Kapitel 9 - Die großen Neun
Es war, als würde jeder Atemzug dafür sorgen, dass ein Feuer durch ihre Lungen fegen würde. Ihre Wangen waren trocken, obwohl sie doch so viele Tränen vergossen hatte und ihre Augen weit aufgerissen. Stumm, einsam, lehnte sie an der kalten Wand. Jemand hatte ihre Verletzungen versorgt und mit ordentlicher Nahrung versorgt. Doch sie hatte keinen Hunger gehabt, nicht einmal getrunken hatte sie in den letzten Tagen. Sie konnte nicht, sie konnte nicht solange er da lag. Sie hatten sofort den Raum verlassen, die Gefangen wurden zusammengepfercht und dann wurde das Versteck gewechselt. Das Gefühl durch einen Schlauch gequetscht zu werden, dann wurden sie wieder getrennt und in enge Zellen geschmissen. Im Gegensatz zum letzten Mal, hatte sie eine Zelle mit einem Fenster erwischt. Sie wusste, dass es nun drei Tage her war. Nein, sie wollte nicht daran denken, ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen.
„Wenigstens ein wenig Veränderung. Aber... zeigt mir doch, dass es sich noch lohnt diesen albernen Träumen nachzurennen. Zeigt mir doch ein Licht in all der Dunkelheit, ich habe doch den ersten Schritt gewagt. Warum sehe ich nicht, wohin mein Weg mich führt? Ich komm sowieso nicht mehr zurück. Warum will die Welt mich nur erdrückend? Es ist so frustrierend..." Jade wusste nicht, mit wem sie sprach. Vielleicht war es ein Gebet, vielleicht hoffte sie, der Wind würde ihre Worte zu ihrer Familie, zu ihren Freunden tragen. Doch langsam wurde bewusst, sie würden nicht auftauchen. Sie hatte alles gegeben, um ihre Freunde zu befreien. Und doch hatten sie es nicht geschafft sie zu befreien, sie hatten sie und Casey alleine gelassen. Casey...
„Es wär leicht, so leicht... einfach aufzugeben. Vielleicht, und vielleicht gilts zu verstehen, dass ich verloren bin. Verdammt. Zurückgelassen, warum nur habt ihr mich zurückgelassen? Zeigt mir doch, dass ich noch gehen kann! Ich bin einsam, alleine... Niemand der mich stützt. Der Himmel stürzt auf mich hinab, die Welt will mich erdrücken. Es wäre so leicht einfach aufzugeben..." Der Himmel, den sie durch die Gitterstäbe erkennen konnte war klar und die Sterne funkelten. Vorsichtig krallte sie ihre Finger an die Wand, ihre Nägel waren stumpf und eingerissen, ihre Finger dünn und zerbrechlich geworden. Nicht nur die letzten Tage, nein die gesamten letzten Wochen hatten sie müde gemacht, sie wollte einfach nur noch schlafen. Und dann würde sie in ihrem weichen Himmelbett aufwachen und langsam verstehen, dass es alles nur ein böser Traum gewesen ist.
„Aber es ist die Realität..." leise murmelnd schleppte sie sich zum Fenster, griff nach den kühlen Stäben und sackte dann gegen die Wand. Dass, was sie so lange hatte durchhalten lassen, es war verschwunden. Es war egal gewesen welchen Schaden ihr Körper genommen hatte solange sie wusste, sie tat es für ihre Freunde. Doch das war nun vorbei... Sie war alleine, alleine in dieser Hölle.
Tage vergingen, kühle Nächte, sie verweigerte weiterhin die Nahrungsaufnahme und hatte aufgegeben. Sie hatte nicht nur die Hoffnung aufgegeben, gerettet zu werden, nein sie hatte die Hoffnung zu leben aufgegeben. Was brachte es denn jetzt noch? Sie hatte ihn nicht beschützen können, ihre sogenannten Freunde hatten sie nicht gerettet obwohl sie alles aufgegeben hatte. Sie hatte diesen Männern...
