Kapitel 14

Regungslos blieb Shota davorstehen und starrte das dunkle Holz der Tür an. Auch wenn er es nicht erklären konnte, machte ihn allein der Anblick und der Gedanke, einzutreten, nervös und leicht panisch. Er konnte sich noch gut an die Gedanken erinnern, die ihn gequält hatten, als er das letzte Mal durch sie hindurchgetreten war. Er wusste, dass es unlogisch war Angst davor zu haben, beim Durchschreiten des Türbogens erneut in ein tiefes Loch zu fallen, doch er konnte nichts dagegen tun. Schon jetzt rasten seine Gedanken und er hatte wieder das Gefühl, dass er vollkommen versagt hatte. Seine Kehle begann sich zuzuschnüren. Unbewusst stolperte er zwei Schritte zurück und wäre fast auf dem Boden gelandet, hätten ihn nicht plötzlich ein Paar Hände aufgefangen.

„Alles in Ordnung bei dir?", fragte Toshinori besorgt und versuchte Shota wieder gerade hinzustellen. Die Stirn runzelnd betrachtete er seinen Kollegen, der einen leicht verstörten Blick aufgesetzt hatte und im ersten Moment gar nicht auf ihn zu reagieren schien, weil er weiter die Tür anstarrte, als hätte er ein Gespenst gesehen. „Shota?" Yagi wagte es gar nicht, ihn loszulassen, aus Sorge, dass Aizawa einfach umkippen könnte. Er war blass um die Nase und wirkte nicht sonderlich sicher auf seinen Beinen. Als ob ihn irgendetwas verschreckt hatte. Vielleicht hätte er doch lieber im Krankenhaus bleiben sollen, wo er weiterhin zur Ruhe gezwungen wurde. Was machte er überhaupt allein hier?

Es dauerte ein bisschen, bis der Dunkelhaarige sich wieder fing. Kurz schüttelte er den Kopf und sah dann in das ausgemergelte Gesicht seines Kollegen, während dessen blaue Augen ihn besorgt musterten. „Sorry", murmelte er, „ich war im Gedanken." Eigentlich hatte er vorgehabt, All Might zu versichern, dass alles in bester Ordnung war, stattdessen kamen vollkommen andere Worte aus seinem Mund.

„Die dürften nicht sonderlich nett gewesen sein, wenn du so dreinblickst", stellte Yagi fest und ließ seinen jüngeren Kollegen vorsichtig los, „möchtest du darüber reden?" Er konnte verstehen, wenn es für Aizawa nicht einfach war, normal weiter zu machen wie zuvor, vor allem wenn diese Macke noch aktiv war. Das machte ihm ein wenig Sorgen.

Vor allem als Shota den Kopf schüttelte und tief Luft holte. „Nein, ich denke nicht", schlug Aizawa das Angebot aus, „ich bin einfach nur müde." Tatsächlich war das gar nicht gelogen. Er war müde. Wenn er erst einmal ausgeruht war, würde er sicher wieder ganz der Alte sein und nicht mehr über solche sinnlosen Dinge nachdenken. Damit er nicht weiter den besorgten Blick des anderen ertragen musste, ging er auf die Tür zu und öffnete sie. Innerlich wappnete er sich schon davor, einen großen dunklen Fleck auf dem Bett zu sehen, doch er war überrascht, wie sauber alles wirkte, und hielt kurz inne.

Das überraschte Zögern blieb Toshinori nicht verborgen, der Aizawa einfach ins Zimmer gefolgt war. „Keine Sorge, es ist alles entfernt", erklärte er, ehe er an Shota vorbei ging und den Schrank öffnete, um etwas herauszunehmen von dem er vermutete, dass der Dunkelhaarige es zum Schlafen tragen würde. „Ich bin mal so frei und helfe dir beim Umziehen. Mit dem Arm dürfte das noch immer recht schwer sein", meinte er und deutete auf den gebrochenen Arm, „mir ging es zumindest damals auch so." Man war auf Hilfe angewiesen, ob man wollte oder nicht.

Da er das Gefühl hatte, dass Einwände in diesem Moment wohl auf taube Ohren stoßen würden, deutete Shota nur auf einen anderen Kleiderstapel. „Für gewöhnlich sind das meine Schlafsachen." „Oh, tut mir leid", entschuldigte sich Toshinori, legte die Sachen in seinen Händen zurück und griff nach der richtigen Kleidung und machte sich daran, ihm zu helfen sich umzuziehen, was Aizawa über sich ergehen ließ. Irgendwie hätte All Might mehr Widerstand erwartet, was seine Sorge nur noch größer machte. „Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich höre dir zu, wenn du darüber reden willst", versicherte er erneut und ließ sich auf dem Bett neben Aizawa nieder, nachdem er ihm das T-Shirt über den Kopf gezogen hatte.

