Kapitel 32. Azael

Meine Panik war allumfassend.
Die Viper hatte Linnea.
Sie hatte sie einfach mitgenommen.
Sie hatte SIE!

Noch mit dem Blut des Hundedämons bedeckt, stürmte ich, vollständig in meine Flammen gehüllt, unter den Berg. Cahir neben mir, ebenfalls voller Höllenhundblut, denn mein Freund war am Ende des Kampfes dazugekommen.

Gott, wie ich gekämpft hatte. Wie brutal ich versucht hatte, das Vieh so schnell es ging, niederzumachen, nur um Lin zurückzuholen.
Ich verbrannte die Tür meiner Mutter zu Asche und brüllte den Raum betretend: »WO IST SIE?!«

Die Viper, scheinbar die Ruhe selbst, sah nicht mal auf, sondern beschäftigte sich weiter mit ihrem Papierkram.

Ein dominantes Knurren brach aus mir heraus, meine Flammen stoben auf und wirbelten durch den steinernen Raum. Alles verbrannte. Papiere, Ordner, das Telefon schmolz und die Bilder an der rohen Wand bröselten in dicken, glühenden Stücken auf den Boden.

»WO, MUTTER?!«

Nun seufzte sie und sah doch auf. »Ich nehme an, du meinst das kleine Halbblut, das bei dir in dem Dreckloch unterkommt? Weißt du, was ich mich frage, Azael? Warum wohnst du überhaupt dort? Du bist einer der vermögendsten Männer der Welt. Du könntest dir ein Schloss kaufen. Ein Herrenhaus. Eine Villa. Sogar eine verdammte Insel. Aber nein, du ziehst es vor in einer kleinen, versifften Bleibe mit fremden Menschen zu wohnen. Was soll das?«

Was?! Ich biss heftig die Zähne zusammen, sodass sie hörbar knirschten. »Ich schwöre dir, auf meine schwarzen Flammen und mein unsterbliches Leben, dass ich den verdammten Berg zum Einsturz bringe und dich eigenhändig in Stücke reiße, wenn du mir nicht sofort sagst, wo Linnea ist.«

Cahir, hinter mir, sog scharf Luft ein und spannte sich an, während der Blick meiner Mutter sich verfinsterte. »Was, wenn sie tot ist?«

»Ist sie nicht.« Das spürte ich. Doch sie hatte Schmerzen, hatte gelitten. Stundenlang gelitten, als ich den Hund bekämpft hatte, hat Lin sicherlich das Schlimmste ertragen, ohne, dass ich für sie da war. »Ich habe ihr mein Wort gegeben«, erklärte ich, »dass ich sie beschütze.«

Meine Mutter lachte. »Versprich nie, was du nicht halten kannst, Junge.«

Mein Knurren klang noch nie so bestialisch wie jetzt. Selbst mein Freund trat einen Schritt zurück und sah etwas achtsamer aus. Als müsse er jetzt nicht nur mit einem angriffsbereiten Löwen, sondern zweien in einem Raum sein.

Meine Mutter schnaubte nur und wedelte gelassen aber grazil mit der Hand. »Ihr seid verbunden. Geh sie doch selbst suchen und behellige mich nicht. Ich werde derweil«, sie stand auf und streckte sich wie eine Katze, »deinen Saustall aufräumen.«

Ich blieb stehen und starrte sie an. Dann drehte ich mich auf dem Absatz herum und folgte dem Gefühl, das mich zu Linnea führen würde. Der innere Radar, der mir stets sagte, wo sie war. Ich lief, nein, rannte fast, weiterhin in schwarzes Feuer gehüllt, den Berg hinab und bog immer wieder ab. Gänge entlang, Tunnel hinab und hinauf. Drängte mich durch enge Spalten und riesige Höhlen, nur um zu ihr zu gelangen.
Niemand wusste, wo der Berg war, nur wir Dämonen. Niemand kannte die Wege, außer mir, meine Mutter und eine Handvoll anderer ranghoher Dämonen.

Es war ein Gefängnis, eine Folterkammer und eine Grabstätte zugleich. Die Schreie, das Wehklagen und der Geruch nach tot überlagerten jeden Gedanken und machten dieses ausschließlich durch Fackeln erhellten Ort zu einer Hölle, die ihresgleichen suchte.

Ich ignorierte, den Verwesungsgestank und die halb toten Dämonen, die in Obsidianschellen an Wände gekettet waren oder von den Decken daran hinab hingen.

Ich lief und lief und lief.
Als ich an der Zelle ankam ...

