26 Azael
»Ich liebe dich. Und ich bitte dich inständig, daran zu denken, wenn ich dir gleich etwas sagen werde.«
Lins Lächeln verschwand, sie dachte kurz nach und starrte mich an. »Was ist los?« Sie neigte den Kopf. Sie wusste jetzt von der Verbindung. Ich war nicht sauer auf Cahir, dass er es gesagt hatte, immerhin wäre es bald rausgekommen. Irgendwie. Mein Besitzanspruch auf sie wuchs jeden Tag und mein Drang, sie zu schützen, war jetzt schon immens. Es war auch keine Lüge, dass ihr Blut mich mehr reizte, als das von Maha.
Linnea lockte mich mehr.
Es war nicht zu leugnen und auch nicht mehr zu verdrängen. Die Anzeichen waren da.
»Zuerst erklär' ich dir, was diese Verbindung bedeutet«, setzte ich an, um Zeit zu schinden, und rieb mir wieder durchs Haar. Ich strich es zurück, fuhr mir über das Gesicht und ratterte die mir bekannten Fakten dieser seltenen Art von Einheit runter. »Ich weiß von jetzt an immer, wo du bist. Dein Gefühl der Unruhe, als mich der Dämon und die Jägerin angegriffen haben, das war die Verbindung zu uns. Dass ich so heftig auf den Typen reagiert habe und auf folgende reagieren werde: Verbindung. Es entwickelt sich alles noch, aber später, wenn du an meiner Seite bleiben willst und es sich festigt ... werden wir ohneeinander nicht mehr Leben können. Körperlich geht es schon und es ist nicht so, dass wir sterben, würde man uns trennen, aber die Seelen leiden, wenn der Partner nicht bei einem ist. Man vermisst sein Gegenstück so sehr, das es physische Schmerzen hervorrufen kann. Man weiß nicht, wohin mit sich und selbst das Atmen fällt einem schwer. Ist man vollständig verbunden, kann man den Partner nicht mehr verletzen, selbst wenn man es wollte. Würden wir zu diesem Punkt kommen, irgendwann, könntest du ein Messer nehmen und es mir ins Herz rammen wollen und es doch nicht können. Dein ganzes ›ICH‹ würde sich weigern, mich zu verletzten. Und umgekehrt. Was«, ich schmunzelte, »zumindest das Trinken deines Blutes einfacher machen würde.« Mein Grinsen verschwand und einige tiefe Atemzüge nehmend, sah ich ihr entgegen. Schaute auf die Wunde und dann wieder zurück. »Erinnerst du dich daran, dass ich sagte, dass so es so etwas nur zwischen Dämonen gibt?«
Linnea hörte zu, nickte ein paar Mal, aber als ich diese Frage stellte, wich langsam aber sicher die Farbe aus ihrem Gesicht. »Ja, ich erinnere mich.«
Jetzt oder nie. Ich hatte nicht vor drum herum zureden, ich glaubte nicht, dass es helfen würde, wenn ich alles in Watte packen würde. »Dein Vater, er war ein Dämon, Linnea. Und das macht dich zu einem Halbblut. Einem Mischling aus Mensch und Dämon. Deshalb ist es überhaupt möglich, dass eine Verbindung zwischen und geknüpft werden konnte.«
Sie starrte mich an, blinzelte nicht. Es wurde still und Linnea sagte eine gefühlte Ewigkeit kein Wort mehr. Sie öffnete die Lippen, jedoch schaffte sie weiterhin, kein Wort zu sagen. Stattdessen schloss sie den Mund wieder und stand abrupt auf. Fassungslos lief sie im Wohnzimmer auf und ab. Man erkannte das Chaos in ihrem Kopf. Sie fuhr sich durch die kupferblonden Haare und wusste nicht, was ich sagen sollte, so stark stand sie unter Schock.
Ich stand auf und stellte mich ihr in den Weg, damit sie aufhören musste, hin und her zu laufen. Auch ich sagte nichts, sondern sah sie nur an. Zwang sie, mir entgegenzusehen und versuchte, etwas meiner Ruhe auf sie wirken zu lassen, bevor ich die nächste Bombe platzen ließ. »Deine Mutter weiß es, Lin.«
»Was?! Was redest du da für einen Bullshit!«, fuhr sie mich fassungslos an.
