Kapitel 2 - Gib nicht auf

„Jill, Schatz, beruhige dich doch bitte!", sagte Mrs. Carter laut. Die Angesprochene drehte sich wütend um. „Mich beruhigen? Mich beruhigen?! Wie soll ich mich bitte beruhigen, wenn meine beste Freundin seit Wochen vermisst wird? Würdest du dich beruhigen, wenn ich entführt worden wäre? Ich denke nicht, oder?!"

Das junge Mädchen schnaubte verächtlich und begann weiter damit, im Kreis zu laufen, wie sie es getan hatte, bevor ihre Mutter geredet hatte. Jill Carter, beste Freundin von Jade Graeham, wartete ungeduldig auf die Rückkehr ihres Vaters. Er ging jeden Tag, seit dem Zugüberfall, in das Ministerium um etwaige Informationen über den Verbleib der sechzehn Kinder zu erfahren. Jill war außer sich vor Sorge. Am liebsten würde sie ihre Wut und ihre Kummer laut rausschreien, oder irgendwas verprügeln. Doch alles machte nur halb so viel Spaß, wenn Jade nicht dabei war. Sie hatte nicht mal großen Appetit.

Auf dem Küchentisch lagen alte Tagespropheten, die alle über die Zugentführung berichteten. Jill hatte sie allesamt gesammelt, um vermeintliche Informationen herauszufinden und auch einfach nur, um das Gesicht ihrer Freundin zu sehen, oder das von Noah und Pascal, die ebenfalls als vermisst galten. Während das alles geschah, war Jill sehr weit hinten im Zug gewesen. Um genau zu sein, im vorletzten Waggon. Sie wollte ihrer besten Freundin ein kleines aber besonderes Geschenk machen. Sie war zu den Siebtklässlern gegangen und hatte den rothaarigen Ronald Weasley gebeten, etwas für Jade zu signieren. Sie wusste, Jade war von dem Rotschopf ziemlich angetan und sie hätte sich darüber bestimmt gefreut. Doch noch bevor sie zurück in das Abteil mit ihren Freunden hatte gehen können, war der Zug angehalten worden. Alles wurde dunkel und Adley, der sie begleitet hatte, hatte schnell reagiert und sie in eine der Klokabinen gezogen. Sie hatten alles mit angehört. Sie konnten aber keine nützlicheren Informationen geben, als andere, die etwas gehört hatten. Fest stand, es waren mehrere Personen, hauptsächlich Männer und einige mit ausländischem Akzent, die die ganze Aktion durchgeführt hatten. Einige Namen waren gefallen und viele davon waren mit den Todessern in Verbindung zu setzen, was Jill nur noch mehr Sorge bereitete. Was wenn sie Jade und die anderen folterten? Oder ihnen eine Gehirnwäsche unterzogen? Würde sie ihre Freundin je wieder sehen?

Mit Tränen in den Augen ließ sie sich auf dem Küchenstuhl nieder und vergrub den Kopf in den Armen. Eine Seite des Tagespropheten war genau unter ihr und selbst mit dem wenigen Licht konnte sie sie lesen.

Weiterhin keine Fortschritte

Seit nunmehr drei Wochen fehlt jegliche Spur der 16 Kinder, die auf der Heimfahrt von Hogwarts entführt worden sind. Unklar ist, ob dem Ministerium Informationen vorliegen, die Mitarbeiter schweigen eisern. Augenzeugen berichteten, wie aufgeregt Eltern und Freunde der Familien Proteste in den Ministeriumshallen anzettelten. Es kam inzwischen zu drei Krawallen, die nur schwerlich vom Minister persönlich gestoppt werden konnten. Wir konnten unseren Mitarbeiter Mr. Graeham, dessen Zwillinge ebenfalls unter den Vermissten sind, zu einem kurzen Interview überreden.

A. Spinnet: Charles, ich denke wir müssen nicht weiter darauf eingehen, wie schrecklich die Lage ist und wie verzweifelt Sie sein müssen. Sie waren an den Krawallen beteiligt, obwohl Sie einen guten Draht zum Minister haben, wie kommt es dazu?

C. Graeham: Nun, was soll ich dazu sagen? Ich habe viele Monate und Jahre meines Lebens investiert, um die erste Regime von Voldemort zu vernichten und seine Anhänger gefangen zu nehmen. Meine Kinder mussten sehr unter der Trennung leiden, wir haben uns leider viel zu wenig gesehen und jeder Tag war die Angst da, nicht mehr zu den beiden zurückkehren zu können. Mein Herz schmerzt jeden Tag mehr, denn wir sind völlig im Ungewissen was vor sich geht. Ich hätte erwartet, das wenigstens wir als Angehörige sofort jede Information bekommen würden, aber die oberste Direktive hortet alles und lässt niemanden an die Akten ran!