Meine Macht schmolz die Gitter binnen Sekunden und ich stürmte auf Lin zu, die schwer verletzt und kaum noch am Leben auf dem Boden lag. Selbst der überwältigende Geruch ihres Blutes, der mir in Mark und Bein vordrang und mir das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ, konnte die Angst nicht ablösen, die mich bei ihrem Anblick erfasste.

»Liebes«, raunte ich leise und trat dicht an sie heran. Ich kniete mich hin und zog sie vorsichtig auf meinen Schoß. Cahirs Flüche ignorierend, strich ich ihr, blutverschmierte Strähnen aus dem zerschnittenen Gesicht. »Lin? Hörst du mich?«
Sie wachte nicht auf, sondern war gefangen in Bewusstlosigkeit und ich sollte eigentlich froh sein, dass es so war.

»Az«, setzte Cahir an, doch ich unterbrach ihn.
»Ich weiß.« Rasch ließ ich meine Krallennägel wachsen, schnitt mir in den Arm und legte die blutende Stelle auf ihren Mund. Es floss zwischen ihre Lippen, glitt ihre Kehle hinab und ich wartete geduldig, bis es Wirkung zeigte.

»Az-ael«, sagte sie tonlos und bewegte dabei kaum die Lippen. Ihre Lider flatterten und öffneten sich dann. Erschöpft fixierten sie mich.
Pure Erleichterung packte mich und mein Herz wurde eine Tonne leichter. »Ich bin hier. Ich bin bei dir«, flüsterte ich und sah sie an. »Du musst noch etwas Blut von mir nehmen, Lin. Es hilft dir beim Heilen.«

Aber es macht dich abhängig, wenn du zu viel nimmst, dachte ich und seufzte. Dennoch ritze ich tiefer in meine Haut und ein Schwall ergoss sich in ihren Mund.

Cahir warf mir einen warnenden Blick zu, doch ich ignorierte ihn. Ihre Wunden mussten heilen. Jetzt. Es war mir lieber, sie stand gesund auf ihren Beinen und konnte rennen, wenn es nötig wäre. Wenn sie danach einen kleinen Entzug machen musste, dann war es eben so. Wir würden das schon schaffen.

»Trink«, forderte ich also und presste die Wunde an ihre Lippen.

Sie nickte nur und saugte an dem Schnitt. Dabei stöhnte Lin auf, während sie mein Blut runterschluckte, und ihre Lider flatterten im Blutrausch. Ihre immer noch in Ketten gelegten Hände, griffen meinen Arm und sie zog mich stärker an sich.

»Wieso ... Schmeckt dein Blut so gut?«, fragte sie nuschelnd an meinen Arm und leckte sich die Lippen, bevor sie sich an mir festsaugte.

»Weil ich ein Dämon bin«, gurrte ich, als die Lust mich selbst fast verrückt machte. Ich hatte ganz vergessen, wie es war, wenn jemande mein Blut nahm. Nach Maha, die vor Lin die erst war, hatte ich es vergessen. »Aber nimmst du zu viel davon«, raunte ich heißer, »Macht es dich abhängig. Es wird wie eine Droge. Schlimmer als Heroin. Ich ...« Ich bis die Zähne zusammen, als Lust und Blutverlust eine unschöne Mischung wurden. »Genug, Liebes. Deine Wunden verheilen schon. Hör auf. Es wird nur schwerer für dich, wenn du mehr trinkst.«

Cahir stellte sich zu mir, bereit Lin wegzuzerren, wenn nötig. Dann hörte ich, wie er scharf Luft holte. »Ihre Augen, Az.«

Weil ich meine vor Verlangen geschlossen hatte, öffnete ich sie wieder und sah Lin an, die mir entgegenblickte. Begierig und voll erregtem Verlangen, sah ich in ein grünes und nun ein rotes Auge.

»Was zum ...«, setzte ich an. »Lin, hör auf. Du hast genug.«

Nein, mach weiter! Trink. Nimm alles. Gott, so gut ...

Cahir trat näher.

»Ich kann nicht«, nuschelte Lin mit den Lippen weiterhin an meinem Arm. Wieder keuchte Lin und leckte über die Wunde. »Gott ... Azael, ich brauch dich.« Sie stöhnte und saugte und saugte, bis auch mir ein laut der Begierde entkam.

»Az«, warnte Cahir wieder, doch ich sagte nur: »Lass sie. Nur noch einen Moment.«

Oh Gott, diese Lust! Es war ...

Ich schloss die Augen und lehnte meine Stirn an ihre, während sie mein Blut aufnahm und ihre Wunden plötzlich blitzschnell heilten. Alle Schnitte und Stichwunden wuchsen zu und nur das Blut zeugte davon, das sie je verletzt gewesen war.

