Kapitel 36. Azael
Ich riss, den im Blutrausch gefangenen Dämon, von Linnea weg. Ich biss ihm in den Hals, riss ihm die Kehle heraus, schmiss ihn weg und verbrannte den Wichser noch im Flug zu Asche, sodass nichts von ihm auf dem Boden aufkommen konnte.
Panik. Nackte, kalte, alles umfassende Angst raste mir durch meine Knochen, als ich Lin an einem dünnen Stahlbalken an der Wand hängen sah. Aber das, war nicht die einzige Wunde. Das war nicht das, was mich bis ins Mark erschütterte und mir die Luft zum Atmen nahm.
Es war Linneas aufgerissene Kehle.
Es war der Fakt, dass sie selbst mit meinem Blut, nicht überleben würde.
Ich hatte gespürt, dass etwas nicht stimmte. Hatte den Schmerz gefühlt und war wie ein Wahnsinniger übermenschlich schnell hergerannt. Zum Glück waren Cahir und ich gerade in der Nähe gewesen, weil wir einen kleineren Spinnendämon ausgeschaltet hatten. Aber ... selbst in der Nähe, war nicht nahe genug.
Cahir, der hinter mir auftauchte, und die Jäger etwas abgelenkt hatte, sog scharf Luft ein. »Scheiße.«
Ich eilte zu Lin und besah die tödliche Wunde.
»Lin? Hörst du mich?«Meine Stimme klang ängstlich und zum zweiten Mal in meinem so langen Leben, fühlte ich mich hilflos. »Linnea?«
Sie atmete kratzig ein und bekam die Augen nur halb geöffnet. »Az-ael ... selbst ... jetzt ... bi-st ... du ... da ...« Einzelne Tränen rollten über ihre Wangen. »Ich ... Lie-be ... dich...«, schluchzte sie tonlos und ließ den Kopf zur Seite fallen.
Ich atmete nicht, verzog nur das Gesicht und ließ meine eigenen Tränen laufen. »Wo sonst, sollte ich sein, Liebes, wenn nicht bei dir?«
Ich sagte nicht, dass ich sie auch liebte. Konnte es nicht, ohne mein Herz vor Qualen zerbrechen zu lassen.
»Az, sie-«.
»Stirbt«, beendete ich seinen Satz und meine Sicht verschwamm. Sie starb, aber das würde ich nicht zulassen. Ich wusste, dass mich die Entscheidung, die ich jetzt traf, wahrscheinlich ihre Liebe kosten würde, denn sie wollte kein Wesen meiner Art werden, doch ich war egoistisch genug, sie nicht gehenlassen zu können.
Also entschuldigte ich mich leise bei ihr und zog meine Liebste mit brutaler Gewalt von der Metallstange.
Sie schaffte es nicht mehr, zu schreien, aber ein Zischen entfuhr Lin. »Es ... tut ... weh«, sagte sie so leise, dass ihre Lippen sich kaum bewegten.
So vorsichtig es ging, legte ich sie auf den Boden ab. »Ich weiß, Liebes. Ich ... Vertraust du mir?«
Ihre Augen, die bereits glanzlos wurden, suchte offensichtlich mein Gesicht. »I ... ich ... kann ... dich ... nicht mehr sehen«, flüsterte sie, nickte aber gleichzeitig. »J ... Ja ... ich ... vertrau dir.«
»Azael, was hast du vor?«
Ich sah Cahir nicht an, sagte aber: »Wonach sieht es aus? Ich rette sie und jetzt«, ich biss mir noch immer weinend, brutal in den Arm und riss dabei das Fleisch bis auf die Knochen ab, »hol einen Menschen. Sie wird ihn brauchen, wenn wir aufwachen.«
»Az, ich weiß nicht, ob-«.