Galle und Magenflüssigkeit spritzten zu Boden als sich das wenige, was ihr Magen sein eigen genannt hatte plötzlich hochkam. Krampfend kniete sie auf dem Boden, ihre Augen füllten sich mit heißen Tränen und ein Zittern ergriff ihre Arme und Beine, dass sie nicht stoppen konnte. Ihr Körper rebellierte, kollabierte. Schwarze Punkte tanzten vor Jades Augen, die Tränen sorgten für eine verschwommene Sicht und leise wimmernd rollte sie sich in einer Ecke zusammen. Zitternd strich sie sich über die Arme, die voller Narben waren. Hässliche Narben, die sie niemals loswerden würde. Aber selbst wenn, es würde niemals jemand sehen. Sie würde nicht freikommen, niemand könnte besorgt auf ihre Narben sehen und sie tröstend in den Arm nehmen. Wie sehr sehnte sich Jade in diesem Moment nach ein wenig Wärme, einer tröstenden Geste oder einem einfachen Lächeln. Wie sehr, vermisste sie nun ein aufmunterndes Wort. Aber es war niemand da, sie war alleine und sie würde alleine bleiben.
So wie Casey. Er war nun auch alleine. Ob sie ihn gefunden hatten? Ob er eine Beerdigung bekommen würde? Entsetzt musste Jade feststellen, dass es bereits September sein musste. Der Hogwartsexpress... Hogwarts... niemand würde auf Caseys Beerdigung gehen. Seine Freunde, ihre Freunde die sie im Stich gelassen haben. Nicht nur Jade, nein sie haben auch Casey verraten. Die Zeit verging, Minuten, Stunden, Tage. Die Sonne ging auf und sie ging auch wieder unter. Die Welt drehte sich weiter, sie stand nicht still. Die Momente kamen und sie vergingen auch wieder. Zitternd wachte Jade jedes Mal auf, wenn sie eingeschlafen war. Kalte, tote Augen starrten sie aus der Dunkelheit her an. Seine Stimme hallte in ihrem Kopf wider, zu jeder Zeit. Er rief ihren Namen, schrie um Hilfe, flüsterte ihr Schuldzuweisungen zu. Verzweifelt griff Jade sich an den Kopf.
„Nein... Nein ich war es nicht. Du hast mich gebeten... es war nicht meine Schuld!" Doch die Stimme wurde lauter, sie wurde wütender und bald hielt Jade sich davon ab, zu schlafen. Nicht einmal ein gesunder Geist hätte das durchgehalten, doch ihre Psyche war bereits geschädigt gewesen. Und so fand sie sich eines Nachts in der Ecke ihrer Zelle wieder, ihre Körper war schrecklich dünn geworden und einzelne Knochen traten deutlich unter der ledernden Haut hervor, ihre Haare waren zerzaust, ungebändigt und standen in alle Richtungen ab. Ihr Gesicht war eingefallen, blass und wirkte wie eine Totenmaske in der Dunkelheit. Jade wusste, bald würde sie nicht mehr alleine sein, bald wäre sie frei. Und sie würde bei Casey sein und ihm Gesellschaft leisten. Sie wären glücklich zusammen, wo auch immer das sein würde.
Doch das Schicksal spielte ihr einen Streich, anscheinend hatte sie noch eine Aufgabe denn der ersehnte Tod kam nicht. Einer der Wachen schien Alarm geschlagen zu haben, ein großer Mann hob sie vom Boden auf und fast sanft trug er sie in einen großen Raum mit vielen Betten. Eine Krankenstation? Jades Sicht war verschwommen, sie war fast nicht mehr bei Sinnen und an jeder Ecke stand Casey und starrte sie ausdruckslos an. Dann überkam Dunkelheit sie.
„Ich kann nicht glauben, dass du wirklich aufgeben wolltest." Jemand stieß ihr gegen den Oberarm und fing an zu lachen. Jade warf einen Blick zur Seite, grinste die Person neben sich an und musterte den blonden Jungen.
„Ich würde doch niemals aufgeben! Ich mache nur eine strategische Pause, du wirst schon sehen, bald geht's wieder richtig los. Als ob die Worte dieses... dieses..."
„Aufgeblasenen Affen?" Schlug Casey vor, bevor er einige Worte auf die Pergamentrolle vor sich kritzelte. Jade musste Lachen und lehnte sich an ihren Freund. „Genau! Als ob die Worte dieses aufgeblasenen Affens mich stören würden. Ich bin immerhin Jade Graeham und nichts wird mich je unterkriegen!" Casey wandte seinen Kopf zur Seite und musterte sie kurz, sein Blick wurde etwas ernster.
