1. ...verführt
Sie hatten diese eine Mission – Sie mussten Nicolas Serpil dazu bringen, sich in Althea zu verlieben, um ihn kurz darauf ins Verderben zu stürzen. Dabei würden die Schwestern nichts dem Zufall überlassen. Sie waren vorbereitet.
„Wie lange brauchst du noch?", fragte Althea ungeduldig, während sie sich in einen engen Glitzerfummel zwängte. Ihre blonden Locken fielen in sanften Wellen über den tiefen Rückenausschnitt.
„Ich hab es gleich", erwiderte Mirella und wandte sich wieder ihrem Spiegelbild zu. Mit geübter Hand legte sie die unsichtbare, magische Maske auf ihr Gesicht. Sie schenkte ihrer ungebändigten, roten Mähne keine Aufmerksamkeit; stattdessen konzentrierte sie sich auf den Prozess der Verwandlung. Als talentierte Maskenbildnerin hatte Mirella über Jahre hinweg diese Kunst perfektioniert. Sie konnte sich keinen Fehler erlauben, denn heute stand zu viel auf dem Spiel.
Die magische Maske verschmolz wie eine unsichtbare zweite Haut mit ihrem blassen Gesicht. Augenblicklich breitete sich die Kraft der Magie wie prickelndes Wachs über ihre Haut aus. Was für ein berauschendes Gefühl! Jeder Selbstzweifel wurde ausgelöscht, jede Unsicherheit davongetragen. Sie fühlte sich stark und unbesiegbar.
In ihrem Spiegelbild sah Mirella nicht nur sich selbst; eine Fremde blickte ihr betörend schön entgegen. Ihre rehbraunen Augen leuchteten geheimnisvoll, ihre geschwungenen Lippen verhießen die pure Versuchung. In perfekten Wellen fiel ihr rotbraunes Haar über die Schultern und ihre Haut gesprenkelt mit Sommersprossen, wirkte so, als hätte ein Künstler sie auf seinem Meisterwerk verewigt. Ein selbstsicheres Lächeln schlich sich auf Mirellas Gesicht. „Ich bin so weit," sagte sie schließlich zu Althea. „Wir können gehen!"
Mit einem letzten Blick in den Spiegel traten die maskierten Schwestern hinaus in die Nacht – bereit für das Spiel der Versuchung, bereit für den Kampf gegen die Unterdrückung. Die Stadt schlummerte unter einem Schleier aus Unwissen; Nicolas Serpil ahnte nicht einmal, dass sein Schicksal bereits besiegelt war...
Pulsierende Musik brachte die Luft zum Vibrieren. Schimmernde Kristalllüster hingen von der Decke und tauchten den exquisiten Nachtclub in ein gedämpftes Licht. Althea saß an der Bar, ihr schwarzes Kleid betonte jede Linie ihres Körpers. Während sie an ihrem Cocktailglas nippte, beobachtete sie aufmerksam die Szenerie um sich herum. Es war das erste Mal, dass sie in diesem Etablissement war. Nach getaner Arbeit würde sie ihre Spuren sorgfältig verwischen. Niemand durfte Rückschlüsse ziehen, dass ein Mädchen aus den Docks hier war – geschweige denn, dass dieses dem Widerstand angehörte. Sie kannte das Risiko, doch zusammen mit Althea bildete sie ein eingespieltes Team. Auch diesmal würden sie es schaffen, unerkannt zu bleiben. Mirella musste nur dem Plan folgen, den ihre Schwester aufgestellt hatte.
Sie unterdrückte ein spöttisches Lächeln, als ihr Blick auf eine Gruppe von Serpils Männern fiel, die in einer dunklen Ecke des Clubs um einen Stehtisch standen. Selbst beim Feiern trugen sie ihre hochgeschlossenen schwarzen Mäntel. Ihre starre, aufrechte Statur wirkte fast bieder und unpassend zu der ausgelassenen Atmosphäre des Nachtclubs.
Diese Männer verkörperten alles, was Mirella verabscheute. Ihre starre, kleingeistige Weltanschauung präsentierte sich in einem populistischen Gewand und vermischte sich mit den finsteren Praktiken einer okkulten Sekte. In ihren starren Hierarchien dienten sie einem einzigen Anführer – Ascar – dessen einziges Ziel es war, Macht zu erlangen. Sie waren nicht nur Idioten; sie waren die Art von Idioten, die es geschafft hatten, ein ganzes Land mit ihrem Fanatismus zu unterjochen. Jeder, der sich wagte aufzulehnen, wurde brutal aus dem Weg geräumt. Doch Mirella war nicht bereit, sich zu verstecken – nicht mehr. Sie hatte zu viel verloren, um ihren Kopf in den Sand zu stecken und tatenlos zuzusehen.
Mirella ließ ihren Blick weiter über die Tanzfläche wandern. Althea tanzte inmitten einer Gruppe feiernder Männer und Frauen. Ihre Schwester war genau an ihrem Platz. Sie bewegte sich geschmeidig im Rhythmus der Musik und Serpil wich ihr nicht von der Seite. Die Lichter blitzten auf ihren schimmernden Haaren und ließen sie wie eine Göttin erscheinen. Die Art und Weise, wie Althea die Blicke von Serpil auf sich zog – es war hypnotisierend. Jeder hatte seine Rolle zu erfüllen. Während Althea Serpil verführte, würde Mirella sich im Hintergrund um seine Männer kümmern.
Die Musik wurde lauter; das Dröhnen der Basslinien durchdrang ihren Körper bis ins Mark. Prickelnd zog sich die Anspannung durch Mirellas Adern; es war Zeit zu handeln. Mit einem letzten Blick auf Althea erhob sie sich von ihrem Platz an der Bar und steuerte ihr Ziel an.
