Kapitel 1 - Meeresrauschen
Mit einem Mal erschien die Sonne am Horizont und tauchte den Himmel und das Wasser in eine Farbenpracht aus rot, violett, gelb und orange.
Auch die grünen Grashalme auf der Klippe am Meer wurden in das schummrig rote Licht getaucht.
Eine Gestalt stand dort, bekleidet in ein kurzes weißes Kleid und mit den Füßen in der weichen Erde versinkend. Sie reckte das Gesicht nach oben, weit über ihr leuchteten die Sterne und der Himmel bestand aus einem dunklem blau.
Dort, wo Tag und Nacht sich berührten, erschien der Himmel so lebendig und unwirklich, dass niemand es jemals in Worte fassen könne.
Ein sanfter Wind kam vom Meer und trug die frische, salzige Luft über den Strand, die Klippen hinauf zu dem jungen Mädchen.
Die Arme hingen an ihren Seiten, als hätte sie keine Kraft, sie zu heben. Der Wind zerzauste ihr kurzes, rotes Haar, doch es schien sie wenig zu stören.
In ihren Augen spiegelte sich das Licht der Sonne, das erste Mal seit langer Zeit sah man in ihnen keine Hektik, keine leere.
Man könnte sogar meinen, ein wenig Glück in ihnen zu finden.
Die Sonne stieg höher und höher und tauchte nun auch die wenigen Wolken, die sich über dem kühlen Wasser tummelten, in ihr rotes Licht.
Die Wellen waren groß und unruhig, sie brachen sich einige Meter vor der Küste und das Wasser funkelte wie ein einziger, großer Spiegel. Es war so klar, dass man bis viele Meter in die Tiefe sehen konnte und wenn man genau hinsah, erkannte man sogar einige der Gebäude der Meermenschen.
Was hatte eben eines dieser Wesen ihr nicht einen riesigen Schreck eingejagt, wie es plötzlich neben ihr und ihrem Bruder aufgetaucht war.
Jade runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust. Genüsslich atmete sie die frische Luft ein, füllte ihre Lungen damit, in der Hoffnung, den staubigen Geruch aus ihrer Nase zu bekommen.
Den Geruch, der auch nach über drei Monaten nicht weggegangen war.
Fröstelnd verstärkte sie den Griff um ihre Arme und drehte sich langsam von dem Sonnenaufgang weg. Vor ihr lag nun das große Anwesen, welches seit kurzem ihr neues Heim war.
Über mehrere Stockwerke verteilt wohnte die Familie Graeham nun hier.
Im unterstersten Stockwerk befanden sich die Küche, ein Wohnzimmer mit Kamin, eine große Eingangshalle mit Zugang zum Garten und die Räumlichkeiten ihrer Eltern.
Im zweiten Stock gab es neben einem großen Foyer den Süd- und den Nordflügel. Den Südflügel hatte Noah bezogen.
In den Räumlichkeiten vor seinem Schlafzimmer hatte Noah eigentlich alles untergebracht, was er brauchte, um viel Lärm und Unsinn mit Edwin und Adley anzustellen. Zudem hatte er dort zwei Betten untergebracht, sollten seine Freunde mal über Nacht bleiben. Sein Schlafzimmer hatte er, wie sollte es auch anders sein, in den Farben seines Hauses gehalten und mit vielen Dingen vollgestellt, die man definitiv nicht in einem Schlafzimmer brauchte.
Sie hatte den Vorraum vor ihrem Schlafzimmer zu einem Arbeitsraum gemacht. Die Wände waren voll mit Bücherregalen, sie hatte ein Teleskop und eine Staffelei aufgetrieben und selbst ein Globus hatte seinen Weg in diesen Raum gefunden, der zudem zugestellt war mit vielen kleinen und großen Sesseln, die farblich überhaupt nicht zusammenpassten.
Allgemein war das Haus der Graehams mit Bücherregalen und Sesseln vollgestellt, die nicht zusammenpassten und irgendwie doch wieder zu dem Anwesen passten.
Die Wände ihres Zimmers waren in einem dunklen bordeauxrot und mit weißen Highlights und Borte versehen. Den Erker hatte sie mit einer runden Bank und viel zu vielen Kissen und Decken ausgestattet, sowie einem Bücherregal.
Ein großer Schreibtisch mit Klaufenfüßen und eine passende Kommode standen der Eingangstür gegenüber, in der Mitte des Raumes gab es eine Sitzecke und hinter ein paar Sichtschutzwänden befand sich ihr großes Himmelbett, in das sie locker gemeinsam mit Jill, Pascal und Leonie gepasst hätte.
Jade musste sich ein Seufzen unterdrücken.
