Die Zeit läuft

Verträumt spielte ich einzelne Noten, bis etwas im Augenwinkel aufblitze. Neugierig sah ich neben mich. Eine Glasfigur stand auf dem Flügel und glitzerte im Mondlicht.

Es war eine Königin in einem langen, weiten Kleid. Ihre Haare waren zu einem Dutt hochgesteckt. In ihren Armen hielt die Königin ein, in einer Decke eingewickeltes, Kind. Es war nichts Weiteres, als das friedlich schmunzelnde, schlafende Gesicht des Nachwuchses zu erkennen. Der ernste Blick der Mutter durchbohrte meine Seele. Er warnte einen davor, ihr und ihrem nicht zu nahe zu kommen. Kleine Rubin farbene Steinchen saßen in ihren Augen. Das silberne Licht des Mondes ließ sie strahlen.

„Meine Haut ist aus Glas. Meine Seele in deiner Hand. Im silbernen Licht des Mondes wirst du es finden. Getragen von Rubin farbenen Augen. Getragen von einem strahlenden Lächeln", murmelte ich leise. „Getragen von einem strahlenden Lächeln ...", wiederholte ich etwas lauter. Alle Hinweise deuteten auf die Glasfigur hin, doch eines warf mir Fragen auf. Das strahlende Lächeln ... wo war es? War mit diesen Zeilen etwa nicht diese Figur gemeint?

„Entschuldige, dass du so lange warten musstest. Hätte ich die Katzen jetzt nicht gefüttert dann, hätten wir gleich gratis Karten zu einem Konzert gehabt"

„Ach kein Problem. So lang war es nun auch nicht", meinte ich freundlich und stellte die Figur wieder zurück. „Was wolltest du holen?", fragte ich Zoé in der Hoffnung, von der Glasfigur ablenken zu können. Ehe sie mir antworten konnte, war sie vor meinen Augen.

„Ich habe dir ne Decke und ein Kissen hochgebracht." Mit einem Lächeln auf den Lippen sah sie mich an. „Es ist schon spät. Ich glaube nicht, dass du jetzt noch nach Hause gehen wirst. Du musst aber nicht bleiben, wenn du nicht willst" damit hatte sie recht. Es war spät, beinahe Mitternacht, um genau zu sein und wirkliche Lust mich auf den Weg zu machen, hatte ich auch nicht.

„Danke dir"

„Nichts zu danken. Du hast etwas gut bei mir", sagte sie und warf mir ein Zwinkern zu. „Ich mach kurz das Schlafsofa bereit. Links ist das Bad. Unten ist nur eine kleine Toilette. Solltest du in der Früh duschen wollen, meine Sachen stehen dir zur Verfügung.", fügte Zoé hinzu und verschwand in den nächsten Raum.

Ihr Lächeln war sehr ansteckend. Sie schien wohl gern Gastgeber zu sein. Ich warf den Blick wieder auf die Glasfigur. Sofort überzog ein Kribbeln meinen Körper, gefolgt von einem kalten Schauer. Die Mutter ... Ihr ernstes Gesicht, es war weg. Stattdessen zierte es ein strahlendes Lächeln.

„Getragen von einem strahlenden lächeln", flüsterte eine warme kindliche Stimme. Leicht zitternd griff ich nach der Figur und musterte sie ein weiteres Mal. Nicht nur die Miene der Mutter, sondern auch die des Kindes hatte sich verändert. Starr sah es mich mit kalten, leeren Augen an. Eines seiner kleinen Ärmchen war zu mir gerichtet und es sah aus, als würde es etwas von mir wollen, ... als würde es ... nach seiner Seele greifen. „Meine Seele in deiner Hand", flüsterte das Kind. Die Lippen, sie bewegten sich. Der nächte Atemzug blieb mir im Halse stecken. Zu gern hätte ich einen Schrei von mir gelassen, doch Zoé durfte mich nicht mit der Figur erwischen.

Hektisch stellte ich sie zurück und drehte mich um. Es kribbelte mir in den Fingern, hinter mich zu blicken. Nur aus Neugierde. Was wenn sich die Gesichter wieder geändert hatten? Was wenn auch die Mutter mir etwas mitteilen wollte? Mit jeder weiteren Frage wuchs meine Nervosität und das Gefühl der Angst breitete sich aus. – Was passiert hier? –

All das ... irgendetwas beobachtete mich. Irgendetwas versuchte, mit mir zu kommunizieren. Der Mann aus den Träumen, die sieben Gestalten, waren sie es? Aber was wollten sie von mir?

