Fünf

„Baronin Karola wartet auf Euch im Salon, Eure Hoheit", ertönte die schwache Stimme meiner Zofe. Genervt sah ich von meinem Notizheft auf. Alles was ich in diesem Moment wollte war alleine zu sein. „Was will sie von mir?", fragte ich das Mädchen. „Ich weiß es nicht Eure Hoheit, aber sie meinte das es wichtig sei". „Na gut". Seufzend legte ich meine Füllfeder weg und verstaute das Heft in der untersten Lade meines Nachtischs.

Als ich den Salon betrat, beugte sich Karola gerade über eine Vase, befüllt mit einem Strauß roter Rosen. Strähnen ihrer gewellten, hellbraunen Haare hatten sich aus ihren Zopf gelöst und hingen ihr in das Gesicht. Nachdem ich mir durch ein Räuspern ihre Aufmerksam gesichert hatte, schenkte sie mir ein warmes Lächeln, das mir zeigte, das sie über die jüngsten Geschehnisse bestens informiert war. „Die Rosen duften herrlich". „Sie sind aus dem Garten meiner Mutter". „Natürlich". Ihr Lächeln verschmälerte sich. Eine Zeit lang herrschte ein unangenehmes Schweigen zwischen uns. Dann ergriff Karola das Wort. „Sieh doch", sie zeigte auf den niedrigen Tisch, „Ich habe Karamellherzen mitgebracht. Dein Lieblingsgebäck". Mein Blick fiel auf die köstliche, braune Süßigkeit. „Du bist ein Schatz", seufzte ich und ließ mich auf die Bank fallen. Ich griff nach einem der Herzen, die noch warm waren, und ließ mir den süßen Geschmack auf der Zunge zergehen. Mit geschlossenen Augen ließ ich mich in den weichen Stoff fallen. „Erzähl schon, was gibt es so wichtiges?", fragte ich Karola, die sich mir gegenüber niedergelassen hatte, und warf ihr einen auffordernden Blick zu. „Nichts". Sie lachte ihr altbekanntes, reizendes Lachen. „Du weißt bestimmt was heute geschehen ist und auch das ich den restlichen Tag lieber alleine verbringen will". Streng sah ich sie an, konnte ihr aber nicht lange böse sein. Niemand konnte das. Karola war stets freundlich und höflich und das nicht auf eine übertriebene weise wie zum Beispiel Piola. Sie wäre die perfekte Prinzessin, fast wäre ich versucht mir zu wünschen das sie an meiner Stelle meinen Platz einnimmt. „Natürlich weiß ich das, deswegen habe ich ja gelogen". „Sag das nicht zu laut. Nicht das Madame Revelair nicht hört, die würde vor entsetzen einen Schlaganfallen erleiden". Wir kichern los. „Eine Dame lügt nicht für ihren eigen Vorteil, sie ist stets ehrlich und aufrichtig", zitieren wir unsere alte Gouvernante gleichzeitig. Sofort müssen wir wieder lachen. Das liebe ich so sehr an ihr, sie kann mich immer aufheitern. Als das Lachen verklungen war, sprach ich ein Thema an, das Karola nicht annähernd so fröhlich stimmen wird. „Jetzt wo du schon da bist, kannst du denn anderen sagen, das sie den Nachmittagstee ohne mir einnehmen müssen". Ihre blauen Augen verfärbten sich ein paar Nuancen dunkler, sodass sie der Farbe ihres meerblauen Kleides glichen. „Aber Lori, sag so etwas nicht. Du musst kommen". Nervös nestelte ich an meinem Ohrring herum. Der Rubin fühlte sich kalt und hart unter meinen Berührungen an. „Versteh doch bitte, dass das angesichts der Umstände nicht möglich ist". „Ich kenne die Umstände, besser gesagt den Umstand. Er steht draußen vor der Tür und sieht ehrlich gesagt ziemlich attraktiv aus". „Karola!", ermahne ich sie zur Vorsicht. Dennoch konnte ich nicht verhindern das Hitze über meinen Körper strich. Das mein neuer Leibwächter nicht unbedingt unattraktiv war, ist mir selbst schon aufgefallen, angesichts seines abstoßenden Charakters verbat ich mir so etwas zu denken. „Tut mir leid, aber er ist der Grund warum du hin gehen solltest. Sorea redet unglaublich schlecht über dich mit jedem der ihr vor die Nase kommt. Geh hin und zeig ihr wo ihr Platz ist. Außerdem nimm ich die Karamellherzen wieder mit, wenn du es nicht tust". „Sorea redet ständig schlecht über mich. Das ist nichts neues." Als Karola seufzte, fuhr ich hastig fort: „Aber vielleicht gehe ich tatsächlich hin. Und die Karamellherzen bleiben hier". Karolas Lächeln war alles was ich in diesem Moment brauchte.