Dieser sah ein wenig abwesend zu Boden und versuchte dem Blick des anderen auszuweichen. „Ich wüsste nicht, was ich sagen sollte", seufzte er und kratzte sich im Nacken. Eigentlich wäre dies erneut ein Moment gewesen, um zu versichern, dass alles in Ordnung war. Bei dem Therapeuten im Krankenhaus, den man zu ihm geschickt hatte, hatte es auch ganz gut funktioniert, zumindest beim dritten Mal. „Es ist einfach ... unlogisch? Ich habe mir zu viele Gedanken gemacht ... was ich für gewöhnlich immer tue, aber ... aber diesmal war es anders. Es hat mich ... es ..." Wie sollte man etwas erklären, was man selbst nicht ganz begreifen konnte? Vor allem verstand er auch nicht, wieso er gerade allen Ernstes All Might versuchte seine Lage zu erklären. Für gewöhnlich sprach er nie über Gefühle, nicht einmal mit seinen Freunden. Warum um alles in der Welt schüttete er dann nun vor der nervigsten Person überhaupt sein Herz aus? Vermutlich weil neben ihm nicht All Might, sondern Toshinori saß. Ein Mensch, der weitaus weniger Lärm verursachte als der blonde Muskelprotz, der er früher mal gewesen war. Tatsächlich hatte er sogar das Gefühl, dass Yagi ihn irgendwie verstehen könnte, schließlich hatte er schon sehr viel durchgemacht.

Aufmerksam lauschte Toshinori den Worten seines Kollegen und lächelte sanft. „Es hat dich so sehr runtergezogen, dass du aufgeben wolltest", versuchte der Ausgemergelte den unvollendeten Satz zu Ende zu bringen, womit er tatsächlich ins Schwarze traf. Shota hob den Kopf und sah auf. Das sonst so freundliche Gesicht des Friedenssymbols hatte einen traurigen Ausdruck angenommen. „Manchmal erscheint es dann wirklich praktisch, wenn es einem ohnehin schon richtig schlecht geht. Man hat das Gefühl, dass man es verdient hätte und hätte auch nichts dagegen, wenn es dann einfach ... zu Ende geht", seufzte Toshinori und setzte dann wieder ein Lächeln auf, das allerdings ein wenig schief wirkte, „glaub nicht, dass ich das nicht verstehe. Allerdings war es bei mir keine Macke, die mich so denken hat lassen. Ich war schon oft an dem Punkt, an dem es so einfach gewesen wäre, einfach aufzugeben und ich es auch getan hätte, wenn mich nicht jemand davon abgehalten hätte." Als er seine Meisterin verloren hatte, war es ihm ziemlich schlecht ergangen und Gran Torino hatte ihn aus dem Abgrund geholt, aber so richtig abgestürzt war er nachdem AFO ihm die Eingeweide rausgerissen hatte, und sein Leben sich massiv geändert hatte. Er wollte nicht einmal jetzt darüber nachdenken, vor allem nicht darüber, wie oft er sich seither gedacht hatte, dass er diese große Wunde verdient hatte. „Wir entscheiden uns einfach dafür weiter zu machen, egal wie schwer es erscheint", fügte er wieder etwas fröhlicher klingend an und streckte einen Daumen hoch, „unsere Schüler brauchen uns schließlich noch." Das war immerhin auch der Gedanke gewesen, der ihn in Kamino am Leben erhalten hatte.

Shota nickte. Er hätte nicht damit gerechnet, dass es gerade hinter dem Lächeln des Friedenssymbols anders aussah, dass es nur eine Fassade und eine Maske war. Natürlich war es für ihn durchaus plausibel, dass man gerade in seiner Position viel einstecken musste, doch Aizawa hatte immer gedacht, dass Toshinori einfach einen viel zu starken Charakter hatte, um sich von irgendetwas erschüttern zu lassen. Schließlich hatte er immer ein Lächeln auf den Lippen, egal was passierte. Im Gegensatz dazu, schaffte Shota es nicht einmal, seine Mundwinkel hochzuziehen, wenn er glücklich war, falls das überhaupt jemals der Fall gewesen war. Momentan hatte er das Gefühl, noch nie glücklich gewesen zu sein.

Während Shota darüber nachdachte, ob er etwas sagen sollte, nachdem sein Kollege sich ihm gegenüber so geöffnet hatte, erhob sich Yagi plötzlich. „Na gut, ich lasse dich dann mal schlafen. Wenn du etwas brauchst, weißt du ja wo du mich findest. Kopf hoch." Der Blonde schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, ehe er sich verabschiedete und den Raum verließ. Auch wenn der Dunkelhaarige zuvor noch den Wunsch gehegt hatte, allein zu sein, als er unter all den Schülern gewesen war, kam es ihm nun doch seltsam vor, völlig für sich zu sein. Die letzten Tage war immer Hizashi bei ihm gewesen, was ihm zwar anfangs gehörig auf die Nerven gegangen war, jedoch war es doch angenehm gewesen, einen Freund an seiner Seite zu wissen, der für einen da war. Nun war da nur Stille und diese leise Stimme in seinem Kopf, die langsam wieder lauter wurde, weil niemand sie übertönen konnte. Dieselbe Stimme, die ihn vor ein paar Tagen dazu getrieben hatte, sich schwer verletzt in sein Zimmer einzuschließen, weil er es nicht anders verdient hatte. Auch jetzt versuchte sie ihm Dinge einzureden, die er zu ignorieren versuchte. Sein Kopf begann zu dröhnen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top