Drei
Ich wartete bis die schwere Eichentür krachend ins Schloss gerast war, dann holte ich zischend Luft und stieß sie lauthals wieder aus. Seit jäh her mein Ritual um meinen Unmut zu äußern, ich konnte ja nicht an Ort und Stelle anfangen loszuschreien. Ein paar Mal wiederholte ich diesen Vorgang, bis die schwarzen Punkte in meinem Sichtfeld verschwunden waren und ich wiederklar denken konnte. Ich musste meinen Bruder sprechen.
Dieses Mal störte ich mich nicht an dem Widerhall meiner Schritte im Flur, ich lief sogar extra neben dem Teppichstreifen um möglichst viel Krach zu machen. Bei jedem Schritt schien ein Teil meiner Wut sich im Lärm aufzulösen. An der Tür zu seinen Gemächern angekommen, wartete ich nicht darauf das mich sein Butler ankündigte, ich stürmte einfach hinein.
„Was hast du dir bloß dabei gedacht? Vermutlich gar nichts! Macht es dir Spaß mein Leben zu ... - Oh".
Mein Bruder saß auf meinem Armsessel vor dem Kamin, der vom Eingang aus, verborgen hinter einer Wand lag. So merkte ich erst nicht das mein Bruder nicht alleine war. Sir Janis Willow und Graf Erus Quin, die schon als Kinder Freunde Davians waren, saßen neben ihm, dem Gesichtsausdruck gleich erschrocken und belustigt. Schamesröte stieg mir ins Gesicht, doch mich zu schämen verbat ich mich schnell wieder. Der einzige der dies tun sollte war mein Bruder.
Janis, dessen orangen Haare von Jahr zu Jahr mehr ausblassten, legte seine Spielkarten ab und erhob sich.
„Komm Erus, wir lassen die beiden besser alleine". Er warf dem kleingewachsenen Jungen einen vielsagenden Blick zu und sah mich dann mit einem schelmisches Lächeln an. Die Tatsache das Janis gar nicht erst versuchte seiner Belustigung zu verbergen.
„Schade, ich war gerade dabei zu gewinnen", maulte Erus, erhob sich kurz aber darauf trotzdem.
Als sie bei mir vorbei gingen, verbeugte sie sich knapp, doch auch hier konnte Janis seine Zunge nicht zügeln.
„Es war mir ein wahrhaftes Vergnügen Prinzessin", feixte er und an Davian gerichtet: „Sag Bescheid falls du Hilfe brauchst. Ansonsten sehen wir uns morgen am Übungsplatz zum Schwertkampf. Du bist wirklich aus der Übung".
Ein schmales Lächeln schlich sich auf Davians Gesicht. „Ich glaube ich komme zurecht, danke."
Meine Beziehung zu Janis war immer schon kompliziert. Ich glaube der Ausdruck Hassliebe beschrieb das was zwischen uns war sehr gut. Er nahm nie ein Blatt vor den Mund, seine schonungslose Wahrheit war gleichermaßen niederschmetternd wie erleichternd. Ich schätze deswegen stehen er und mein Bruder sich so nah. Auch wann er wesentlich mehr Freiheiten genoss als ich, ist er wer er ist: Der Kronprinz von Kremera. Die Leute schmierten ihm ebenso Honig ums Maul wie mir, wenn nicht sogar mehr.
Warum er sich mit Erus abgab war mir hingegen immer ein Rätsel geblieben. Er war schon immer still und schüchtern gewesen. Kaum sprach man ihn an, bekam er einen hochroten Kopf, auch bei so gewöhnlichen Themen wie das Wetter. Natürlich habe ich mir daraus immer einen Spaß gemacht.
Ich wartete bis die Tür zugefallen und ihre Schritte im Gang verklungen waren, dann wandte ich mich Davian zu. Seine Arme ruhten auf den Lehnen des, mit Goldfäden bestickten, Sessel, sein Blick auf mir. Mit müden Augen sah er mich an. Seine anfängliche Überraschung war verschwunden, er hatte damit gerechnet, dass ich nachdem Gespräch mit dem König sofort zu ihm eilen würde. Eine Zeit lang starrten wir uns an. Eine hellbraune Strähne hing ihm ins Gesicht und verdeckte eine dünne Narbe.
