Pass auf sie auf

Nach ein paar wenigen Metern sah ich sie in die nächste Gasse abbiegen.

„Willst du reden?", fragte ich vorsichtig und blieb hinter der Hausmauer stehen. Doch es kam keine Antwort. Stattdessen nur leises Schluchzen. „Zoé", ich trat hervor. Sie saß am Ende der Gasse, neben den Mülltonnen, auf einem alten, abgenutzten Kapstuhl, dieser noch mit ein paar wenigen verrosteten Schrauben zusammen gehalten wurde, zitternd und zusammengekauert.

Langsam näherte ich mich ihr.

„Alles okay?"

„Was glaubst du denn?! Sehe ich so aus?!", schrie sie mich wutentbrannt an. Ihre Stimme quietschte und die weit aufgerissenen Augen flehten nach Hilfe. Ihre Pupillen waren nur zu erahnen. Tränen perlten Zoe's roten Wangen hinunter. Ihr ernster Blick durchbohrte meinen Körper und lies mir einen kalten Schauer hinunter laufen.

„Entschuldige, die Frage war unnötig.", leicht beschämt fasste ich mir an den Nacken. „Brauchst du jemanden zum reden? Ich weiß wir kennen uns erst seit ein paar Stunden aber dennoch biete ich dir sehr gern meine Hilfe an. Ich kann nicht daneben stehen und zusehen wenn es wen schlecht geht. Solltest du nicht ..."

„Passt schon. Danke aber ... lass mich allein.", unterbrach mich Zoé murmelnd. Ihre Stimme sank, so wie auch ihr Gesicht in ihre Hände.

Ich akzeptiere ihre Bitte und drehte mich um. Aber nach ein paar wenigen Schritten hörte ich Zoé etwas tuscheln.

„Kannst du mich eventuell nach Hause begleiten? Ich merke doch, dass du eigentlich keine Lust darauf hast hier zu sein."

„Wovon redest du?", verwirrt sah ich sie an.

„Es ist keine Raketenwissenschaft zu sehen, dass du durchgehend mit deinen Gedanken abwesend bist. Ich sehe dich schon die ganze Zeit, wie du mit deinen Händen spielst." Meine Zoé, während sie sich aufrichtete und mir in die Augen sah. „Sprich du zuerst. Was geht dir durch den Kopf?"

Ein Atem stockte. – Ich soll ihr erzählen, was los ist? Ich kann doch all das nicht jemanden anvertrauen, den ich nicht kenne. Selbst May weiß nichts davon. –

„Warum interessiert es dich? Das hat doch nichts mit dir zu tun", antwortete ich verwirrt auf ihre Frage.

„Gut. Aber wieso interessiert es dich dann, wie es mir geht?", konterte Zoé und zuckte mit den Schultern.

„Weil ich, im Gegensatz zu deinen Freunden, dir gefolgt bin, um nach zu sehen" Enttäuscht verschränkte ich die Arme und lehnte mich seitlich an die Hausmauer.

Zoé sah mich schweigend an. Nach ein paar schnellen Wimpernschlägen glitt ihr Blick wieder Richtung Boden. Sie beugte sich vor, stütze sich mit ihren Ellenbogen auf ihren Beinen ab und faltete ihre Hände vor ihr Gesicht. Mit geschlossen Augen atmete Zoé kurz tief ein und aus. Es schien so, als würde es sie verletzen, dass ich anstatt eine der anderen ihr gefolgt war.

„Willst du immer noch, dass ich gehe?", fragte ich und deutete auf die Straße. Ruckartig bewegten sich Zoé's Augen in meine Richtung. Sie musterte mich, sah auf die Straße und wieder zu mir zurück.

„Mir egal", sagte sie monoton. „Danke ... Danke, dass du mir gefolgt bist", setze sie fort und krallte sich in ihre Arme. „Ich weiß nicht ..." Von Wort zu Wort verstärkte sich das Zittern Zoé's Körpers, so wie das Quietschen in ihrer Stimme. Ihr Mund war leicht geöffnet, die Lippen zitterten. Die zusammengebissenen Zähne waren deutlich zu sehen. Immer mehr Tränen kullerten Zoé's Wangen hinab und tropfen auf ihre Hose. Langsam fuhr sie mit ihren Händen ihre Arme hoch und runter, dies zunehmend hektischer wurde und kauerte sich wieder zusammen.

