16 Azael
Ich stand angespannt vor dem Bett. Cahir neben mir.
Er sagte kein Wort und das war wirklich gut, denn ich hätte ihn wohl umgebracht, wenn er es getan hätte.
›wieso gibst du ihr nicht dein Blut?‹
Das hatte er mich gefragt, als ich hergeholt hatte. Irgendwie hatte ich mitbekommen, dass Lin bewusstlos wurde. Es war Glück, denn ich war in einem solchen Blutrausch gefangen, wie schon lange nicht mehr.
Als sie die Augen aufmachte, blinzelte und leicht stöhnte, kniff ich meine zusammen.
Oh, ich war wütend. Verdammt noch mal SCHEIßE wütend!
Lin wirkte benommen und sah die Blutkonserve an, die mit einem Schlauch an ihrem Arm hing und ihr das wieder gab, was ich genommen hatte.
Mein Kiefer malte und das Entsetzen darüber, dass ich sie beinahe umgebracht hatte, machte mich zusätzlich Fuchsteufels wild. Es sollte Reue und Schuld in mir wecken, doch nein, es feuerte meinen Zorn nur an.
»Bitte mich niemals wieder darum, dein verdammtes Blut zu trinken, Linnea. NIEMALS wieder!«
Cahir räusperte sich und meinte zu ihr: »Was er sagen will, ist: Es tut mir leid, dass ich die Kontrolle verloren und dich beinahe umgebracht habe. Aber es wäre sehr ratsam, wenn du mir nicht wieder anbietest, dein Blut zu nehmen, während wir ficken. Denn du bist ohnehin mein Kryptonit und es ist so schon schwer, dir zu widerstehen. Also entweder Schwanz, oder Blut. Niemals beides.«
Ich knurrte, beließ es aber dabei, denn Cahir hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
Kontrolle bei anderen zu behalten, war kein Problem für so einen alten Dämon wie mich. Bei ihr? Nein, es war wie bei Maha damals. Ich verlor viel zu schnell die Fassung, wenn ich das flüssige Gold in ihren Adern kostete. Und wie sollte es auch anders sein? Es war ja Mahas Geschmack, der mich so in den Wahnsinn trieb!
Herrgott!
Lin durfte das nicht von mir verlangen. Niemals mehr.
Lin sah Cahir an, dann mich und schloss die Augen. Sie atmete tief ein und wollte den Arm hochheben, der nicht an der Blutkonserve hing, doch die Wunde an ihrem Schlüsselbein Skie zu schmerzen und sie zischte.
»Tut mir leid«, meinte Linnea mit gebrochener Stimme und öffnete die Augen. Erschöpft sah sie uns beide an. »Ich ... dachte du hättest dich unter Kontrolle.«
Sie dachte es.
Sie kannte die Anzeichen noch nicht.
Lin war noch so unwissend meiner Welt gegenüber.
Es war wie damals bei Maha. Sie war anfangs genauso leichtsinnig gewesen und bis wir uns im Griff hatten, hatte ich sie geschlagene neun Mal fast umgebracht. NEUN!
Das Lin nun ebenfalls der Lust wegen so leichtsinnig wurde ...
Zorn, Angst, Verzweiflung und Panik machten sich in mir breit. Ich würde es nicht überleben, sie auch noch einmal so zurückzulassen.
Sie war so blass gewesen. Als ich sie in mein Bett getragen hatte, sah sie so verletzlich aus. Und das war einzig meine Schuld.
»Ich hab' mich niemals unter Kontrolle, wenn es um Maha geht!« Eine Welle Flammen brach aus mir heraus und fächerte sich über meinem Schlafzimmerboden aus. Was redete ich denn da?! Ich atmete tief ein. »Wenn es um dich geht. Ich hab' mich nicht unter Kontrolle, wenn es um dich geht.«
Cahir sah mich etwas geschockt an und betrachtete dann wieder Lin.
Linnea starrte mich an, bevor sie traurig wegsah. »Ja ... natürlich. Es geht nur um Maha«, sagte sie und man hörte ihre Enttäuschung deutlich.
FUCK!
»Verpiss dich, Cahir.«
»Entschuldige?«, entrüstete er sich und sah von mir zu Lin.