„Ich schätze du wirst deinen Freunden sagen, dass dies nicht für die Ohren der Öffentlichkeit bestimmt ist?", frage ich ihn und lasse mich auf einem identischen Sessel ihm gegenüber fallen.
„Das ist nicht nötig. Sie wissen es auch ohne meiner Anweisung".
Ich lehnte mich zurück, ließ mich im weichen Samt sinken und lauschte dem prasseln des Kaminfeuers. Davian bückte sich vor und gab die Spielkarten, fein säuberlich, zurück in das, dafür vorgesehene, Kästchen. Mir schien es als wären seine Bewegungen zu überlegt. Als ließe er sich absichtlich viel Zeit. Erst als die Karten verstaut waren, sagte er: „Ich schätze du willst mit mir sprechen". Sein Mundwinkel zuckte nach oben.
„Allerdings und ich denke auch du weißt wieso". Der seidene Stoff in den ich meine Finger gekrallt hatte, war mein einziger Halt. Er erinnerte mich daran mich zurück zu nehmen, doch das war eigentlich nicht nötig. Beim Anblick meines Bruders, seinen warmen, braunen Augen und der Mund der für jeden ein nettes Wort hatte, versetzte mir einen Stich. Mir wurde schwer ums Herz. Ich wollte mich nicht mit ihm streiten, den dünnen Faden der uns verband nicht noch mehr strapazieren, bis er schließlich reist. Aber ich konnte seinen Verrat auch nicht einfach hinnehmen. Manche Dinge gehörten einfach angesprochen.
„Das weiß ich". Er senkte den Kopf und fuhr sich durch die zerstruppelten Haare. Als er wieder aufblickte fiel mir sein ungewöhnlich blasser Hautton auf. Anscheinend setzte ihn die Sache mehr zu, als ich zuerst gedacht hatte. Das sollte es auch, schrie ein kleiner, rachsüchtiger Teil in mir. Ein Funkeln, das ich nicht deuten konnte, war in seine Augen getreten.
„Doch anscheinend hat man dir nicht alles erzählt".
„Was gab es da nicht zu sagen?". Meine Stimme bebte und obwohl ich mir geschworen habe nicht zu weinen, traten Tränen in meine Augen. „Du hast mich hintergangen".
„Ursprünglich wollte man dich zu Großtante Viola schicken", brach es, wie aus einem kaputten Staudamm, aus ihm hervor.
Mein Kopf war wie leergefegt. Ich könnte nicht andres tun als Davian mit geöffnetem Mund und großen Augen anzusehen.
„Vater hat mir gegenüber erwähnt, dass er vor hat dich zu ihr zu schicken. Du weißt wie sie ist, dass konnte ich nicht zu lassen, jedoch wollte er auf eine Bestrafung nicht verzichten, also schlug ich einen Leibwächter vor der zusieht das du deine Termine und Verpflichtungen wahrnimmst". Seine Augen taxierten meine, doch ich wich seinen Blick aus und fixierte den Teppich unter meinen Füßen. Die Ringel und Verschnörkelungen schienen mich zu hypnotisieren.
„Das ändert gar nichts", stoße ich hervor. Meine Stimme klang abgehackt. Das war eine Lüge. Es änderte alles. Ich wandte meinen Blick vom Teppich ab und blickte auf meine geöffneten Handflächen. Vorsichtig fuhr ich über meinen rechten, kleinen Finger. Er fühlte sich dicker an als die anderen und versetzte mich in meinen Erinnerungen, zehn Jahre zurück. Es war ein ungewöhnlich verregneter Sommer in dem Herzogin Viola Andor uns besuchte. Obwohl sie über sechzig Jahre alt war, bestand sie darauf bei meinem Unterricht bei zu wohnen. Sie war ganz besessen darauf aus mir eine richtige Dame zu machen. Jeder Tanz, jeder Knicks, jeder Augenaufschlag musste perfekte sitzen. Leider war ich eine grausige Schülerin. Ich spürte wie ein Zittern meinen Körper durchbebte und meine Hände zu schwitzen anfingen. Schnell versuchte ich meinen düsteren Gedanken zu entkommen. Die Herzogin weilte damals nur eine Woche am Hofe und es hatte mich verändert, ein Jahr würde ich nicht überleben. Beschämt senkte ich meinen Blick. Der Schmerz der entstand als ich meine Fingernägel in das weiche Fleisch meiner Handballen grub, versetzte mir einen Stoß.