Ich konnte nicht anders, als wie zu ihr zu laufen und sie in den Arm zu nehmen. Zoé zögerte keine Sekunde und Umschlag meinen Oberkörper. Langsam kniete ich mich auf ihre Höhe.

„Was auch immer du durchmachst, es tut mir leid", sprach ich zu ihr, hob sanft mit meinen Fingerspitzen ihr Gesicht nach oben und wische eine Träne auf ihren Augen.

„Wieso tust du das?", fragte Zoé mit zitternder Stimme.

„Weil die anderen nicht hier sind. Was soll daran verwerflich sein, dass ein Junge versucht ein Mädchen emotional zu Supporten ohne jegliche sexuellen Gefühlen?" Tatsächlich tat ich dies nicht um an den Zahn zu kommen, sondern um wirklich zu helfen ... so gut ich konnte. Es stimmte, ich konnte anderen nicht dabei zusehen, wenn es ihnen schlecht geht. Das Bedürfnis, ihnen zu helfen, lag viel zu tief in meinem Herzen.

Zoé fuhr eine Haarsträhne hinter ihr Ohr und schmunzelte. „Lass uns gehen", setze sie fort und stand auf.

Ich spürte, wie sich ein kaltes Gefühl in meinen Körper ausbreitete. Als würde ein schwerer, dunkler Schleier auf mir liegen. Als würde mein Herz zerbrechen. Ich bin enttäuscht. Enttäuscht von May. Es war das Letzte, was ich ihr zugetraut hätte, eine Freundin emotional nicht zu unterstützen.

Als wir wieder auf dem Bürgersteig waren, sah ich kurz hinter mich. Den anderen beiden schien all dies egal zu sein. Sie kicherten und aßen genüsslich ihre Eisbecher. Wütend runzelte ich meine Stirn und blickte wieder vor.

„Danke, dass du mich nach Hause begleitet hast. Es war schön, nicht alleine gewesen zu sein", kicherte Zoé, holte ihren Haustürschlüssel hervor und öffnete das Gartentor. Das Haus war klein und etwas altmodischer. In süßen, schwarzen Gittern vor den Fenstern, welche verspielte Schnörkel hatten, hingen Blumentöpfe mit vielen bunten Blüten. Die weiße Hauswand lies die Farben hervorstechen. Ein kleiner grüner Vorgarten mit kleinen Lichtern, so wie eine hängende Lampe neben der Haustür, strahlten eine einladende Atmosphäre aus. Besonders schön fand ich die knallrote Haustür so wie die Holzbank, welche unter einen der Fenster stand. Auf ihr lag eine Steinfigur einer schlafenden Katze. Im Selben styl wie die Gitter vor den Fenstern war auch ihr Gartenzaun, in diesen sich Efeu hinauf schlängelte. Neben den Eingangstor links und rechts standen kleine Runde Lampen. Sie Leuten bereits in der Dämmerung in einem schönen warmweiß. Die Grillen zirpten und die Vögel sangen ihr Abendlied.

„Du hast es ja hier schön"

Zoé kicherte. „Ja, da hast du recht. Es ist ein Erbe und meine Eltern waren so lieb und hatten mich finanziell bei der Renovierung etwas unterstützt" Stolz betrachtete sie ihre vier Wände und schien immer mehr geistig abwesend zu sein fast so, als würde sie träumen.

Ich verabschiedete mich, was Zoé wieder zurück in die Realität brachte.

„Willst du noch kurz mit rein kommen? Wenn du Lust hast, kannst du auch bei mir zu Abend essen" Fröhlich lächelte sie mir zu und öffnete die Tür. Dies wäre meine Chance.

„Gern", antwortete ich verzögert.

Zoé schob die Tür weiter auf und gab mir eine einladende Geste.

Ich betrat den Flur. Er war recht kurz, dafür aber breit. Rechts neben der Tür war ein offener Raum, welcher als Garderobe diente. Daneben befand sich das Bad. Geradeaus weiter gelang man durch eine große Glastür in den Wohnbereich. Überall standen Blumentöpfe, sei es auf Regalen, dem Esstisch, auf Vitrinen den Kommoden, oder hingen von der Decke. Es dauerte nicht lange, schon krochen zwei Katzen unter dem Sofa hervor und liefen auf uns zu. Miauend und schnurrend streiften sie sich an unseren Beinen und warfen sich vor uns auf den Boden.

