Der Staubwedel und seine namenlose Freundin
Das Lager - du darfst es dir ungefähr wie ein kleines Paradies vorstellen. Nur, dass es nicht ganz schön aussieht. Und es nicht immer Essen gibt. Und überall Katzen liegen. Draußen. Auch im Regen. Auch bei Gewitter. Auch bei Schnee. Eben immer.
Eigentlich ist es nur eine x-beliebige Stelle mitten im Wald, die irgendjemand mal als "absolute Mitte des ersten Quadranten" bezeichnet und sie in "das Lager" umbenannt hat. Bäume, Gras, Farn, Moos, Katzen, manchmal noch ein paar Mäuse. Tot, versteht sich.
Das einzige, was es gibt, ist ein kleines Gebüsch, etwas abseits von der Mitte, trotzdem aber das Zentrum des Lagers. Das Gebüsch des Anführers. Heißt: dort wohnt das Glückssternchen.
Im Übrigen habe ich keine Ahnung, wer zuerst auf die Idee kam, ihn so zu nennen, "Glückssternchen". Vermutlich jemand, der zu sehr an Horoskope glaubt. "Du bist das Glückssternchen des Tages", so etwas. Er selbst scheint nicht allzu zufrieden damit, aber sind wir mal ehrlich: niemand hier ist zufrieden mit seinem Namen. Und wie kann man damit umgehen? Genau: man gibt den Kindern vor Frust genauso bescheuerte.
Das Gute ist, an den Namen lässt sich auch ganz einfach der Clan bestimmen.
Es gibt vier davon. Eins für jeden Quadranten: den PartyClan, der aus Leuten wie Käsefuß und Osterei bestand - den VolksClan, der am meisten Wert darauf legte, dass jedes Mitglied ja eine reinrassige Perserkatze war - den DudenClan, den ich persönlich am meisten mochte, weil ihre Namen nur Wortspielchen sind und sie jedes mal ziemlich kreativ sein müssen - und unseren. Den mit dem idiotischsten Namen überhaupt. Wortwörtlich, meine ich.
IdiotenClan.
Aber hey, was spielen Namen schon für eine Rolle. Und außerdem ... ich schweife ab.
"Hey, was geht, Faulpelz?"
Ich blieb abrupt stehen. Weißt du, eigentlich habe ich gegen niemanden etwas. Aber es gibt da eine Ausnahme.
"Oh, du musst der Dummkopf sein!", rief die graue Katze sofort. "Ich meine, du musst Dummkopf sein", verbesserte sie sich sofort.
Dummkopf bemerkte den kleinen Fehltritt nicht, sondern freute sich nur "wie Bolle", wie er zu sagen pflegte. Dieser Faulpelz brachte Besuch mit, "wie cool war das denn"?
Ich ignorierte ihn und wollte gerade Glücksstern rufen, als er selbst um die Ecke kam. Sein Blick war müde, wie immer, als hätte er bereits jetzt schon die Nase voll von diesem Clan. Ich konnte es ihm nicht verübeln.
"Oh. Du bist zurück", sagte er langsam und sein Kopf schwenkte zu der grauen Katze ohne Namen. "Und wer bist du."
Sie blinzelte. Ihr Grinsen war erloschen, als sie Dummkopf gesehen hatte.
"Ich bin ich", sagte sie, "und ich möchte diesem Clan beitreten."
Der Anführer blinzelte mit seinen müden Augen.
"A-Ha", sagte er langsam und wollte schon verschwinden.
"Ich möchte diesem Clan beitreten", wiederholte sie unverändert.
"A-Ha", sagte Glücksstern ungerührt.
Sie blinzelte verwundert.
"Großmaul?" Der schwarze Stellvertretende Anführer kam aus dem Nichts herbei stolziert und setzte sich gehörig neben seinen Vorgesetzten. "Die ... da ... will sich ... anmelden", sagte Glücksstern, immer langsamer werdend. Gleich würde er vermutlich einschlafen.
"Alles klar, Chef! Ich kümmere mich darum, Chef! Wird erledigt, Chef!"