»Danke, dass du die Blutkonserve gebracht hast, aber ich muss kurz mit Lin sprechen.«
Er betrachtete mich mit schief gelegtem Kopf, nickte dann aber. »Wir müssen in einer Stunde los. Denk dran.«
Ich nickte und sah zu, wie er ging und zuvor Lins Hand freundschaftlich drückte.
Als er meine Zimmertür schloss, sah ich Linnea in meinem Bett liegen an. Lange. Bevor ich mich dort auf den Bettrand setzte, wo eben noch Cahir saß.
»Ich habe Maha 25 nach Christi Geburt im jetzigen Marokko kennengelernt. Ich war sofort hin und weg von ihr. Maha war ... das genaue Gegenteil von dir. Schüchtern, still, natürlich. Ich habe ein ganzes Jahr geworben, ehe sie auch nur ein einziges Wort mit mir gewechselt hatte«, begann ich zu erzählen. »Und genau in der Zeit, bevor sie auch nur ein Wort gesagt hatte, wusste ich, dass ich sie liebe. Sie ...« Ich schluckte, weil mein Her wehtat. »Du bist, laut einem alten Orakel, so eine Art Wiedergeburt. Aber nicht im optischen, oder charakterlichen Sinne, sondern es ist dein Blut, das ihres ist. Es sollte nicht möglich sein und ich habe noch nie davon gehört, aber hier bist du und dein Blut ist das der Frau, die ich ...«
Dieser Schmerz. Er hörte einfach nie auf, wenn ich an sie dachte. Er war immer da und immer zerfraß er mich. Deshalb hatte ich vor Tausenden Jahren ihren Namen aus meinem Geist verbannt. Auch wenn sie immer in meinem Herzen war.
»Die du geliebt hast. Von der du sofort fasziniert warst«, beendete sie den Satz und sah mich verletzt an. Dann stieß sie Luft aus und sah hoch zu Decke. »Wiedergeburt? Manche Religionen glauben an Wiedergeburten. Aber ... es ist unglaublich lange her, dass du sie getroffen hast. Wieso also jetzt und nicht schon früher?«
Ich erwiderte ihren grünäugigen Blick. »Ich weiß es nicht, aber der Fakt das es 2000 Jahre her ist, macht es nur schlimmer. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, jemanden so zu lieben, dass du einfach alles für ihn tun würdest? Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlt, diese Person zu halten? Ihren toten Körper? Leblos? Ein gab auszuheben und ... Dein Blut, du, hast mich überrascht und ich bin nicht darauf vorbereitete gewesen, wie sehr ich dich will. Dein Geruch, deine Art, dein Blut ... alles an dir irritiert mich. 9620 Jahr, Lin! Ich bin so alt und du bringst es fertig, mich zu irritieren. Ich hatte mit so vielen Frauen Sex und habe so vielen ihr Blut genommen, dass du dir Zahl nicht mal vorstellen kannst, und du, ausgerechnet du bringst mich an den Rand eines gefährlichen Abgrundes. Dabei kennen wir uns nicht. Nicht wirklich. Du wohnst ein Paar Wochen hier, wenn überhaupt und es fühlt sich dennoch an, als würde ich dich bis in den Abgrund deiner Seele kennen.« Ich rieb mir über das Gesicht. »So war es bei Maha auch. Und das«, ich sah Lin wieder an, »das darf nicht wieder passieren. Du bist in Gefahr. Es gibt so viele Variablen in meinem Leben, die dir im wahrsten Sinne des Wortes das Genick brechen können. Meine Mutter, andere Dämonen, Jäger und ich selbst. Aber vor allem die Wahrheit.«
Lin schüttelte langsam den Kopf. »Nein, kann ich mir nicht vorstellen, wie auch«, antwortete sie und hob die Hand, die an der Bluttransfusion hing. Sie legte sie auf meine und griff nach meinen Fingern. »Weißt du, was mich so irritiert?«, fragte ich leise. »Dass ich das Gefühl habe, ich würde dich lieben, obwohl ich dich gar nicht richtig kennen. Mein Körper ... er schreit nach dir. Das fühlt sich komisch an, weil du immer noch so fremd auf mich wirkst. Ich sehe in deine dämonischen Augen und sollte Angst haben, aber stattdessen klopft mein Herz. Wenn ich nicht in deiner Nähe bin, dann vermisse ich dich. Gott, weißt du, wie irritierend das ist?«