„Oder vielleicht doch", nuschelte ich leise.
„Ich erwarte keinen Dank, im Gegenteil. Wie wäre es, wenn du morgen mit mir frühstückst? Um acht im grünen Salon?".
Überrascht riss ich den Kopf hoch, mühsam ein Lächeln unterdrückend. Wie konnte ich mich nur so leicht manipulieren lassen? Ein nettes Wort und ich lag ihm zu Füßen. Doch wenn es bedeutet Zeit mit meinem Bruder verbringen zu können, zu wie früher, ließ ich mich gern manipulieren. Ich wartete kurz, dann nickte ich. Davian lächelte mich an. Es war eines dieser Lächeln, dass er mir immer, kurz vor dem rausschleichen aus dem Schloss schenkte, um mir Mut zu machen. Ich tat es ihm gleich. Dann stand er auf und der Moment war vorbei. Als ich sah das er auf mich zukommt, erhob ich mich ebenfalls. Er hackte sich bei mir ein und führte mich zum Ausgang. Seine Hand ruhte bereits auf der Türklinke, da drehte er sich nochmal um und gab mir einen kurzen, flüchtigen Kuss auf die Stirn. So wie es ein Bruder oder auch ein Vater tat. Wärme breitete sich an der Stelle aus und auch an in meinem Herzen.
„Ich muss jetzt leider los, Vater will das ich einer Kabinettssitzung beiwohne. Aber wir sehen uns morgen, ich schicke jemand um dich zu holen, wenn das Essen bereitsteht. In Ordnung".
Ich nickte, dann öffnete die Tür wir traten hinaus, er warf mir einen kurzen Blick zu und eilte den Gang entlang, in Richtung des Konferenzzimmers.
Ich hatte es nicht eilig zurück in meine Gemächer zurück zu kommen. Stattdessen lief ich ziellos im Palast umher. Ich hatte keine Augen für die Dienstboten, die ängstlich zu Seite auswichen, sobald ich ihre Wege kreuzte, noch für die umherspazierenden Aristokraten die knicksten und sich verbeugten und sobald sie glaubten das ich außer Hörweite war, zum tratschen anfingen. Ich war zu sehr damit beschäftigt meine Gefühle zu ordnen, nur gab es da nicht viel zu tun. Ich suchte in mir nach Wut und Zorn und Enttäuschung, doch da war nichts. Es sollte mir zu denken geben das ich so schnell klein bei gab, aber das tat es nicht. Ich fühlte erst wieder etwas als ich um die Ecke bog und einen langen Flur entlang blickte, direkt auf eine Tür, die mit Goldfäden verziert worden war. Es war nichts ungewöhnlich an dieser Tür, sie sah aus wie alle anderen im Palast. Auch die beiden Soldaten die sie bewachten war ein Vertrauter Anblick, sie standen vor jedem Zimmer das einer wichtigen Persönlichkeit gehörte oder kostbare Gegenstände beherbergten. Nur das sich hinter den verschlossenen Türen weder Juwelen oder Gold befanden, sondern Bücher, Schriften über Mathematik, Biologie, Astronomie und noch vieles mehr. Bücher die es mir und andere Frauen es verboten war zu lesen. Die Aufgabe der Soldaten war es nicht jemanden davon abzuhalten Bücher aus der Bibliothek zu stehlen, sondern uns Frauen davon abzuhalten welche zu lesen. Nicht das wir uns mehr Wissen aneignen, als uns unsere Lehre gelehrt hatten und Eigenständigkeit entwickeln. Ich wusste nicht was mich mehr erzürnte, die Selbstverständlichkeit mit der Männer uns unterdrückten oder die Frauen die dies einfach so hinnehmen und sich mit den seichten Romanen aus der kleinen Bibliothek zufrieden gaben.