Glücksstern verschwand im Dickicht. Ich sah seinen Stellvertreter lange an - ich konnte diesen Angeber noch nie leiden. Sein Name passte einfach perfekt zu ihm und unwillkürlich musste ich hoffen, dass es meiner nicht tat.
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass er mein Lehrer war. Oder ich sein Schüler, das passt besser. "Praktikant", so nennt ihr das doch. Den Idioten, der immer alles bringen muss und nicht dafür bezahlt wird - damit er sich am Ende freuen kann, nie wieder kommen zu müssen, und ein Blatt Papier bekommt, auf dem genau das draufsteht.
Im Gegensatz dazu habe ich eben einen anderen Namen bekommen. Statt Faulschüler eben Faulpelz. "Schüler", das war die geläufige Bezeichnung für Schüler, so wie "Junges" eben für Junge. Ganz einleuchtend.
Auf jeden Fall kann ich ihn nicht ausstehen. Er ist wirklich ein Großmaul.
"Name?", fragte (das) Großmaul mechanisch.
Sie schwieg.
"Name?", wiederholte (das) Großmaul mechanisch.
Sie schwieg.
"Name?", wiederholte (das) Großmaul, diesmal etwas gereizter, aber noch immer mechanisch.
Sie schwieg.
"HAST DU KEINEN Namen ODER WAS?!", brüllte der Stellvertretende Anführer. Selbst das klang mechanisch.
"Natürlich habe ich einen Namen", sagte sie, "Aber den verrate ich dir nicht."
"WIE SOLL ICH DIESES FORMULAR AUSFÜLLEN, WENN DU MIR NICHT DEINEN NAMEN VERRÄTST?"
"Du hast kein Formular", wies sie ihn freundlich auf die Tatsachen hin.
Großmaul blinzelte mechanisch.
"Geburtsort?", fragte er wieder normal, als wäre nichts gewesen.
Sie zuckte mit den Schultern.
"Keine Ahnung, wo das genau war."
"Geburtsort?"
"Soll ich es nochmal sagen?"
"Geburtsort?"
"Komm schon, das ist doch echt bescheuert."
"SAGST DU ES MIR JETZT ODER WILLST DU GLEICH GEHEN?"
Ich seufzte und sah mich um. Von Großmauls Geschrei angelockt, war das Lager voller Katzen meines Clans - lauter Leute, die ich nicht unbedingt leiden konnte, aber ertrug, weil sie eben so etwas wie meine Familie waren. Weiter hinten jedoch winkte mir Frechdachs zu, die ihrem Namen wirklich alle Ehre machte, neben ihr stand Mauerblume - meine einzigen zwei Freunde im Clan, seitdem ich mich mit meinem Vater zerstritten hatte. Du weißt schon, wegen meiner Mutter.
Ich schenkte ihnen ein kurzes Lächeln, dann schob sich Fettauge dazwischen und die zwei waren aus meiner Sichtweite. Ich sah wieder nach vorn. Großmaul hatte es aufgegeben, Dinge zu fragen, und die seltsame Katze erzählte einfach ein wenig von sich.
"Also, ich habe blaue Augen - zwei übrigens -, meine Pupillen sind ein wenig zu groß, ich sehe auf dem rechten Auge besser als auf dem linken und ich bin ... Moment ... 3,1415 Dezimeter hoch und ... ach ja, ich habe meine Zeugnisse vergessen. Tut mir echt leid."
"WIE, GLAUBEN SIE IM ERNST, ICH KÖNNTE SIE PASSIEREN LASSEN, WENN SIE IHRE ZEUGNISSE-"
"Oh, ich glaube nicht, dass Sie mich wirklich passieren lassen wollen - ich bin doch keine Tomate." Sie warf mir ein Grinsen zu. "Und ich möchte auch nicht passiert werden. Eigentlich will ich nicht einmal passieren. Ich meine, klar, ich mag Tomatensoße, aber jetzt nicht, okay? Ich möchte aufgenommen werden. A-U-F-G-E-N-O-M-"
Großmaul unterbrach sie mit einem bösen Blick. Ich kannte ihn nur zu gut - und du kannst mir glauben, dieser Blick bedeutet nichts Gutes. Das heißt, "böse" ist vielleicht der falsche Begriff. Als gäbe es so etwas wie "böse". Es war dieser Blick, der bedeutet: "Ich hatte noch kein Mittagessen und du siehst zum Anbeißen aus."
