Prolog
Die kahlen Wände wirkten leblos und farbentsättigt. Es war leer in dem Raum, nur ein Bett und ein Schrank standen darin, ansonsten war es komplett leer. Noahs Augen scannten den Raum und er seufzte leise. „Es ist noch nicht wirklich eingerichtet, aber mit etwas Zeit, ist es bestimmt hübsch, meinst du nicht auch?", sagte Mrs. Graeham und legte ihrem Sohn eine Hand auf die Schulter.
„Jades Zimmer ist gleich gegenüber! Vielleicht könnt ihr euch – naja – aufeinander abstimmen, wie ihr sie gestaltet? Es wäre doch nett, oder? Oder?", fragte sie und beäugte ihren Sohn, der einen etwas dunklen Ausdruck in den Augen hatte.
Noah zwang sich zu einem Lächeln. „Ja, Mum, ich kann ja mit ihr reden." Sie lächelte und drückte seine Schulter. „Gut, pack doch deine Sachen schon mal ein, ich suche deinen Vater." Mrs. Graeham wandte sich um und ging dann den langen Flur entlang um sich der schmalen Wendeltreppe am Ende des Ganges zuzuwenden. Noah setzte den Rucksack ab und ließ ihn auf den Boden gleiten. Der Boden sah aus, wie aus Stein und die Wände wirkten, als würden sie mit steinernen Fliesen bedeckt sein. Vor seinem inneren Auge blitzte das Bild des dunklen Kerkers auf und er musste seine Lider schließen. „Es ist vorbei", zischte er sich selber zu und trat einen Schritt in das Zimmer. Mit einem weiteren Blick bemerkte er, dass es viel freundlicher war. Das Fenster an der Ostseite war groß und hell, zwei hellblaue Vorhänge waren davor befestigt und das Licht erhellte den Raum fast gänzlich. Es war geräumig und hatte viel Stauraum. Noah trat ans Fenster und blickte auf den Vorgarten, der im Sonnenschein grün leuchtete. Das Gras war flach und gerade geschnitten und einige Büsche bewegten ihre Blätter im Wind.
Noah Graeham wandte sich um und lehnte sich gegen das breite Fensterbrett vor dem Erkerfenster. Er stemmte die Hände auf den Stein und ließ seine Augen wieder umher wandern. Auf den dritten Blick, sah er kaum noch Gemeinsamkeiten mit dem kleinen Kerkerzimmer, welches er vor wenigen Wochen bewohnt hatte. Seine Lider flatterten kurz und der schwach beschienene Raum erschien wieder. „Nein", sagte er laut und schloss die Augen. „Nein, hör auf. Es ist vorbei. Endgültig!"
„Na, führen wir Selbstgespräche?", fragte eine vergnügte Stimme in der Tür und Noah blickte auf. Jade stand da und hatte die Arme verschränkt. Ihre kurzen roten Haare schwangen etwas oberhalb ihrer Schultern und ihre Lippen waren zu einem breiten Grinsen verzogen. „Nein", erwiderte er und stieß sich von dem Fensterbrett ab. „Ich hab nur laut gedacht." Jade atmete schwer aus und trat in den Raum. Sie blickte sich um und verschränkte dann die Arme hinter dem Rücken.
„Hm, naja, auch egal." Sie öffnete eine der Schranktüren und blickte in den leeren Kleiderschrank, ehe sie sich wieder umwandte und sich auf das Bett fallen ließ. „Wie findest du das Haus?" Noah zuckte mit den Schultern. „Ist in Ordnung, denke ich. Ziemlich groß." Jade legte die Lippen aneinander. „Hmmhm. Irgendwie schon. Wenn wir uns daran gewöhnt haben, wird es bestimmt toll werden. Immerhin haben wir mehr Platz, als wir eigentlich brauchen." Sie deutete schwach mit einer Hand in den Raum, der für eine Person wirklich wesentlich zu groß wirkte. „Aber dafür ist natürlich auch wieder genug Platz, um mal seine Ruhe zu haben. Ich hab schon mit Dad gesprochen, er hat gesagt, wir können den geräumigen Flurbereich zu einem kleinen Aufenthaltsraum machen. Genau wie in Hogwarts."
Noah lächelte schwach und blickte dann wieder aus dem Fenster. Einige Leute mit schwer aussehenden Kartons kamen gerade über den vorderen Weg gelaufen. „Solange wir nicht in den nächsten Jahren wieder umziehen müssen, ist es mir sogar recht egal, ob es eine kleine Hütte oder eine Burg wäre", sagte er leise. „Jaah", seufzte Jade. „Ich hab auch genug davon." Sie strampelte unbesorgt mit den Beinen und schloss die Augen. „Aber Mum und Dad werden ja jetzt wieder öfter hier sein. Dann können wir in den Ferien auch mal wieder nach Hause kommen. Und unsere Freunde mitbringen", fügte sie leise hinzu.
