. »Was sind deine anderen Argumente?«, fragte sie, statt zu antworten, und sah mich wieder an.

»Deine Freunde«, setzte ich an. »Paulina, Miriam, Isabel. Sie, dein ganzes Leben. Du wirst es zwangsläufig aufgeben müssen, neu anzufangen. Als Dämon alterst du nicht mehr und es gibt keiner Begründung der Welt, die das erklärt«, eröffnete ich und versuchte, sachlich zu bleiben und ihr nicht mit meinem Tonfall klarzumachen, dass ich ihr das nicht antun wollte. »Du wirst alles hinter dir lassen müssen. Du wirst sie verlassen und letztlich sterben alle, die dir etwas bedeuten. Immer wieder.«

Wieder sah Lin auf und nickte. »Ich frag mich gerade, ob meine Eltern auch diese Unterhaltung hatten, bevor mein Dad umgebracht wurde.«

Sie massierte sich die Stirn.

»Die Viper wäre er letzte, große Grund, den ich dir nenne. Meine Mutter wird dich töten wollen, Lin. Und sie wird nicht aufhören, bis sie es schafft, oder ich sie vorher umbringe. Sie wird uns jagen und wo man als Dämon ohnehin schon oft und viel untertauchen muss, wird es mit mir an deiner Seite schlimmer, als du dir vorstellen könntest.« Ich blieb stehen und griff ihre Hand. Reib mit dem Daumen über die Haut und hob ihre Finger an, um einen und dann noch einen Kuss darauf zu drücken. »Wenn du mir versichern kannst, dass du bereit bist, all das in Kauf zu nehmen, tue ich es. Du wirst jemanden töten. Du wirst in der Zeit, in der du lebst, viel Leute verlieren, die dir ans Herz wachsen. Du wirst sie lieben, in dein Leben lassen und Dur wirst zusehen, wie sie sterben und nie Abschied nehmen können.« Ich küsste ihre Hand wieder und stellte mich dichter an sie. Nun schien das Licht einer Laterne über uns. »Und eine Dämonin, die dich hetzt und jagt, einfach weil ich dich liebe.«

Sie sah zwischen meinen Augen hin und her. »Wieso würde deine Mutter uns jagen? Wünscht sie sich kein Glück für dich? Selbst dann nicht, wenn du eine Bindung mit mir hast?«

Ich lachte einmal tonlos auf. »Glück? Das ist das Letzte, was sie mir wünscht. Loyalität und gehorsam. Mein Glück ist nichts, das für sie von Interesse ist. Oder warum, denkst du, hat sie mir Maha genommen? Liebes, sie ist die gefährlichste Frau auf dieser Erde und sie, wird dich das spüren lassen.«

Schockiert über meine Antwort zog meine Kleine die Brauen zusammen und blinzelte mehrmals, während sie auf den Boden sah und dann wieder zu mir hoch. »Ich ... ich brauche Zeit, ich muss nachdenken und bin mir gerade nicht mehr so sicher, ob ich das will. Ich will dich, Azael. Ich habe so reagiert, weil die Vorstellung, dass ich sterbe und du weiter hier bist, mir Angst gemacht hat. Allein daran zu denken, schnürt mir die Luft zum Atmen weg.« Sie verringerte den Abstand und umarmte mich. »Das ist die Bindung, die mich so fühlen lässt, nicht wahr?« Sie atmete ein und legte meinen Kopf auf meiner Brust ab. »Wirst du denn damit zurechtkommen, wenn ich im hohen Alter sterbe? Schaffst du das?«

Nein, dachte ich, sagte aber: »Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es so weit ist.« Ich zog sie enger an mich und küsste ihren Scheitel. »Lin«, setzte ich an und murmelte mehr in ihr Haar, als dass ich deutlich sprach. Dann holte ich tief Luft und aus einem reinen Bauchgefühl heraus, beschloss ich, dass es an der Zeit war. »Ich muss dir etwas sagen. Ich habe-«

Ich wirbelte herum, als ich ein leises Knacken hörte. Ein Knacken, das kein Mensch verursachen konnte, denn es stammte von knirschenden Knochen.

Lin in meinen Armen sah ich mich um. Meine Augen flogen umher und spähten in die Nacht, um den Feind auszumachen und als ich den riesenhaften, dämonischen Hund ausmachte, entkam mir ein Fluch und mein Herz begann zu rasen. Es donnerte rasend schnell und ich fluchte erneut. Es war nicht mein Herzschlag, sondern Linneas.