Das ist eine furchtbar schlechte Idee, dachte ich als sich die Türen zu meinen Gemächern hinter schlossen und ich in die Augen meines Leibwächters blickte. Sie sorgten dafür das mir, wie sonst auch, ein Schauder über meinen Rücken lief. Sofort krallten sich meine Hände in den schweren, dunkelgrünen Stoff meines Kleides. Ich hatte es bewusst gegen das weinrote gewechselt um Sorea zu provozieren, da sie ja soviel Wert auf die Farben der Saison legte.

Als ich den Korridor an dessen Ende mich das Teezimmer erwartete entlang Schritt, gelang es mir nicht recht die Anwesenheit des Soldaten auszublenden, zu laut hallte seine Schritte, trotz des Teppichs wider. Endlich angekommen war ich spät dran und unglaublich genervt. „Dort kannst du warten, aber ich werde nicht lange bleiben. Höchstens eine Stunde", erklärte ich ihm und deutete auf eine Nische gegenüber der Tür. „Das wird nicht nötig sein. Ich komme mit rein". Unverblümt sah er mich an. Als er meinen Ärger sah setzte er an erneut an. „Glaub mir, wenn ich der Möglichkeit hätte dem Gerede von Schmuck und Bällen zu entkommen würde ich es tun. Nur ist es mir leider so befohlen wurden". Wut kochte in mir hoch. Das war wieder einer der Versuche meines Vaters mich zu demütigen. Ich frage mich ob er selbst oder Reika auf diese glorreiche Idee gekommen war. Doch ich habe mich in den letzten Tagen so oft aufgeregt, das ich es leid war, also schluckte ich meinen Ärger hinunter, bemühte mich um ein Lächeln und meinte: „Pass bloß auf das das keine der verwöhnten Mädchen zu Ohren bekommt, sonst sagen die es noch ihren Väter und du bekommst ordentlich Ärger". Mit diesen Worten drehte ich mich um und trat direkt in ein Schlangennest, dessen einziger Lichtblick Karola war.