»TU ES!«, brüllte ich und es lag wohl so viel Leid und Verzweiflung in meiner Stimme, dass Cahir wortlos verschwand. Ich sah in Lin geschundenes, totenbleiches Gesicht. »Hör zu, Liebes. Hör ganz genau zu. Es ist wichtig, dass du immer dann schluckst, wenn ich deinen Arm drücke, okay? Dann und nur dann. Schaffst du das? Kannst du das für mich tun?«
Sie musste. Lin musste überleben. Denn bei Gott, ich würde die Welt zerstören oder mit ihr gehen, wenn sie starb. Ein Schluchzen erklang und ich erschreckte mich, als ich begriff, dass es von mir kam. »Tu es für mich, ja, Liebes?«
Tränen rollten seitlich ihr wunderschönes Gesicht hinunter, aber sie nickte kaum merklich. Schaffte es nicht mehr, zu antworten.
Ich strich ihr mit dem Daumen über die Wange.
Ja, ich tat das Richtige. Sie würde mich vielleicht hassen, aber leben und das war alles, was für mich zählte.
»Gut so, Lin«, flüsterte ich und legte meine tiefe, klaffende Wunde auf ihre Lippen. »Denk daran, wenn ich deinen Arm drücke, musst du mein Blut schlucken. Das ist wichtig, sehr sogar.«
Den Arm auf ihren Mund pressend, damit sie ihn öffnete, weil sie bereits so schwach war, und mit dem anderen ihren Unterarm packend, senkte ich mein Gesicht und brachte es der Wunde an ihrem Hals näher.
Sofort lief, das durch die verletzte Schlagader sprudelnde Blut, in meinen Mund. Ich drückte ihren Arm, als ich mir sicher sein konnte, dass auch ihr Mund mit Blut gefüllt war.
Ich wartete, bis sie schluckte und tat es auch.
Gott, dieser Geschmack. Es traf mich wieder wie ein Schlag und ich zwang mich, langsam zu machen. Lin war schwach, sie würde nicht so schnell nachkommen, wie ich ihr das Blut nehmen wollte. Mein ganzer Körper zitterte vor Verlangen, doch ich konzentrierte mich. Wieder drückte ich ihren Arm, als ich spürte, dass mein Blut auch ihren Mund füllte.
Sie schluckte. Ich schluckte.
Und nach dem vierten Mal spürte ich die Kraft in Lin zurückkehren. Wenn ich wüsste, dass sie es schaffen würde, würde ich aufhören, aber ... sie würde sterben, wenn ich sie nicht zum Dämon machte. Das Ritual musste vollendet werden, wenn ich wollte, dass die Frau, die ich über alles liebte, überlebte.
Es vergingen einige Minuten, die von dem immer selben Rhythmus geleitet wurden. Blut in den Mund, ein Druck auf den Arm, schlucken. Blut in den Mund, ein Druck auf den Arm, schlucken. Blut in den Mund, ein Druck auf den Arm, schlucken. Blut in den Mund, ein Druck auf den Arm, schlucken.
Lin wurde immer stärker und schwächer zugleich und so erging es auch mir.
Meine Arme zitterten, in dem Versuch, nicht auf ihr zusammenzubrechen, und es kostete mich viel Kraft, die Lippen an ihre Wunde und meinen Arm an ihre zu pressen.
Ein leises, dunkles Stöhnen entkam mir, als ich meine Kraft langsam verlor und meine Finger nur noch schwach andeuteten, wann Lin trinken musste, doch das war mittlerweile ohnehin egal. Es war wie ein Strudel, das Ritual leitete uns beide und Instinkte setzte ein und wir wussten beide, wann wir gegenseitig unsere Essenz mussten.
Wir wurden eins.
Das Band knüpfte sich enger und zog sich um uns herum zusammen. Ich wurde zu Linnea und Lin wurde zu mir.
Mein Blut wurde ihres und ihres meins.
Ein heißer Schauer durchfuhr mich und ich wusste, die letzten Schlucke Blut kündigten sich an. Unsere Atmung wurde schleppend und langsamen, doch immer im Einklang. Die Herzschläge verlangsamten sich ebenfalls und als ich ein letztes Mal schluckte, ich auf Lin zusammensackte, mich ein beängstigens, aber zufriedenes Gefühl davon schwemmte und ich starb, tat ich es mit einem Lächeln auf den Lippen.
***
Ich erwachte, schnappte nach Luft und richtete mich verwirrt auf.