So viel Angst sich auch breitmachte, die Neugierde war größer. Ein letztes Mal sah ich hinter mich, doch ... sie war weg. – Fuck–. Das Herz tobte, die Atemzüge waren abgehackt und tief. Der Druck, er zerquetsche mich und schlagartig verschling mich die Dunkelheit. Ich krallte in mein T-Shirt. Der Stoff zog Falten. Nervös wippte ich mit dem linken Bein und verstärkte den Griff auf meiner Brust. Schweißperlen liefen die Stirn hinunter und das Atmen schien unmöglich zu sein. Nur hauchend war es mir in der Lage die Luft aus den Lungen zu pressen. Der Drang sofort auf zu stehen und wegzulaufen wurde größer. Doch ich konnte nicht.

Nun begann auch der restliche Körper sich langsam nach vorn und zurück zu wippen. Meine Augen waren weit aufgerissen. Geistes verlassen starrte ich auf den Boden. Die Panik, die Angst, die Verzweiflung, sie übernahmen meinen Verstand. Ich hatte keine Energie mehr, hielt das alles nicht weiter aus!

„Wir sehen dich. Wir hören dich ... wir verfolgen dich. Doch du uns nicht. Keine Luft zum Atmen. Deine Freunde, deine Freunde, pass auf sie auf. Die Zeit läuft." Eine männliche Stimme, dessen Lautstärke sich von Satz zu Satz verstärkte, strahlte eine unbehagliche Aura aus. Es war seine Stimme ...

Das Feuer. Der Spiegel. Die Mutter mit ihrem Kind. Die Maske. Die Ranken mit den Kinderleichnamen. Das Blut, das aus deren Augen floss. Die Drachenflügel. Die sieben Gestalten ... die Bilder ... sie flackerten wild vor meinen Augen. Ich konnte es nicht aufhalten, ich konnte nichts ausrichten!

„Mach, dass der Spuk ein Ende hat!", presste ich krächzend leise aus mir heraus. „Hilfe ... bitte", fügte ich leidend hinzu. Inzwischen war meine Haut kreidebleich und alle Muskeln angespannt. Ein riesiger Ball aus Emotionen baute sich in mir auf. Sein mächtiger Druck schmerzte in jedem Zentimeter meines Körpers. Es fühlte sich an wie ein Ballon, dieser jederzeit zu explodieren schien. Ich lies mich nach vorn fallen und stütze mich mit den Ellenbogen auf den Beinen ab. Panisch krallte ich mir in die Haare und riss meinen Mund auf. Anstatt eines Schreies ertönte ein Quieken, das von dem kratzenden Atem begleitet wurde. Immer wieder holte ich erneut Luft. Ich hatte die Kontrolle verloren.

– Beruhige dich. Zoé ist hier. Nimm ein paar tiefe Atemzüge und versuche wieder zu dir zu kommen. Eins ... zwei ... drei. –

Ich schloss für einen kurzen Moment meine Augen, bis auch der letzte Zug sich sanft auflöste. Stille. Nur ein leises Summen erklang aus dem Zimmer, in welchem sich Zoé befand. Ich schluckte den Knoten in meinem Hals runter, richtete mich auf und ging zu Zoé.

„Gut, dass du hier bist. Ich hoffe der Platz reicht dir", sagte Sie, während sie das Kissen auf das ausgeklappte Sofa warf. „Brauchst du sonst noch etwas?"

„Nein. Danke, dass ich hierbleiben darf"

„Dann lasse ich dich allein. Schlaf gut", sagte Zoé ehe sie die Tür hinter sich schloss. Ich knipste das Licht aus und lies mich erschöpft mit dem Rücken auf das Sofa fallen. Mit beiden Händen glitt ich langsam mein Gesicht hinab und fasste mir an den Nacken. Nervös legte ich eine Hand auf die Brust. Solch ein schneller Puls. Der Körper bebte und schwere Atemzüge ließen ihn heben und senken. Das Mondlicht schien durch das Fenster hinein. Es war wie ein Spotlight für die Staubpartikel, welche tanzten.