„Aber sie haben dich getroffen, oder? Jade... ich seh es doch in deinen Augen. Du weißt, du kannst mit mir über alles reden." Sie seufzte und musterte die Musterung auf dem Tisch, die plötzlich furchtbar interessant waren.
„Ja... Nein! Vielleicht. Ich weiß es nicht. Er hatte nicht das Recht, so etwas zu sagen. Ich habe meine Eltern nicht einmal die Hälfte meines Lebens aktiv mitbekommen. Ich vermisse sie..." Casey streichelte ihr über den Kopf und legte seine Feder beiseite. Er setzte sich so hin, dass Jade sich auf seinen Schoß legen und ihm in die Augen schauen konnte.
„Mach dir deswegen keine Sorgen. Es ist bald alles vorbei und dann werden wir nach Hause kommen und all die verlorene Zeit nachholen können. Ich werde dir unseren Hof zeigen und du wirst mir endlich ein paar Geschichten erzählen, wie ihr eure Großmutter schon auf die Palme gebracht habt. Und bis dahin hältst du das durch, ok? Du stehst drüber, du hältst diesen Kerl durch, bis wir wieder Zuhause sind..." Sie nickte und drückte dabei seine Hand fest, Casey lächelte sie nur sanft an.
Ruckartig fuhr Jade auf, ihre Hände krallten sich in die kratzige Bettwäsche, ihr Herz raste ununterbrochen und sie hatte die Augen weit aufgerissen. Sie brauchte eine Weile, um zu verstehen was geschehen war. Was sie getan hatte, was sie gedacht hatte. Wie ein Igel kugelte sie sich zusammen und versuchte die Scham herunterzuschlucken. Sie war bereit gewesen, ihr Leben wegzuwerfen, nachdem was sie durchgehalten hatte. Sie war bereit gewesen, ihre Freunde als Verräter zu sehen, nach allem was sie gemeinsam durchgestanden waren. Noah, Pascal, Edwin und Leonie würden sie nicht verraten, wer weiß, was ihnen geschehen war. Vielleicht waren sie einfach noch nicht im Ministerium angekommen, sie waren schließlich ohne Zauberstäbe irgendwo im nirgendwo gelandet. Auch Casey hätte nicht gewollt, dass sie jetzt aufgab. Nein, sie würde wieder stark werden und stark bleiben. Langsam sah sie sich im Raum um, nur zwei weitere Betten waren besetzt, in beiden lagen erwachsene Hexen, die stark mitgenommen aussahen. Also ließ man die Gefangenen nicht einfach sterben, doch was für ein Sinn hatte das Ganze? Jade bemerkte, dass niemand weiteres im Raum war und sie auch nicht gefesselt war. Vorsichtig schob sie die Decke beiseite, jemand hatte ihr eine Art Nachthemd angezogen und als ihr Blick auf ihre Arme und Beine fiel, erschrak sie ein wenig. Wann hatte sie so viel abgenommen? Vorsichtig schwang sie die Beine aus dem Bett und versuchte aufzustehen. Im ersten Moment war es ein wenig schwierig und auf wackeligen Beinen schlich sie zu der einzigen Tür im Raum, immer wieder nach hinten schauend ob wirklich niemand anderes wach oder da war. Doch ihr Fluchtversuch endete, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte, als jemand die Tür aufstieß und in den Raum geeilt kam. Es war niemand anderes, als McKinnon, der sie zunächst überrascht, doch dann hasserfüllt anstarrte.
„Oh, nicht noch mal Mädchen." Bevor Jade reagieren konnte war er zwei Schritte vorgetreten und umgriff mit seiner starken Hand ihren Arm. Verzweifelt versuchte Jade, sich aus seinem Griff zu befreien, doch sie war zu schwach.
„Hör auf und komm jetzt mit. Du wirst erwartet." Ohne auf ihre Gegenwehr zu achten, schliff McKinnon Jade aus dem Raum, einen langen Gang hinunter. Sie waren in keinem muffigen Schloss oder ähnlichen, der Boden und die Wände waren aus Holz gefertigt, einige Gemälde und Kunstgegenstände zierten diese. Auf dem Boden lag ein feiner Teppich und ein paar Rüstungen zierten die Weggabelungen. Sie musste in einem großen Haus sein, dem Haus einer mächtigen Person. Sie erkannte einen Weg, der in den Keller führen musste. Leichte Seufzer und heulen wurde hinaufgetragen, doch McKinnon beachtete das nicht weiter und führte Jade in den zweiten Stock. Vor einer Doppletür blieb er stehen und warf ihr einen hasserfüllten Blick zu.