»Ich liebe dich«, raunte ich leise und Zeit verschwamm. Sekunden wurden zu Minuten, diese dann zu Stunden. Keine Ahnung, wie lange sie sich an mir bediente. »Ich liebe dich, Lin ... Ich ...«

»Es reicht«, bestimmte mein Freund und riss Linnea letztlich von mir los.

Ich atmete schwer und sah meine Kleine an. Diese wundervolle Frau, der mein Herz gehörte. Wie viel Blut hatte sie sich von mir genommen? Dem Schwindel nach zu urteilen, eine Menge. Aber solange es ihr besser ging, war es okay für mich. Ich würde ihr ohnehin alles geben, wenn es sein müsste.

»Dein rechtes Auge ist rot, Lin. Was ... hat meine Mutter mit dir gemacht?«

Ich stellte die Frage, wollte die Antwort aber eigentlich nicht wissen.

Linnea atmete ebenso schnell und unregelmäßig, leckte sich die Lippen und sah sichtlich ungern von meinem Arm zu mir hoch. Dann kurz zu Cahir und wieder an sich hinab. Sie blinzelte und hielt sich dann den Kopf. »Was? Mein Auge ist rot? Ich ... deine Mutter-« Linnea kniff die Lider fest zusammen und legte die Arme um ihren Körper. »Sie hat Experimente mit mir durchgeführt. Sie sagte, ich hätte womöglich Kräfte, die sie aus mir-«, ein Schauer erfasste sie und Lin drückte plötzlich die Hände auf ihre Ohren und schrie: »Es soll aufhören! Bitte!«

Ich war sofort bei ihr und zog sie in meine Arme. »Scht, Liebes. Ich bin hier. Ich bin bei dir. Scht, es wird alles gut, es-«.

»Wird es das, ja? Wir alles wieder gut und schön und sorgenfrei?«

Den Kopf zu meiner Mutter drehend, schmolz ich Lins Fesseln mit meinem Feuer, ohne sie zu verbrennen. »Was hast du getan?«

Sie zuckte nachlässig mit der Schulter und lächelte amüsiert. »Hier ein Schnitt und da etwas Blut. Hier ein Dolch im Körper und wieder etwas Blut.« Erneut zuckte eine Schulter nach oben. »Es hat nichts gebracht. Weder heilt sie, noch hat sie durch das dämonische Blut Kräfte gezeigt.«

»Wir wissen schon«, knurrte ich, »dass Halbdämonen nichts von uns Vollblutdämonen haben. Warum das also?«

Die Viper hob einen Finger, als ich aufstand und Lin dabei in den Armen behielt. Sie sah mich etwas verärgert an, doch sie versteckte die Emotion hinter einer Fassade. »Ah, aber wir wussten auch nicht, dass Mischlinge sich mit uns verbinden können, hm? Ich dachte, eventuell ist sie etwas Besonderes. Aber ich habe mich wohl geirrt.«

Nein, das hatte sie nicht. Lin war besonders.
Für mich war sie besonders.

Mutter, die scheinbar meine Gedanken las, schnalzte mit der Zunge. »Du sentimentaler Narr. Liebe, Az? Ich dachte, ich hätte dir das ausgetrieben, als ich den Kopf deiner kleinen Hure Maha verdreht habe, als sie deinen verdrehte.«

Ich verspannte mich und selbst Cahir entkam ein kleines Brummen, dass die Viper jedoch mit einem dezenten Blick in seine Richtung erstickte.

Ich hasste sie. Hasste sie für das, was sie mir genommen hat und dafür, was sie Lin angetan hatte.

»Hast du den Höllenhund auf mich gehetzt?«

»Vielleicht ja, vielleicht nein? Wer weiß das schon?«

»Dafür zahlst du, Mutter«, drohte ich und meinte es tatsächlich ernst. Ich würde sie umbringen. »Du gehst zu weit. Überschätze dich nicht.«

Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht und wurde von einem Zähnefletschen ersetzt. »Oh, Junge, der Tag, an dem du mir entgegentrittst und eine Chance hast, liegt noch weit vor uns.«

»Du unterschätzt mich.« Ich zog Lin enger an mich.

Die Viper lachte tonlos und es klang wahrlich wie das Zischen einer Schlange. »Nein, du überschätzt dich, Azael.«

Wir starrten einander an. Cahir an meiner Seite.
Irgendwann kniff ich die Augen zusammen und sagte schlicht: »Wir gehen und du lässt uns von heute an in Ruhe.«

Nun kehrte das Lachen auf ihren Lippen zurück und sie sah zu, wie ich, mit Lin im Arm und Cahir als Rückendeckung, aus der Zelle mit den geschmolzenen Gittern, an ihre vorbeilief.