Ihres und meines schlugen schon im Einklang, als seien sie eins.

Ich atmete mehrfach ein und wieder aus, um das Poltern in meiner Brust zu beruhigen.

Der Dämonenhund knurrte und bleckte scharfe, gelbliche Zähne, von denen blauer Schleim tropfte. Giftig, wie ich wusste. Ich kannte diese halb verwesten Wesen und sie waren gelinde gesagt, schwer zu töten. Sehr schwer. Selbst für mich, denn diese bärengroßen Bestien, waren leider feuerfest und besaßen eine verdammt dicke Haut, durch die kaum eine Klinge kam.

»Lin«, begann ich und sah dabei das struppige, verlauste Fell des Wesens an, das in allen Braun- und Schwarzschattierungen schimmerte, »es ist wichtig, dass du jetzt genau das tust, was ich sagte.«

Scheiße. Konnten wir denn nicht einen Abend für uns haben?

Nur einen Einzigen?!

»Zieh mein Handy aus der Tasche und schick Cahir eine Nachricht. Schreib ›Höllenhund‹ und sende ihm den Standort. Aber«, meinte ich mit zusammengebissenen Zähnen, »beweg dich langsam. Das Vieh reagiert auf Bewegungen.«

»Ich habe Angst«, flüsterte sie mit zitternder Stimme. »Ich ... mein Körper ... er reagiert ... nicht.«

Schlecht.

Aber gut, dann musste ich ran. Langsam bewegte ich die Hand und ließ sie hinter mich gleiten. Der Höllenhund knurrte. Tief, dunkle und böse. Er bellte einmal und es klang nach knirschenden Knochen und Nägeln sie über eine Tafel gezogen wurden. Er trat aus den Schatten und sah ein Pärchen an, das unbehelligt an dem nahenden Tod vorbeischlenderte.

Sie sahen ihn nicht.

Konnten es mit menschlichen Augen nicht. Lin sah den Hund auch nur, weil sie eine Halbdämonin war.

Die junge Frau und ihr Partner starrten uns an und verzog irritiert die Gesichter. Ich wartete, bis sie weg waren, um mich weiter zu bewegen. Das Monster kam näher. Grub die dicken Krallen in den Asphalt und ich schon Lin, als er kurz zur Seite sah, um ein Auto mit den Augen zu verfolgen, hinter mich.

Ich hatte keine Waffen dabei.

Mein Feuer halb nichts.

Shit.

»Wenn ich dir sage, dass du rennen sollst, rennst du. Veranden?« Flucht war die einzige Lösung, wenn ich Cahir nicht erreichen konnte. Ich würde Lin so viel Zeit verschaffen, wie ich konnte.

»I ... ich Versuchs ... Aber ... Du kommst mit, oder?«, stotterte sie und ihre Atmung wurde schwer. »Oh ... Gott. Was ist das für ein Vieh?«

»Spielt keine Rolle, denn ich werde es töten.« Ich atmete tief ein und sammelte all meine dämonische Kraft. »Ich komme nach, so schnell ich kann. Nimm mein Handy, bring dich in Sicherheit, und ruf Cahir an. Wenn ich jetzt sage, rennst du, Lin. Ohne dich umzudrehen.«

»Was? A ... Aber...«, Sie schluckte hörbar und sah von mir zu dem Vieh und zurück. »Okay ... Ich ... Ich schaff das.«

Der Hund knurrte wieder und ich schrie ›Jetzt‹. Da ich ahnte, das Lin etwas Starthilfe benötigte, gab ich ihr einen dezenten Schubs. Das Vieh rannte in ihre Richtung los, angezogen von der Bewegung, doch ich warf mich dazwischen und stürmte meinerseits selbst los. In seine Richtung. Wir krachten ineinander und ich wisch Zähnen und krallen aus, während ich einen Blick auf Lin warf.

Ich spürte die Krallen und die Zähne des Hundes nicht, so schockierte war ich, als sich sah, dass die Viper Lin gepackt hatte, ihr den Mund zuhielt, mich böse angrinste und in den Schatten einer Gasse verschwand.

Nein!

Kalte Panik erfasste mich und alles, was ich noch wahrnahm, waren zähne in meinem Oberarm.

Nein, das durfte nicht passieren.

Nicht schon wieder.

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