Noah wusste genau, an wen sie gerade dachte, doch er sprach sie darauf nicht an. „Apropos. Hast du Post bekommen?", fragte sie und stand wieder auf. Noah zog die Augenbrauen zusammen. „Nein, noch nicht. Du etwa?" Jade seufzte. „Nein, ich hatte gehofft, die Hogwartsbriefe wären schon angekommen, damit wir mal wieder in die Winkelgasse können."
„Du vergisst wohl, dass wir dort kaum etwas brauchen, oder? Bücher und den ganzen Kram haben wir doch schon längst." Auf Jades Gesicht schien ein Licht aufzugehen. „Oh ja, richtig. Wir müssen ja die Dritte wiederholen." Noah schüttelte kurz den Kopf dann grinste er und zückte seinen Zauberstab. „Wollen wir etwas dekorieren?" Jades Augen leuchteten und sie zog ebenfalls ihren alten Zauberstab hervor. „Immer doch."
Doch gerade als sie loslegen wollten, um ihre altbekannten Chaotenzwillingszaubermontur loszulassen, ertönte eine Stimme von unten. „Noah, Jade, kommt bitte runter!" Die beiden Zwillinge tauschten einen Blick, zuckten mit den Schultern und verstauten dann wieder ihre Zauberstäbe.
„Was gibt's denn?", fragte Jade etwas mürrisch, als sie und Noah die Treppe herunter gegangen und dann in das großflächige Wohnzimmer getreten waren. Mrs. Graeham war gerade dabei, einige Blumen in einer Vase zu stellen und diese dann auf einem noch leeren Regal zu verstauen. „Oh, ich wollte, dass ihr eurem Vater bitte helft, die Kisten ins Haus zu bringen. Diese Umzugshelfer haben sie einfach vorne stehen lassen", fügte sie hinzu und betrachtete die schlaffen Blüten. Jade rollte mit den Augen, doch Noah sagte schnell. „Ja, machen wir.", dann packte er Jade am Arm und zog sie mit.
„Aber ich habe keine Lust darauf", beschwerte sie sich. „Das ist egal, du wohnst doch auch hier. Außerdem - ", sagte er und verzog die Lippen zu einem Grinsen. „ – können wir danach runter zum Strand gehen um uns abzukühlen." Jade versuchte sich ihre Vorfreude nicht anmerken zu lassen, aber auch ihre Mundwinkel hoben sich leicht an. „Na schön", sagte sie, vielleicht etwas schneller, als es beabsichtigt war.
Mr. Graeham war erfreut, als seine Kinder ihm halfen kamen und gemeinsam konnten sie die vielen Kisten viel schneller hereinbringen, als er es alleine geschafft hätte. Mit einem schnellen Aufrufezauber hatten sich die Zwillinge einige Sachen zum Baden aus einem der vielen Kartons gefischt und waren dann gemeinsam ins untere Kellergeschoss verschwunden. Die kleine, fensterlose Treppe, hatte Noah zuerst stark an die Kerker von Hogwarts erinnert, doch als sie schließlich den Flur betreten hatten, wirkte es alles viel freundlicher und offener. Von der Treppe aus gingen drei Gänge ab, der mittlere führte direkt zu den Umkleidekabinen, die in dem Haus bereits eingebaut waren. Zwischen den Kabinen war ein schmaler Weg aus hellen Fliesen, der auf eine noch verschlossene Tür führte.
Jade zwinkerte ihrem Bruder zu, dann betrat sie die Frauenumkleidekabine. Innerhalb weniger Minuten waren die Zwillinge umgezogen – Noah hatte seine bisherigen Klamotten nur gegen eine dunkle Badehose eingetauscht – und mit einem Handtuch bewaffnet, stürmten sie aus der Tür.
