Wieso folgt ihr ihm dann?

Verwirrt und verstört sah ich mich um. Es ist keine alltägliche Situation, von unheimlichen, gelben Augen angestarrt zu werden, auch nicht, wenn man eine Katze ist. Auch wenn die Hälfte aller Clan-Katzen gelbe Augen besitzt.

Normalerweise werde ich nicht angestarrt. Ich bin nicht hübsch, ich bin nicht muskulös und ich habe auch nichts sonderliches getan - außer Staub zu wischen, meine ich. Niemand hatte je Interesse an mir gehabt, der nicht zu meinen Freunden gehörte und nicht einmal die interessierten sich wirklich für mich.

Ich war einfach der kleine, graue Kater mit dem viel zu langen Fell, der durch den Wald lief und patrouillierte, jagte und immer Staub im Fell hatte. Derjenige, der immer vergessen wird, übersehen, der nie etwas besonderes tut. Derjenige, der sich verdrückt, sobald mehrere Katzen da sind.

Einfach ich. Ganz normal.

Oder anders ausgedrückt: Es gab nicht den geringsten Grund, wieso man mich anstarren sollte. Es gab niemanden, der es wollte, niemanden, der es tun will und somit auch niemanden, der es tut.

Wahrscheinlich hatte ich mir diese gelben Augen nur eingebildet. Es konnte einfach nicht so sein. Meine Fantasie musste mit mir durchgegangen sein.

"AAANGRIFF!"

Ich wirbelte verwirrt herum und bemerkte erst jetzt, dass mir eine Katzenmeute von mindestens zwanzig Katzen folgte. Absolut perplex blieb ich stehen und richtete meine Ohren auf ihren Anführer, der an der Spitze des seltsamen Trupps stand.

Warum es ein seltsamer Trupp war? Nun, das lässt sich einfach beschreiben. Erstens waren es Katzen, die sich freiwillig in einer Masse bewegten. Dann war es ein Clan. Und dann nicht irgendein Clan, sondern der PartyClan.

Du musst dir den PartyClan ungefähr vorstellen wie eine Jungs-WG. Sie haben nicht den geringsten Plan vom Leben, lachen aber die ganze Zeit und feiern alle möglichen Anlässe. Samstage. Weihnachten. Ostern. Die Woche vor Ostern. Fasten - als exaktes Gegenteil jedoch - und Mittsommer. Mittfrühling, Mittherbst und Mittwinter auch, dann natürlich die Wochen vor und danach und den Tag, an dem der Anführer Geburtstag hat. Nicht zu vergessen auch den Tag, an dem die Mutter des Anführers Geburtstag hat, den Tag davor und danach und die Tage vor und nach den Tagen davor und danach. Den Lieblingstag des Ältesten, den Lieblingstag der Mutter des Ältesten, den Lieblingstag des Kleinsten, des Größten, des Stärksten und der Katze, die auf die höchsten Bäume klettern kann. Abgesehen davon natürlich Pfingsten, Halloween und jede Menge Tage von irgendwelchen Heiligen, die nicht einer von ihnen kannte.

Aber das war ja kein Problem. Das Problem war: so sahen sie auch aus.

Erstaunlich war jedoch, dass sie trotzdem erstaunlich geschickt waren, wie Waschbären. Und sie liebten Süßigkeiten, denn durch irgendeine Laune der Genetik waren sie imstande, diese Massen an Zucker und Geschmacksverstärkern zu vertragen - Cola, Chips, Popcorn, Schokolade, Gummibärchen, einfach alles.

Woher sie das alles nahmen? Die Antwort ist einfach: sie wohnen am nächsten an der Stadt. Im dritten Quadranten, dem südwestlichen. Direkt in der Nähe eines Wohnviertels. Mit Supermarkt, sei dazugesagt. Wie schon gesagt, sie waren erstaunlich geschickt.

"Aus dem Weg, Faulpelz!", japste ihr Anführer. Offenbar musste sein Lieblingsfest Weihnachten sein, denn man hatte ihn Weihnachtsstern genannt. Schade, eigentlich müsste er Betlehemsstern heißen. Du weißt schon, der Stern Über Betlehem. Und genauso offensichtlich vertrugen sie nicht nur Cola, Fanta, Sprite und Mineralwasser, sondern auch gegorenen Traubensaft, denn er lallte, als hätte er eine ganze Flasche davon getrunken - du musst bedenken, dass Katzen weniger Alkohol als Menschen vertragen.

Er roch übrigens auch so.

"Falsches Territorium, schätze ich?", fragte ich, ohne aus dem Weg zu gehen. Ihr Stellvertretender stand neben seinem Chef - auch wenn letzterer nicht so ganz ansprechbar war, Käsefuß war es für gewöhnlich immer.

Der schwarz-rote Kater zuckte mit den Ohren. "Wir haben doch auch keine Ahnung, wo er hinwill."

"Wieso folgt ihr ihm dann?"

Eine Katze sprang aus dem Dickicht. Nein, eigentlich nicht irgendeine, sondern die Katze. Ich rollte den Schwanz ein und seufzte.

"Die Neue, nehme ich an?", riet Käsefuß und hielt seinen Anführer sanft zurück, mich in den Graben zu schubsen. Er protestierte lautstark, aber als er zuschlagen wollte, traf seine Pfote nur das Nichts.

Und sein Stellvertreter hatte sich nicht bewegt.

"Wieso folgt ihr ihm dann?", wiederholte Katze und fauchte eine - ebenfalls betrunkene - Partykatze an, die ihr zu nahe gekommen war. "Wieso folgt ihr einem unzurechnungsfähigen, taumelnden, lallenden Fellball, der offensichtlich keine Ahnung hat, wohin er eigentlich geht?"

Käsefuß stockte. "Er ... er ist unser Anführer!", rief er entsetzt.

Katze seufzte und stupste Weihnachtsstern an. Er war eingeschlafen.

"Und was wollt ihr hier?"

Der Anführer schreckte hoch und hickste. "Wir nehmen dieses Territorium ein!"

Katze und ich sahen uns an. Sie seufzte, dann schnellte sie in überkätzlicher Geschwindigkeit hervor und verpasste dem Anführer eine leuchtend rote Kratzspur über dem Gesicht. Im nächsten Wimpernschlag hatte sie ihn auf den Boden geworfen, ihre Fangzähne waren nur eine Haaresbreite von seiner Kehle entfernt. Weihnachtsstern machte Anstalten, sich zu wehren, wirkte dabei aber eher wie ein strampelnder Säugling.

Sie stieß ihn weg und der Kater rollte einige Schwanzlängen über den Boden, bevor er verwirrt und nur halb anwesend zum stehen blieb.

"Wenn das euer bester Mann ist", fauchte sie, "Dann solltet ihr mal darüber nachdenken, was ihr falsch gemacht habt."

Weihnachtsstern richtete sich mühselig auf. Seine Augen wirkten wirr, wie bei einem Uralten, nur nicht ganz so trüb.

"Ich sage - AAAANGRIFF!" Und er rammte mit dem Kopf in die Seite von Katze - woraufhin er auf den Boden fiel und - eigentlich schon verwunderlich, dass es überhaupt möglich war - wirkte noch verwirrter als zuvor. Aber das bemerkte niemand mehr. Ungefähr zwanzig Katzen stürmten auf uns zu. Alle wild entschlossen, uns in der Luft zu zerreißen.

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