„Halt bloß deine dreckige Fresse. Ich warne dich, sonst wirst du es bereuen." Jade wandte den Blick ab und ihr Herz begann zu rasen. Was würde sie wohl hinter dieser Tür erwarten? Große Angst machte sich in ihr breit, dann stieß McKinnon das dunkle Holz auf und ein schlichter Versammlungsraum tat sich vor ihnen auf. Er war schmucklos, nur einer langer Tisch an dem einige vermummte Gestalten saßen, füllte den Raum. Die Wände waren dunkel und einige wenige Lampen spendeten ein wenig Licht. Als McKinnon mit Jade an seiner Seite den Raum betrat, verstummte das zuvor geführte Gespräch und alle Köpfe wandten sich zu ihnen. Eine ungeheure Stille breitete sich aus und ängstlich sah die Gryffindor sich um, während McKinnon sie zur Kopfseite des Tisches zerrte. Dort saß der einzig unvermummte Mann in diesem Raum. Er hatte kurze schwarze Haare, die ihm ordentlich am Kopf lagen, einen gepflegten Schnauzbart und sein Gesicht war kantig und kalt, wie aus Stein gemeißelt. Er trug einen einfachen Anzug und seine Augen waren ausdruckslos und wirkten wie eine endlose Dunkelheit. Mit dieser Dunkelheit musterte er sie nun und schnaubte abfällig.
„Und von so einem Kind, lassen Sie sich so auf der Nase rumtanzen, McKinnon? Sie sind ja noch eine größere Schande für unsere Organisation, als diese Blutsverräter." Ihr Peiniger wollte etwas erwidern, doch der fremde Mann erhob seine Hand und McKinnon verstummte, bevor er überhaupt etwas sagen konnte.
„Wie heißt du, Mädchen?" Nun wandte sich der Fremde an sie persönlich, doch Jade funkelte ihn nur wütend an. Der Mann nickte.
„Ich sehe, du bist immer noch furchtbar stur. Kinder, lernen nie aus ihren Dummheiten möchte man meinen. Nun dann. Crucio!" Ein furchtbarer Schmerz überrannte sie und obwohl sie diesen Fluch schon einige Male abbekommen hatte, schien er von diesem Mann gesprochen noch qualvoller als alles zuvor.
„Jade..." keuchte sie und blinzelte schmerzerfüllt. Wann war sie zu Boden gefallen? „Jade... Graeham." Wiederholte sie dann ihren vollen Namen und der Schmerz verebbte. Ein rauchiges Lachen erklang, es kam von dem fremden Mann.
„Eine Graeham also. Ich hatte das Vergnügen mit deiner Familie noch nicht, Halbblüter, richtig? Oh ich weiß schon was wir mit dir machen. Weißt du, Ihr seid keine völlige Schande für die Zauberergemeinschaft, aber Wert an unserer Seite zu sitzen seid ihr auch nicht. Ich denke, Amena wird sich sehr über dich freuen. Sie wollte schon immer ihren eigenen kleinen Halbblüter zum Spielen haben. Bringt Miss Graeham zu meiner werten Frau!" Bevor Jade reagieren konnte, griffen zwei paar Hände nach ihr und schliffen sie am Tisch entlang. McKinnon starrte sie weiterhin verhasst an, bevor er sich an den Mann wandte.
„Mylord Delvier, denkt ihr nicht, dass es besser wäre wenn ich..." Doch er verstummte erneut, als der Mann neben ihm die Hand hob. Er starrte Jade mit seinen kalten Augen an, während sie langsam aus Hörreichweite gezogen wurde.
„Nein, McKinnon. Ich glaube, deine Familie wird ihrer Pflichten entbunden. Von nun an, sind wir nur noch die großen 9, oder was sagen Sie Mr. Greengrass, Mr. Carrow, Mrs. Lestrange, Mr. Black, Mrs. Draganios, Mr. Steinfeld, Miss Fliederbaum und Mr. Demuehr dazu?" Zustimmendes Gemurmel erklang unter den Kapuzen der vermummten Gestalten, bevor die Türen sich langsam schlossen und Jade einen letzten Blick auf McKinnon werfen konnte, bevor ein grünes Licht sie kurz blendete.
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