Kapitel 32 - Rache ist süß
Vollkommen überraschend brach die Hitze des angehenden Sommers über sie herein. Der Mai war ein warmer Monat und die Schüler des Schlosses verbrachten den Großteil ihrer Freizeit im Freien, in dem sie am See faulenzten oder im Schatten einer großen Eiche die Hausaufgaben erledigten. Kaum Wolken bedeckten den puren blauen Himmel und mit dem Singen der Vögel und dem Summen der Käfer und Insekten bereitete sich auch die Umwelt auf die heiße Jahreszeit vor. Einen Nachteil hatte die Wärme. Sie machte unheimlich schläfrig und man schwitzte in den schwarzen Hogwartsumhängen wie in einer Sauna.
Der Zaubertrankunterricht, obwohl es Noahs Lieblingsfach war, war eine reine Tortur. Denn obwohl die Kerker ansonsten schön kühl waren, heizte sich der Raum durch die brodelnden Feuer und dampfenden Kessel sehr auf und der Endeffekt war, aufgebauschte Haare und ein Dutzend schwitzende Schüler. Während Noah also die Wurzeln einer kenianischen Heilblume kleinschnitt, schritt Professor Granger durch die Reihen und begutachtete ihre Ergebnisse. „Eure Tränke sollten mittlerweile eine helle, fast weiße Färbung angenommen haben. Achtet darauf, nicht zu viele Cremebeeren hinzuzufügen, ansonsten verfliegt die eigentliche Wirkung und es wird zu einem kompletten Desaster." Noah war nach diesem Satz bereits bei der Planung eines neuen Streichs für die Drachenfüchse, allerdings konzentrierte er sich lieber auf seinen Trank, denn das Desaster wollte er nicht unbedingt erleben.
„Also, fügt die letzten Zutaten hinzu, dann erhöht die Temperatur und lasst es köcheln. Bis zur nächsten Stunde müsste er soweit sein, dass ihr ihn vervollständigen könnt.", sagte Professor Granger und ging zu ihrem Pult. Sie klopfte mit ihrem Zauberstab an die Tafel und die Anweisungen für den Trank verschwanden. Kurz darauf erklang auch die Glocke und kündigte das Ende des Unterrichtstages an. Zumindest für Noah, der nach dem Mittagessen keinen Unterricht mehr hatte. Erschöpft und erhitzt trottete Noah die Kerkertreppe hoch und schleppte sich in die Große Halle.
Am Gryffindor-Tisch entdeckte er bereits Jade, Jill und Pascal, also gesellte er sich dazu. Pascal war gerade damit beschäftigt für alle eisgekühlten Kürbissaft einzuschenken. „Hey Noah, anstrengender Unterricht? Da hilft doch Kürbissaft.", sagte die heute blau-rot-violett-haarige Pascal und reichte ihm und Jill ein Glas, während sie für sich und Jade noch eingoss. „Ah, danke dir." Er stieß mit Jill an und leerte das Glas mit einem Zug. Neben dem anfänglichen erfrischenden Gefühl folgte ein Gefühl der Schwerelosigkeit, welches nicht ganz zu einem normalen Glas Kürbissaft passte. Noch bevor er sich sicher war, einen großen Fehler gemacht zu haben, verlor er alle Vorsicht und stellte das leere Glas beiseite. Wie durch einen Marionettenspieler gelenkt trugen ihn seine Füße zu Jill, die auf einmal ungeheuerlich schön aussah. Warum hatte er nie gemerkt, wie wunderbar ihre braunen Locken ihr Gesicht einrahmten? Wieso hatte er nie den Glanz in ihren Augen bemerkt?
Als hätte er nichts anderes gewollt, zog er Jill von der Bank. „Noah?" Jades fragende Stimme drang wie durch Zuckerwatte zu ihm durch und es schien fast, als wären seine Sinne fast komplett ausgeblendet. Er bemerkte die Blicke, die die Halle ihnen zuwarf nicht, als er alle Vorsicht über Bord warf und Jill küsste. Dass Jade erschrocken auf keuchte, Pascal böse auflachte und die Meisten aus der Halle sich zwischen Lachen und erschrockenem Luftholen nicht entscheiden konnte, bemerkten sie überhaupt nicht. Jill schlang ihre Arme um seinen Hals und Noah legte einen Arm um ihre Hüfte.
Jade sprang erschrocken auf und zog ihren Bruder von ihrer besten Freundin weg. „Was bei allen guten Geistern machst du da?", schrie sie ihn an, während Pascal vor Lachen beinahe von der Bank fiel. Jades Stimme drang erneut kaum zu ihm durch und statt zu antworten, grinste er blöd. Jill zog den Arm von Jade weg und wollte sich sogleich wieder auf Noah stürzen. Jades Augen wurden erst ganz groß, als ihre beste Freundin und ihr Zwillingsbruder sich erneute küssten, und wurden dann gefährlich schmal und fast in Zeitlupe drehte sie sich auf die inzwischen am Boden liegende Pascal um. „Was.", sagte sie und ging einen Schritt auf sie zu. „Hast." Wieder ein Schritt. „Du." Sie beugte sich herab. „Getan?" Jades Gesicht war nun gefährlich nahe an Pascals, die vor Angst sogar aufgehört hatte zu lachen, auch wenn ihre Mundwinkel weiterhin zuckten.
