Kapitel 2 -Die Flamme im Innern

Die Stille am Tisch war greifbar. Noah blickte den rauschenden Haaren seiner Schwester hinterher und konnte sogar verstehen, wie sie sich fühlte. Ein Geschwisterkind... das war schon ein ganzes Stück. Er starrte zu seinen Eltern, die einen traurigen Blick tauschten und dann zu ihrem Sohn sahen. „Freust wenigstens du dich?", fragte Megan leise und Noah schauderte bei dem unterdrückten Schmerz in der Stimme seiner Mutter.

„J-Ja, doch. Irgendwie schon, nur - " Er brach ab. Wie sollte er das jetzt ausdrücken, ohne ihre Gefühle zu verletzen? „Es ist etwas plötzlich", sagte er dann und blickte die an die Wand gegenüber. „Das kommt wirklich unerwartet."

„Das wissen wir, Schatz, nur – wir haben uns ausgiebig darunter unterhalten und finden alle, dass es das Beste ist, es euch so früh wie möglich mitzuteilen." Noah nickte stumpf, hatte jedoch nicht richtig zugehört. In seinem Kopf war wieder das Bild eines dunklen Kerkerzimmers aufgetaucht und er grub die Fingernägel in seine Hose. Während er und seine Schwester gefangen und gefoltert wurden, hatten sich ihre Eltern also vergnügt und ein weiteres Kind gezeugt. Hatten sie die Hoffnung etwa aufgegeben gehabt und schon Pläne gemacht, um sie zu ersetzen? Das war zwar schwer vorstellbar, aber möglich...

„Noah?", fragte sein Vater vorsichtig. „Lass doch das Kind!", sagte Agatha schnippisch und nahm einen tiefen Schluck aus ihrer Tasse. „Das war eine ganz schön schwerwiegende Information, der Junge wird Zeit brauchen, um die zu verarbeiten." Noah blickte zu seiner Großmutter, die ihm einen kurzen Blick zuwarf und dann wieder zu ihrem eigenen Sohn sah. „Und Jade wird sich auch wieder einkriegen, sie ist wohl noch ein bisschen durcheinander. Mit ein bisschen Ruhe und vielleicht einem starken Tee wird das schon anders aussehen."

„Mutter!", sagte Charles laut. „Ich werde meiner Tochter keinen Alkohol geben!" Agatha zuckte nur mit den Schultern. „Bei dir hat das immer geholfen", war ihre schlichte Antwort.

In Noahs drehten sich die Gedanken, wie in einem dieser Muggelkarussels. Alle Farben verschwommen vor seinen Augen und vereinten sich in einer dunklen Masse, die sein Sichtfeld einnahm und er musste sich an den Tisch klammern, um nicht die Orientierung zu verlieren.

„Geht es dir nicht gut?", fragte Megan besorgt, doch Noah konnte das Gesicht seiner Mutter nicht ausmachen. Stattdessen stand er mühselig auf und wandte sich ab. „Ich geh mal kurz frische Luft schnappen", murmelte er und fand kurze Zeit später den Weg in den Vorgarten. Er ließ sich auf einer Gartenbank fallen und legte dann den Kopf in die Hände. Das Schwindelgefühl verschwand nach ein paar tiefen Atemzügen und er konnte auch seine Umgebung wieder klar erkennen. Es war alles so verwirrend. Er wurde einen Bruder oder eine Schwester bekommen, dabei waren er und Jade doch gerade erst wieder frei. Und die Gefahr war noch nicht einmal vorüber. Es lauerten immer noch dunkle Gestalten dort draußen. War es überhaupt sicher, jetzt ein Kind zu bekommen? Und was dachte er darüber? Freute er sich überhaupt?

Ein Kind bedeutete viel Verantwortung und Zeit, nicht nur für die Eltern. Außerdem wären er und Jade die meiste Zeit des Jahres in Hogwarts, also könnten sie ihr Geschwisterkind kaum zu Gesicht bekommen. Hatten sich ihre Eltern deshalb dafür entschieden? Wollten sie einfach wieder ein Kind zu Hause haben, wenn Jade und Noah nicht da waren? Hatten sie sie einfach dadurch ersetzt?