Bisher hatte sie jeden Besuch abgewimmelt und aus dem oberstem Turmzimmer heraus beobachtet, wie ihre Freunde und ihr Bruder gemeinsam das Gelände erkundeten.
Im dritten Stockwerk gab es neben dem Foyer einen riesigen leeren Raum. Auf der Nordhälfte des Stockwerkes war eine eigenes kleine Wohnung für Agatha, ihre Großmutter, eingerichtet worden. Sie war auch teilweise Schuld an dem Überbestand an Regalen und nicht zusammenpassenden Sitzgelegenheiten.
Aber sie war auch etwas wie der Fels in der Brandung, an dem die Wellen der schlechten Laune und des Streits abprallten.
Wenn man aus dem dritten Stockwerk aus weiter die Wendeltreppe hinaufstieg kam man nun in den Turm des Anwesens. Das erste Zimmer war eine Art Aufenthaltsraum, in dem viele Vitrinen und Bilder standen und hingen. Darüber befand sich dann das oberste Turmzimmer, eine kleine Bibliothek in die sich Jade nur allzu gerne zurückzog.
Im Keller gab es drei Gästezimmer und einen riesigen Aufenthaltsraum, sowie die Umkleiden. Durch die Tür zwischen den Umkleiden gelangte man in einen kleinen Unterirdischen Gang von dem aus man entweder zu einer kleinen Sauna, einem Whirpool oder zum Strand kam.
Das Anwesen teilte sich in einen Teil Zaubererhaushalt und einen Teil Muggelhaushalt.
So besaßen sie einiges an Muggelgerätschaften, wie Telefone und Fernseher.
Jade bahnte sich ihren Weg durch den Garten, im Zimmer ihres Bruders brannte noch kein Licht, doch sowohl ihre Eltern als auch ihre Großmutter schienen schon wach zu sein.
Sie tapste über den kalten Holzboden zur Küche, in der ihr Vater bereits am Herd stand und so wie es duftete, bereitete er gerade Waffeln zu.
„Guten Morgen, mein Schatz!", begrüßte Charles seine Tochter mit einem breiten Lächeln und schwang dabei die Pfanne in seinen Händen. Er hatte sich eine pinke Schürze mit Blumenmuster um den Bauch geschnallt und pfiff fröhlich zu einem Lied, welches leise aus einem Radio kam.
„Wie kommt es, dass du schon wach bist? Wie ich deinen Bruder kenne, schläft dieser noch tief und fest", führ Mr. Graeham fort und Jade ließ sich an dem forderen der beiden Küchentische nieder.
„Ich habe mir den Sonnenaufgang angesehen", antwortete sie leise und warf einen Blick aus dem Fenster. Inzwischen hatte der Himmel nur noch einen leichten rosanen Schimmer.
„Ah, ich verstehe. Wunderschön, nicht? Wir hätten uns kein schöneres Haus aussuchen können." Mit einem Lächeln schwang er die Pfanne und ließ einen Pfannkuchen sich in der Luft drehen, während ein Pfannenwender die Waffeln in der Waffelmaschine umdrehte und auf der anderen Seite der Theke ein Stapel fertiger Pfannkuchen von einem schwebenden Puderzuckerdöschen bestäubt wurde.
„Wo sind eigentlich Nana und Mum?" Mr. Graeham deutete aus dem Fenster zum Rosengarten und Jade musste ihren Hals strecken, um seinem Deut mit dem Blick folgen zu können.
Zwischen zwei großen Rosensträuchern standen Mrs. Graeham und Agatha und unterhielten sich mit dampfenden Tassen in den Händen.
„Sie machen, was Frauen eben machen. Reden, reden und noch mehr reden!" Mit Schwung drehte er sich um und schwenkte seinen Zauberstab. Fast augenblicklich erschien ein Teller vor Jade, der sich langsam aber stetig mit den warmen Backwaren füllte.
Mit einem müden Lächeln griff sie nach dem Besteck und machte sich mit knurrenden Magen über das Frühstück her.
„Hast du Noah heute schon gesehen?", fragte Mr. Graeham, während er aus einem der oberen Schränke noch mehr Puderzucker und Honig holte. Jade konnte nur den Kopf schütteln, da ihr Mund gerade mehr als voll war.
„Hm. Dieser Langschläfer, ich geh ihn mal wecken." Mit diesen Worten verließ ihr Vater die Küche und ließ Jade alleine zurück, die sich aber einfach weiter über die Pfannkuchen hermachte.
Kurze Zeit später kehrten dann ihr Vater und ihr Bruder zurück und auch Mrs. Graeham und Agatha gesellten sich in die Küche und so gab es das erste große Frühstück seit langen bei ihnen. Nach einiger Zeit senkte Mrs. Graeham die Tasse und warf einen kurzen Blick zu ihrem Mann, der nur knapp nickte.