Als ich eintrat, erhoben die Mädchen sich, alle außer Sorea, die gelangweilt in ihrem Stuhl sitzen blieb. Mein Begleiter blieb jedoch nicht lange unbemerkt, alle Augen ruhten auf ihn, was auch ihre Aufmerksamkeit weckte. Während ich mich auf den einzig freien Sessel neben Karola und Vera niederließ, stellte der Soldat sich in die Ecke des Zimmers, wo er alles gut im Blick hatte. Mit unverhohlener Neugier starten meine Hofdamen und Sorea in an. Durch seiner Präsenz fühlte sich das Zimmer plötzlich viel zu eng an. Er schien die Blicke der Mädchen gar nicht zu spüren, mit gerader Haltung, hinter dem Rücken dem Rücken verschränkten Händen und aufrechten Blick, sah er über sie hinweg. Sorea sah mich mit ihren Schlangenblick und einem süffisanten Lächeln an, so gut es ging versuchte ich diesen Gesichtsausdruck zu imitieren. „Ich wusste gar nicht, dass er auch in geschlossenen Räumen auf dich Acht geben soll". Was für andere wie eine höfliche Frage schien, war bloß eine gut versteckte Anfeindung. „Nicht?", fragte ich mit honigsüßer Stimme. „Ich hätte gewettet das deine Mutter dir sofort davon berichtet hat". „Du redest Unsinn. Meine Mutter hat überhaupt nichts damit zu tun", meinte sie in eine wenig überzeugenden Tonfall. Sie fuhr sich durch ihr Haar, das zu einem Kranz geflochten auf ihrem Haupt thronte und natürlich perfekt saß. Dann lächelte sie. Es war das typische lächeln das sie und ihre Mutter dann aufsetzten, wenn sie zum nächsten Schlag gegen mich ausholten. „Wie ist es das Gespött des gesamten Hofes zu sein". Mein Herz zog sich zusammen bei ihren Worten, die sich wie ein Dolch immer und immer wieder in mich bohrten. Das hätte sie nicht sagen dürfen. Ich merkte wie die Welt vor mir verschwamm, Sorea, die Anderen, sie wurden undefinierbaren Haufen. Schnell blinzelte ich die Tränen weg. „Sag du es mir", sprach ruhig und mit überraschend beherrschter Stimme. „Immerhin machst du dich seit Jahren zum Gespött in dem du krankhaft versuchst meinen Platz einzunehmen. In deinen Verhaltensmustern lässt sich schon fast eine Zwangsstörung erkennen. Sag, ist das vererblich?" Danach war es ruhig. Sorea sah plötzlich benommen aus, die Selbstgefälligkeit war wie weggewischt. Eine Zeit lang funkelten mir uns einfach nur an. Die Luft schien dem reißen nahe, so angespannt war die Situation. Selbst die vier Hofdamen schwiegen und blickten benommen zu Boden. Ich würde gerne glauben das sie auf meiner Seite stehen, doch da war ich mir nicht so sicher. Vor fünf Jahren, bevor dieser ganze Wahnsinn begann, da hätte ich ihre Gefolgschaft ohne mit der Wimper zu zucken beschworen, aber jetzt .... Sorea hatte sie allesamt mit ihrer manipulativen und ignoranten Art vergiftet. Alle bis auf Karola. Sie war auf meiner Seite geblieben und auch sie war es die mich rettete in dem sie irgendein, vollkommen belangloses Thema ansprach. Piola, Vera und Ninea nahmen es gerne an und sofort begann eine neue, zuerst sehr verklemmte Konversation die sich bald auflockerte. Ich nahm nicht wirklich daran teil, stattdessen nickte und lachte ich an den richtigen Stellen. Meine Aufmerksamkeit galt ganz dem Mann in der Ecke, der zum Glück meine Blicke nicht bemerkte. Ich weiß nicht wieso aber je mehr ich mich bemühte an der Konversation teilzunehmen, desto stärker zog es meinen Blick zu dem Soldaten. Bloß durch einen Namen der ganz beiläufig ausgesprochen wurde, wurde meine Aufmerksamkeit geweckt. Florin Graf von Burg Hohenzell. „Was ist mit den Grafen?", brach es, ohne dass ich lange darüber nachdenken konnte, aus mir heraus. Bei dem Gedanken an den jungen Mann, mit dem traumhaften Lächeln und den widerspenstigen blondbraunen Locken, die kein Haargel der Welt bändigen konnte schlug mein Herz höher. Überraschte Augenpaare blickten mir entgegen. Ich war wohl lange geistlich abwesend gewesen. „Piola", begann Vera und gab dem genannten Mädchen einen sanften Klaps auf die Hand, „hat sich gestern mit ihm