Kapitel 10. Azael
Meine Hände umschlangen Maha, während ich auf dem Feld, weit abseits der Stadt stand.
Ich zitterte, drückten sie an mich, ließen locker und zitterte stärker.
»Nein«, raunte ich. »Nein.«
Warum sie?
Ich holte tief Luft und meine Lippe bebte, als mir endlich Tränen über die Wange liefen. Ungebremst und voller Reue, schluchzte ich. Ich trauerte, um das Leben, das man mir genommen hatte.
Meine Liebe.
»Maha, nein«, raunte ich heißer und leise.
Warum hatte sie das getan? Warum hatte sie mir Maha genommen?
Warum?!
Ich zog Mahas Leiche an meine Brust und sank auf die Knie. Ihr Kopf kippte in einem seltsamen Winkel nach hinten, während ich mein Gesicht an ihrer Haut vergrub und weinte. Ich streichelte sie, krallte mich in ihr Gewand und betastete jeden Zentimeter ihres Körpers. Das dunkel lange Haar, die schmalen Arme und sie schlanke Taille. Die feine Nase, die hohen Wangenknochen und die schmalen, aber doch wunderschön geschwungenen Lippen. Sie war so schön. Als Mensch wie als Dämon. Selbst tot war sie perfekt.
Es war Folter und ich wünschte mir den Tod.
Sie zu verlieren, war das Schlimmste und ich war machtlos.
Es gab kein Zurück.
Ich hob den Kopf gen Himmel und schrie minutenlang meinen Zorn und all meine Qual in die Wolken.
Erst als mir die Luft ausging, senkte ich den Kopf wieder und einzig das Zucken meiner Schultern zeigte, wie sehr ich litt.
»Azael?« Cahir, der nun hinter mich trat, legte einen Arm auf meine Schulter.
»Sie ist tot. Maha ist ...« Meine Stimme war rau und belegt. »Warum hat sie das getan, Cahir?«
Mein Freund sah mich mitleidig an. »Ich weiß es nicht, mein Bruder.«
Ich schluchzte wieder und zog sie enger an sich, einfach nicht bereit zu gehen und ohne sie leben zu müssen.
»Ich kann nicht«, flüsterte ich an die langsam kälter werdende Haut. »Es tut mir so leid. Ich ... Es tut mir so leid, Liebes. Es ist meine Schuld, weil ich dich liebe. Weil ich dich begehre, hat sie dich getötet ... Es tut mir so, so leid.«
Wie viel Qual konnte eine einzige Seele ertragen?
Meine Verzweiflung stieg und so wurden auch die Laute und Geräusche der Schmerzen lauter und intensiver.
Cahir schluckte.
Irgendwann holte ich scharf Luft und sah dann ruckartig zum Horizont. Nach mehreren Atemzügen straffte ich mich und richtete mich zu voller Größe auf. Meine Flammen brachen aus mir und umhüllten uns, ohne Mahas Körper zu verbrennen. Ich suchte einen geeigneten Platz, legte die Liebe meines Lebens ab und begann, mit bloßen Händen zu graben. Und mit jeder Handvoll Erde und Dreck, die ich unter Cahirs Beobachtung hinter mich schmiss, baute ich eine schützende Mauer um mich.
Stein um Stein bildete ich einen Schutzwall, der meine Gefühle drinnen behielt und die Äußeren abhalten sollte, einzudringen.
Stein für Stein, bis mein ganzes Sein, unzugänglich für jedermann wurde.
Ich erwachte schwer atmend und saß stocksteif und vollkommen in Flamen gehüllt, nur in engen, weißen Boxershorts, in meinem Bett. Mein ganzes Zimmer war am Brennen und es roch nach Asche.
»Scheiße«, fluchte ich und zwang mein schwarzes Feuer zurück, bis es nur noch meine Haut berührte.
Wann hatte ich das letzte Mal von ihr geträumt?
Ich schluckte die Gefühle herunter, als die Tür meines Zimmers aufging und Lin im Rahmen stand.
Es war eine Woche her, seit wir den Club verlassen hatten, und bis jetzt hatten ich und Lin kaum mehr ein Wort gewechselt. Nicht dass wir uns vorher viel unterhalten hätten, doch ... nun, sie wusste nun, was ich war.
Ich sah sie in dem kindischen Nachthemd dastehen und schüttelte den Kopf. Meine Haut noch immer am Brennen.
Linnea sah sich um und schnupperte.
»Willst du die ganze Wohnung abfackeln?!«, fragte sie aufgebracht.
Ich hob eine Braue. Nett.
»Deine Besorgnis rührt mich, Sonnenschein.« Langsam stand ich auf und setzte mich an den Rand des Bettes. Ich rieb mir über das Gesicht und versuchte, mein Feuer zurückzurufen, doch der Traum ...