Jades linkes Auge zuckte. Immer noch vertieft in eine Umarmung, bekam Noah mit, wie Pascal etwas von Liebestrank stotterte. Aber das konnte ja gar nicht sein. Diese Gefühle waren doch echt. Jill war sein Herzblatt, die Blüte seines Lebens, die einzige Wolke seines Himmels, der Antrieb seines Lebens. Wenn nicht sie, wer dann?
Es fühlte sich an, als würden sie den ganzen Tag lang auf Zuckerwattewolken fliegen und würde Jade nicht andauernd versuchen ihn davon abzuhalten, würde er nicht mehr von Jills Seite weichen. Jade wurde es kurz vor dem Abendessen zu bunt und sie zerrte Noah und Jade zum Krankenflügel, wo sie einer verdutzten Madam Pomfrey versuchte zu erklären, das Noah und Jill Opfer einer Liebestrank-Rache waren, während sie gleichzeitig ihren Bruder davon abhalten musste, nicht Jill zu erdrücken.
„Ohje Ohje. Leider kann man dagegen nichts machen. Wären sie älter würde ich etwas parat haben, aber der Körper junger Hexen und Zauberer hält dieser Art von Trank nicht lange stand. Der Effekt dürfte ungefähr bis morgen Abend anhalten. Versuchen sie, die beiden einfach nur zu trennen, bevor sich noch einer von ihnen verletzt.", waren Madam Pomfreys Worte, die Jade alles andere als zufrieden stellte. Jetzt war es an ihr, die beiden Liebestrunkenen voneinander fernzuhalten und das dürfte für sie alleine ziemlich schwierig werden.
Noah war das alles vollkommen egal, Hauptsache er konnte bei Jill sein. Während Jade also mit allen Mitteln versuchte Noah von ihr fernzuhalten, gelang es ihm immer wieder unter ihrem Arm durchzuschlüpfen und zu Jill zu gelangen. Jade schaffte es immerhin bis zum nächsten Tag Noah in seinem Bett zu behalten (aber auch nur, weil Edwin ihn mit einem Fesselzauber daran hinderte, aufzustehen), doch sobald sich die beiden am Frühstückstisch sahen, stürmten sie aufeinander zu, als hätten sie sich Jahre nicht gesehen.
Da heute auch noch das letzte Quidditchspiel der Saison sein würde, in dem Gryffindor gegen Slytherin spielen würde, machte es die Sache noch komplizierter. Adley weigerte sich, ihr zu helfen, da er das Spiel sehen wollte und Noah stellte sich auf seine Seite. Jade war kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Sie wäre beinahe so weit gegangen, zu Professor McGonagall zu gehen, doch so sehr sie Pascal und Casey dafür hasste, sie wollte nicht verantwortlich für ihren Schulrausschmiss sein. Da Noah mit Adley zum Spiel ging, konnte Jade wenigstens Jill solange beschäftigen. Noah dachte das ganze Match nur sehnsüchtig an die lockigen, braunen Haare von Jill und bekam letztendlich nichts mit. Pascals Kommentare zum Spiel und zu seinem und Jills plötzlichen Verhalten flogen einfach so vorbei, wie die wenigen Wolken am Himmel.
Beinahe vier Stunden dauerte das Endspiel. Doch letztendlich konnte Gryffindor einen beeindruckenden Sieg davontragen. Adley war am Boden zerstört. Er hatte gehofft, durch das Spiel noch eine Chance auf den Hauspokal zu erlangen. Während der junge Slytherin also noch trauerte, nutzte Noah die Chance und schlich sich weg. Er brauchte nicht lange um Jade und Jill zu finden, denn so schlau wie Jade war, hatte sie die Küchen als Versteck auserkoren. In dem Dampf der von all den Töpfen und Pfannen aufstieg, waren Jades rote Haare schnell entdeckt und auch Jill, die gefesselt an einen Stuhl neben ihr saß, war unschwer zu erkennen.
Noah wollte sich sofort auf Jill stürzen und erneut seine unbändige Liebe gestehen, doch der Blick den Jade ihn zuwarf hätte wahrscheinlich sogar Lord Voldemort persönlich eingeschüchtert. Also ließ er es bleiben und hielt dezent Abstand zu seinem Herzblatt, die ihn mit blitzenden Augen anschmachtete.
„Kannst du nicht weggehen? Dir das Spiel angucken?", fragte Jade gereizt und zog den Knoten von Jills Fessel enger. „Es ist vorbei. Gryffindor hat gewonnen. Aber das war ja zu erwarten, es ist immerhin das Haus, der lieblichen Jill Carter.", sagte Noah und war drauf und dran, wieder aufzustehen. Jades gemurmeltes 'ertränk dich doch im See' hörte er nicht.
