Kapitel 16 - In der Nacht (In Noctem)

Die Nokturngasse war ein düsterer Ort und jedes Mal, wenn Agatha Graeham mit ihren Enkeln daran vorbeigelaufen war, hatte sie die Kinder schnell weiter gezogen damit die beiden keinen Blick in die schmale Gasse werfen konnten. Nun wurde Jade direkt durch die engen Wege an den finsteren Läden vorbeigeführt. Zwielichtige Gestalten tummelten sich an den Ecken und in noch kleineren Nebengassen und in den Fensterläden der alten und dunklen Geschäfte konnte man so mancher eine schwarzmagische Gerätschaft entdecken. Das Sonnenlicht, welches die Winkelgasse durchflutet hatte, berührte hier nicht einmal die Dachzinnen. Es war düster, es war kalt und man spürte förmlich, wie dunkle Gedanken in einem hochkrochen. Jade verschränkte die Arme und versuchte die aufkommende Angst herunterzuschlucken. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme und ein kalter Schauer kroch ihr den Rücken hinab. Amena und Isabelle liefen laut schwatzend vor ihr her, sie schienen den dunklen Schatten der über dieser Gasse hing zu genießen, doch Jade würde am liebsten laut schreiend fortlaufen, die Treppen hinauf, weg von den kalten Klauen die nach ihr griffen und hinein in das warme, das schützende Sonnenlicht. Amena führte sie immer weiter, immer tiefer in das Labyrinthartige Gassennetz und selbst wenn sie nun vorgehabt hätte zu fliehen, hätte sie niemals den Weg zurück gefunden. Sie rückte näher an die beiden Frauen vor ihr, denn es schien ihr als würde aus jeder kleinen Fuge die Dunkelheit nach ihr greifen und der einzige Anker in dieser unwirklichen Welt waren ihre Entführerin und dessen Freundin. Plötzlich blieb Amena stehen und Jade wäre fast in sie hinein gelaufen. Sie klatschte erfreut in die Hände und ihre Augen huschten kurz über ein Ladenschild, welches über ihnen hing. Jade erhaschte ein Blick darauf und konnte noch gerade so lesen, dass sie nun 'Wiraskow's Zaubereibedarf' betraten. Als die schwere Tür hinter ihnen zufiel, zuckte Jade zusammen, hielt sich aber davon ab erschrocken herumzuwirbeln. Die Fenster waren verdreckt, der Boden staubig und nur wenige Kerzen beleuchteten den Verkaufsraum. Es schien, als gäbe es keine Ordnung. Päckchen lagen auf Kisten, Kisten standen auf Tischen oder Hockern, Kommoden drängten sich an Vitrinen und Schränken und in Schaukästen an den Wänden hing allerlei Kram. Jade entdeckte Schrumpköpfe, eine Reihe dumpf leuchtender Zaubertränke, die ihr wie Gifte erschienen. In einer Vitrine, auf welcher ein Haufen Kisten stand, konnte Jade sogar einige silberne Masken erkennen. Ein dumpfes Gefühl sagte ihr, dass es sich dabei um Todesser-Masken handeln musste. Jade nahm einen tiefen Luftzug der staubigen, trockenen Luft und suchte nach Amena, die am Thresen stand und ungeduldig auf eine verrostete Klingel hämmerte. Hinter dem Thresen sah die Wand nicht anders aus, als im Rest des Ladens, nur mit dem Unterschied dass eine Treppe in einen weiteren Stock führte, vermutlich die Wohnräume des Ladenbesitzers, und eine durch einen Perlenvorhang verdeckter Türrahmen in Hinterzimmer. Eine blasse Hand erschien zwischen den Perlen und ein junger Mann erschien, gefolgt von einem alten Greis. Jade schnappte kurz Luft und erntete dafür einen warnenden Blick von Amena, die sich anschließend mit ausdrucksloser Miene wieder den beiden Männern zuwandte, die kurz noch ein paar Worte tauschten. Als der junge Mann, vielleicht 20 Jahre alt mit den blonden, fast weißen Haaren sich von dem Greis, der offenbar Wiraskow war, abwandte und sein Blick auf die anderen Kunden fiel, wurden seine Augen schmal. Man konnte tiefe Augenringe unter ihnen erkennen, sein schwarzer Mantel wirkte ein wenig zu elegant und teuer für diesen Laden und die Art und Weise wie er nur auf sie hinab sah, gab Jade das Gefühl unbedeutend und klein zu sein.