Der Zustand hielt geschlagene zehn Sekunden, ehe ich hinabsah und Lin betrachtete. Ein erleichternder Laut entkam mir, als ich sah, dass ihre Wunden verheilt waren.
Mein Herz raste, meine Lippen bebten und ich wartete. Wartete darauf, dass sie aufwachte und mich hasste.
Als Lins Lider flatterten, hielt ich die Luft an und sagte mir stumm immer denselben Satz.
Sie lebt, das ist alles, was zählt. Sie lebt. Sie lebt. Sie lebt.
Ich kroch auf sie zu und sah sie an.
Sie lebt, das ist alles, was zählt. Sie lebt. Sie lebt. Sie lebt.
Linnea öffnete schlagartig sie Augen und setzte sich auf.
»Ich ... lebe«, sagte sie überfordert und sah sich um. Ihre Augen bewegten sich schnell und erfassten in Sekunden den Raum, dann sich selbst und dann starrten sie zum Schluss mich an. »Azael«, flüsterte sie und hielt sich den Kopf. »Das war ... also kein Traum. Du bist wirklich hier.« Plötzlich weiteten sich ihre Augen und sich sah sich noch mal um. »Nein.« Ihre Aufmerksamkeit lag unmenschlich schnell wieder auf mir. »Du ... hast mich ... Gott!«, stieß sie geschockt aus und ihre Atmung beschleunigte sich panisch.
»Ruhig«, setzte ich an. »Versuch, ruhig zu bleiben. Du bist ...« Ich schluckte, als mich ihre Panik erreichte. »Es gab keinen anderen Weg. Es ... es tut mir leid, Linnea.«
Es war so weit. Gleich wäre alles, was ich spüren würde, der Hass, den sie für mich empfinden würde. Alles, was bleiben würde, wäre Verachtung und Geringschätzung. Sie wollte nicht so sein. Vielleicht wäre es ihr lieber gewesen, zu sterben, als ein Dämon zu werden. Auch wenn sie es früher wollte, war ihr der Preis damals doch zu hoch gewesen. Was sollte sich jetzt geändert haben?
»Doch! Du hättest mich sterben lassen können«, fuhr sie mich an. Linnea wollte aufstehen, aber ihre Beine waren noch etwas unsicher, also fiel sie zurück auf die Knie. »Ich ... kann doch so nicht leben. Wie soll ich meiner Mutter noch einmal entgegentreten?«, fragte sie und sah mich mit einer Mischung aus Verachtung und einem Funken liebe an.
Ich sah sie an. Starrte sie an und .... weinte. »Ich ... ich konnte dich nicht sterben lassen. Ich ... ich ...« Was sollte ich sagen? Was sollte ich tun? Was HATTE ich getan? »Ich ... liebe dich. Ich ...« Meine Schultern bebten und ich grub meine Hände so tief und fest in den Boden, dass die dreckigen Holzdielen nachgaben und splitterten. Ich hasste mich. Hasste, dass sie mich hasste, und hasste, dass ich wusste, ich würde es wieder tun, um sie zu retten.
Ich spürte, dass sie mich anstarrte.
»Azael«, sagte sie irgendwann, aber ich reagierte nicht. »Azael«, wiederholte sie und rutschte näher zu mir. »Ich ... fühle es, okay? Ich fühle alles und verdammt, es zerreißt mir mein Herz!« Ich sah auf und erkannte, dass sie die Hand auf der Höhe der Montur, dort wo ihr Herz schlug, in den Stoff gekrallt hatte. »Wie hast du nur geschafft, diese Gefühle zu ertragen?«
Gar nicht, hätte ich am liebsten geantwortet. Doch alles, was ich tat, war die Hand zu heben, und sie auf ihre zu legen. Genau dort ihre zu umfassen, wo jetzt ein Herz schlug, das mit meinem im völligen Einklang war.
Ich richtete mich auf und mein Blick wanderte zu ihren Augen. Augen, unter deren Grün nun eine dämonische Form lauerte. Ich betrachtete sie. Ihr Gesicht, das jetzt etwas feiner wirkte. Wimpern, die etwas länger waren, Haut, die etwas reiner war, Lippen, die etwas voller wirkten.