Umso länger ich darüber nachdachte Schlafen zu gehen, desto stärker zitterte mein Körper. Was würde passieren? Werde ich dem Mann wieder begegnen? Was wird er diesmal zu mir sagen? Es waren zu viele Fragen und zu wenig Antworten. Das Adrenalin hielt mich wach. Aufmerksam verfolgten meine Augen einen Staubpartikel, dieser wild in der Luft seine Kreise zog. Nach einiger Zeit schloss sich ein Weiterer, kleinerer an. Gemeinsam ließen sie sich tragen. Es erinnerte mich an zwei Kinder, welche auf einer Wiese spielten. Wie sie sich an die Hand nahmen und lachend durch die Gegend zogen. Wie sie über Stock und Stein sprangen. Sie flogen durch die Masse der Partikel, ohne sich zu verlieren. Doch dann ...

Der Kleinere der beiden wurde schlagartig schneller und tobte wild umher zurück nach oben, während der Andere sturzflugartig zu Boden flog. Sie wirkten wie zerstritten. Ein Streit, dieser eine innige Bindung auseinanderriss. Jeder zog wieder seine eigenen Kreise. Allein. Kein Weiterer schloss sich ihnen an.

Die Kirchturmuhr riss mich aus meinen Gedanken. Es war mittlerweile ein Uhr in der Früh und das Date mit Claudia war morgen. Einen Aussetzer durfte ich mir nicht erlauben. Wieso ausgerechnet deutsches Essen? Leise nölte ich, stand auf und zog mich bis auf die Unterwäsche aus. Ich mochte die deutsche Küche nicht. Sie ist so ... langweilig und extrem deftig. Naja, was man für die Liebe nicht alles macht. Umso länger ich darüber nachdachte, desto mehr sank die Vorfreude auf das Treffen.

Mit einem Schwung warf ich die Decke bis über die Schultern und machte es mir gemütlich. Langsam schloss ich meine Augen, in der Hoffnung heute von einem dieser Träume verschont zu bleiben. Von der linken auf die rechte Seite. Die Bettdecke raschelte und mein Körper kam nicht zur Ruhe. Sie hielten mich wach. Die Stimmen.

Schritte. Sie kamen aus dem Flur. Ob Zoé sich nur etwas zum Trinken holte? Sie wurden lauter und kamen vor meiner Tür zu stehen. Das Herz schlug mir zum Halse. Ich riss die Augen auf und wandte den Blick auf den Türgriff nicht ab.

Eine unheimliche Stille erfüllte den Raum, bis ein leises Klopfen an der Tür ertönte. Rasch saß ich aufrecht im Bett. Eine Schockstarre fror meinen Körper ein. Das Herz, es wurde unruhiger und lauter. Zitternde Atemzüge entwichen meinen Rachen. Ein weiteres, langgezogenes Klopfen ertönte. Eins, zwei, drei, vier ... Darauf folgend bewegte sich langsam die Türklinke hinunter.

Der Drang, zu schreien, ließ meinen Körper beben. Dennoch, so sehr ich es auch wollte, so unerträglich der Schmerz war ... blieb ich stumm.

Die Tür öffnete sich ... doch es war keiner da.

„Mike. Tibi via aperta est", flüstere die Stimme eines Kindes aus dem Flur.

Der Atem setzte aus und ich rang nach Luft.

„Tibi via aperta est", flüsterte das Kind erneut. Ich schluckte den großen Knoten in meinem Hals hinunter und stand auf. Durch den leicht geöffneten Mund entwichen die leisen Atemzüge. Vorsichtig lugte ich aus dem Türrahmen hervor und musterte die Umgebung genau. Weder links noch rechts war wer anderes zu sehen. Langsam ging ich ein paar wenige Schritte in den Flur hinein. Leise knackte das Parkettunter meinen Füßen.

Schwarzer Rauch bedeckte den Boden. Er reichte bis zu den Fußknöcheln. Ruhig wirbelte er vereinzelnd auf und sank. Wie Wellen, die mit dem sanften Wind tanzten.

