Kapitel 38 - Sternenklar

„Denken sie daran, dass sie der antigonischen Opallilie nicht zu viel Wasser geben, da sie sonst sehr sauer werden könnte." Professor Sprout hob einen kleinen Blumentopf mit einer schwach regenden goldenen Lilie in die Höhe und demonstrierte, wie die Blume reagierte, wenn sie zu viel gegossen wird. „Setzten sie ihre Schutzbrillen auf, das könnte etwas unangenehm werden.", warnte die pummlige Professorin und begann damit, Wasser in den Topf zu gießen. Zuerst zitterte die Lilie nur etwas, doch als immer mehr Wasser in den Topf floss, begann die Blume zu wachsen. Aus ihren hellgrünen Blättern wurden spitze Dornengewächse und die goldenen Blüten verfärbten sich zu einem blutrot. Noah beobachtete fasziniert, wie die Blume anfing ein stark riechendes Sekret abzusondern. Professor Sprout senkte den die Kanne und stellte sie weg, bevor sie der Blume mit ihrem Zauberstab etwas Wasser entzog. Sofort wurde sie wieder friedlich und bewegte sich wie bei einem sanften Windstoß.

Die Schüler setzten ihre Schutzbrillen ab und Professor Sprout stellte die Lilie zur Seite. „Das Sekret, welches die Lilie abgesondert hat, wird bei Spaßzaubertränken aber auch bei Reinigungsmixturen verwendet. In konzentrierter Wirkung ist es zwar stark ätzend, aber mit genügend Wasser vermischt und in Kombination mit den verschiedensten Ingredienzien kann es entweder Flecken lösen oder die lustigsten Dinge mit der Haut anstellen."

Noah blickte zu Jade und sah wie ihre Augen wieder anfingen zu leuchten. In ihrem Kopf hatte sie wahrscheinlich schon einen neuen Streich geplant. Professor Sprout holte als nächstes eine schwarze Ranke hervor, die sich um einen Holzstab geschlungen hatte. An ihrer Spitze lag eine kaum sichtbare holzfarbene Blume.

„Die Holzblumenranke findet man normalerweise nur im Regenwald. Die Blume, die an der Spitze wächst, sondert ein giftiges Gas ab, wenn die Pflanze bedroht wird. Das Einatmen kann zu Verätzungen der Nasenschleimhaut und der Lunge führen, also sollten sie sehr vorsichtig mit ihr umgehen. Die Holzblumenranke war schon ein paar Mal bei den Prüfungen für die zweite Klasse dabei, also sollten sie sich ihren Aufbau und die Besonderheiten merken. Einzelheiten dazu finden sie im Lehrbuch auf Seite 394." Professor Sprout stellte diese Pflanze ebenfalls weg und holte noch eine letzte hervor. Es sah aus, wie ein stinknormaler Kaktus, dessen Stacheln etwas dicker waren, als sonst.

„Dies ist ein Spindelkaktus. Von außen her wirkt er sehr harmlos, aber im Inneren ist, wie der Name schon vermuten lässt, eine Spindel aus klebrigen und ätzenden Fäden, die mit den Stacheln verbunden sind. Der Kaktus kann zur Verteidigung seine Stacheln abschießen, die sich dann in der Haut des Angreifers festsetzten und die ätzenden Fäden in die Haut injiziert. Sie lähmen das Nervensystem und für einige Stunden kann sich der Betroffene nicht mehr bewegen."

Professor Sprout stellte den Kaktus ebenfalls zur Seite, klopfte sich die Hände an ihrem Umhang sauber und schaute dann in die Runde. „Ja, also, diese Pflanzen sind in den vorangegangenen Prüfungen immer wieder drangekommen und ich würde euch empfehlen, euch im Lehrbuch die Prüfungspflanzen noch einmal anzuschauen."

Als sie geendet hatte, ertönte auch schon die Schulglocke und schnatternd packten die Gryffindor und Ravenclaw Zweitklässler ihre Sachen ein und verließen das Gewächshaus in Richtung Großer Halle.

Das Mittagessen fiel heute als ein deftiger Fleischeintopf aus und als Nachtisch gab es einen Schokoladenpudding mit Erdbeeren. Danach hatte Noah Muggelkunde mit den Hufflepuff bei Professor Grubdon. Dieser mochte es ihnen in einer Stunde einen kompletten Vortrag über Strom zu halten und als Hausaufgabe dann die Funktionsweise einer Toilette herauszufinden. Diese Stunde war jedenfalls wie alle anderen.

Der Professor sammelte die Hausaufgabe der letzten Stunde ein (Erklären sie, wozu ein Drehkreuz in der Muggelwelt eingesetzt wird und übertragen sie die Funktion auf unseren Alltag. Wo könnte man das Drehkreuz einsetzten?) und fing dann an über einen Erfinder namens Alexander Bell zu erzählen, der ein Gerät namens Telefon erfunden haben soll.