„Das sind Ramses und Fiona. Beide sind sehr handzahm und verkuschelt", sagte Zoé glücklich, während sie Fiona den Bauch streichelt. Sie war eine Siamkatze und noch recht klein. Ihre meeresblauen Augen ließen einen dahin schmerzen. Ramses hingegen war ein normaler Hauskater. Schwarzes getigertes Fell überzog den Rücken bis hin zu dem Oberkopf und seinem gesamten Schweif. Die Brust und der Bauch, so wie beide Vorderbeine, samt Pfoten, waren ein schönes weiß. Die hinteren Pfoten sahen aus, als hätte Ramses Schuhe an, da auch diese weiß waren. Treudoof sah er mich mit seinen grünen Augen an. Sein rechtes hatte einen braunen Fleck schräg unter der Pupille.

Durch den leicht geöffneten Mund nahm sein lautes Schurren den ganzen Raum ein. Er war nicht zu überhören.

„Was kann ich dir zum Trinken anbieten? Möchtest du ein Glas Wasser?", fragte Zoé mich freundlich und verschwand in der Küche. Ehe ich antworten konnte, drückte sie mir das Getränk in die Hand.

„Danke"

„Komm, setz dich. Das Essen müsste gleich fertig sein", bat sie mich und verschwand wieder in ihrer kleinen Küche. Die gesamte Inneneinrichtung hatte einen Hauch von Vintage, mit modernen Elementen. Ein paar Wände waren cremefarben gestrichen und andere weiß. Bilder hingen an den Wänden. Die Deckenlampen waren in einem industriellen Stil und harmonierten mit den weiteren Möbelstücken.

Ich zog einen der schwarzen Holzstühle aus dem Tisch und setze mich.

„Entschuldige die Unordnung. May hatte mich heute Vormittag plötzlich angerufen, um gemeinsam in die Stadt zu gehen. Da musste ich abbrechen. Du weißt ja, wie sie ist", entschuldigte sich Zoé, reichte mir einen Teller Spagetti mit Tomatensoße und setzte sich zu mir.

„Ja da hast du recht. Ihre Hummeln im Hintern geben einem kleine Verschnaufpause", antwortete ich leicht lachend doch mit einem tiefen Atemzug begleitet. „Bist du ihr immer noch böse?", fragte ich vorsichtig.

„Ach was", schnell hielt sie sich ihre Hand vor dem Mund, um das Essen darin zu verstecken. „Ich kann ihr nicht lange böse sein. Sie hat keine schlechten Absichten und findet immer wieder ein Fettnäpfchen", setzte Zoé fort.

Nachdenkend rollte ich die Spagetti auf meine Gabel auf.

„Ich hab gehört ..." – Oh nein. Bitte komm du nicht auch noch mit Claudia. – „Dass du Klavier spielst", meinte Zoé begeistert. Erleichtert atmete ich aus.

„Ja, wieso fragst du?"

„Ach nur so. Ich war Jahre lang in einer Gesangsschule. Ich hörte gern den Melodien der Klaviere aus den anderen Zimmern zu."

„Wieso hast du mit dem Singen aufgehört?", fragte ich neugierig.

Langsam verschwand ihr Lächeln. „Ich sang zuhause immer mit meiner Oma. Sie hatte eine wunderschöne Stimme. Kurz vor einem unserer Auftritte verstarb sie eines natürlichen Todes." Zoé verschränkte ihre Arme und sah zur Seite. Tränen funkelten im Licht. „Obwohl ich psychisch nicht in der Lage war, ging ich auf die Bühne und sang allein. Für sie ..." Langsam schlich sich ein Schmunzeln auf Zoé's Lippen. „Das war mein letzter Auftritt. Danach sang ich nur für mich allein. Bis die Lieder nur noch Melodien waren und die Texte ein Summen." Sie wandte sich wieder zu mich.

„Entschuldigung, dass ich gefragt habe" Beschämt aß ich die letzten Nudeln.