Mahas lebloses Gesicht ...
Die trüben Augen ...
Sie weigerten sich einfach zu gehen. Als wollte mich meine Macht vor den Schmerzen in mir beschützen.
Auf den weichen Teppich, der nun hier und da angekoppelt war, sehend, rieb ich mir durch nun auch durch die Haare. »Keine Panik. Die Flammen sind nicht mehr heiß.«
Maha.
Maha.
Maha.
Als würde jemand meinen Blick ohne mein Zutun heben und daran zerren, sah ich zu Lin. In diese grünen Augen, das zerzauste Haar, das ungeschminkte Gesicht.
So gefiel sie mir deutlich besser.
Linneas zögerte, tapste aber dann langsam auf mich zu und setzte sich neben mich. Selbstverständlich immer noch mit einem kleinen Abstand. Aber es war nicht nahe genug. Es könnte nie nahe genug sein.
»Alles okay?«, fragte sie besorgt und hob die Hand. Offensichtlich wollte sie sie auf meinen Rücken legen, entschied sich aber um und ließ sie wieder sinken. »Hattest du einen Albtraum?«
»Albtraum«, wiederholte ich und starrte an meine Wand, an der die verschiedensten Klingen aus den unterschiedlichsten Jahrhunderten, fein säuberlich und in passenden Halterungen, hingen. »Ja, so kann man es nennen.«
Erinnerung traf es jedoch besser. Ich verbesserte sie jedoch nicht und starrte ins Leere, während meine Flammen kleiner wurden, dem Raum mit ihrer Finsternis allerdings jedes Licht stahlen, dass der Mond durch das Fenster warf.
Ich hob die Hand und ließ eine Flammenzunge zwischen meinen Fingern tanzen. Wie eine Schlange wand sich das Höllenfeuer und knisterte fröhlich.
Faszinierend von der Magie, starrte Linnea auf meine Hand und flüsterte: »Tut mir leid. Auch, wenn du ein ... Dämon bist, sollst du wissen, dass ich ... a ... also ... das du mit mir reden kannst.« Ihre Aufmerksamkeit huschte nach dem etwas unbeholfenen Angebot zu meiner Klingen-Sammlung und sie erschauderte. »Das ist ziemlich unheimlich. Durfte ich deswegen zuvor nie in dein Zimmer?«
Ich nickte und sah ihr entgegen, dabei streckte sich mein Feuer in ihre Richtung und ich runzelte die Stirn. Seltsam. Die Hand höher gehoben, kam ich mit den Fingern näher. Meine Flammen, sie ... streckten sich weiter zu ihr. Neugierig. Mein Blick hob sich und ich sah Lin ins Gesicht. »So ein Sammelsurium an modernen und antiken Waffen schüchtert ein. Zumal wollte ich verhindern, dass du dir eine schnappst und mich hinterrücks erstichst.«
Sie nickte ebenso, schmunzelte aber. »Ich habe zwei linke Hände. Wie hätte ich das bewerkstelligen sollen?« Sie zeigte mir ihre Hände und schaute dann auf die Flammen. »Haben die ihren eigenen Willen?«
Ich lachte auf. »Du warst geschickt genug, das Schloss zu knacken, oder?« Mein Schmunzeln verschwand. »Nein. Sie beugen sich meinem Willen. Ich bestimme, wie sie sich verhalten. Ob sie heiß, oder«, ehe sie reagieren konnte, schnappte ich übernatürlich schnell ihre Hand und verflocht unsere Finger. Dabei ließ ich das Feuer über ihre Haut tanzen. »-ob es kalt ist.«
Mein Ziel war es, sie zu erschrecken, doch als meine Hand, die im Vergleich zu ihrer so riesig war, dass Lins zarten Finger fast verschwanden, hielt ich die Luft an. Ich runzelte wieder die Stirn und eine eigenartige Vertrautheit packte mich und ließ nicht wieder los.
Nein. Nein, das ...
Ich starrte Linnea an.
»Krimis schauen und lesen lohnt sich eben«, erklärte sie stolz und sah dann mit einem Lächeln die Flammen an. »Wow, die sind wirklich kalt und tun gar nicht weh.« Die Flammen spiegelten sich in ihren Augen und ihr Lächeln wurde sanfter, als sie zu mir aufsah. »Das ist unglaublich.«
»Warum hast du keine Angst?«, fragte ich leise und dunkel, während ich meine Hand löste und die Flammen zurückzog und erloschen.
Sie irritierte mich. Mich! Einen 9620 Jahre alten Dämon! Es verwirrte mich, dass ich sie wollte.