Meine Regungslosigkeit und Ruhe blieb. »Frag sie, wenn du sie das nächste Mal siehst. Ruf sie an, wenn du willst«, ergänzte ich. »Und wenn sie es abstreitet, frag sie, wie dein Vater wirklich gestorben ist.«
Mein Herz schlug plötzlich schnell und ich wusste, dass es der Rhythmus war, der von Lin ausging. Es war ihre Panik, ihr Unglaube und der Schock, der meines rasen ließ.
Lin sah zwischen meinen Augen hin und her. »Du meinst es ernst? Ich soll ein Dämon sein? Mein Vater soll ein Dämon sein und meine Mutter wusste davon?«, fragte sie noch mal nach und sah mich weiterhin ungläubig an. »Das ist ... das kann nicht ... wahr sein«, flüsterte sie und rieb sich die Stirn. »Wie mein Vater gestorben ist? Also war mein Vater etwa kein Lkw-Fahrer? Er...« Sie stoppte abrupt. »Was ist mit meinem Vater passiert?«
Ich biss automatisch die Zähne zusammen und verspannte etwas. Ich sollte es ihr sagen. Musste es sagen. »Er wurde exekutiert. Von ... einem anderen Dämon. Rafael hat gegen gewisse Regeln verstoßen, die die Sicherheit aller Dämonen gefährdet hatten. Die Viper hat beschlossen, ihn aus dem Spiel zu nehmen.«
»Was?«, flüsterte sie und Tränen sammelten sich in ihren Augen. »Er ... wurde von euch getötet?« Linnea schluchzte und presste die zitternden Lippen aufeinander. Sie weinte mehrere Minuten einfach nur vor sich hin, während wir uns weiter gegenüber standen, bis sie letzt endlich mit einem wütenden Unterton fragte: »Wer? Wer hat das getan?«
Nein. Ich konnte es ihr nicht sagen. Es würde ...
Nun schlug mein eigenes Herz schneller, während ich die Hand hob und die Finger über ihre Wangen legte. Ich wischte die Tränen weg und beugte mich vor, um ihr einen sanften Kuss zu geben.
»Ist das wirklich wichtig, Liebes?«
Bitte, bitte belasse es dabei.
Ich bitte dich, zwing mich nicht, es dir zu sagen, denn ich kann nicht.
Lass es gut sein und zwing mich nicht, dich anzulügen.
»Macht es einen Unterschied? Dein Vater hat gegen viele Regeln verstoßen und auch wenn er sich geändert haben mag, und jahrelang dein Vater war, kann man vor solchen Konsequenzen nicht davonlaufen.«
Sie nahm Abstand von mir, was mich erheblich störte.
»Gibt es bei euch keine Vergebung?! Was seid ihr für Monster einen Vater abzuschlachten, weil er Fehler begangen hatte? Nein, ich kann das unmöglich so hinnehmen. Ich will die Wahrheit«, schrie sie jetzt. Schwer atmend, stemmte sie eine Hand in meine Hüfte und legte die andere auf ihren Brustkorb. »Was, wenn dieses Arschloch auch hinter mir her ist? Jetzt, wo ich weiß, dass ich angeblich ein halber Dämon bin, bin ich vielleicht auch in Gefahr.«
»Er wird dir nichts tun.« Ein Arschloch ist er aber dennoch, dachte ich und schluckte schwer. »Hör zu, Lin, ich sehe keinen Sinn darin, dir zu erklären, was dein Vater getan hat, aber wenn ich dir sage, er hat verdient, was vorgefallen ist, entspricht das der Wahrheit. Zudem habt ihr Menschen ebenfalls Gesetze, oder? Wenn ein Serienkiller beschließt, ein normales Leben zu führen, löscht es seine vorherigen Taten aus? Vergesst ihr sie? Habt ihr Mitleid? Zeigt ihr Gnade? Nein. Ihr steckt eure Verbrechen ein Leben lang hinter Gitter oder lasst sie durch eine Giftspritze hinrichten. Nach Jahren des Wartens. Zeit, in der sie sich vor dem Tod fürchten können und die sie in den Wahnsinn treiben kann.« Ich sah sie an und versuchte, meine Züge ruhig und sanft zu halten. »Wo ist der Unterschied? Macht euch das, Menschen nicht auch zu Monstern? Ich denke, es war gnädig, ihn schnell und sauber zu exekutieren. Er hat nicht gelitten und stand letzten Endens für das Gerade, was er in seiner Vergangenheit getan hat.«
Linnea erwiderte meinen Blick, bis sie wortlos in die Hocke ging und sich wie eine Kugel einrollte. Ihr Gesicht zwischen den Knien und die Arme um die Beine gelegt, saß sie da und schluchzte.