„Uhrg." Noah blickte auf und sah in den blauen Himmel, der über ihm war. Nein, das war sicherlich nicht. Noch nie hatten ihre Eltern ihnen irgendeinen Grund gegeben, der aussagen würde, dass sie sie nicht richtig lieben würden. Sie waren ihre Kinder, natürlich liebten sie sie. Und das andere Kind würden sie auch lieben. Es würde ihre Familie nur vergrößern, das wäre doch etwas Gutes, oder nicht? Ja, jetzt freute er sich auf sein Geschwisterchen. Ein kleiner Bruder oder eine kleine Schwester, dass wäre wirklich toll.

Aber trotzdem: Wäre das hier ein sicherer und vor allem guter Ort für ein Kind? Es war so abgeschieden und es gab keine anderen Kinder in der Nähe. Aber sie hatten viel Platz, einen tollen Garten und sogar einen eigenen kleinen Strand. Ideal für ein Kind. Und sicher wäre es bestimmt. Mit drei ausgebildeten Zauberern und Noah und Jade würden auch bald ihren Abschluss machen, dann wäre diese Haus bestimmt sicher genug, damit ein kleines Kind her aufwachsen könnte.

Das Bildnis des Kerkers blitze vor seinen Augen auf und er atmete laut aus. Und was war mit den Todessern? Was, wenn sie es schaffen würden, hier her zu kommen? Dann müssten sie ihr Geschwisterchen verteidigen. Noah holte seinen Zauberstab hervor und betrachtete ihn in der Sonne. Er konnte keine wirklichen Verteidigungszauber und Flüche würden sie auch erst noch lernen.

Noah wusste nicht, wie lange er noch draußen gesessen hatte, aber irgendwann wurde er von seinem Vater gefunden, der sich lautlos angeschlichen hatte. „Hier bist du", sagte Charles und blickte seinen Sohn an. „Hast du genug Luft geschnappt?" Noah mied es, ihm in die Augen zu sehen und brummte eine Antwort.

„Was ist denn los mit euch?", seufzte Charles. „Seit Tagen benimmt sich Jade merkwürdig und du hast dich auch verändert. Was ist aus meinen schlauen und lauten Kindern geworden, die mir die letzten Nerven gestohlen haben, sobald ich sie gesehen habe?"

„Vielleicht sind sie noch im Kerker eingesperrt", murmelte Noah wie aus Reflex und biss sich auf Zunge. Das hätte er nicht sagen sollen. Charles seufzte und legte Noah dann eine Hand auf die Schulter. „Du weißt, du kannst mit uns reden. Du kannst uns erzählen, was dort unten passiert ist und dann wirst du dich besser fühlen. Du musst das nicht alles in dich reinfressen, wie Jade. Sie lässt niemanden an sich heran, aber sie war doch schon immer etwas eigen." Noah blickte auf das Gras unter seinen Füßen und beobachtete dann, wie ein Marienkäfer an seinem Schuh hoch krabbelte. „Noah", sagte Charles durchdringend. „So bist du nicht. Du bist doch ein intelligenter Junge. Nicht umsonst bist du doch ein Ravenclaw geworden, nicht wahr?" Noah schluckte.

„Ich weiß bei bestem Willen nicht, was diese Leute mit euch angestellt haben, oder was ihr durchlebt habt, aber es wird nicht helfen, nicht darüber zu reden. Es ist zwar Vergangenheit, aber es wird euch beide immer wieder einholen, wenn ihr es nicht endlich loslasst. Ihr klammert euch an diese dunkle Zeit, als wäre sie ein Rettungsring, dabei müsst ihr doch einfach nur loslassen. Lasst euch nicht so von dieser Dunkelheit einnehmen, Noah." Der Druck an seiner Schulter verstärkte sich kurz und Noah riss seinen Blick von dem Marienkäfer los. „Es... es ist einfach nur so, dass...ich habe Angst", gab er zu und blickte seinen Vater an.

„Angst. Wovor genau?", fragte Charles leise, sodass seine Stimme beinahe von einem Windhauch davongetragen wurde. „Dass sich alles wiederholen wird", sagte Noah. „Dass wir nicht mehr sicher sind. Und das wieder Leute verletzt werden, die ich liebe und ich nichts dagegen unternehmen kann. Ich habe sie alle gesehen. Die Gesichter, die leeren Augen, die Sorge. Ich will das nicht noch einmal erleben müssen." Noahs Augenwinkel begannen zu brennen und beschämt wandte er dich Blick ab. „Du hältst das sicherlich für lächerlich und schwach", murmelte der junge Graeham peinlich berührt.