"Abgelehnt", war jedoch das einzige, das er sagte.
Stille.
Dann grinste sie wieder, noch viel, viel breiter als zuvor. Langsam wird es gruselig, dachte ich, dieses Grinsen.
"Fantastisch, ich wollte nicht zu Soße gemacht werden." Sie ließ den Blick schweifen. "Ihr seid ziemlich wenige, hm?"
Großmaul knurrte.
"Naja, dann darf ich Ihnen hiermit folgendes mitteilen: Sie haben bestanden!" Sie strahlte. Als sie merkte, dass niemand jubelte, sah sie ihn skeptisch an. "Freuen Sie sich denn gar nicht, ein neues Mitglied in ihrem Clan zu haben?"
Großmaul fletschte die Zähne. Ich dachte schon, er würde sich auf sie stürzen und überlegte ernsthaft, ob ich eingreifen würde, aber stattdessen sagte er nur:
"Natürlich freue ich mich. Willkommen im IdiotenClan!"
Raunen ging über die Lichtung. Vielleicht habe ich es vergessen zu erwähnen, aber es war seit Jahren keine Katze mehr in unseren Clan aufgenommen worden - hauptsächlich, weil sich niemand für uns Clan-Katzen interessierte und dann noch, weil die meisten Anwärter sowieso in den PartyClan oder DudenClan gelangen wollten. In der ganzen Zeit, in der ich hier lebte - also schon immer - hatten wir erst zwei Bewerber gehabt, die beide am Anmeldeverfahren gescheitert waren.
Ich legte den Kopf schief und musterte die Katze ohne Namen verwundert.
Großmaul hob den Schwanz und das Gemurmel verstummte augenblicklich.
"Sicherlich fragt ihr euch, weshalb sie dieses harte Anmeldeverfahren bestanden hat", sagte er mit lauter, klarer Stimme und plusterte das Fell auf. "Nun, unser allerheiliger Anführer und ich haben uns beraten und die Anmeldevorrichtungen verschärft."
Das Gemurmel erhob sich wieder. Eine der anwesenden Katzen rief schließlich: "Wieso wurde sie dann trotzdem angenommen?"
Großmaul sprang auf. "Die einzige Richtlinie ist nun: Humor haben!" Jubel brach auf der Lichtung aus. Er warf mir einen finsteren Blick zu. "Dein Glück", sagte er leiser, dass die anderen es nicht hören konnten, "Dass Staatsbürger den Test nicht erst bestehen müssen."
Ich bleckte die Zähne: "Ja, dann hätte ich nicht einen so wunderbaren Lehrer gehabt."
Der Jubel verebbte, bevor er etwas erwidern konnte, und der Stellvertretende Anführer sah die grau gestreifte, fremde Katze an.
"Wie sollen wir dich nennen?", fragte ich, als sich Stille ausbreitete. Wenn sie uns ihren Namen nicht verraten wollte, war das eine berechtigte Frage.
Sie überlegte nicht lange: "Nennt mich einfach Katze. Das genügt fürs erste."
"Katze! Katze! Katze!"
Sie reckte sich stolz und begann, sich das Fell zu putzen. Das Lächeln hatte sich wieder auf ihre Lippen geschlichen. Ich setzte mich daneben.
"Sie sind ja noch idiotischer, als ich dachte", gab sie zu und warf mir einen Blick zu. "Es wird schwierig werden, unseren Plan durchzusetzen."
Ich blinzelte verwundert. "Welchen Plan?"
Aber sie zwinkerte mir nur zu und sprang dann in die Katzenmenge.
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