Ohne es wirklich steuern zu können, setzte ich mich auf die Knie und neigte den Kopf in ihre Richtung. Meine Lippen schwebten genau eine Millisekunde über ihrem Mund, ehe ich sie auf ihre legte und sie küsste.
Es war verzweifelt und doch fühlte ich mich, als wäre für eine kleine Sekunde alles perfekt. Als dürfte ich mir diese Berührung stehlen und als sei sie ›mein‹. Meine Zunge strich über ihre Haut und ich wartete nicht, sondern intensivierte den Kuss einmal, bevor ich abließ und meine Stirn an ihre legte.
»Lin«, raunte ich heißer und küsste ihre Nasenspitze.
Sie ließ die Berührungen zu und ihre Atmung und ihr ganzer Körper beruhigten sich allmählich. »Azael«, sagte sie, hob ihre Hand und berührte meine Haut. »Ich ... habe dich so sehr vermisst.«
Lins Finger wanderten in meinen Nacken und sie war diesmal diejenige, die mich küsste. Sie verzog dabei schmerzlich das Gesicht und küsste mich voller Leidenschaft.
Ich zog sie an mich, sodass wir beide im Blut knieten und und diesem Kuss hingaben, für den sie vielleicht noch nicht mal bereit war, wenn sie die Zeit hätte, nachzudenken.
Es gab so viel, dass ich ihr sagen wollte. So viel, dass ich sagen musste. Aber ...
»Also ich will jetzt nicht der Spielverderber sein, ihr dämonischen Turteltauben«, räusperte sich Cahir, der in den Raum getreten war, »aber ihr habt echt nicht die Zeit, für ein ›Stelldichein‹. Die Illusion, mit denen ich die Jäger, sieben an der Zahl, nämlich beschäftige, hält nicht ewig und sie werden merken, dass hier etwas nicht stimmt.«
Ich zuckte nicht zusammen, als er einen der Jäger neben uns warf und der Mann, der offensichtlich durch eine Halluzination wie betäubt wirkte, neben uns aufschlug.
Ich löste mich von Lin und nun war es an mir das Gesicht zu verziehen. Mein Blick glitt von dem Menschen zu Lin und ich beobachtete sie, als Cahir sie angrinste und sagte: »Willkommen zurück unter den Lebenden, Süße. Nur, wenn das so bleiben soll, musst du Blut trinken. Und zwar alles.«
Sie sah zu Cahir und dann zu dem Mann. Ihre Augen huschten sofort zu mir. »I ... Ich kann nicht ... ich kenne ihn. Ich bin mit ihm hierher gekommen«, erklärte sie überfordert. Dann Blick sie zurück zu Cahir. »Kannst du nicht einen Fremden holen. Irgendjemanden, der verdient hat zu sterben? Ich kann ihn nicht töten, nicht Josef.« Linnea legte die Arme um den Körper und sah flehend zu mir.
Und wieder kam der Selbsthass. »Es tut mir leid«, meinte ich dunkel und schüttelte leicht den Kopf. »Du hast keine Zeit. Es muss jetzt sein. Wenn nicht-«
»Stirbst du«, beendete Cahir meinen Satz und sah Lin an. Er beugte sich hinab zu uns, nahm mitleidslos den Arm des Mannes und biss hinein. Dann hob er die Gliedmaße regelrecht unter Lins Nase. »Er spürt nichts. Ich habe ihn in einer Illusion gefangen. Alles, was er sieht, ist ein erfülltes Leben mit den Menschen, die er liebt.«
»Was?«, fragte sie und sah zwischen Cahir und den Blutungen Arm hin und her. Sie schluckte schwer und beugte sich runter. Verlangend leckte sie sich die Lippen. »A ... Aber...«, hauchte sie und starrte auf das Blut. »Ich will keine Mörderin werden.«
»Lin, du-«
»Ach Herrgott noch mal! So schwer ist das nicht«, schimpfte Cahir und ehe ich begreifen konnte, was er tat, noch benebelt von meinen Gefühlen und dem Ritual, drückte mein Freund den Arm an Lins Lippen und besiegelte ihr Schicksal.
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