„Noah, warum sollte ich dich für schwach halten? Du bist mein Sohn und du hast so viel durchmachen müssen, natürlich halte ich dich nicht für schwach. Was glaubst du denn, wie es mir ging, als die Todesser das erste Mal aufgetaucht sind. Ich hatte auch fürchterliche Angst und ich wollte mich am liebsten mit meiner Familie und meinen Freunden verstecken. Aber wir müssen dagegen kämpfen. Wenn sie etwas bedrohen, was dir viel bedeutet, dann musst du aufstehen und kämpfen." Charles hatte seine Hand von Noahs Schulter genommen und gestikulierte nun damit. „Es ist nicht einfach und ich will dir damit auch nicht sagen, dass du jetzt schwarze Magier jagen gehen sollst, bei Merlin, nein. Ich will nur, dass du dir im Klaren bist, dass deine Familie hinter dir steht und wir dich unterstützen. Du bist hier nicht alleine, weißt du."

Noah senkte den Blick. „Und wenn es wirklich wieder passiert? Was, wenn wieder jemand stirbt, den ich kenne? Oder wenn Jade wieder etwas passiert? Was mache ich dann?" Charles blickte seinen Sohn grimmig an. „Dann wirst du kämpfen. Wenn du es nicht erleben willst, dann musst du es verhindern, Noah. Du bist ein intelligenter Junge, ich denke, du könntest wirklich viele defensive Magien lernen und beherrschen. Damit kannst du nicht nur dich sondern auch deine Lieben beschützen. Ich habe noch einige alte Bücher in der Bibliothek, die, über Verteidigungszauber, die kannst du lesen. Und wenn du Probleme hast oder nicht vorankommst, dann helfen deine Mutter und ich dir. Dafür sind wir da. Wir lieben euch beide, Noah."

Noah spürte den Druck in seiner Magengegen verschwinden, den er vorher gar nicht wahrgenommen hatte und er blickte seinen Vater wieder an, der todernst war. „Danke."

Charles lächelte kurz, dann stand er auf. „Und jetzt lass uns deine Schwester suchen gehen, mit ihr muss ich auch noch ein Wörtchen reden."

Noah brachte ein schwaches Lächeln zustande, doch anstatt nach Jade zu suchen, ging er die Treppen nach oben und durchsuchte die einige der noch nicht ausgepackten Kartons. Der junge Ravenclaw fand einige der Bücher, von denen sein Vater gesprochen hatte und verstaute sie sogleich in seinem Zimmer. Er würde später darin lesen können, aber vorher musste er noch etwas anderes erledigen.

Er wusste, seine Mutter hatte von damals noch einige Broschüren des Ministeriums übrig, die sie bekommen hatte, als sie gerade in Hogwarts aufgenommen wurden. Eine ganz bestimmte suchte er nun verzweifelt und während Noah im Staub kniete und die vielen Ordner und Kisten durchsuchte, die immer noch überall standen, senkte sich die Sonne immer weiter dem Horizont zu. Er wusste nicht, ob sein Vater Jade schon gefunden hatte, aber er wusste, dass Jade nicht so einfach zu überzeugen sei, wie er. Sie hatte ihren eigenen Kopf und war oftmals launisch. Sie würde nicht so einfach durch ein paar Worte wachgerüttelt werden.

„Das ist es", murmelte Noah und klemmte sich den leuchtenden Zauberstab zwischen die Zähne.

Sie streben also eine Ausbildung im St. Mungos Hospital für magische Krankheiten und Verletzungen an? Dann werden diese Informationen für sie unverzichtbar sein!, stand auf dem kleinen Faltblatt. Noah schlug es auf und las sich die wenigen Sätze durch, die auf das violette Blatt gedruckt wurden. Es war schon etwas verblasst und das Wappen vom St. Mungos, ein Zauberstab und ein Knochen, die sich kreuzen, war fast nicht mehr zu erkennen. Zaubertränke, Verwandlungen, Kräuterkunde, Pflege magischer Geschöpfe, Verteidigung gegen die dunklen Künste.

Diese Fächer würde Noah mit Bestnoten abschließen müssen, um diesen Beruf erlernen zu können. Er schluckte etwas, als sein Blick bei Verwandlung hängen blieb – noch immer hatte er einige Schwierigkeiten mit diesem Bereich der Magie. Doch er hatte jetzt genügend Zeit, um genau diese Schwächen auszugleichen.

Er würde niemanden mehr leiden sehen, er würde niemanden mehr verlieren. Dafür würde er schon sorgen.

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