Ich, der lebendige Wischmopp
Stell dir einen x-beliebigen Wald vor. Natürlich keinen richtigen - so einen mit Forstwirtschaft. Mit Menschen. Einen, in dem man alle paar hundert Meter auf einen Graben trifft, so einen kleinen, flachen. Genau so einen Wald musst du dir vorstellen. Eigentlich komisch, dass ich das dazusagen muss, es gibt ja kaum noch andere.
Quadratische, große Felder mit Bäumen und Wegen und diesen Gräben. Das ist ein Wald. W-A-L-D. Genau genommen ist es mein Wald. Mein Wald besteht nur aus vier Kästchen.
Vier Kästchen?, wirst du dich jetzt fragen, Aus mehr besteht dein Wald nicht?
Nein! - Das heißt, eigentlich doch. Mein Wald ist etwas besonderes. Mein Wald besteht nicht nur aus vier quadratischen, großen Feldern mit Bäumen und diesen Gräben, den kleinen, flachen. Mein Wald, und zwar nur meiner, besteht aus vier quadratischen, großen Feldern mit Bäumen und diesen Gräben UND einem Pfahl.
Dem Heiligen Pfahl.
Und nun: Herzlich willkommen in meinem Zuhause.
Ich streifte durch den Wald. Das mit dem "streifen" darfst du übrigens wortwörtlich nehmen, mein Pelz ist so etwas wie der Wald-Staubsauger. Du dachtest, das wären die Ameisen - die Müllabfuhr, die Putzfeen, die, die alles saubermachen? Stimmt nicht. Das ist meine Job. Unbezahlt, am Rande bemerkt, ich mache das ehrenamtlich.
Genau genommen streifte ich durch den ersten Quadranten unseres kleinen Waldes. Den Quadranten meines Clans.
Wahrscheinlich fragst du dich jetzt: "Wer ist denn noch so rückschrittlich und teilt seine Welt in Clans auf und nicht in Soziale Netzwerke?"
Die Antwort ist einfach: Wir. Nicht absichtlich, aber Krallen zerkratzen den Display immer. Oder die Maus - das heißt, mit der sind wir es auch einfach nicht gewohnt, zu arbeiten. Normalerweise fressen wir sie ja. Du weißt schon, weil ich eine Katze bin.
Habe ich schon gesagt, dass ich schnell abschweife?
Wie auch immer, ich streifte also durch den Quadranten meines Clans in meinem Wald und vollzog meine Arbeit als lebendiger Wischmopp, als ich auf jemanden stieß.
Natürlich nicht auf irgendjemanden, sondern auf Komische Nudel.
Wenn du dich jetzt fragst, wieso um alles auf der Welt eine komische Nudel im Wald herumlaufen sollte: sie heißt so und sie hat sich ihren Namen ausgesucht, sie heißt eben so.
Komische Nudel war keine gewöhnliche Katze - sie war eine der Uralten. Die Katzen, die man nicht mehr braucht und mangels eines Katzen-Altersheims ins Tierheim bringt. Wer mag schon diese ätzenden, greisen, alten Leute? Genau: wir nicht.
Weil sie es sowieso nicht mehr bemerken, kann man ihnen auch neue Namen geben. Ich weiß nicht ganz, wieso sie die auch brauchen, aber ich glaube, das ist, damit die anderen Tierheim-Katzen nichts von uns mitbekommen - und am Ende auch noch zu uns wollen! Das geht ja nicht!
Also, ich traf auf Komische Nudel.
Komische Nudel war ironischerweise tatsächlich eine komische Nudel: sie kannte den Weg zurück. Das bedeutet, sie kannte mich. Ich war nämlich nach dem Putzen auch noch dafür zuständig, die Uralten zurück in ihr Uraltersheim zu bringen.
"Da bist du ja!", rief Komische Nudel und stolperte auf mich zu, rutschte aus und klatschte auf den Boden. Im Fallen schrie sie noch: "Ich habe dich gesucht!"