„Amena Black, welch eine Überraschung. Ich hatte bisher noch nicht das... Vergnügen Euch persönlich anzutreffen. Ich wusste gar nicht, dass es noch Teile der Black-Familie außerhalb von England gab. Darf ich mich vorstellen-" Doch Amena unterbrach ihn mit einem zuckersüßem Lächeln, während ihre Augen den jungen Mann zu erdolchen schienen und ergriff seine dargebotene Hand.

„Draco Malfoy. Ihr sehr Eurem Vater sehr ähnlich. Es ist eine Schande, dass sich unsere Familie im Verlauf des letzten Jahrhunderts so voneinander distanziert hat, aber nun da wir wieder zu unseren Wurzeln zurückgekehrt sind, lässt sich das Familienband vielleicht erneuern?" Jade beobachtete die beiden sehr genau und bemerkte, wie sich Draco bei der Erwähnung seines Vaters unmerklich versteifte, und auch Amena schien diese Geste nicht verpasst zu haben.

„Sicherlich wäre dies möglich. Ich denke, es lässt sich nun nicht länger aufschieben auch die Familie Black auf den alljährlichen Halloweenball einzuladen. Erwartet unsere Eule für weitere Details. Wenn ihr nun entschuldigt." Draco trat zwischen ihnen hindurch und sein Blick fiel auf Jade. Seine Augen weiteten sich ein wenig und er schien sie mit seinem Blick durchbohren zu wollen. Doch Jade hielt stand und brach den Blickkontakt nicht ab, bis Draco sich noch einmal an Amena wandte.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr eine Tochter habt." Amena zog Jade zu sich und legte ihr die langen Krallen auf die Schulter. Schnell wandte Jade den Blick zu Boden und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Irgendetwas musste er gemerkt haben. Vielleicht ahnte er, dass etwas nicht stimme. Vielleicht würde er dem näher gehen.

„Ja, das ist meine geliebte Talia. Sie lebte bis vor wenigen Wochen noch in Amerika, wir wollten sie mit unserem schon fast... fluchtartigem Wegzug hierher nicht aus ihrem gewohnten Umfeld reißen, deswegen hatte sie einige Monate mehr Zeit, sich von ihren Freunden und Bekannten dort zu verabschieden." Draco zog eine Augenbraue nach oben und musterte Jade erneut von Kopf bis Fuß.

„Schickt ihr sie nicht auf eine Schule?" Amena lachte bellend auf und ihr Grinsen wurde größer.

„Nein. Sie bekommt die besten Privatlehrer, die man für Geld anstellen kann. Wir legen viel Wert auf die... richtige Erziehung." Draco nickte langsam und ließ seinen Blick ein letztes Mal über die beiden Frauen und Jade huschen. „Ich verstehe. Nun kann ich mich aber nicht länger aufhalten. Ihr verzeiht." Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Absatz um und verschwand, einen kalten Windzug hinter sich zurücklassend. Amena ließ ein seltsames Geräusch verlauten, welches wohl abwertend klinge sollte, bevor sie sich an Wiraskow wandte, der die ganze Zeit stumm da gestanden hatte und mit seinen silbrigen Augen die Szenerie beobachtet. Amena erklärte ihm, dass sie einen Zauberstab suchen und er dauerte nicht lange, da hatte der gebückte Greis einige lediert aussehende Packungen auf den Thresen gelegt. Eine dunkle Aura schien von ihnen auszugehen und Jade sträubten sich sämtliche Haare. Sie erinnerte sich daran, wie Agatha ihr und Noah einmal die Eigenart von Zauberstäben erklärt hatte.

Ein Zauberstab sucht sich den Zauberer aus. Niemand weiß, wie dieses Band ausgewählt wurde aber kein Zauberstab wird dir jemals so gute Dienste leisten, wie einer der dich ausgewählt hat. In einigen Familien werden die Stäbe verstorbener Mitglieder an die neue Generation weitergegeben und die Stäbe merken sich jeden Zauber und die Art und Weise, wie er angewandt wurde. Man sagt sich, dass besonders alte Stäbe in den Reinblütigen Familien einen bösen Geist besitzen. Sie stammen aus einer Zeit, in der Sklaverei und Folterung noch zur Normalität gehörten. Das Ministerium führt öfters Reinigungen durch, in denen besonders alte Zauberstäbe entsorgt werden und doch befinden sich noch genügend Stäbe im Umlauf, deren Kern dunkler ist als die dunkelste Nacht und die ihren Besitzer mit Schatten und bösen Gedanken befallen, bis er oder sie ohne Furcht vor dem Tod, mit der Gier nach Macht und ohne jegliches Mitleid sind. Sicherlich, diese Stäbe sind mächtig. Aber sie sind gefährlich und nur noch wenige Familien trauen sich, jungen Mitgliedern solch eine Macht in die Hand zu drücken.