»Mein Vater war ... alles für mich ... das ist so unfair«, stieß sie aus. Ihre Atmung wurde immer schneller und ich spürte ihre Panik bis in meine Knochen.
Also tat ich alles, was ich konnte, um sie zu beruhigen. Ich hockte mich hinter sie und schlang die Arme um ihren Körper. Vorsichtig, aber fest presste ich sie an mich und flüsterte ihr beruhigende Worte zu.
›Es ändert nicht, wer er für dich war.‹
›Dein Vater wird immer dein Vater bleiben‹
›Es tut mir leid, Liebes.‹
›Ich bin für dich da‹
›Ich bleibe an deiner Seite‹
Irgendwann, nachdem sie sich beruhigt hatte, ich sie herumgedreht und richtig in meine Arme gezogen hatte, saßen wir einfach nur noch eng umschlungen auf den Holzdielen der kleinen Wohnung.
Ich spürte, dass die Panik nachließ, und küsste mehrfach ihre Stirn. Dann forderte ich ihren Blick und sagte leise. »Ich liebe dich. Und ich weiß, es mag dir früh erscheinen, aber ... ich tue es wirklich.«
Deshalb kann ich dir niemals die Wahrheit darüber sagen, wer die deinen Vater genommen hat. Bitte verzeih mir.
Ich legte den Kopf schief und küsste erst ihr eines Lid, dann das andere. »Wenn man genau hinsieht, schimmern deine Augen gelegentlich rot. Es ist faszinierend.«
»Also magst du es?«, fragte ich leise und klammerte sich regelrecht an mich, während sie mir verheult entgegensah. »Warst du deswegen so komisch, als wir uns das erste Mal gegenüber standen?«
Sie wischte sich mit den Händen übers Gesicht und ich sah dabei zu. »Halbdämonen sind nicht unbedingt etwas, das man oft sieht. Zudem ist euer Blut, – außen vorgelassen, dass deines für mich ohnehin wie eine Droge ist – für uns Dämonen schmackhafter, als Menschliches. Also ja, ich hab wohl so reagiert, weil ich es gewittert und gesehen habe.«
Lin nickte und sah auf ihren Schoß. Eine Weile war sie still, dachte wohl über alles nach. »Ich kann dir gerade nicht sagen, dass ich dich auch liebe. Bitte hab Verständnis dafür«, begann sie und klang überraschenderweise ziemlich gefasst. »Ich ... glaube, ich muss das erst mal alles sacken lassen.«
Mein Kiefermuskel zuckte. Ich wusste, was sie fühlte, auch, ohne dass sie es sagte, denn die Tatsache, dass eine Bindung nur entstehen konnte, wenn beide so empfanden, sprach für sich. Es hieß jedoch nicht, dass es ein angenehmes Gefühl war, es nicht erwidert zu bekommen.
»Natürlich, Liebes«, ich stand auf, hob sie dabei hoch und lief dann in ihr Zimmer. Ich legte Lin auf ihr Bett und deckte sie zu. Ich nickte und machte Anstalten, das Zimmer zu verlassen, um ihr die Ruhe zu geben, die sie brauchte, um nachzudenken, und mich selbst zu fragen, wann wohl der Tag kommen würde, an dem die eine Lüge über mir zusammenbrach, die alles verändern würde. »Schlaf ein bisschen. Ruh dich aus. Wir reden morgen, wenn du es willst.«
»Willst du nicht bei mir bleiben?«, fragte sie etwas unsicher. »Ich ... meine, ich fühl mich wohler, wenn du in meiner Nähe bist.«
Ich sah über die Schulter zu ihr. »Ich bin nur zwei Räume weiter, Liebes. Ich denke«, setzte ich an, »du solltest dir Zeit nehmen, alle zu verarbeiten, ohne das der Grund, warum du es zu verarbeiten hast, neben dir liegt unversucht, seine Finger bei sich zu behalten.«
Sie fixierte mich, sah mich sehr lange an, bis sie schlussendlich nickte. »Schön. Dann ... bis später.«
Ihr Unterton war nicht einzuschätzen, also wandte ich mich um und lehnte mich dem Rücken an den Türrahmen.