„Die Muggel, müssen sie wissen, verwenden dieses Telefon um über längere Distanz miteinander in Verbindung zu bleiben. In diesem Punkt sind sie uns weit überlegen, denn in der Zaubererwelt sind die Kommunikationsmittel etwas eingeschränkter, wenn es um große Entfernung geht."

Noah war bereits nach diesem Anfang eingenickt, denn seine und Jades Großmutter besaß selber ein Telefon, um mit ihren Freundinnen aus dem benachbarten Muggeldorf zu telefonieren. Bereits nach kurzer Zeit verfiel er in einen verrückten Traum.

Professor Zweistein tanzte einen Walzer mit Tatze während Professor McGonnagal mit einem Dudelsack spielte. Auf einem weinroten Sessel saß Jade, die Beine überschlagen und nahm von einem alten Mann Gebäck entgegen, während sie in einen Becher brüllte. Pascal nähte sich einen lebensgroßen Casey und Edwin und Adley waren auf rasenden Besen festgebunden, die über dem ganzen Schauspiel flogen.

Professor Aiden, der unter Jades Sessel hervorgekrabbelt kam, fing auf einmal an, den Macarena zu tanzen und Jades Eule Lúne, die spontan die Größe eines Lastwagens hatte, stampfte mit ihren Füßen über einen See aus Telefonen. Plötzlich waren alle verschwunden und Noah war in unendlicher Dunkelheit gefangen. Leises Kinderweinen drang an seine Ohren, aber egal wo er sich hindrehte, er konnte den Ursprung nicht ausmachen.

Dann, als das Weinen immer näher kam, wurde alles schneeweiß und kleine Flocken fielen vom Himmel, die sich als Fetzen von Noahs Prüfung entpuppten. Panisch versuchte er sie alle einzusammeln, damit er keine schlechte Note bekam, als ihm einfiel, dass er ja noch gar keine Prüfung geschrieben hatte. Dann wachte er auch schon wieder auf, nur um festzustellen, dass die Stunde noch nicht mal zur Hälfe rum war.

Als dann die Glocke erneut ertönte und das Ende des Unterrichts verkündete, war Noah froh aus diesem stickigen Klassenzimmer zu entkommen. Wie jedes Mal hatte der Professor die ganze Stunde lang über ein Thema sinniert und ihnen dann wahrscheinlich nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Hausaufgaben gegeben.

Nach Muggelkunde hatten alle Zweitklässler eine Freistunde, da sie den letzten Unterricht erst um Mitternacht haben würden, nämlich Astronomie. In der Zwischenzeit traf sich Noah mit Jade in der Bibliothek und als hätte er es nicht geahnt, hatte sie sich schon den nächsten Streich für Professor Aiden ausgedacht. Sie hatte sich wohl noch vor dem Mittagessen in die Gewächshäuser geschlichen und etwas von dem Sekret der antigonischen Opallilie geholt. Nun studierte sie beinahe fanatisch Zaubertrankbücher und hatte auch Noah einen Stapel davon entgegengeworfen. Madam Pince, die dieses Verhalten gar nicht gutheißen konnte, hatte sie sofort ange-pscht.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten die Zwillinge also damit sich aus den Büchern die besten Mixturen herauszuschreiben und darüber leise zu diskutieren, welche davon an Professor Aiden wohl am beklopptesten aussehen würde. Letztendlich entschieden sie sich dafür, eine Mischung aus haariger Haut und Färbemittel zu verwenden, die dem Verwandlungslehrer ein völlig neues Aussehen verpassen würde. Jade freute sich bereits wie ein kleines Kind darauf und zerrte Noah auch sogleich in die Kerker um die Tränke herzustellen. Das Herstellen an sich würde kein Problem darstellen, nur leider benötigten sie für das Färbemittel etwas Stachelpilzpulver, welches nicht in den Schülervorräten enthalten war.

Jade schickte Noah sogleich hinauf in seinen Gemeinschaftsraum um die Karte der Rumtreiber zu holen, während sie die Tränke weiter vorbereitete. Mit dem lädiert aussehenden Stück Pergament in der Tasche eilte Noah zurück zu Jade und überreichte sie ihr feierlich. Jade verschwand und tauchte dann kurze Zeit später wieder auf, mit dem Pulver. Im Büro des Zaubertrankprofessors war genug davon gewesen, sodass es gar nicht auffallen würde, wenn sie ein paar Gramm davon mitgehen lassen würde.

