Kapitel 8 - Feuriger Tatendrang

Jade schreckte hoch und riss panisch ihren Vorhang beiseite. „Wie spät ist es!", rief sie Amanda zu, die gerade aus dem Badezimmer trat. Bevor sie diese jedoch überhaupt antworten ließ, sprang Jade aus dem Bett und drückte sich an dem Mädchen vorbei ins Bad. „Warum habt ihr mich nicht geweckt?", schrie sie panisch durch die geschlossene Tür und ließ sich etwas Wasser auf den Kopf prasseln.

„Aber, wir haben heute keinen Unterricht", sagte Amanda perplex. „Das weiß ich!", rief Jade über das Rauschen der Dusche hinweg. „Aber ich muss zum Frühstück!"

„Warum das?" Sie spülte sich das restliche Shampoo aus den feuerroten Locken und sprang dann aus der Dusche, nur um sich sofort in ein Handtuch zu wickeln und die Tür ein Stück aufzureißen. „Weil - und das ist wirklich wichtig - ich zum Frühstück muss, denn ansonsten hat Jill wieder den ganzen Speck aufgegessen!", sagte sie mit einer so ernsten Stimme, als hätte sie gerade eine Rede am offenen Grabe gehalten.

Amanda blickte drein, als würde sie die Welt nicht mehr verstehen und wandte sich dann kopfschüttelnd um. „Aus dir wird ja keiner schlau", murmelte sie und warf ihren Schlafanzug aufs Bett. Jade nutzte die Zeit und zog sich rasend schnell an. Als sie das Badezimmer verließ, band sie sich gerade ihre nassen Haare zusammen und hatte eine Zahnbürste im Mund stecken, während sie ihren zweiten Schuh suchte.

„Jade, ich glaube kaum, dass Jills Magen genug Platz bietet, um den kompletten Speckvorrat Hogwarts aufzunehmen", sagte Amanda vorsichtig, doch Jade ignorierte sie und schwirrte weiterhin durch das Zimmer.

Fünf Minuten später war sie dann soweit und konnte den Gryffindorturm verlassen. Mehrere der älteren Schüler blickten sie irritiert oder belustigt an, doch Jade ignorierte auch das. Wenn es um Speck ging, kannte sie keine Gnade. Als Noah einmal den Fehler begangen und ihre Portion gegessen hatte, hatte sie den von ihrer Großmutter gelernten Kitzelfluch bis aufs äußerste benutzt, sodass ihrem Bruder vor lauter Lachen eine Rippe knackte. Agatha Graeham war zwar alles andere als begeistert, aber Noah hatte aus seinem Fehler gelernt und Jades Speck nach diesem Tag nie wieder angerührt.

Sie schlitterte gerade atemlos um eine Ecke, als sie jemanden entdeckte, der so aussah, als würde er am liebsten nicht gesehen werden. Doch diese braunen, buschigen Haare konnten nur zu Jill gehören, dachte Jade verwundert und schlich sich an ihre Mitschülerin an. „Was machst du da?", fragte sie leise und Jill erschrak laut. Dabei stieß sie mit dem Ellbogen gegen die Rüstung, hinter die sie sich gekauert hatte, die laut quietschend ihren Kopf zu ihnen umdrehte.

„Tut mir leid", murmelte Jade lachend, als Jill sich ans Herz fasste. „Warum schleichst du dich so von hinten an?"

„Warum versteckst du dich hinter einer Rüstung?", konterte sie. Jills Wangen wurden rot und sie wandte den Blick ab. „Oh, ich - wollte nur - du weißt schon - und dann - "

„Ahh!" Jade grinste diabolisch. „Du wolltest Adley beobachten, oder?" Jill blickte sie erschrocken an. „Woher weißt du - ich meine: Nein!" Jade grinste noch ein Stück breiter.