Es dauerte nicht lange, da drückte ihr der stumme Wiraskow einen Stab nach dem anderen in die Hand. Jedes Mal verspürte sie, wie sich etwas um ihr Herz schnürte und von Mal zu Mal wurde das Gefühl von Ekel in ihr größer. Amena schien, im Gegensatz zu Jades Erwartung, eher begeistert davon zu sein dass es fast drei Stunden dauerte, bis ein besonders dunkler Zauberstab einen silbernen Funkenstrahl ausspie, als er Jades Fingerkuppen berührte. Kalte Angst klammerte sich plötzlich um ihr Herz und ihr wurde Speiübel. Auf dem Kärtchen in dem Päckchen stand die Zusammensetzung des Stabes. 'Englische Eiche, Schweifhaar eines Fennec-Fuchses, 12 ½ Zoll, ziemlich federnd'. Ein paar Galleonen und Sickel wechselten die Thekenseite und ehe Jade sich versah, stand sie wieder in der dunklen Gasse. Den Zauberstab hatte Amena vorsichtshalber an sich genommen, doch das beklemmende Gefühl hatte Jade nicht losgelassen. Es war, als wäre der Stab mit einer zähflüssigen Substanz überzogen gewesen, welche nun von ihrer Hand aus über ihren Körper wanderte und in jede Pore drang. Sie wischte sich immer wieder die Hand an ihrem Ärmel ab, doch das Gefühl blieb. Auch die Übelkeit wurde größer und vermischte sich nun mit Schwindel. Jade nahm nichts mehr von ihrer Umgebung wahr, nicht wie sie wieder in das warme Sonnenlicht traten. Nicht, wie sie in den tropfenden Kessel kamen und in einem Nebenraum apparierten. Kaum hatten sie die große Villa im Herzen Londons erreicht und waren in den Flur getreten, stürmte Jade los, jedes Wort Amenas ignorierend. Zitternd brach sie im Bad über der Kloschlüssel zusammen. Kalter Schweiß rann ihr über die Stirn und vermischte sich mit ihren heißen, salzigen Tränen. Jade warf einen Blick in den großen Spiegel und erschrak. Sie erkannte sich selbst nicht mehr, ihre Augen waren nicht mehr braun sondern von einem Grauton, der fast schwarz wirkte. Ihre Haut war blass, fast weiß und die langen aschblonden Haare hingen ihr in dünnen Strähnen am Körper hinab. Ihre Arme waren fürchterlich dünn und im Großen und Ganzen wirkte sie abgemagert und krank. Sie wusste, dass dies noch Folgen ihrer langen Zeit in den Kerkern herrührte. Ihre Hoffnung, dass irgendwer in ihr Jade Graeham erkannt hat, zerbrach wie ein dünner Ast inmitten eines todbringenden Sturmes. Zitternd richtete sie sich auf, wusch sich das Gesicht mit kühlem Wasser und flocht sich die langen Haare zu einem dicken Zopf. Einige Strähnen fielen ihr Lose ins Gesicht, doch Jade kümmerte sich nicht weiter darum und verließ das Badezimmer. Im Salon wartete bereits Amena auf sie. Isabelle schien gegangen zu sein und mit wenigen, heiseren Worten entschuldigte sich Jade für ihr verschwinden, doch Amena ignorierte diese und stand auf. Sie kam langsam auf Jade zu und mit Entsetzen erkannte Jade den frisch gekauften Zauberstab in ihren Händen.

„Es liegt ein Zauber auf ihm, versuche also nicht ihn gegen mich wenden zu wollen. Du wirst nur die Zauber anwenden können, die ich dich anwenden lassen will." Amena war bei ihr angekommen und strich Jade mit ihren langen, kalten Finger über die Wangen.

„Dies ist ein alter Zauberstab. Ein sehr alter und in ihm steckt große Macht. Du kannst gar nicht ahnen, welch eine Ehre es ist, dass er dich auserwählt hat. Oh ja... eine große Ehre die dir zu Teil wird." Ihre Stimme wurde leiser, bis Amena nur noch flüsterte. Schlagartig schien die Luft im Raum um 10 Grad gesunken zu sein und Jade fing wieder an zu zittern.