Doch am Ende des Gangs, der und den endlosen Weg hochführen würde, um den Berg zu verlassen, fragte sie, laut genug, sodass Lin es hören konnte: »Weiß sie, dass du ihren Vater geköpft hast? Und das ihre Mutter eine Jägerin wurde, um dich zu vernichten? Den Mörder ihres geliebten Mannes zu töten?«

Ich verspannte mich, atmete tief ein und hielt die Luft an. Mein Herz stoppte und ich lief sehr viel langsamer weiter, als zuvor.

Nein. Nein. Nein. ICH musste ihr das sagen. ICH. Nicht die Viper. Es war meine Aufgabe, Lin das zu gestehen, unter Bedingungen, die ... anders waren. Besser.

Ich ...

Cahir, hinter uns, wirkte genauso angespannt und ich wusste, dass sein Blick auf Linnea in meinen Armen lag. Er sah sie an, beobachtete sie und tat das, was ich nicht konnte. Ihr entgegensehen.
Linnea starrte erst an Cahir vorbei, die Viper an, bevor sie dann Cahir direkt anblickte. Immer noch mit zwei verschiedenen Augenfarben hob sie nach einer gefühlten Ewigkeit den Blick und sah hoch zu mir.

Ich sah ihr weiterhin nicht entgegen.
Auch nicht, als sie verletzt und angeschlagen fragte: »Du ... warst das? Du hast ... ist das wahr? Du hast ...« Ihre Atmung wurde schneller und Lin legte eine Hand auf ihren Brustkorb. Und an eben jener Stelle, spürte ich plötzlich einen bitteren Schmerz. »Du hast meinen Vater ... DU?« Panisch atmete sie ein und wieder aus. Ihre Hände wanderten hinauf und legten sich auf ihr Gesicht. Sie vergrub es zwischen ihren Fingern und versteckte sich regelrecht in ihren Handflächen.

Dann ... stieß Lin ein Schrei aus. Er war wütend und triefte nach Verrat und ich taumelte, so massiv spürte ich ihre Gefühle selbst.
Mir wurde schlecht, als ich fühlte, wie tief sie es traf, dass ich ihr das nicht gesagt hatte. Ich spürte, wie schlimm es für sie war und wie sie litt. Wie der Verlust ihres Vaters noch immer an ihr nagte und wie sie erkannte, dass ich für diesen Verlust die Verantwortung trug. Es war nie meine Entscheidung, aber ich war der Henker.

Ich spürte alles, was Lin fühlte, und hasste mich in diesem Moment, als ich mit ihr im Arm die Eingeweide des Berges verließ und mich auf den Weg machte.

Auf den Weg nach Hause.

***

Cahir fuhr uns in meinem Wagen heim.
Ich saß mit Lin auf dem Rücksitz und hielt sie wie ein Baby in meinem Arm. Sie hatte so lange geschrien, bis ihre Stimme nur noch ein Flüstern war, und dann blieb sie stumm. Aber nach der Stille kamen die Tränen und das Schluchzen. Nach den Tränen wieder Stille und egal, wie oft ich sie ansprach, Linnea antwortete mir nicht. Sie sagte kein einziges Wort zu mir. Sie schrie mich nicht an, verfluchte mich nicht, sagte nicht, dass sie es verstand oder sonst irgendetwas dazu.

Es war die Hölle.

Mit ihrem anhaltenden Schweigen strafte sie mich mehr, als mit Schlägen oder bösen Worten.
Cahir fuhr uns den halben Tag, bis wir in der Wohnung ankamen und ich eine apathische Lin auf die Couch legte und zudeckte. Ich lief in ihr Zimmer, nahm ihr Einhorn. Als ich zurückkam, flüsterte Cahir ihr gerade etwas ins Ohr, küsste sie auf die Stirn und verließ mit einem letzten, vielsagenden und mitleidigen Blick die Wohnung.

Ich ... wusste nicht, was ich machen wollte, als blieb ich stehen. Blieb stehen, sah zu, wie sie ihr Einhorn, das ich neben sie gelegt hatte, nahm und sich von mir wegdrehte.

Ich wartete.
Mir blieb nichts anderes, als zu warten.
Also tat ich es.
Würde warten, bis sie einschlief.
Würde warten, bis sie aufwachte.
Ich würde so lange warten, bis sie mit mir sprechen wollte.

Es dauerte fast 12 Stunden. 12 Stunden, in denen ich mich hätte auf das Gespräch vorbereiten können und in denen ich doch nichts getan hatte, als sie anzusehen, über sie zu wachen und diesen Schmerz in meiner Brust nachzufühlen, den sie mir sendete.

Ich wartete.

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