Der Anblick war wirklich toll. Auch wenn noch immer ziemlich viel Grünzeug neben dem sandigen Weg wucherte, war es herrlich anzusehen, wie dieser sich bis zu einem fast makellos weißen Strand schlängelte. Umgeben von hohen Felsen erstreckte sich eine eigene kleine Lagune hinter dem neuen Anwesen der Graehams. „Der Letzte im Wasser muss nachher Eis besorgen!", rief Jade und rannte bereits los. Noah blieb keine Zeit einen bestürzten Ausruf zu tätigen, da war er seiner Schwester bereits hinterhergeeilt. Der feine Sand fühlte sich wunderbar unter seinen nackten Füßen an und die Sonne, die heute wieder unablässig schien, brannte auf seiner Haut. Durch den seichten Wind wurde der Boden etwas aufgelockert und Noah musste einen Arm heben, um nichts in die Augen zu bekommen. „Komm schon!", rief Jade lachend und obwohl sie schon beinahe im Wasser war, breitete sich auch auf Noahs Gesicht ein Lächeln aus. Er hatte seine Schwester schon seit Ewigkeiten nicht mehr so unbekümmert und einfach nur glücklich gesehen. Die Strapazen ihrer letzten Monate sah man ihnen beiden immer noch deutlich an, auch wenn Jade immer noch mehr innere Narben hatte, als äußere. Sie war immer noch dünner, als er es gewohnt war und auch an die kurzen Haare musste er sich noch gewöhnen. Aber am deutlichsten sah man ihr an, dass sie noch litt, wenn man ihr ins Gesicht sah. Ihre Augen hatten den früheren, teuflischen Schalk verloren und waren zu den meisten Zeiten einfach nur glanzlos.
Noah fuhr sich mit der Hand über seine linke Brust, dort, wo sein Herz lag und seine Finger verkrampften sich einen Moment, als er das vernarbte Gewebe an der Haut spürte. Durch eine der früheren Folterflüche hatte sich die Haut sich dort aufgerissen und da er bei den Todessern keine medizinische Hilfe bekommen hatte, hatte sich die Haut vernarbt und war nun beinahe weiß.
Das Wasser war kühl und platschte angenehm gegen seine Beine, nachdem er das Handtuch auf den Sand geworfen hatte und in die seichten Fluten gerannt war. Jade war bereits einmal untergetaucht und prustete ihrem Bruder eine Ladung Wasser entgegen. Sie grinste breit und Noah beeilte sich, ihr entgegen zu kommen.
Nach einer tödlichen und halsbrecherischen Wasserschlacht später, die Jade nur gewonnen hatte, weil sie Noah mit einem Stück Seegras beworfen hatte, ließen sich die Zwillinge im sanften Wasser etwas treiben und von der Sonne bescheinen. „Hey, sag mal..."
„Hm?"
„Meinst du auch, dass dieses Jahr etwas besonders wird?" Noah wandte den Kopf an seine Schwester, die weiterhin in den Himmel blickte. „Naja, immerhin sind wir wieder in einer Klasse mit Adley und Jill und – und es ist wieder friedlich. Und wir können ins Dorf gehen, zusammen, das wird doch sicherlich schön, oder?"
Der dunkelhaarige Graeham antwortete nicht sofort, sondern ließ seine linke Hand durch das klare Wasser ziehen. „Ja...ja, kann sein. Wir werden auf jeden Fall das Beste daraus machen, nicht wahr?" Ein schiefes Grinsen erschien auf seinen Lippen. „Professor Aiden vermisst uns bestimmt schon." Jade lachte und ein leises Plätschern ertönte, als sie wieder in eine aufrechte Position kam.
„Vielleicht bin ich ja mal etwas netter zu ihm", sagte sie leise. „Immerhin war es indirekt seine Hilfe, dass wir befreit werden konnten." Noah starrte Jade mit aufgerissenen Augen an, dann begannen sie beiden lauthals zu lachen. „Oh man, die Sonne scheint wohl zu stark, lass uns wieder rein gehen." Doch bevor die beiden Geschwister sich wieder ans Ufer wagen konnten, platschte etwas neben ihnen und ein großer, grünlich schimmernder Kopf erschien.
Eine Sekunde starrten sie das Gesicht an, dann schrien sie beide auf und schwammen so schnell sie konnten, zurück ans Ufer. Noch bevor sie den Sand wieder spüren konnten, kam Mrs. Graeham ihnen entgegen gerannt.
„Was ist? Was ist los? Ihr habt geschrien!" Jade blickte zurück auf den schimmernden Kopf, der immer noch aus dem Wasser ragte, doch anstatt ihre Mutter in Panik geriet, wie es ein normaler Mensch sollte, lachte sie auf. „Achso, das hatte ich vergessen zu erwähnen, hier leben Wassermenschen."
Die beiden starrten sie an. „Ach, es ist dir entfallen? EINFACH SO? Ich mein, es ist ja völlig normal eine Wassermenschenkolonie bei sich vor der Haustür zu haben!", fuhr Jade sie lautstark an und kam schwer atmend aus dem Wasser. „Ich hatte beinahe einen Herzinfarkt!" Noah kam ebenfalls aus dem Wasser heraus und drehte sich wieder zu dem Wassermenschen um. Aus seiner Miene konnte er nicht entnehmen, ob er etwas verstanden hatte, was sie gesagt hatten. Doch wenige Sekunden später war der Kopf wieder unter Wasser getaucht und von den klaren Fluten verschluckt worden.
„Merlin, ich geh hier nie wieder hin!"
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