»Ja«, raunte ich und verdrängte die Worte, dass sie dachte, sie würde mich lieben. Das durfte nicht sein. Niemals. Also zog ich meine Hand weg und meinte etwas kühl. »Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie ein Mensch an die Grenzen seiner Vorstellungskraft kommt. Denn-« Ich sah sie streng an. »Eurer Leben besteht aus Grenzen und ist eingeschränkt. Keine Magie, keine Stärke, keine Macht, keine Vorstellung, die über euer Irdisches hinausgeht und keine Lebensspanne, die nennenswert ist. Ihr seid«, setzte ich nach, »obwohl ihr denkt, dass ihr ganz oben steht, sehr viel weiter untern auf der Überlebenskette, als die meisten Wesen. Die Erde würde ohne viele Lebewesen untergehen. Würde der Mensch verschwinden, würde es keinen kümmern. Nicht wirklich zumindest. Im Gegenteil. Also ja, ich weiß, dass das alles für dich unverständlich ist.«
Sie nahm ihre Hand zögerlich zurück und legte sie auf ihrem Bauch ab. Es dauerte einen langen Moment, bis sie eine Frage stellte: »Wie ist Maha gestorben? War sie ein Mensch, als sie starb?«
Ich legte den Kopf schief. Wieso lies sie sich so schwer abschütteln?
Und wieso sagte ich: »Sie war ein Mensch und würde zum Dämon.« Ich biss die Zähne zusammen, als ich an das Ritual dachte und was es uns letztendlich einbrachte. Maha und ich hatten vor die Ewigkeit miteinander zu verbringen, aber alles, was wir bekamen, war ein Tag. Ein einziger Tag. »Die Viper«, fuhr ich ruhiger fort, als es möglich sein sollte. »Sie hat Maha getötet, hat ihr das Genick gebrochen, weil wir gegen ihren Befehl hin, sie nicht zu einem meinesgleichen zu machen gehandelt haben. Mutter ist der Meinung, Liebe sei nur eine menschliche Eigenschaft. Eine Bindung sei das einzig wahre.«
Sie starrte mich an und ihr wich die letzte Farbe aus dem nun geschockten Gesicht. »Hattet ihr eine Bindung? Und wenn ja, wie geht man eine Bindung ein?« Ihre Augen glitzerten vor Neugier und der leichte Rotschimmer flackerte kurz auf.
Ich vergaß manchmal, dass ihr Vater ein Dämon war. Ein Vater, den ich getötet hatte.
»Bindungen entstehen einfach. Mal auf den ersten Blick, mal dauert es Jahrhunderte. Nur Dämonen können so zueinander finden. Und nein, Maha und ich hatten das nicht. Wie gesagt, sie war ein Mensch und dann keine 24 Stunden ein Dämon. Wenn, dann hätte sich das erst später gezeigt. Zumindest von ihrer Seite aus.« Ich drückte ihre Hand. »Ich kenne keinen Dämon, der gebunden ist. Es ist mehr als selten. Aber man sagt, es sei tiefer und inniger als alles. Die Person wird zu deinem Gegenstück und du willst nichts mehr, als das Glück deines Partners erfüllen. Man kann sich, selbst wenn man es wollte, nicht gegenseitig verletzen und wenn man zusammen ist ... der Herzschlag«, ich legte meine Hand zwischen ihre Brüste, »beginnt im Einklang zu schlagen und alles, selbst der Atem, beginnt sich dem anderen anzupassen. Man wird ein Wesen. Vollkommen.«
»Ich ... verstehe«, hauchte sie nur und sah mich an. »Es tut mir leid ... das mit Maha ... aber ... es ist eine andere Zeit und ein anderer Ort. Ich bin nicht sie und doch ... ähnle ich ihr. Dennoch bitte ich dich...« Lin atmete tief ein und dann wurde sie ruhiger. Ließ meine Berührung auf sich wirken. »Mich nicht mit ihr zu vergleichen. Ich will für dich nicht wichtig werden ... weil ich dich an sie erinnere. Ich will für dich wichtig werden, weil ich, ich bin.« Sanft lies sie ihre Hand auf meine gleiten, die noch zwischen meinen Brüsten lag. Sie streichelte sie und lächelte mich noch etwas erschöpft an.
Nein.