„Passt schon. So ist nun mahl das Leben. Und du? Spielst du noch?", fragte sie mich interessiert, faltete unter ihrem Kinn die Hände zusammen und stütze sich auf ihnen ab.

„Also nicht wirklich. Mein Klavier steht zwar im Wohnzimmer, aber es hat mittlerweile mehr Spinnweben gesehen als meine Finger." Zoé kicherte „Ich glaube, dass ich noch ein paar Stücke kann"

„Willst du es versuchen?", fragte mich Zoé. Ihre Stimme strahlte Neugierde aus.

Ich zog eine Augenbraue hoch.

„Komm mit", sie biss sich aufgeregt auf die Unterlippe und zehrte mich vom Stuhl. „Oben steht noch das alte meiner Oma."

Wir liefen die Treppen hoch. Der obere Flur war breit und lang. Nach links und rechts ging es jeweils zu zwei Zimmern und am Ende des Flures ersetzte ein riesiges Fenster die Hauswand. Der Blick auf die Berge und dem davor liegenden Wald war atemberaubend schön. Wie die Sonne unterging und die letzten warmen Sonnenstrahlen hinter den Bergspitzen hervorbrachen, wie das Licht die Berge große Schatten fielen lassen und wie die Vögel über die Baumkronen hinweg flogen.

Und vor dem Fenster stand ein großer schwarzer Flügel. Er war mit silbernen Elementen verziert. Eine plötzliche Nervosität durchströmte meinen Körper.

Zoé lief voraus und klopfte in schnellen Schlägen auf das Polster der Klavierbank. Ich setzte mich. Der Flügel war in einem sehr guten Zustand, nur leichte Gebrauchspuren zierten das gefärbte Holz. Doch dies gab ihm einen besonderen Charakter.

Ein deutliches, fettes Grinsen schlich sich auf meinem Gesicht und ich legte die Finger auf die Tasten. Zoé war gespannt und wartete auf die ersten Noten.

C D E F G A A

Sie runzelte die Stirn. „Warte ist das ... alle meine Entchen?!", entsetzt sah sie mich an.

„Du wolltest, dass ich spiele aber nicht was", antwortete ich ihr mit einem immer größer werdenden Grinsen.

„Ich meinte etwas Richtiges", kicherte sie und gab mir einen Kumpel artigen Schlag auf die Schulter.

„Schon gut"

Also setzte ich erneut an und ließ die Finger sanft über die Tasten gleiten. Two stepts from hell – Heart of courage. Es war eines der ersten Stücke, die ich mir selbst beigebracht hatte, und auch das, welches ich am besten beherrschte. Die Melodie floss durch meinen Körper und ich ließ mich von ihr tragen. Mit zunehmender Energie und wachender Leidenschaft drückte ich stärker in die Tasten. Mit jedem weiteren Ton stieg die Lautstärke des Flügels. Ich war wie abgekapselt von der Realität, wurde eins mit der Musik und bewegte sich energisch zur Melodie. Das Gefühl wie jede einzelne Note durch meine Finger in den Körper floss, das Gefühl eine Art Faden, mit den pressenden Atemzügen, durch ihnen zu ziehen. Als würde eine Welle die Bewegungen leiten und der Wind mich tragen. Das Klicken der Pedale. Alles harmonierte zusammen und baute sich zu einem angenehmen Druck auf, dieser sich wiederholend verstärkte und im nächten Atemzug sanft und schwerelos erlosch. – wieso habe ich aufgehört zu spielen? – Mit der letzten Note fiel der Schleier und ich kehrte wieder zurück in die Realität.

Mit leicht geöffneten Mund und ohne Worte starrte mich Zoé an. Sie schien nicht zu wissen, was sie sagen sollte.

„Wie gesagt es ist lange her, als ich das letzte Mal gespielt hatte" Langsam rieb ich mir mit meinen Fingerspitzen an den Nacken.

„Spinnst du?!", explodierte es aus ihr raus. „Warte kurz, ich hole schnell etwas", sagte Zoé aufgeregt und lief die Treppen hinunter. Ich wandte mich dem Fenster zu. Inzwischen war die Sonne verschwunden und anstatt ihr zierte der silbern schimmernde Mond den dämmernden Nachthimmel.

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