Bis jetzt gab es nur eine einzige Person, die mich nach nur so kurzer Zeit nicht gefürchtet hatte. Und weil sie das getan hatte, war sie nun tot. Weil wir einander geliebt hatten, wurde sie mir genommen. Die Bilder, die Erinnerungen und Träume kamen zurück und ich stand abrupt auf.
»Warum?«, fragte ich erneut, war mir aber nicht sicher, ob die Frage ihr galt, oder doch mir selbst und meiner neuerlichen Reaktion auf sie. Seit ich ihr Blut schmecken durfte, war da ... dieses Verlangen. Dieser Sog in ihre Richtung. Immer wenn sie nach Hause gekommen war, und mich gemieden hatte, aus Angst, hatte ich sie dennoch beobachtet. Hatte meine Blicke über sie schweifen lassen, wann immer sich unsere Wege in der kleinen Wohnung kreuzten.
»Ich weiß nicht. Es ist...« Linnea hielt inne, sah mich an und versuchte, zu begreifen. »Ich habe Angst. Aber ... irgendwie auch nicht. Es ist komisch und schwer zu beschreiben. Aber, die letzten Tage habe ich so eine Vertrautheit gespürt, als würde ich dich kennen und gleichzeitig irgendwie nicht«, erklärte sie und sah mich weiter an. Bis sie sich seufzend erhob und den Kopf schüttelte. »Sorry, ich rede Unsinn.« Lin rieb ihre Stirn und dachte angestrengt nach. »Ich werde gehen. Bevor ich noch mehr Mist rede und du mich für verrückt hältst.«
Damit wandte sie sich ab und lief zu Tür.
Vertrautheit.
Als würde ich dich kennen.
Ich stand vor ihr, ehe sie blinzeln konnte, und versperrte ihr den Weg. Dumm, das war wirklich dumm.
»Du kennst mich nicht.«, wiederholte ich und sagte das wahrscheinlich nur, um mir selbst zu erklären, was dieses plötzliche IRGENDWAS war. »Ich kenne dich nicht.«
Lass sie gehen, Az. Sie will nicht hier sein. Nicht wirklich.
Meine Nasenflügel blähten sich, als ich sie witterte. Mir lief das Wasser im Mund zusammen, doch ich schluckte, und sah auf das verwuschelte Haar und dann auf volle Lippen. »Du hast das Parfum gewechselt, oder?«
Kein Vanillegeruch mehr. Jetzt roch sie dezent nach Orange. Ich grinste, weil es genau das war, was ich ihr gesagt hatte. Ob sie das bewusst entschieden hatte? Oder war es nur eine dieser kleinen unbewussten Taten, zu denen sich Menschen so gerne verleiten ließen?
»Was? J ... Ja ... Ich habe mein Duschgel und Parfüm geändert, aber woher weißt du-« Ihre Augen weiteten sich und sie wurde rot. »I ... ich habe das gemacht, weil ich selbst die Nase voll von Vanille hatte, kapiert? Das hat nichts mit dir zutun«, meinte Lin hastig und verschränkte gespielt gefasst die Arme vor der Brust. Dann fügte sie noch hinzu: »Und ja, wir kennen uns nicht. Deswegen sagte ich ja, ich rede Unsinn. Also vergiss, was ich sagte.«
Mein Mundwinkel zuckte und ich spiegelte ihre Geste, was zu Folge hatte, dass die Muskulatur meines Oberkörpers sich anspannte. Arme, Brust, Bauch. Die Viper auf meinem rechten Arm und der Brust schien sich auf meiner Haut zu schlängeln.
»Nur für dich. Natürlich«, sagte ich und sah auf sie herab. Dann, als der Blickkontakt zu intensiv wurde und meine Gedanken abdrifteten, leckte ich mir die Lippen. »Du solltest wohl wieder ins Bett.«
Dein Bett. Schnell.
Linnea Augen glitten über meinen Körper, schienen jeden einzelnen Muskel und jedes Tattoo zu begutachten. Als hätte sie meine Worte nicht mitbekommen, fragte sie: »Was hast du gesagt?«
»Ich sagte«, setzte ich erneut an und machte einen Schritt auf sie zu, sodass sie zurückwich, »du solltest-«, noch ein Schritt, der sie in den Raum drängte, statt hinaus, »in dein-«, weiter und weiter, bis ich sie so weit gedrängt hatte, dass sie an meine Matratze stieß und sich setzte, »Zimmer.«
Der Kuss kam mir in den Sinn.
Wie meine Hand ihr Bein berührt hatte.
Meine Finger auf dem Stoff ihres Tangas.
Meine Lippen auf ihren.
Meine Zunge in ihrem Mund.
Ihr Blut ...
Meine Augen juckten, doch ich hatte es im Griff.
»Ich ... okay ... ich gehe«, sagte Linnea schnell und stand wieder auf. Nun stand sie mir direkt gegenüber. So nahe, dass sich unsere Körper berührten. »Azael.«
Sie flüsterte, bewegte sich nicht.