„Gut, hast ja recht", gab sie kleinlaut zu. „Warum sprichst du ihn nicht einfach an? Wir waren doch schon öfter zusammen unterwegs."

Jill scharrte mit den Füßen. „Ich trau mich nicht", murmelte sie. „Er ist ja immer mit dir oder Noah zusammen, da will ich mich nicht dazwischen drängen." Jade legte einen Arm um ihre Freundin und sie erschrak erneut. „Weißt du, wenn du früher was gesagt hättest, dann hätte ich Noah für dich aus dem Weg geräumt. Natürlich nicht so, wie du jetzt denkst!", fügte Jade schnell hinzu, als Jill große Augen bekam.

„Ich würde ihm einfach nur sagen, er solle Platz machen, damit ihr euch mal unterhalten könnt." Das braunhaarige Mädchen seufzte leise. „Dass ich in Gryffindor bin, ist bestimmt ein Fehler. Ich habe ja nicht mal genug Mut, um einen Jungen anzusprechen, den ich interessant finde."

„Ja, aber das ist doch nichts, wofür du dich schämen musst!", rief Jade aus. „Nicht jeder kann nun mal sofort den Zugang zu anderen Menschen finden. Bei einigen dauert es etwas, bis sie über ihren Schatten springen können." Jill schaute immer noch nicht überzeugt drein. Jade musste wohl oder übel ihre Geheimwaffe auspacken. „Komm mit. Ich muntere dich etwas auf."

Jill wollte sich noch wehren, doch Jade zerrte sie einfach weiter, sodass sie schließlich nachgab und sie freiwillig begleitete. In der Großen Halle drückte sie Jill auf eine Bank und setzte sich dann neben sie. Dann griff sie nach einer goldenen Palette voller knuspriger, saftiger Speckstreifen und legte ihr ein paar auf den Teller. „Wenn du isst, dann wird es dir besser gehen."

Nicht sehr überzeugt nahm Jill eines der Speckstücke in die Hand. „Ich weiß nicht so - ", fing sie an, doch da hatte Jade ihre Hand einfach genommen und das Essen in Jills Mund gesteckt. Erschrocken kaute sie, schluckte runter und hustete dann. „Was soll das denn?"

„Wie gesagt: Iss!"

Die beiden Mädchen lachten immer noch gemeinsam, als sich Noah zu ihnen setzte und sofort eine Augenbraue in die Höhe zog. „Will ich es wissen?", fragte er und deutete mit einem Finger auf die komplette leere Palette vor ihnen. „Wahrscheinlich nicht", sagten die beiden gleichzeitig.

Ihr Zwillingsbruder schüttelte den Kopf und nahm sich dann ebenfalls ein Frühstück, als just in diesem Moment lautes Kreischen die Halle erfüllte. Die Posteulen flogen durch die kleinen Eingänge in der verzauberten Decke herein und brachten ihren Besitzern Päckchen und Briefe von zu Hause. Luné, Jades hübsche Schleiereulendame ließ sich auf ihrer Schulter nieder und präsentierte dann mehr als stolz den Umschlag, den sie im Schnabel hielt.

„Feines Mädchen", sagte Jade, nahm den Brief entgegen und streichelte ihr das Gefieder. „Oh, von Adam!", rief sie aus und Jill blickte fragend drein. „Wer ist Adam?"

„Jades bester Freund", antwortete Noah mit dem Mund voller Toast. „Mein allerbester Freund", korrigierte sie und riss den Umschlag auf. Heraus fiel ein Pergamentbogen und Jade fing sofort begierig an zu lesen.

Mein kleines Füchschen,

Glückwünsch, du hast es nach Gryffindor geschafft! Du wirst es in meinem Haus sicher lieben, das weiß ich jetzt schon. Und Noah wird bestimmt... auch ganz viel Spaß haben. In dem anderen Haus eben.