Im Augenwinkel erkannte ich, wie sich etwas rührte. Schnell lenkte ich meinen Blick wieder nach vorn. Rauch sammelte sich auf einen Punkt und wuchs in die Höhe. Aus einer Position in der Hocke richtete sich ein Kind, gebildet aus dem schwarzen Rauch, langsam auf. Gesichtszüge zierten sein Gesicht. Die Kleidung nahm ihre Form an. Von Mal zu Mal kamen mehr Details zum Vorschein. Es war der kleine Junge aus einem der Träume. Seine leblosen Augen starten mich an. Sein Körper aus Rauch bewegte sich wie eine Flamme.

„Meine Haut ist aus Glas. Meine Seele in deiner Hand. Im silbernen Licht des Mondes wirst du es finden. Getragen von Rubin farbenen Augen. Getragen von einem strahlenden Lächeln", sagte der Junge klar und deutlich, während er in die Richtung von Zoés Zimmer zeigte. Mein Blick folgte seiner Handbewegung.

– Will er mir sagen, dass ich zu ihr gehen soll? –

Ich wandte mich, zuerst mit den Augen, anschließend mit dem Kopf, ihm wieder zu. Er behielt weiterhin seine leblose Aura.

„Verschwinde", flüsterte ich und wedelte wild mit meinen Händen durch seinem Körper. Egal wie oft, egal wie lang ich dies tat, er setzte sich jedes Mal aufs Neue wieder zusammen. „Fick dich", fauchte ich den Jungen leise an. Keine Reaktion. Nur Stille. Ich schluckte und ging langsam auf die Tür zu, auf die das Kind gezeigt hatte. Vorsichtig öffnete ich sie, in der Hoffnung, Zoé würde nicht aufwachen. Die Einrichtung ihres Schlafzimmers glich der von unten. Durch das Licht, welches aus dem Fenster kam, waren ein paar wenige Dinge gut zu erkennen. Auf der rechten Seite stand ein massiver Schrank aus Holz, der in einem Pastellgrün gestrichen war. Ein schwarzer Kronleuchter hing mittig des Raumes von der Decke. Unter ihm lag ein großer flauschiger Teppich. Ich sah nach links und dort befand sich ihr großes, weißes, aus holzbestehendes Bett. Sonst waren Silhouetten von Pflanzen, eines Sessels, der an einem Schreibtisch stand, und weitere von Schränken, wie Regalen mit Dekoration zu erkennen. Zoés ruhiges Atmen zeigte mir, dass sie von all dem nichts mitbekommen hatte.

– Wieso hat mich das Wesen hier her geführt? Was will es mir zeigen? – Etwas Unscharfes war aus der Ferne zu erkennen. Der Junge aus Rauch, starr schwebte er hinter Zoés Bett. Diese leeren Augen, sie gaben mir ein Unbehagen.

Er deutete auf den Sesel, über diesem ihre Hose war. Meine Augen bewegten sich zu Zoé, zurück zu dem Kind und anschließend zu dem Sessel. Erst jetzt verstand ich, was das Kind von mir wollte. „Mike, finde mich", flüsterte es. Seine kalte Stimme ließ mich kurz zusammen zucken.

Ich zögerte. Mir war nicht wohl dabei, den Zahn aus ihrer Hosentasche zu stehlen und mich anschließend aus dem Staub zu machen. Doch ohne ihn würde ich nie Antworten auf meine Fragen bekommen.

Ich atmete tief aus und setzte den ersten Fuß ihn den Raum. Langsam folgte der andere. Der Boden knarzte unter ihnen. Ich hielt inne und sah zu Zoé. Sie schlief weiterhin friedlich wie ein Kind. Behutsam setzte ich die restlichen Schritte, bis ich am Sessel angekommen war.