Ihr Kopf war auf höhe meiner Brust und ihr Geruch brachte mich fast um den Verstand. Nun färbten meine Augen sich doch. »Ja?«
»Kannst du...«, begann sie, schluckte schwer und sah mich intensiv an, »mich küssen?«
Ich atmete tief ein und sagte leise in die sich bildende Spannung. »Ich kann. Ich will. Aber ich denke nicht, dass wir sollten. Was im Club passiert ist, war ...«
Etwas, das nicht wieder passieren sollte?
Immer wieder passieren sollte?
Beides?
»Ein Fehler«, ich hob die Hand und legte sie in ihren Nacken. Linneas Gesicht nach oben beugend, neigte ich meines zu ihr herunter, bis meine Lippen ihre fast berührten und unser Atem sich mischte. »Ein wirklich großer Fehler. Und-«
»Azael«, schnurrte jemand und ich erstarrte. »Störe ich?«
Ich ließ die Hand sinken und wandte mich dem Besucher zu, der im Wohnzimmer stand und interessiert zu uns sah.
Oh.
Mein Blick huschte zurück zu Linnea und ich biss die Zähne zusammen, bevor ich meine dämonische Form aufgab und meine Augen die Ursprungsform zurückerlangten. Ich lief zu meinem Stuhl und zog mir eine Jogginghose über, bevor ich mein Zimmer verließ und Linnea hinter mir her zerrte. Ich schob sie etwas ruppig in Richtung ihrer Tür und somit von mir weg. Erst dann antwortete dem uneingeladenen Gast dann: »Nein, natürlich nicht.«
Die kleine, zierliche Dämonin, mit den eisblauen Augen und den bis über den Hintern reichenden, schwarzen Haaren, legte den Kopf schief und grinste.
»Mir scheint«, setzte sie an und betrachtete Lin neugierig, »das es doch der Fall ist.«
Mein Kiefer spannte sich an. »Nein.«
»Hm«, machte sie. »Willst du uns nicht vorstellen?«
»Nein«, sagte ich zum dritten Mal. »Wie kann ich dir helfen?«
Sie hörte nicht auf Lin anzustarren, trat aber auf mich zu und beugte sich hoch. Ich kam ihr entgegen und sie legte die Lippen auf meine Wange. Eine Hand auf meine Brust gelegt, strich sie mir über die Haut und die Viper darauf und schnalzte mit der Zunge. »Ich wollte dich einfach sehen. Du hast dich schon eine Weile nicht mehr bei mir blicken lassen, und das, obwohl es so viel zu erzählen gibt.« Sie beugte den Kopf und den Oberkörper unnatürlich nach hinten und sah dabei Lin an. »Sehr, sehr viel, wie mir scheint. Das ist sie also? Das Halbblut?«
Ich sagte nichts, denn mir war klar, warum sie hier war. Die Sache im Club, mit den Zwillingen und Franke hatte sich wohl doch irgendwie herumgesprochen.
Lin rieb sich den Arm und sah an mir vorbei.
»Entschuldigen Sie«, begann sie, »aber wie sind sie in die Wohnung gekommen?« Dann machte es plötzlich Klick und ein unsicherer Ausdruck breitete sich auf ihrem Gesicht aus.
Oh nein. Sag es nicht, sag es nicht!
»Du solltest-«.
»Sind sie etwas auch ... ein Dämon?«
Ich konnte nicht reagieren. Niemand war schneller als die Frau, die jetzt in dämonischer Gestalt Linneas Kehle gepackt hatte und zudrückte. Sie nutzte nicht einmal ihre Magie, um Lin die Luft aus der Lunge zu saugen. Nein, sie griff sie oldschool an.
Ein zischendes Lachen entkam ihr. »Du weißt, was wir sind, Mensch?« Ich wollte eingreifen, hatte schon die Flammen unter der Haut parat, doch die Dämonin zischte mich an: »Vage es dich, Azael. Misch dich ein, und sie stirbt. Es kostete mich nur einen Gedanken und ihr Genick ist gebrochen.«
Ich erstarrte und atmete tief aus und noch schärfer atmete ich aus, als meine Mutter die Hand hob, Lin mit dem spitzen Nagel an der Wange schnitt und das Blut dann von ihrem Finger leckte.
Jemand, der diese Frau nicht kannte, sah die Reaktion der Viper nicht. Ich jedoch kannte die Frau, die mich geboren hatte, gut. Das leichte Weiten der Pupillen. Das dezente Öffnen der Lippen. Das kleine Zucken der geschwungenen Augenbraue.
Sie sah mich an. »So ist das also, Azael. Nun, das ist interessant.«
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