Nein, mal ganz ernsthaft, ich freue mich für euch beide und wenn wir uns das nächste Mal sehen, dann werden wir das groß feiern. Du wirst schon sehen, die Freundschaften, die man in Hogwarts schließt, halten Ewigkeiten! Nirgends werden engere Bande geknüpft, als dort. Also genießt besonders noch die leichte Anfangszeit und macht allerhand Unsinn. Natürlich nicht zu viel, versteht sich. Ich muss ja irgendwo noch den älteren Beschützer spielen.

Ich kann nicht sagen, wann ich auch nachkommen werde - die Sache mit meinem Dad scheint etwas komplizierter zu sein, als wir angenommen haben - aber wenn ich erstmal da bin, dann machen wir gemeinsam das Schloss unsicher. Du, ich und Noah. Und eure Freunde, die ihr bis dahin gefunden habt.

Aber freundet euch nicht zu sehr mit den Schlangen an, die sind nicht gut für euch. Nur weil das da draußen jetzt etwas abschwächt, heißt das nicht, dass alle plötzlich wieder nett sind. Löwen und Schlangen haben sich noch nie verstanden. Es liegt uns einfach im Blut, weißt du. Ich kann nicht sagen, wie die anderen Erstklässler sind, aber ich habe keine guten Erfahrungen mit denen gemacht.

Übrigens: Hast du schon Casey kennengelernt? Er ist auch in Gryffindor und ist einer meiner Freunde. Es wäre doch irgendwie cool, wenn ihr euch anfreunden würdet, meinst du nicht? Casey ist wirklich nett, du wirst ihn bestimmt mögen.

Ich hab leider nicht so viel Zeit, deswegen kann ich nicht allzu viel schreiben.

Aber ich hab gewusst, dass du nach Gryffindor kommst. Du passt dort perfekt rein. Bestell Noah einen Gruß und mach ihm das Leben nicht zu schwer - zu zweit geht das immer besser.

Wir sehen uns sicher bald,

bis dahin,

Adam.

Jade legte den Brief mit gemischten Gefühlen beiseite. Einerseits freute sie sich von ihrem besten Freund zu hören, andererseits wusste sie nicht, was sie nun bezüglich Casey denken sollte. Sie hatte ja nicht gewusst, dass er und Adam sich kannten und dass ihr Freund dachte, sie und Casey würden sich verstehen. Sie blickte kurz den Gryffindortisch rauf und entdeckte den älteren Jungen dann. Er wirkte wie immer, sein Blick war starr und irgendwie kühl.

Jade schluckte und blickte dann nach vorne. Nein, sie würde sich nicht davon die Stimmung vermiesen lassen, dachte sie. Nur weil sie und Casey sich nicht verstanden, hieß es ja nicht, dass Adam dann auch nicht mehr ihr Freund sein würde.

„Ich soll dir einen netten Gruß bestellen", wandte sie an ihren Bruder gerichtet und stand dann auf, wobei Luné empört mit den Flügeln schlug. Jade gab ihr etwas Toast, strich ihr dann noch einmal über das sanfte Gefieder und ließ die Eulendame dann fliegen. Den Brief steckte sie zusammengefaltet in die Tasche ihrer Jeans. „Also gut, was machen wir heute?", fragte sie und Jill blickte sie verwundert an.

„Woher der Tatendrang?", erwiderte sie. „Es ist das erste Wochenende nach der ersten Schulwoche! Irgendwas müssen wir heute machen!" Noah blickte sie verwirrt an. „Warst nicht sonst du diejenige, die das Wochenende gerne zum faul rumliegen genutzt hat?"

„Ach, das war früher - " Noah zog die Augenbrauen in die Höhe, denn für ihn war vor einem Monat wohl nicht 'früher'. „ - jetzt sind wir in einem magischen Schloss, welches nur darauf wartet, dass wir jeden Geheimgang entdecken. Also kommt schon!"