Es kribbelte mir in den Fingern den Zahn zu finden. Unruhig suchte ich nach ihm in jeder Hosentasche. Das Rascheln und wetzen gegen den Stuhl lockte einer ihrer Katzen an. Sie begrüßte mich mit einem hellen Miauen. „Pssst, Ramses", flüsterte ich angespannt und versuchte, ihn zu verjagen. Er rührte sich nicht von der Stelle, stattdessen setze er sich und fing an laut zu Schnuren. Ich bekam Sorge, dass sein Schnurren Zoé aufwecken könnte. Es dauerte auch nicht lange, bis das Rascheln einer Decke zu hören war. Sofort ging ich in die Hocke und krieche unter den Tisch. Ramses stand auf und schmiegte sich an meine Beine. Die Nervosität stieg. Möglichst leise zog ich die Hose zu mir, um weiter suchen zu können. Nach ein paar Handgriffen lag der Zahn in meinen Händen. Zögernd schloss ich meine Hand mit dem Zahn und ballte sie zu einer Faust. – Jetzt nichts wie weg hier. –

Schnellstmöglich versuchte ich, auf zu stehen und den Raum zu verlassen. Zu meinem Glück erwischte ich den Tisch mit dem Kopf, dies einen lauten, dumpfen Knall verursachte. Ramses lief weg. Seine lauten Schritte trugen dem ganzen nicht gerade positiv bei.

„Fiona, Ramses könnt ihr mich bitte einmal ausschlafen lassen.", nölte Zoé und fing an im Halbschlaf, nach den Katzen zu suchen. – Scheiße. –

Ihre schweren Schritte näherten sich und blieben neben den Tisch stehen. Langsam wandte sie sich den Sessel zu.

„Immer müsst ihr Chaos anrichten", murmelte sie genervt. Zoé schob den Sessel zur Seite. Sofort wich ich ihrer Hand aus und kroch weiter hinter. Sie tastete blind nach der Hose. Ich versuchte, keinen Mucks von mir zu geben, atmete langsam und bewegte mich keinen Millimeter. Ihre Hand näherte sich mir. Beinahe hätte sie nach meinen Haaren gegriffen. „Das kann doch nicht sein. Ich hatte sie doch über den Stuhl gelegt", sagte Zoé und sah unter den Tisch.

Kurzzeitig vergas ich zu atmen. Das Beben meines Körpers verstärkte sich. In jeden Moment könnte ich auffliegen. – Was werde ich ihr sagen?, Wie werde ich mich raus reden? Nein, dafür gibt es keine Ausrede. Soll ich die Wahrheit sagen? –

Ihre verschlafenden Augen sahen mir in die Seele. Doch anstatt eine Reaktion zu zeigen, stand sie auf, ging zu der Zimmertür und zog sie zu. „So, jetzt kommt keine Katze mehr rein"

Ich wartete, bis Stille einkehrte und ein leises, ruhiges Atmen zu hören war. Zoé schien eingeschlafen zu sein.

Gut, auf ein Neues. Vorsichtiger als zuvor kroch ich aus dem Tisch hervor, ehe ich mich auf die Beine stellte. leise auf Zehenspitzen tapste ich zur Tür, griff nach der Türklinke und drückte sie langsam runter. Ich öffnete nur einen schmalen Schlitz, so dass ich mich gerade so hindurch pressen konnte. Auf der anderen Seite angekommen, zog ich sie wieder zu und ließ den Griff geräuschlos los.

Ich blickte auf meine Faust und öffnete sie. Die Steinchen des Zahns funkelten im Mondlicht. Mehr und mehr fingen sie an, bläulich zu leuchten.

„Mike, finde mich", hörte ich den Jungen erneut flüstern und drehte mich zu ihm. Er saß neben der Glasfigur auf dem Flügel. Es herrschte Stille. Die Wellen des Rauches am Boden, wie es rauschte. Das silberne Mondlicht, wie es durch das große Fenster schien. Die Staubpartikel, wie sie in diesem tanzten. Mittendrin der Flügel mit dem Kind. Seine Rauchpartikel kreisten um ihn herum und weitere zogen hinauf, bis sie sich auflösten. Langsam trat ich auf ihn zu. Seine Augen wandten sich nicht von meinen ab. Starr verfolgte er jeden meiner Schritte.

„Was willst du?", fragte ich ihn ernst, als ich vor ihm zu stehen kam.

