Wir besuchen eine alte Freundin von ihr
Ich schloss die Augen und genoss die Wärme in meinem Pelz. Seit Tagen hatte ich in Maulbeeres Bau herumliegen müssen und wäre wohl vor Langeweile gestorben, wenn nicht auch Katze dort ihre Zeit hätte verbringen müssen. Sie kann wirklich sehr, sehr viel reden, musst du wissen. Erst recht, wenn sie nichts anderes zutun hat.
Bitte versteh' das nicht falsch. Sie ist eine wirklich tolle Katze und eine noch viel bessere Unterhaltung - aber eben auch recht spontan. Ich war mir noch nicht ganz sicher, ob das eine gute oder schlechte Eigenschaft war, aber eines stand fest: so schnell würde ich nicht wieder versuchen, einen ganzen Clan aufzuhalten.
Glücklicherweise war Glücksstern in dieser Hinsicht alles andere als streng. Ein "Naja, das hätte ich auch selbst erkannt" war alles gewesen, was er als Antwort zu ihrer etwas eigenartigen Geschichte gegeben hatte. Zugegeben, von Großmaul konnte man das zwar nicht behaupten, aber irgendeinem Zufall sei Dank war er ja noch kein Anführer. "Großstern" wäre außerdem kein schöner Name für ihn. "Weißer Riese", das wäre treffend.
"Wohin gehen wir?", fragte ich und musterte Katze. Ihr graues Fell glänzte wieder wie zuvor, offenbar konnten Verletzungen sie nicht allzu lang aufhalten.
Sie zuckte mit den Ohren. "Hast du den Plan vergessen?", fragte sie. Auch bis jetzt hatte sie kein Wort darüber verloren, was genau das Ziel ihres Plans war - nur, was sie bisher gesagt hatte: dass wir die erste Stufe bereits erklommen hatten. "Wir sind fast mit der ersten Stufe fertig, spürst du das nicht?"
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Mücken zu vertreiben, die um uns herumscharwenzelten. "Die anderen sehen dich komisch an und reden nicht mehr mit mir", stellte ich frustriert fest.
"Was sie davor auch nicht getan haben", warf sie vergnügt ein und legte mir die Schwanzspitze auf die Schulter. "Hey, Kopf hoch. Wenn unser Plan aufgeht, werden sie verstehen."
Ich erwiderte ihren Blick. Irgendwie vertraute ich ihr, auch wenn ich das nicht wirklich gut fand. "Wenn du das sagst", murrte ich und wich ein wenig zurück. "Was tun wir jetzt?"
Sie grinste.
"Wir besuchen eine alte Freundin von mir."
"Das Uraltenheim?", fragte ich verdutzt und bemühte mich, nicht zu langsam zu werden. "Du hast Freunde hier?"
Sie zuckte mit den Ohren. "Du doch auch", sagte sie. "Du weißt schon, Leute, die ich eben kenne. Schon mal gesehen habe. Ihnen ein bisschen Fressen gebracht habe, solche Leute."
Ich blinzelte sie an. Sie drehte sich um und legte den Kopf schief.
"Das spielt doch keine Rolle. Ich finde nur", sie lächelte, "dass du mal wieder deine Mutter besuchen solltest."
Ich plusterte mein Fell auf und wollte gerade etwas erwidern, aber sie rannte nur weiter und lachte und schlüpfte durch das Loch in das Haus hinein. Nichts hatte sich verändert - meine Mutter lief unruhig auf und ab, die schwarze Katze lag unbewegt eingerollt (und sogar genauso wie bei meinem letzten Treffen!) in ihrer Ecke, nur die anderen Katzen waren weg. Wahrscheinlich hatten sie sie wieder eingesammelt, überlegte ich.
"Da bist du ja!", rief Komische Nudel plötzlich und rannte auf uns zu - das heißt, auf Katze und nicht auf mich. "Stupsjunges, wo warst du denn nur?"
"Stupsjunges" lächelte mild und leckte meiner Mutter kurz das Ohr. "Ich war spielen, Mutter", sagte sie und zwinkerte mir zu.
Komische Nudel richtete ihre kalten, blauen Augen auf mich. "Und wer bist du?", fragte sie zweifelnd. Ein seltsames Gefühl der Leere überkam mich.
"Das ist mein Bruder Fauljunges", sagte sie stolz und leckte mir das Ohr, was sich ein wenig seltsam anfühlte, ich kannte sie ja erst seit ein paar Tagen.
Die Züge meiner Mutter veränderten sich, sie wurde wieder irritiert. "Du hast keinen Bruder", sagte sie entschlossen. Ich sah auf den Boden und versuchte, wieder an etwas anderes zu denken.
"Faulpelz ist mein Blutsbruder", sagte sie gespielt ernst und sprang kindlich um mich herum.
Blutsbruder - dieses Wort ließ mich innehalten. "Blutsbruder, Blutsbruder" hatte sie immer gerufen, "Das wirst du sein." Wir hatten uns gut verstanden - immer wenn ich ein Problem gehabt hatte oder Frechdachs mich ärgerte, konnte ich zu ihr gehen. Sie hatte mir immer geholfen, mir immer beigestanden, sie war immer meine Heldin gewesen. Das Lieblingsjunge meiner Mutter und des gesamten Clans - sie hatte mich nie im Stich gelassen.
Bis zu dem Tag, an dem der Habicht gekommen war.
Ich schloss die Augen und drehte das Gesicht weg. Blutsbruder. Woher wusste sie das? - von Komischer Nudel?
Die Augen meiner Mutter wurden wieder trüb, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, ja, als kenne sie uns gar nicht, kletterte sie auf das Fensterbrett und rollte sich zusammen, neben Blaues Auge, die stumm aus dem Fenster schaute, wie immer. Katze sah mich von der Seite an und folgte meinem Blick. Sie trat ein wenig näher an mich heran, ihr Pelz berührte meinen.
"Wir hatten den gleichen Plan", sagte sie leise.
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