Jade und Noah stritten sich gerade um den letzten Pfannkuchen und bekamen so den Blickwechsel ihrer Eltern nicht mit.
„Jade? Noah?", die Zwillinge bekamen nicht mit, dass ihr Mutter zu ihnen sprach, da Jade gerade versuchte, die silberne Gabel in Noahs Hand zu stechen.
„Kinder? Hört ihr mir kurz zu?", versuchte sie es erneut, doch noch immer waren die beiden so sehr in ihren Disput vertieft, dass sie nichts mitbekamen.
„Bei Merlins pink geplüschter Unterhose! Werdet ihr jetzt ruhig sein und zuhören?", erhob Agatha ihre Stimme und funkelte ihre Enkel an. Sofort wandten die beiden sich um und starrten mit großen Augen ihre Großmutter an.
„Geht doch", seufzte diese und griff nach ihrer Kaffetasse. Megan griff nach der Hand ihres Mannes und sah ihre Kinder mit einem sanften Lächeln an.
„Wir wollten ein paar Dinge mit euch besprechen", fing sie dann an und wartete kurz, ob einer der beiden etwas einwerfen wollte. Doch beide sahen ihre Mutter nur fragend an.
„Gut. Also, da die Schule ja erst wieder in knapp 4 Monaten beginnt, haben euer Vater und Ich uns überlegt, dass wir diese Zeit intensiv mit euch nutzen wollen. Wir haben geplant, einen Ausflug nach Amerika zu machen für drei Wochen, und zu ein paar Quidditchspielen der Howling Hawks zu gehen und ... vielleicht fallen euch auch noch ein paar schöne Dinge ein.
Außerdem... werde ich meine Arbeit als Aurorin aufgeben und nur noch eine beratende Funktion einnehmen und euren Vater bei seiner Arbeit als Journalist unterstützen."
„Heißt das... ihr seid jetzt wieder öfters zuhause?", sprudelte es aus Noah heraus und Megan nickte. Ein breites Grinsen begann, sich auf seinen Zügen auszubreiten.
„Warum?", fragte Jade tonlos und sah ihre Mutter aus zusammengekniffenen Augen an. „Wie bitte?", erwiderte diese nur und Jade lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. „Warum du aufgehört hast? Sicherlich, damit du uns öfters sehen kannst. Dafür hast du die Arbeit viel zu sehr geliebt und dafür gekämpft, uns eine sichere Zukunft zu erwidern. Also, was ist der Grund?" Kurz blitzte Trauer und Angst in den Augen ihrer Mutter auf, doch Jade kümmerte dies wenig. Sie liebte ihre Eltern, aber sie kannte sie auch und Megan Graeham hatte nun einmal das Herz einer Kämpferin.
„Ihr... Wir... es ist...", hilfesuchend wandte sich Megan an Charles, der nur mit den Schultern zuckte und die Hand seiner Frau fester drückte.
„Es war alles überhaupt nicht so geplant. Wir hatten euch gerade erst wieder in die Arme schließen können, die Todesser verhaften können und langsam den Glauben aufbauen können, vielleicht wieder in ein geregeltes und normales Leben zurückzukehren.
Ihr werdet ein Geschwisterchen bekommen", erklärte Megan auf die fragenden Blicke ihrer Kinder hin und begann zu strahlen. Diese Freude, dieses Strahlen kam aus ihrem tiefsten Inneren und erfüllte den Raum.
Jade sprang auf und verließ wortlos die Küche.
Mit Tränen in den Augen krallte sie sich in den Stoff über ihrem Herzen und rannte hinaus in den Garten, sprang über den Zaun und lief durch das hohe Gras in Richtung des Strandes.
Sie wusste nicht warum, aber ihre Mutter so glücklich zu sehen schmerzte sie, denn sie selbst war es nicht.
Die Dunkelheit, die in ihrem Herzen Platz gefunden hatte, war nicht weniger geworden. Bald würde der Mai beginnen und doch kehrte jede Nacht die Erinnerung an den dunklen Kerker zurück. Die Erinnerung an den Schmerz, an die Kälte und jedes Mal erwachte sie durch einen hellen grünen Blitz.
Und jedes Mal war Adam da, hielt sie fest in seinem Arm und strich ihr beruhigend über die Haare. Nur dann, wenn er ihr ins Ohr flüsterte, dass alles gut war, konnte sie für wenige Stunden Schlaf und ein wenig Frieden finden.
Doch hier und jetzt war sie erneut alleine, doch das hatte sie sich selbst zuzuschreiben.
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