A. Spinnet: Also sind Sie sich sicher, dass es Informationen gibt, die zu der Ergreifung der Verantwortlichen und Befreiung der Entführten führen könnten?

C. Graeham: Absolut sicher! Die Spuren, die wir privat sammeln konnten verdichten sich ebenfalls. Ich kann versichern, dass es außerhalb des Ministeriums noch andere Kräfte gibt, die alles daran setzen diese feigen Todesser hinter Schloss und Riegel zu bringen! Wir werden alles daran setzen unsere Freunde und Kinder wieder zu bekommen!

A. Spinnet: Gibt es etwas, was Sie unseren Lesern noch raten oder sagen möchten?

C. Graeham: Ja! Auch wenn uns das Ministerium so im Dunkeln lässt, müssen wir als Gemeinde stärke zeigen! Wenn Sie etwas gehört oder gesehen haben, sollte es nur ein Gerücht sein: Bitte wenden sie sich an die Außenstellen des Tagespropheten! Der unscheinbarste Hinweis kann uns schon helfen.

Der Artikel war von der heutigen Zeitung. Jill las ihn sich zweimal durch, ehe sie wirklich realisierte, was dort stand. Sogar Jades Vater, ein Angestellter des Ministeriums, wusste, dass nicht alle Informationen an die Öffentlichkeit gelangten. Irgendwas mussten sie doch wissen, womit man Jade und den anderen helfen konnte. Wenn sie auch nur die kleinste Möglichkeit hatten, etwas zu unternehmen, warum taten sie es dann nicht? Wie konnten sie nur die ganzen Kinder ignorieren?

Jill stand auf und rannte aus der Küche. Sie würde jetzt nicht warten, bis das Ministerium sich dazu entschloss, mal etwas zu tun. Sie würde selber etwas unternehmen. Und selbst wenn sie dafür ganz Großbritannien absuchen müsste. Sie wollte gerade ihren Zauberstab schnappen, sich die Schuhe anziehen und die Jacke überwerfen, als die Haustür geöffnet wurde. Mr. Carter sah müde und erschöpft aus, doch beim Anblick seiner fast aufbruchsbereiten Tochter wurde sein Gesicht schlagartig heller. "Jill? Wo willst du denn jetzt noch hin?", fragte er und hängte die Jacke an.

"Ich gehe meine Freundin suchen, ist doch klar." Sie wollte gerade aus der Tür stürmen, als eine Hand sie festhielt und zurückzog. "Warte einen Moment! Was meinst du mit, sie suchen gehen? Weißt du denn wo sie ist?", fragte Mr. Carter. Jill schnaubte. "Natürlich nicht. Aber ich kann nicht untätig rumsitzen, während nichts passiert. Ich hab die Zeitung gelesen, irgendwer verheimlicht uns Informationen, die schon zur Befreiung geführt haben könnten."

"Oh. Dann warte noch bis morgen. Sie haben gerade Suchtrupps losgeschickt, um einer Spur nachzugehen. Bis morgen könnte schon wieder alles gut sein."

"Nein! Ich habs satt nur zu warten! Selbst wenn sie jetzt endlich mal was machen, ich werde selber etwas unternehmen. Genau wie Mr. Graeham gesagt hat, wir müssen als Gemeinschaft arbeiten. Wir können nicht darauf warten, dass das Ministerium etwas tut. Wir müssen es selber in die Hand nehmen." Mr. Carter starrte seine Tochter einen Moment an, dann drückte er sie an sich. Jill war so überrascht, dass sie sogar kurzzeitig vergaß die Türklinke festzuhalten.

"Ich verstehe, wie du dich fühlen musst, mein Schatz. Aber selbst wenn, du könntest nichts tun, nicht einmal wenn du sie finden würdest. Du wärst alleine gegen viele gefährliche Todesser. Sie würden dich ohne zu zögern töten. Willst du uns das antun? Willst du eine weitere Familie, die um ihr Kind trauert?" Jills Lippen fingen an zu zittern, ihre Augen wurden nass und sie warf die Arme um ihren Vater. "Ich liebe dich, das weißt du. Ich will nicht, dass du dich in Gefahr bringst. Bleib, bleib bitte und versuch keine Dummheiten zu machen. Jade wäre sicher am Boden zerstört, wenn sie befreit werden würde, aber du wärst nicht da, um sie zu begrüßen."

Tränen rannen Jills Wangen herunter. Ihr Vater umarmte sie einfach und sie merkte nicht einmal, wie er ihr den Zauberstab abnahm und auf die Anrichte legte. "Jetzt geh bitte nach oben, ich muss etwas mit deiner Mutter bereden." Jill nickte, zog Jacke und Schuhe wieder aus und lief dann die Treppe nach oben. Sie ignorierte die Tür, neben ihrem Zimmer, in dem Jade und Noah während der Weihnachtsferien übernachtet hatten, und warf sich auf ihr Bett.