Nein. Nein. Nein.
»Du«, stieß ich jetzt aus, »darfst gar nichts für mich werden, Liebes. Verstehst du das nicht?« Ich stand auf und sah auf sie hinab. »Das ist kein Spiel. Das ist eine Lage, die dich dein Leben kosten kann. Und um das klarzustellen, ICH gehöre zu den vielen, VIELEN Möglichkeiten, die es dir nehmen können.«
Ihr Lächeln verschwand und Linnea setzte sich langsam auf, etwas ruppig zog sie die Bluttransfusion aus ihrem Arm und stand schnell vom Bett auf. Etwas zu schnell, weshalb sie wankte und sich den Kopf hielt.
Ich blieb stehen, auch wenn meine Füße zuckten. Doch ich konnte dem Drang, sie zu halten, nicht ganz widerstehen, also packte ich sie am Arm und hielt sie stabil.
»Leg dich hin und ruh dich aus. Ich habe dir eine Menge Blut genommen. Du brauchst Schlaf und musst viel trinken.« Ich sah auf sie hinab. »Sei so gut und sei auf mich sauer, wenn es dir besser geht.«
Und dann bleibt es, dachte ich. Bleib wütend und verdammt noch mal, akzeptiere meine Abweisung. Ansonsten muss ich ...
»Nein. Ich weiß, dass du mich beschützen wirst«, sagte sie und trat mit wackligen Beinen näher auf mich zu. Lin umarmte mich und schloss die Augen. »Mein Inneres sagt mir das und auch, wenn du mich zu Weißglut bringst, kann ich einfach nicht sauer sein. Tut mir leid.«
Nein.
Sie würde sterben, wenn sie sich so entschied.
Und doch ...
Scheiße, wie ich sie sagte, sie irritierte mich. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, aber mir war klar, dass ich sie nicht an mich ranlassen durfte. Diese zwei halben Ficks und was auch immer ich anfing, zu fühlen, was auch immer Mahas Blut auslöste, war vorbei. Ich schloss die Augen, packte sie an der Kehle und zog sie viel zu schnell von mir weg. Kein Mensch könnte sich so bewegen, wie ich gerade. Knurrend warf ich sie auf mein Bett und ließ Flammen den Rand emporsteigen, sodass sie nicht von der Matratze runterkam.
»Ich will dich nicht näher an mich ranlassen, Linnea. Alles an dir erinnert mich daran, was ich verloren habe und niemals wieder bekomme.« Oh, die Lüge brannte wie Feuer. Ich wollte sie, und das nicht, weil sie mich an Maha erinnerte. Ich wollte sie, weil ich sie mochte. Ihre Art, ihre Furchtlosigkeit, ihren Mut. Und weil es so war, musste ich sie beschützen. Weil mein Herz stolperte, wenn sie einen Raum betrat und es den Takt änderte, müsste sie mich hassen! Denn, verdammt, ich hatte ihr gerade erklärt, was das bedeutete. »Du wärst nur ein schwacher Abklatsch dessen, was ich wirklich begehre, Liebes. Eine billige Kopie.«
Ich wollte die Flammen um mein Bett erhitzen, um ihr die Gefahr, die von mir ausgeht, begreiflich zu machen, doch ich konnte nicht. Ich konnte es physisch nicht, denn mein Feuer weigerte sich, sie zu verletzen.
Ich knurrte. »Schlaf und dann geh zurück in dein Zimmer.«
Lin sah die Flammen an, setzte sich wieder auf und versuchte, sich so in die Mitte zu positionieren, dass sie dem Feuer nicht zu nahe kam. Ihre Augen huschten zu mir. »Eine billige Kopie ... Ein schwacher Abklatsch...« wiederholte sie meine Worte. Mit verletzem Ausdruck sah sie auf ihren Schoß und ballte die Hände zu Fäusten. »Ich gehe,« sagte sie erst leise. »Ich gehe, okay?«, wurde sie dann lauter.
Nein, es ist nicht okay.
Doch ich nickte und verließ mein Zimmer, ohne sie anzusehen oder Cahir zu beachten, der verwirrt, mit einer Kippe im Mund, die ich ihm stahl, zwischen mir und Lin hin und her sah. »Los«, brummte ich. »Wir müssen dieses Vieh abschlachten, bevor die Sonne aufgeht.«
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