„Und was ist mit den anderen? Mit Adley und deinen anderen Freundinnen aus Gryffindor? Was ist mit Edwin, Olivia und Eileen? Sie gehören doch auch zu unseren Freunden", stellte Noah fest und Jade sackte etwas zusammen.

„Oh, meinetwegen. Dann treffen wir uns in einer Stunde in der Eingangshalle und gehen eben gemeinsam los. Komm mit!" Sie griff Jills Arm und rannte mit ihr aus der Halle. Dabei begegneten sie Professor Aiden, der dem Rotschopf einen finsteren Blick zuwarf. Der stellvertretende Schulvertreter hatte sich nicht gerade beliebt bei ihr gemacht.

„Ich hol Adley und du gehst rauf und sagst Amanda und Joan Bescheid, okay?" Jill nickte nur und hastet dann die Treppe rauf, während Jade in die entgegengesetzte Richtung lief, um in die Kerker zu gelangen.

Eine Stunde und viel verbrauchte Atemluft später trafen sich die Erstklässler wieder in der Eingangshalle wieder. „Olivia ist in die Bibliothek, sie will den Aufsatz für Flitwick schreiben", sagte Eileen augenrollend. „Sie verpasst was", entgegnete Jade und grinste breit. „Es gibt hunderte versteckte Gänge auf dieser Schule und wir müssen sie einfach alle finden!" Sofort schienen alle Feuer und Flamme zu sein. „Damit es schneller geht, teilen wir uns am besten in zwei Gruppen auf, was meint ihr?" Noah zuckte mit den Schultern und auch sonst hatte niemand Einspruch gegen Jades Idee.

„Sehr gut. Jill, Adley und Edwin, ihr kommt mit mir. Amanda, Joan und Noah, ihr geht mit Eileen mit."

„Warte, warum darf sie anführen?", fragte Noah seine Schwester perplex. „Du hast keine Führerqualitäten", erwiderte sie. Eileen kicherte leise. „Wir übernehmen den ersten Stock und ihr den zweiten - in spätestens einer halben Stunden wandern wir weiter - wir in den dritten, ihr in den vierten - dann noch mal und den siebten Stock nehmen wir uns gemeinsam vor, okay?"

Alle nickten und gemeinsam hasteten sie die Treppe hoch, wobei sich Jades Gruppe im ersten Stock abtrennte und in den Gang trat. „Und wonach genau suchen wir?", fragte Edwin und blickte an ein Gemälde, in dem ein Zauberer mit breitem Hut einen Fluss hinabsegelte. „Nach Geheimgängen, Abkürzungen, allem Möglichen. Schaut hinter jeden Wandteppich, rüttelt an jedem Fackelhalter oder drückt gegen Statuen. Es muss hunderte von diesen Gängen geben, die alle kreuz und quer durch die Mauern führen. Und wenn wir sie finden, dann können wir sie benutzen." Sie zwinkerte leicht. „Und auf zu viel Treppensteigen hat doch keiner Lust, oder?"

Edwin grinste leicht. „Stimmt. Na dann." Jade lief hinüber zu Jill und flüsterte ihr zu: „Geh du zusammen mit Adley ans Ende des Ganges und Edwin und ich bleiben hier. Dann musst du dich nirgends zwischen drängen und kannst mit ihm reden." Jill starrte sie erschrocken an. „Du hast das doch geplant", zischte sie leise und warf ihr einen strengen Blick zu.

Jade jedoch lächelte sie ehrlich an. „Sowas machen beste Freundinnen für einander."

„Seit wann sind wir beste Freundinnen?", fragte Jill perplex und sie musste auflachen.

„Achso! Das habe ich heute beschlossen." Immer noch verwirrt und perplex und hochgradig irritiert ging Jill zu Adley und gemeinsam begaben sie sich ans Ende des Ganges. Dort konnte Jade dann sehen, wie ihre neue beste Freundin sich zu ihr umdrehte und mit den Lippen ein Wort formte.

Danke.

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