„Ich habe große Erwartungen und setzte große Hoffnungen in dich. Du bist mein Meisterstück, meine perfekte kleine Puppe. Enttäusche mich nicht." Grob griff Amena nach ihren Handgelenken und zwang Jade ihr direkt in die Augen zu sehen. Dann presste Amena ihr den Zauberstab in die Hand und der schwarze Schleier legte sich erneut über ihr Herz und ihren Geist. Es war wie ein Gewicht, welches sie nach unten zog, fort vom Licht, und sie konnte es nicht abwerfen.

„Wir werden sofort anfangen!" Amena schnipste einmal mit den Finger und Gibby tauchte in einer Tür auf. Sie hatte ihre dünnen Finger um etwas geschlungen und als die Hauselfe den Raum betrat, zog sie ein zitterndes, weinendes Mädchen mit sich. Sie sah fürchterlich aus und Jade stockte der Atem. Sie kannte das Mädchen, es handelte sich um Emma Williams, eine Gryffindor aus der 3. Klasse. Jade hatte sich ein paar Mal mit dem schwarzhaarigen Mädchen unterhalten, die ihr immer sehr selbstbewusst und stark erschienen war. Nun hingen ihr die schwarzen Haare strähnig und verschmutzt in das eingefallene Gesicht. Ihre Augen hatten ihren Glanz verloren und ihr Körper war abgemagert. Auch sie schien gehungert zu haben, ob freiwillig oder nicht, konnte Jade nicht erkennen.

„Nun, Talia, wollen wir mit deiner Ausbildung beginnen. Wir fangen klein an. Es gibt einen Zauber, der deinem Gegenüber Schnittwunden zufügt. Sie sind nicht tödlich, aber sie schmerzen sehr und können deine Feinde dazu bringen, den Verstand zu verlieren. Sieh her, das ist die Bewegung." Amena zückte ihren Zauberstab und vollführte mit ihm eine vollkommene Schlangenlinie in Form eines S.

„Und dabei sprichst du die Worte 'Exitu Nocte'. Du musst dich auf den Wunsch konzentrieren, deinem Feind quälende Schmerzen zu bereiten. Hast du alles verstanden?" Stumm starrte Jade auf Emma, die sie ängstlich musterte. Plötzlich wurden ihre Augen blau und statt Emma Williams blickte Jade nun in das Gesicht von Casey Alvis. Nein, sie konnte das nicht tun! Sie würde niemals jemand anderes verletzen, sie wollte diesem Mädchen keine weiteren Schmerzen bereiten.

„Nein..." murmelte Jade und ihre Fast schloss sich fest um das dunkle Holz. Amena zog eine Augenbraue hoch und stellte sich vor Jade. „Wie bitte?" Jade erwiederte entschlossen den Blick der Black und unbekannter Mut brodelte in ihr auf. „Ich sagte: Nein. Ich werde diesem Mädchen nichts tun und auch sonst niemanden verletzen! Sie können sich ihre schwarze Magie sonst wo hin stecken!" Jade hatte ungewollt die Stimme erhoben und funkelte Amena böse an. Ihre Miene wurde plötzlich hämisch und laut lachend wandte sie sich an Emma, die wimmernd auf dem Boden lag.

„Hast du das gehört, Mädchen? Mein Püppchen wird rebellisch." Dann drehte sie sich wieder zu Jade und plötzlich hatte diese das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, was man nur falsch machen konnte. Ehe sie sich versah, hatte Amena die Hand erhoben und ihr eine schallende Ohrfeige gegeben. Jade fiel zu Boden.

„Man wiedersetzt sich mir nicht. Du wirst diesen Zauber nun ausführen, oder die Konsequenzen spüren." Doch Jade weigerte sich, wieder aufzustehen. Sie biss sich auf die blutende Unterlippe und funkelte Amena weiterhin hasserfüllt an. „Nein."

„Wie du willst." Amenas Zähne blitzten auf, ihr Zauberstab flog wie eine peitsche durch die Luft und ein grüner Blitzstrahl sauste durch den Raum. Mit Entsetzen musste Jade feststellen, dass Emma leblos zur Decke starrte. Amena hatte sie ohne mit der Wimper zu zucken getötet.


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