»Was? Spuck es aus.« Mein Blick huschte zu dem dämlichen Einhorn, das plötzlich an Bedeutung gewonnen hatte, bevor ich ihr in die Augen sah. »Bist du sauer, dass ich dir deinen Freiraum geben will?«
Sie folgte meinem Blick, sah ebenso das Einhorn an und packte es. Linnea drückte es an ihren Körper und nahm es halb unter die Decke.
»Nein, ich bin nicht sauer. Ich verstehe dich. Ich weiß nur noch nicht, was ich von all dem halten soll. Wieso wusstest du, wie mein Vater hieß? Wieso hast du überhaupt so viele Informationen darüber? Das sind Fragen, die ich mir stelle.«
Und Antworten, die ich nicht geben will.
Ich atmete tief ein und überschlug die Füße im Stehen, während ich die Arme kreuzte. »Dein Vater war kein Unbekannter, Lin. Rafael hat Dinge getan, die die Dämonen in einem weiten Radius gefährdet haben und die Jäger über kurz oder lang zu uns geführt hätten. Deshalb kenne ich seinen Namen und seine Geschichte. Dass du jedoch seine Tochter bist, hab' ich erst vor Kurzem erfahren. Durch einen Zufall.« Ich räusperte mich. »Als Sohn der Viper bin ich über sehr viel Sachen im Bilde, was dämonische Angelegenheit angeht, Lin. Ich weiß viel, ich sehe viel und ich tue viel. Gutes wie Schlechtes - meistens Letzteres.«
»Du tust viel? Meistens Schlechteres?«, fragte sie und starrte mich weiterhin an. »Azael-«, setzte sie dann an, als ich schwieg, und schluckte schwer. »Schwörst du, dass du nichts mit dem tot meines Vaters zu tun hattest?«
Mein Blick verdunkelte sich widerstrebend.
Ich konnte es ihr nicht sagen, ich musste, aber ich KONNTE nicht. Aber sie so direkt anzulügen, konnte ich das wirklich tun? War ich dreist und egoistisch genug, ihr hier und jetzt zu sagen, dass ich ihren Vater nicht umgebracht hatte? Wenn es doch meine Hand war, die ihm den Kopf von Hals geschlagen hatte.
»Ich wusste davon, also hatte ich wohl etwas damit zu tun, hm?«
Belasse es einfach dabei, Liebes. Bitte.
»Ich verstehe. Dann werde ich dir das so glauben. Danke für deine Ehrlichkeit«, sagte sie und setzte sich auf.
Lin winkte mich zu sich und zeigte mir deutlich, dass ich sie küssen sollte.
Normalerweise hätte ich gegrinst und sie geärgert, indem ich fordernd stehen geblieben wäre. Aber nicht jetzt.
›danke für deine Ehrlichkeit‹
Ich wünschte, sie hätte mich einfach geschlagen, satt das zu sagen. Ich war ein dreckiger Lügner und Heuchler, und am Ende des Tages, wenn herauskam, – und das würde es – was ich getan hatte, verlor ich sie. Langsamen Schrittes lief ich zu ihr und beugte mich über sie.
Es würde schlimm werden, der Verbindung wegen. Denn sie würde mich verlassen. Das könnte sie, doch es würde und beide in schlimmer Verfassung zurücklassen und nur langsam bis gar nicht besser werden.
Die Arme rechts und links von ihr auf der Matratze abgestützt, legte ich meine Lippen, nach einem stechenden Blick, auf ihre. Der Kuss war sanft und endete damit, dass ich zwischen ihren Beinen lag und sie die Arme um mich schlang, während sie Trost in der Berührung suchte und ich mit eben jener meinen Verrat zu tilgen versuchte.
Wenn ich sie nur lange genug küsst, ihr nur lange genug die Welt zu Füßen legen würde, würde sie mir das eventuell verzeihen können. Oder?
Also küsste und küsste und küsste ich sie mit allem, was ich hatte. Mit ganzem Herzen, mit jeder Faser meiner Seele verschlang ich die Frau unter mir und ignorierte die Hitzewelle der Lust, die mich mit jeder Bewegung der Zunge erfasste und mit jedem Laut, den wir ausstießen, dazu verlockte, weiterzugehen.
Stunden. Wir küssten uns verdammte Stunden, ehe wir nebeneinander einschliefen.
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