getroffen. Die beiden haben einen Spaziergang durch den Palastgarten gemacht, den Sonnenuntergang beobachtet und Dinge getan die Madame Reveliar zum ausflippen bringen würden". Ein leichter rosa Schimmer zog sich über Piola Gesicht nach Veras Worten, deren Grinsen wurde dadurch nicht kleiner, im Gegenteil. „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz", stammelte ich. Meine Abwesenheit war verschwunden, ich bin ganz da. „Na, du weißt schon", witzelte sie und wackelte mit den Augenbrauen. Ihre Anspielungen waren vollkommen überflüssig, ich wusste ganz genau was Piola und Florin mit einander gemacht hatten, auch die Tatsache das sie deswegen ziemlich viel aufs Spiel setzte, entsetzte mich, es tat nur weh zu hören das Florin ihr seine Aufmerksamkeit schenkte und ich weiter für ihn Luft blieb. Aber konnte man es ihn verübeln? Seit meinem fünften Lebensjahr war ich dem Prinzen von Aodrien versprechen, Piola stattdessen war vollkommen ungebunden, viel hübscher und ebenso vermögend. Sie war eine gute Partie. Und auch wenn so vieles für sie und gegen mich sprach, war meine Zunge schneller als mein Verstand. „Ich hoffe er meint es ernst mit dir", frage ich, eine Spur zu hart als beabsichtigt. „Was? Natürlich tut er das. W-wieso fragst du das?", fragte sich mich, ihre eisblauen Augen vor Schreck geöffnet. Wäre ich ein besserer Mensch würde ich mich nun schuldig fühlen, so war ich nur müde. Müde vom Streiten und der ganzen Aufregung. Vorsichtig strich über meinen kleinen Finger. Er erinnerte mich daran welche Konsequenzen es mit sich bringt sich nicht zu beherrschen. „Tut mir leid falls mein Ton zu barsch war, aber ich mache mir einfach Sorgen um dich. Das ist alles." Piola lächelte unsicher, ich schätze sie ist sich nicht sicher ob sie meinen Worten Glauben schenken kann, um ihren eigenen Seelenfrieden wird sie es aber über kurz oder lang tun. „Das brauchst du nicht. Er ist wirklich toll". Ich glaube Piola wollte noch weiter von Florin schwärmen, doch da ergriff Sorea, die die meiste Zeit über ebenso gelangweilt wie ich in ihrem Sessel gelehnt war, das Wort. „Es ist ein Jammer, aber ich fürchte ich muss euch jetzt verlassen. Ich habe noch so viel vorzubereiten für heute Abend. Bitte vergesst nicht euch etwas warmes anzuziehen." Sofort wurde die Stimmung aufgeregter und ausgelassener. Vera und Ninea begannen darüber zu diskutieren welche Farbe ihr Kleid haben wird. Alle schienen zu wissen was los war, alle außer ich. „Was ist morgen Abend?", frage ich zögernd. Sorea lächelte mich an. „Das Picknick im Garten. Hast du etwa keine Einladung erhalten?" Sie klang übertrieben besorgt. Sie wusste das ich keine erhalten habe und das vermutlich auch mit purer Absicht. „Nein habe ich nicht". Meine Stimme war, ebenso wie meine Gesichtszüge erstarrt. Ich erlaubte mir keine Gefühle. Dennoch konnte ich nicht leugnen das mir der Gedanke daran das all meine Freundinnen Bescheid wissen und keine es für nötig hielt mich zu informieren. „Ja gibt des denn so was!", rief sie spitz aus. „Dann muss deine Einladung wohl verloren gegangen sein. Wie schade! Leider haben sich die Köche auf elf Personen eingestellt, wenn noch jemand kommt würde das Essen zu knapp werden. Ich hoffe du verstehst das". „Natürlich tue ich das". Ich lächle sie an, aber nur um mich am losschreien zu hindern. Als ich jede meiner Hofdamen einzeln musterte war ich enttäuscht, bloß Karola schien sich ehrlich schuldig fühlen. „Wenn es so ist, entschuldigt mich. Ich habe auch noch etwas dringliches zu erledigen". Die Verabschiedungen und Gesichter, alles nahm ich bloß verschwommen war. Alles was ich spürte war mein Herz das laut gegen meine Brust hämmerte und mein rasender Puls. Ich musste mir wohl auf die Zunge gebissen haben, denn der metallische Geschmack von Blut breitet sich in meinen Mund aus. Es schmeckte ekelhaft, nach Verrat und falscher Freundschaft.

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