Ehe sie die Männer erreichen konnte, hielt sie etwas zurück. Durch die Maske war sie es gewohnt, dass man ihr lüstern hinterher sah. Nichts, was sie beunruhigen würde. Doch dieser Blick war anders.
Ein Schauer lief über ihren Rücken, als ihre Augen den geheimnisvollen Mann einfingen, der allein in einer der Nischen saß. Sein Blick war wie ein scharfer Dolch, der durch die Menge schnitt und direkt in ihre Seele drang. Qualmender Zigarrenrauch legte seine markanten Gesichtszüge hinter einen Nebel. Die Schatten unter seinen Augen schienen Geschichten von einer dunklen Vergangenheit zu erzählen. Sein schwarzes Haar fiel ihm ins Gesicht, als wäre es ein Vorhang, der seine verbotenen Gedanken verbarg.
Seine Präsenz zog Mirella an und gleichzeitig verunsicherte sie diese. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Eine Mischung aus Faszination und Angst stieg in ihr auf. Er schien durch jede ihrer magischen Masken hindurchzusehen. Sie war nackt vor ihm, verletzlich und schutzlos, als hätte er ihr wahres Ich entblättert. Wer war dieser geheimnisvolle Fremde?
Fluchtartig riss sie den Blickkontakt ab und zwang sich, weiterzugehen. Sie musste für Ablenkung sorgen, damit ihre Schwester ungestört mit Serpil spielen konnte. Keine Zeit zu verlieren!
Plötzlich hörte sie eine Stimme neben sich: „Na na, was verschlägt dich hübsches Ding hierher?" Der Mann grinste selbstgefällig, während seine Freunde lachten. Abstoßende Begierde und der beißende Geruch von Wodka schlug ihr entgegen. „Ich bin ein Geschenk Eures Herren", erwiderte sie mit einer stolzen Selbstverständlichkeit, die ihr Mut zusprach. In diesem Moment erstarrten die Mienen von Serpils Männer; der Kerl, der sie angesprochen hatte, tauschte nervöse Blicke mit seinen Freunden aus. Mirella wusste nur zu gut, dass Ascar nicht für seine Großzügigkeit bekannt war – Geschenke waren oft nur Vorwände für etwas Grausames oder der Forderung einer Gegenleistung.
Mit einer geschmeidigen Bewegung hob Mirella ihr Bein an und platzierte ihren Stiefel herausfordernd auf dem Tischchen. Der seidige Stoff ihres Kleides glitt dabei verführerisch nach oben und entblößte die zarten Halter ihrer Strapse. Ein elektrisierendes Prickeln durchzog den Raum, während Mirella nur darauf wartete, dass die Falle zuschnappte.
Kurz darauf lockte Mirella einen nach dem anderen in den Nebenraum, während sie die Männer ins Verderben führte. Ihre Leute vom Widerstand lauerten dort bereits, um sie von der Bildfläche verschwinden zu lassen. Keiner der Männer fragte, wo der Rest ihrer Gruppe geblieben war. Sie waren wie hungrige Raubtiere, die es kaum erwarten konnten.
Als Mirella schließlich zurück in den Nachtclub trat, fiel ihr Blick sofort auf Althea, die eng umschlungen mit Serpil auf der Tanzfläche stand. Ein siegessicheres Lächeln stahl sich auf Mirellas Gesicht – es war Zeit zu verschwinden, so besagte es der Plan. Schließlich mussten Altheas Verführungen geschickt eingesetzt werden, damit Serpil ihr eines Tages aus der Hand fressen würde.
Noch bevor sie sich in Bewegung setzen konnte, spürte sie einen heißen Atem in ihrem Nacken, der augenblicklich ihre Nackenhaare aufstellen ließ. Sie musste sich nicht umdrehen; allein der Gedanke an ihn ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Die Masken stehen Ihnen nicht", flüsterte er mit einer Stimme, die wie ein düsteres Versprechen klang. Jedes seiner Worte war eine Herausforderung, ein Spiel zwischen Macht und Anziehung. Mirellas ganzer Körper erstarrte; der Mut schien ihr zu entgleiten. Hatte er sie wirklich enttarnt? Die Angst schnürte ihr die Kehle zu, während sein Atem wie eine heiße Berührung über ihren Nacken strich.
„Sie sollten sie abnehmen... ich werde dafür sorgen, dass sie ihre Masken abnehmen. Wie klingt das für Sie?" Seine Worte waren hypnotisch und doch die reinste Drohung. Mirella wagte es nicht, zu antworten; stattdessen blieb sie regungslos stehen und spürte seine Präsenz hinter sich – stark und überwältigend. Spätestens jetzt hätte sie fliehen sollen – weit weg von diesem Mann, dessen Aura nach Gefahr roch und gleichzeitig eine unerklärliche Anziehung ausstrahlte.
Anstatt zu entkommen, verharrte sie dort, gefangen zwischen dem Drang, sich zu befreien, und dem verlockenden Wunsch, sich an ihn zu lehnen und Halt zu finden. Er war ihr viel zu nah; die Hitze seines Körpers durchdrang den Raum zwischen ihnen.
Es dauerte viel zu lang, bis ihr Verstand wieder zurückkehrte. Sie erblickte Althea am Ausgang: Es war höchste Zeit, diesen Ort hinter sich zu lassen. Als Mirella endlich den Nachtclub verließ, spürte sie es tief in ihrem Herzen – der geheimnisvolle Fremde hatte längst einen Teil von ihr gefangen genommen. Einen Teil, der nach Gefahr lechzte und die gesamte Mission in ein riskantes Spiel verwandeln konnte.
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