Schnell machte ich kehrt und schritt den Flur entlang von dem ich gekommen war, was sich als eine wenige gute Idee herausstellte. Schon von weiten könnte ich Soreas nervtötendes, überspitztes Lächeln hören. Ich wollte umdrehen, doch da war sie bereits, in Begleitung der jungen Lady Vira, die immer davon berichtete welch neues Geschenk ihr ihr Vater dieses Mal gemacht hatte, um die Ecke gebogen und hatte mich entdeckt. „Loretta, welch angenehme Überraschung", säuselte sie schon von weiten, ihre Stimme triefte vor falscher Höflichkeit die ihre Verachtung bloß schlecht überdeckte. Ihr schwarzer Zopf war ebenso so geflochten wie der ihrer Mutter und wippte bei jedem Schritt hin und her. Die Verwandtschaft war schwer zu übersehen, das glänzende Haar, das spitze Kinn die scharfen Augen, sie waren ebenso vererbt worden zwischen Mutter und Tochter wie der Hass auf mich. Bloß noch wenige Schritte trennten uns und ich mühte mir ein Lächeln ab, das zwar meinen Drang ihr jedes Haar einzeln auszureißen verbarg, jedoch auch nicht den Anschein erweckte mich übermäßig zu freuen. Auch wenn Vira ein hübsches Ding war, verblasste sie neben Sorea mit ihrem blasen Haar und den zierlichen Geschichtszügen. Anders als sie war Sorea die pure Weiblichkeit. Als die beiden Mädchen vor mir ankamen knicksten sie nicht. Nicht einmal Vira, der das Hofprotokoll vorschrieb genau dies zu tun. Der Umgang mit Sorea schien sie mutig zu machen. Ich warf ihr einen finsteren Blick zu, worauf sie den ihren schnell abwandte. Ein echtes, hinterlistiges Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Leider war meine Stiefschwester von einem anderen Kaliber.
„Schwesterherz, wir haben uns gerade gefragt ob du zu dem Gartenfest übermorgen erscheinen wirst". In ihrem Satz schwang übertriebenes Interesse mit, in Wirklichkeit wollte sie mich nur bloßstellen, ich wusste nur nicht wie. Misstrauisch neigte ich den Kopf und musterte sie. Das Funkeln in ihren Schlangenaugen und das gereckte Kinn, sah ich öfters bei ihrer Mutter, meistens dann, wenn sie irgendeinen Trumpf gegen mich in der Hand hielt.
Vorsichtig fragte ich sie, warum ich nicht kommen solle.
Vira kicherte leise. „Es ist nur so dass du in letzter Zeit wichtigere Dinge zu tun hast als deinen Pflichten nach zu kommen. Auf Bäume kletterten zum Beispiel." Ihre Augen huschten zu der blasen Narbe auf meiner Wange. Ich fing ihren Blick auf und hielt ihn stand. Eisiges blau traf auf Haselnussbraun.
„Ihr könnt das beide natürlich nicht nachvollziehen aber als Prinzessin hat man immer schrecklich viel zu tun, da verliert man leicht den Überblick über all die Termine". Mit stiller Schadenfreude beobachtete ich den Schatten der Kränkung der über ihr Gesicht huschte und anschließend Platz für Zorn machte.
Die Zurechtweisung das ich und nicht sie, egal wie sehr sie es sich wünschte, die Prinzessin von Kremera bin, war ein schlauer Schachzug über den ich froh war hin ausgespielt zu haben, denn er schaffte sie mir vom Hals. Suchen ließ sie ihren Blick über mich gleiten und blieb dann, froh etwas gefunden zu haben auf dem sie herumhacken konnte, auf meinem Kleid hängen.
„Rot und orange sind die Farben der Saison, nicht lila", keifte sie und warf sich ihren Zopf über die Schulter, dann stolzierten sie und Vira, die ihr wie ein braver Schoßhund folgte, an mir vorbei den Flur entlang.
Als sie außer Hörweite waren musste ich ebenso dämlich kichern wie es Vira vorher tat. Sorea war zwar ein durchtriebenes Luder, doch ihr Schwachpunkt war so auffällig, wie der Rubin der in ihrer Kette glänzte, ihr Wunsch meinen Platz einzunehmen. Was sie ebenso berechenbar wie gefährlich machte.
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