Ich ließ eine Bemerkung sein und half ihr schweigend wieder auf - Manchmal glaube ich, dass es einfacher wäre, sie einfach zuhause zu behalten, aber Glückssternchen hat es mir verboten. Also geht es nicht, ist praktisch eine absolute Unmöglichkeit.
"Du bist ja groß geworden! Du wirst sicher bald ein Schüler, wenn du weiter so wächst!"
Habe ich schon erwähnt, dass sie meine Mutter war?
"Ich bin schon ein Krieger", versuchte ich also, auch wenn sie es gleich wieder vergessen würde - für sie blieb ich immer ihr Junges, das durch den Wald rennen und alle anderen bei Laune halten musste.
Komische Nudel lachte und stupste mich an, das tat sie immer, wenn ich in ihren Augen so tat, als wäre ich schon erwachsen. Was ich in meinen schon war - ich war wirklich kein Junges mehr, das tat, als wäre es Krieger, sondern ein richtiger Krieger, das sagte, dass er einer war.
"Du wirst der beste werden, den ich je gekannt habe", versicherte sie mir schnurrend. "Und ich kannte viele!"
"Lass uns doch nach Hause gehen", schlug ich vor.
"Ja, lass uns nach Hause gehen", meinte sie.
Ich versuchte also, in die Richtung zum Uraltenheim zu gehen, aber sie hielt mich zurück, wie fast immer.
"Das ist doch nicht der richtige Weg, mein kleiner!" Sie stolzierte in die andere Richtung, zum Lager meines Clans. "Komm mit!"
Ich seufzte.
"Wir haben das Lager... verlegt. Es ist jetzt dort. Komm mit, da gibt es Essen", versuchte ich und zog sie sanft zurück.
"Ach ja", murmelte sie, "Stimmt." Sie blinzelte verwirrt. "Gut, dass du mich daran erinnerst. Ich hätte es beinahe vergessen. Es ist nämlich ganz dringend, ich muss Sternchen etwas sagen."
Sternchen, so nannte sie den früheren Anführer und ignorierte stur einerseits, dass er eigentlich gar nicht so geheißen hatte und andererseits, dass auch er mittlerweile nicht mehr auf dieser Welt weilte und somit durch seinen Zweiten Anführer - Glücksstern - ersetzt worden war. Allerdings schon vor ein paar Jahren.
Ich horchte auf. Meistens wiederholte sich Komische Nudel in ihren Sätzen - "Du bist ja groß geworden!" und "Das ist doch nicht der richtige Weg, Kleiner! Komm mit!" und "Wir müssen zurückgehen!" und so etwas - aber "Ich muss Sternchen etwas sagen!" hatte sie noch nie von sich gegeben. Sofort blitzte Interesse in mir auf, ich spitzte die Ohren.
"Was musst du ihm denn sagen?"
Sie sah mich verwundert an.
"Wem?"
Vielleicht war es auch nur falscher Alarm, dachte ich mir und lächelte.
"Nichts, Mutter. Ich hatte nur etwas verwechselt. Komm, lass uns-"
Sie sah mich verstört an.
"Mutter? Wieso Mutter? Ich bin nicht deine Mutter, wie oft soll ich es dir denn noch sagen?"
Komische Nudel - sie hatte es vergessen. Eigentlich wusste ich das auch, aber manchmal passierte es mir eben, dass ich sie trotzdem so nannte - wie mein ganzes Leben davor eben auch. Bevor sie in das Tierheim gekommen war, bevor sie eine der Uralten geworden war.
"Komm, lass uns gehen", schlug ich vor und legte ihr den Schwanz auf die Schulter. Sofort vergaß sie es spürbar und trottete neben mir her, fröhlich wie zuvor. Gleich würde sie wieder feststellen, wie groß ich geworden war und dass ich bald ein Schüler sein könnte, wenn ich so weiterwüchse. Ich zählte ihre Schritte.
Fünf.
Vier.
Drei.
Zwei.
Eins. Ich seufzte.
"Du bist ja groß geworden! Du wirst sicher bald ein Schüler, wenn du weiter so wächst!"
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