„Meine Seele in deiner Hand", antwortete der Junge monoton. So wie der Zahn, leuchtete auch das Kind der Glasfigur auf. Umso mehr der Zahn sich ihr näherte, desto intensiver wurden die Farben. Ich hob die Figur an und drehte sie um. Unter dem Kind, welches die Mutter in den Armen hielt, befand sich eine Einkerbung. Ich warf einen Blick auf den Zahn in meiner zitternden Hand. „AGILASI", las ich leise, ehe ich die Hand zu einer Faust ballte, die Augen schloss und tief durchatmete. – Hoffentlich wird das die Antwort auf meine Fragen sein. – Die Nervosität stieg. – Was ist, wenn all dies wirklich nur Einbildung war? Nein, dafür fühlt es sich viel zu echt an. Die Maske oder jetzt auch das Kind. All dies war nie und nimmer ausgedacht. Dahinter steckt mehr als nur ein paar Träume und eigenartige Zufälle. –

Die leeren Augen des Jungen ließen das Blut in meinen Adern gefrieren. Ich hatte Angst. Angst davor was als Nächstes passieren wird. Hastig wechselte mein Blick zwischen den Jungen, der Figur und dem Zahn. Ich atmete unruhig und tief. Wieder und wieder war ich kurz davor den Zahn einzusetzen, doch etwas hinderte mich daran, ihn aus der Hand zu legen. Ich hatte ihn gestohlen ... ein solch wertvolles Objekt. – Er muss Zoé bestimmt viel bedeuten. Ich kann doch nicht ... NEIN! Ich muss! – Ich biss die Zähne zusammen und presste ihn in die Einkerbung.

Langsam löste sich der Junge auf und mit ihm der Rauch. Das Leuchten der Glasfigur wurde zunehmend heller. Die Farben intensiver.

„Was ist hier denn los?", fragte Zoé halb benommen, während sie sich gähnend ihre Augen rieb. – Sie war aufgewacht. Das ist mein Ende. –

Die Figur wuchs. Eine Art Tor öffnete sich in ihr, das alles in sich hinein saugte. Die zuvor ruhig tanzenden Partikel tobten wie wild in dem Sturm umher.

„Zoé, ich ... ich kann das erklären", stotterte ich schweißgebadet. Der Wind wirbelte unsere Haare durch die Luft und der Stoff der Kleidung flatterte.

„Was ist hier los?!", wiederholte sie wutentbrannt. „Was hast du getan?!", schrie sie mich entsetzt an. „SAG ES!" Ihre Augen blitzen auf, ihre Fäuste zitterten. Ein rauer, bedrohlicher Ton lag in ihrer gereizten Stimme.

Voller Angst sah ich in ihre zornerfüllten Augen. Jeder Schritt, den sie sich mir näherte, raubte mir mehr Luft zum Atmen. Mit weit geöffneten Mund und schwer bebender Brust presste ich mich immer weiter gegen die Wand. Das Herz, es tobte wie wild. Ich konnte das Pochen in meinen Ohren hören. Jeder einzelne Schlag vibrierte durch den gesamten Körper.

Zoé zögerte nicht lange, sprang los und sprintete auf mich zu. Ich kniff nur die Augen zusammen. Ich wollte mich nicht wehren. Wieso auch. Sie hatte das volle Recht mich dafür zu bestrafen.

Ein plötzlicher Schrei lies mich zusammenzucken. Ich riss die Augen auf. „Zoé!", schrie ich ihr besorgt entgegen, als ich sah, wie sie in das Tor hinein gezogen wurde. Ohne groß darüber nachzudenken sprang ich ihr hinterher. Mit weit ausgestreckter Hand versuchte ich sie zu erreichen, auch sie streckte mir ihre entgegen. Kurz berührten sich unsere Fingerspitzen. Ich wollte nach ihr greifen, doch ein Windzug drehte mich in der Luft.

Ich hörte nur noch Zoés Schreie. Wie sie mich verfluchte doch gleichzeitig um Hilfe flehte. Die Wut in ihrer aggressiven Stimme wandelte sich in Angst bis hin zur Verzweiflung. Das Letzte, was ich hörte, waren Hilferufe in Tränen getränkt, das Zittern in ihren Worten und lautes schluchzen. Die Worte waren nur noch zu erahnen, da keines von ihnen mehr verständlich war.

Ich fiel, fiel mit dem Rücken nach unten. Der Wind rauschte an meinen Ohren vorbei und ließ meine Haare toben. Der kleine Lichtfleck, von Eingang des Tores, entfernte sich weiter und weiter, bis sich das Tor schloss und mich nichts als Dunkelheit umgab.

„Die Zeit läuft", sprachen die sieben Stimmen zu mir und verklangen in einem Echo. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top