Sie wusste nicht, wie lange sie einfach nur dagelegen hatte, aber als sie wieder aufstand, war ihr Zimmer dunkel und sie musste sich eine Lampe anmachen, um etwas an ihrem Tisch zu sehen. Sie nahm einen frischen Bogen Pergament hervor, schraubte ein Glas mit schwarzer Tinte auf und tunkte eine schöne Feder hinein. Mit zittrigen Händen und immer noch verweintem Gesicht schrieb sie.

Liebe Jade,

ich weiß nicht, ob dich dieser Brief jemals erreichen wird, aber ich will, das du weißt, dass ich die ganze Zeit nur daran denke, wie es dir gehen muss. Ich weine und du bist nicht da, um mich zu trösten. Das bedeutet, dass du nicht da sein kannst. Du würdest nicht zulassen, dass ich traurig bin. Du würdest wahrscheinlich sogar einen Dementor zu einem Boxkampf herausfordern, nur um meine Tränen zu trocknen. Und doch muss ich weinen, sobald ich an dich denke. Wo bist du nur? Gib mir doch ein Zeichen.

Mein Vater sagte, sie haben heute einen neuen Suchtrupp losgeschickt, der nach dir und den anderen suchen soll. Ich hoffe sie finden euch bald. Ich vermisse dich und vermisse es, mit dir herumzualbern, Professor Aiden Streiche zu spielen oder einfach mit dir zu essen.

Egal was passiert, du musst stark sein. Ich versuche es auch. Egal was sie dir antun, vergiss nicht, dass es Menschen gibt, die um dich trauern und dich vermissen. Du darfst nicht aufhören zu kämpfen, das hast du mir beigebracht und ich werde auch nicht aufhören. Niemals aufgeben, dass ist unsere Divise. Vergiss das bitte nicht.

In Liebe,

Jill.

Jill rollte den Brief zusammen und steckte ihn dann in eine kleine Kiste, die auf einem ihrer Regale stand. Sie würde jetzt jeden Tag einen Brief an Jade schreiben. Und wenn sie wieder da wäre, würden sie die Briefe zusammen lesen und sie danach verbrennen. Jill versuchte sich die Worte ins Gedächtnis zu rufen. Sie würde nicht aufgeben, egal was passieren würde.

Jill schaltete die Lampe aus und ging hinaus in den dunklen Flur. Von der Treppe schien Licht nach oben und Stimmen wehten herauf. Möglichst geräuschvoll, damit sie nichts belauschen konnte, was nicht für ihre Ohren bestimmt war, ging sie die Stufen herunter. Ihre Mutter und ihr Vater saßen in der Küche, eine Flasche Wein und zwei Gläser vor ihnen auf dem Tisch.

"Jill, Schatz. Hast du Hunger? Du hast seit Stunden nichts gegessen.", begrüßte sie ihre Mutter, kaum dass sie über die Schwelle getreten war. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie wirklich ziemlichen Hunger hatte. Vielleicht hatte es geholfen, sich einmal alles von der Seele zu reden und schreiben. Nach einem Nicken sprang Mrs. Carter auf und zückte ihren Zauberstab. Ein paar Töpfe flogen zum Herd und Gemüse begann sich von alleine zu putzen und scheiden.

Jill setzte sich an den Tisch, während das Essen kochte und beobachtete ihre Mutter. Sie wirkte aufgelöst, als hätte sie schlimme Nachrichten gehört. Unweigerlich fragte sie sich, ob sie etwas über Jade gehört hatte. Vielleicht hatte man ja - nein, sie durfte darüber nicht nachdenken. Um etwas zu tun und sich abzulenken, sprang sie auf und half ihre Mutter dabei, einen Soße anzurühren.

"Ich schaff das schon alleine, du kannst dich ruhig hinsetzen.", sagte Mrs. Carter etwas verwirrt. "Ich möchte gerne helfen. Ich muss etwas tun, weißt du. Sonst werd ich noch irre." Jills Mutter lächelte sie liebevoll an, küsste ihre Tochter auf den Kopf und wandte sich dann etwas anderem zu.

Nachdem sie sich einmal beruhigt hatte, schmeckte alles gleich viel besser. Sie konnte sich sogar noch mal etwas nachnehmen und auch das Dessert, ein selbstgemachtes Schokoladeneis, schmeckte ihr besser, als sonst. Jill half dabei, alles aufzuräumen und abzuwaschen, ehe sie wieder in ihr Zimmer ging und sich das Radio anschaltete. Die magische Musikband Schicksalsschwestern sang gerade ihr Lieblingslied und Jill konnte nicht anders, als laut mitzusingen, selbst wenn so gut wie alle Töne falsch waren. Etwas außer Atem, aber endlich mal wieder mit einem Lächeln im Gesicht ließ sie sich auf ihr Bett fallen. Mit geschlossenen Augen lauschte sie der Musik, ehe sie einschlief.



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