Als es Zeit zum Mittagessen war, erbarmte sich Jade und entfesselte Jill, mit der ausdrücklichen Warnung, ja still zu sein, ansonsten würde sie nur zu gerne alle Verwandlungen an ihr ausprobieren, die sie an Professor Aiden verwenden wollte. Wenigstens erlaubte sie ihnen nebeneinander zu gehen. „Gucken, nicht anfassen! Kapiert?", sagte sie drohend mit ihrem Zauberstab auf die beiden gerichtet.
Pascal und Casey fanden das alles natürlich sehr komisch. Während Jade beinahe wahnsinnig wurde, lachten die beiden sich schlapp. Selbst als die rothaarige ihnen mehrere Todesblicke, die einem Basilisken Konkurrenz gemacht hätten, zuwarf, hatten sie noch immer Lachtränen in den Augenwinkeln. Amanda und Tamara waren schon hilfreicher für Jade. Sie separierten Noah und Jill voneinander und schafften es mit Adleys und Edwins Hilfe, die beiden das Essen lang ruhig zu halten.
Jade sperrte Noah dann in einen Kerkerraum ein, während Amanda und Tamara Jill in Sicherheit brachten. „Lass mich raus.", bettelte er. Jade blieb stur und setzte sich vor die Tür. „Nein. Erst wenn der Effekt verflogen ist, darfst du wieder raus. Bis dahin bist du mein Gefangener." Jades Stimme war eiskalt und sie hätte damit wahrscheinlich sogar Professor Snape übertroffen. Die erste Stunde in seiner Zelle verbrachte Noah damit, mit der Tafelkreide ein lebensgroßes Portrait von Jill an die Wand zu malen. Da seine Zeichenkünste sich aber durch den Liebestrank nicht verbessert hatten, sah es leider nicht nach Jill aus und Noah brach in Tränen aus und versuchte sich mit einem Buch umzubringen. Jade zauberte daraufhin alle Gegenstände aus dem Raum und ließ ihren Bruder in einem komplett leeren und kalten Raum alleine.
„Hey, Jade.", erklang die belustigte Stimme von Casey nach zwei Stunden vor seiner Zelle. „Was willst du?" Der Frost in Jades Stimme ließ die Raumtemperatur um zehn Grad sinken. „Ich wollte mich entschuldigen. Für die Aktion von vor dem ersten April. Ich weiß, ich hab mich wie ein Idiot benommen und es tut mir Leid.", sagte Casey und Noah hörte, wie er sich ebenfalls auf den Boden setzte.
„Und du meinst, weil du jetzt ein paar nette Worte sagst, verzeihe ich dir? Schau dir an, was du meinem Bruder und meiner besten Freundin angetan hast. Das wird noch dauern, ehe ich das vergessen kann." Casey seufzte. „Das hab ich mir beinahe gedacht. Du hast halt ein hitziges Gemüt, was nicht so leicht auskühlt." Selbst Noah wusste, dass Casey sich gerade in Lebensgefahr begab und er stand immerhin unter Einfluss eines Liebestrankes. Das sagte Jade zumindest.
„Es wäre besser wenn du jetzt gehst. Das klären wir, wenn alles wieder normal ist.", sagte Jade kalt und Casey stand geräuschvoll auf. Noah konnte einen Blick auf sein Gesicht erhaschen, doch bis auf das übliche Grinsen, war keine Änderung zu sehen. „Bis später.", sagte er, bevor er verschwand. Eine Zeit lang blieben Noah und auch Jade ruhig. Bis Jade ganz leise anfing zu reden.
„Er ist zwar ein Idiot, aber trotzdem bin ich glücklich ihn getroffen zu haben." Noah wusste nicht genau, ob die Worte an ihn gerichtet waren, oder ob Jade mit sich selber redete. Auf jeden Fall hatte er vergessen wieso er in einem Kerker eingesperrt war. Und er hatte außerdem das ungute Gefühlt, etwas getan zu habe, was er nicht hätte tun sollen.
„Jade, was ist passiert? Warum bin ich hier drin?", fragte er mit schwacher Stimme und spürte eine Welle der Übelkeit in ihm aufkommen. „Pascal und Casey haben dir und Jill einen Liebestrank verabreicht." Das war zu viel für ihn und Noah fiel vor Schreck beinahe um. „Ein-Einen Liebestrank? Oh Merlin bewahre mich, was ist passiert?", fragte er ängstlich.
Jade kicherte. „Naja, du und Jill fühltet euch ganz plötzlich sehr zu einander hingezogen." Noah verbarg sein Gesicht in den Händen. Das war zu viel für einen Tag. „Darf ich bitte in mein Bett?", fragte er Jade flehentlich und mit Erleichterung hörte er, wie sie das Schloss öffnete. „Danke. Du hast was gut bei mir.", sagte er, bevor er zum Ravenclaw-Gemeinschaftsraum lief.
„Nach wie vielen Stunden lässt der Effekt eines Liebestrankes bei einem zwölfjährigen nach.", fragte der Türknauf sarkastisch. „Du mich auch.", murmelte Noah und vergrub sich in seinen Bettdecken.
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