Während Noah also brav die Tränke braute, bereitete Jade ihren mega-genialen Plan vor, mit dem sie dieses Mal Professor Aiden erwischen wollte. Was genau es war, wollte sie Noah nicht verraten, denn das sollte für ihn genau wie für Professor Aiden eine Überraschung werden. Als beide Gebräue fertig waren, füllte Jade sich ein paar Phiolen davon ab und verschwand dann mit rauschendem Umhang und ließ ihrem Bruder das Aufräumen und Spuren verwischen zurück. Grummelnd machte er sich an die Arbeit und schwor sich, zum bestimmt hundertsten Mal, Jade nie wieder bei irgendwas zu helfen.

Zum Abendessen trafen sie sich wieder und Jade behielt während des ganzen Essens dieses fiese Grinsen im Gesicht und auch ihre Augen nahmen einen recht unheimlichen Violetten Ton an.

„Jade, du wirkst als hättest du wieder etwas vor. Wird es mich verletzten oder kann ich ruhig hierbleiben?" Jill kannte Jade inzwischen fast auswendig und wusste wann es gefährlich für sie und Umstehende wurde. „Du kannst hierbleiben, der Spaß beginnt gleich." Jade schaute auf ihre Uhr und dann zum Lehrertisch und die Augen aller der um sie herum Sitzenden folgten ihr. Eine Minute mussten sie sich gedulden, bevor die Tränke ihre Wirkung zeigten.

Professor Aiden nahm gerade einen Schluck seines abendlichen Kürbissaftes, als ihm am ganzen Körper drahtige Haare wuchsen, die sich prompt hellrosa färbten und ihm den Anblick eines hässlichen Einhorns gaben, wie es in den Muggelbüchern immer beschrieben wurde. Die ganze Halle brachte in schallendes Gelächter aus und Jade und Noah tauschten einen triumphierenden Blick. Sie hatten es mal wieder geschafft. Und wieder mal gab es keine Beweise, dass Jade dafür verantwortlich war.

Kurz vor Mitternacht machten sich die Zweitklässler auf den Weg zum Astronomieturm, der für sie normalerweise verboten war und warteten geduldig auf ihre Professorin. Zwischendurch bekamen beide Zwillinge immer wieder Glückwünsche für den Streich und Jade schien sich förmlich im Ruhm zu sonnen.

Professor Sinistra öffnete die Tür für den Turm um Punkt Mitternacht und teilte dann die Zweitklässler paarweise an eines der Teleskope, die im ganzen Raum verteilt waren. Wirkliche Wände gab es nicht, es war eher wie eine Kuppel mit einigen Dachstützen, ansonsten war es zum Freien offen. Noah und Jade durften sogar zusammen arbeiten.

„In der heutigen Nacht sind einige Sterne besonders gut zu sehen, die normalerweise etwas untergehen. Ich möchte, dass sie bis zum Stundenende Sirius, Regulus, Arcturus, Orion, Kastor, Kapelia und Pollux in ihre Sternenkarten eintragen. Bezeichnen sie die Sterne und schreiben sie auch die exakten Koordinaten daneben, ich werde diese Arbeit benoten."

Beide Graeham-Zwillinge nahmen diese Aufgabe sehr ernst, denn es war wahrscheinlich die letzte Möglichkeit noch eine Note in Astronomie zu erhalten. Sie überprüften jeweils beide die Koordinaten bevor sie sie eintrugen und schlugen in unterschiedlichen Büchern nach, um sich auch ja sicher zu sein, dass dieser Stern Sirius und nicht Pollux war.

Am Ende der Stunde war es beinahe halb zwei und müde legte Noah die Feder beiseite, nachdem er den letzten Stern, Kapelia, eingetragen hatte. Jade blätterte sicherheitshalber noch einmal in ihren Buch und Noah stellte fest, dass sie die ersten waren, die fertig waren. Professor Sinistra hatte dies ebenfalls bemerkt und schlenderte zwischen den Schülern auf sie beide zu. Sie nahm sich wortlos ihre Karte und überprüfte sie mit ihrer eigenen. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich keinerlei Emotionen ab, weshalb es schwer war, zu erkennen, ob sie richtig lagen oder total daneben.

„Perfekt. Sie können gehen.", war das einzige, was die Professorin zu sagen hatte, ehe sie sich wieder umwandte. Jade, die immernoch im Buch geblättert hatte, blickte verwirrt auf. Als sie die fehlende Karte und den bereits einpackenden Noah bemerke, bereitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus und sie schlug ihr Buch zu.

„Na, das war doch einfacher als gedacht. Die Prüfung dürften wir locken schaffen.", sagte Jade für diese Uhrzeit viel zu fröhlich und verabschiedete sich dann von Noah, als sie vor dem Bildnis der fetten Dame ankamen. Noah schleppte sich zurück in seinen eigenen Gemeinschaftsraum und ließ sich dann im Schlafsaal müde auf sein Bett fallen. Das Tatze erstaunlicherweise nicht zugegen war, fiel ihm gar nicht auf.


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