Kapitel 12 - Vereint

Erschrocken wachte Noah auf. Er hatte total verschlafen denn in einer halben Stunde würden seine Eltern da sein. Gerade fragte er sich wieso er so lange geschlafen hatte, als ihm einfiel, dass seine ersten Stunden ausfielen und er ausschlafen wollte. Natürlich schlief er zu lange. Hastig stand er auf und machte sich fertig, dann verließ er den Gemeinschaftsraum und lief die Steinstufen herunter die in die Große Halle führten. Die Eingangshalle war voller Schüler, die auf dem Weg in die nächste Unterrichtsstunde waren oder sich unterhielten. Seine Eltern waren noch nicht da. Wahrscheinlich waren sie in Professor McGonnagals Büro, immerhin waren sie verwandt. Eifrig suchte Noah nach seiner Schwester, sie hatten vereinbart sich hier zu treffen. Vielleicht war sie in der Großen Halle dachte er, als eine rothaarige Gestalt an ihm vorbei rannte. Er hatte nicht sehen können wer es war, doch Ginny Weasley kam aus der Halle und rief: „Jade! Warte!".

Noah ging zu der Vertrauensschülerin. „Wieso ist Jade abgehauen?" Noah sah, dass Ginny die Stirn runzelte und ein schmerzlicher Ausdruck in ihre Augen gelangte. Sie schluckte schwer und seufzte. Dann reichte sie ihm wortlos drei Bögen Pergament und ein Medaillon, welches Adam gehörte, wie er wusste. Fragend sah er Ginny an, doch sie bedeutete ihm die  Blätter zu lesen. Beim ersten Brief musste er lächeln. So kannte er Adam, er hatte Jade immer wegen ihrer Haare aufgezogen, doch irgendwann hatte sie ihre Haarfarbe dann gemacht und über seine Scherze gelacht. Seitdem war sie das kleine Füchschen für ihn gewesen.

Mit jeder Zeile des zweiten Pergamentbogens verschwand sein Lächeln und wich einem entsetzten Gesicht. Seine Augen weiteten sich vor Entsetzen und seine Miene wurde steinern. Adam....tot? Das konnte nicht stimmen, das konnte nicht wahr sein. Das musste eine Art kranker Scherz sein. Adam konnte gar nicht... tot sein. Er las den Brief von Adams Vater ein zweites Mal. Doch es war nicht zu bestreiten. Wenn Adams Vater das sagte, dann musste es stimmen. Adam, der starke, stets fröhliche Adam war wirklich tot. Noah starrte Ginny entgeistert an. Mitleid lag in ihren Augen. Sie legte eine Hand auf seine Schulter. „Du solltest mit deiner Schwester reden. Sie braucht jetzt jemanden der ihr Trost spendet." Noah sah sich um und entdeckte Jill mit Tamara und Adley die in einer Ecke standen. Schnell lief er zu ihnen. „Jill, du musst mitkommen. Es geht um Jade." Sie folgte ihm ohne Fragen nach oben und Noah war dankbar, dass sie so eine gute Freundin für Jade war. Unterwegs erklärte er ihr nur kurz was vorgefallen war. Sie schaute entsetzt, fing sich aber schnell wieder und ließ ihn in den Gemeinschaftsraum der Gryffindor. Jade war nirgends zu sehen, also ging Jill schnell hoch in den Mädchen-Schlafsaal. Sie streckte kurz den Kopf in die Tür und winkte Noah dann herbei. Argwöhnisch betrachtete er die Treppe, die sich sonst immer in eine Rutschbahn verwandelte, wenn ein Junge versuchte sie zu erklimmen.

Jill rollte mit den Augen und winkte ihn energischer. Unsicher stieg er die ersten Stufen hinauf, doch als sie keine Anstalten machte sich in eine Rutschbahn zu verwandeln, lief er schneller hoch. Jade saß still auf ihrem Bett, die Augen weit aufgerissen und gerötet. Doch sie weinte nicht, vielleicht hatte sie geweint, doch das wusste er nicht. Noah näherte sich unsicher seiner Schwester, sie machte keine Anstalten sich zu rühren, starrte nur weiter an die Wand und blinzelte kaum. Sie hörte nicht zu, als Noah mit ihr redete, sie starrte einfach nur weiter. Hilfe suchend wandte er sich zu Jill. Immerhin war sie Jades beste Freundin, vielleicht wusste sie etwas. Doch egal wie energisch sie mit Jade sprach, wie viele Witze sie machte, selbst als sie ihr etwas von ihrer Schokolade anbot, rührte sie sich immer noch nicht. Noah wollte zwar seine Schwester nicht alleine lassen, doch da Jill bei ihr war und wenigstens einer von ihnen zu ihren Eltern gehen sollte, entschied er sich, Jade in Ruhe zu lassen.

In der Eingangshalle war es leerer. Die Schüler waren zu ihrem Unterricht aufgebrochen und Noah war fast alleine. Nur ein paar Siebtklässler waren noch da. Auch Ginny. Sie redete gerade mit der blonden Ravenclaw die verträumt durch die Gegend schaute und dabei traf sie Noahs Blick. Ihre Augen waren strahlend hellblau. Langsam kam sie mit Ginny auf ihn zu. „Du bist erschüttert. Das zeigen mir die vielen Nargel um deinen Kopf." Die Blonde klatschte mit ihren Händen in die Luft, als würde sie versuchen eine Mücke zu verscheuchen. Ginnys Blick war noch immer mitleidig. „Wo ist Jade?", fragte sie leise. „Im Schlafsaal. Jill ist bei ihr. Ich treffe gleich unserer Eltern und muss ihnen davon berichten. Ich glaube nicht, dass sie davon wissen." Ginny nickte freundlich – dann zog sie ihn in eine Umarmung. Vollkommen überrumpelt ließ Noah es geschehen. Ginny ließ ihn wieder los, dann verabschiedete sie sich und zog Luna mit sich.

„Noah!" Freudig, als er erkannte wem die Stimme gehörte, drehte er sich um. Seine Mutter, hochgewachsen wie immer und das rote Haar in einen strengen Knoten gebunden, und sein Vater, breit gebaut und mit dunklem Haar, standen mit einer lächelnden Professor McGonnagal an der Großen Marmortreppe. „Mum, Dad!" Noah lief auf seine Eltern zu, die er so lange nicht gesehenhatte. Er umarmte sie glücklich und für einen kleinen Moment vergaß er Jade und Adam. Als er seine Eltern genauer ansah, bemerkte er erschrocken, wie sehr sie sich verändertet hatten. Die Falten im Gesicht seines Vaters waren tiefer geworden und ein paar mehr hatten sich dazu gesellt. An den Augen seiner Mutter konnte er die Krähenfüße sehen, die vor eineinhalb Jahren noch nicht da waren. Sie waren gealtert, genauso wie Noah und Jade gealtert waren. Doch ihren Eltern sah man es mehr an.

„Es ist so schön euch wieder zu sehen.", sagte Noah glücklich. Seine Mutter strahlte ihn an, während sein Vater nur lächelte. „Wo ist denn Jade? Sonst seid ihr doch unzertrennlich.", fragte seine Mutter und sah sich um. Noah schluckte schwer. Er musste es ihnen sagen, das wusste er, doch es war schwer die Worte auszusprechen. Sie würden es so endgültig machen, so dass es keinen Weg mehr heraus gab.

„Sie – sie ist in ihrem Schlafsaal und – und kann nicht kommen. Sie hat heute einen Brief bekommen. Von Adam und noch einen von seinem Vater. Adam ist - ", Noah holte tief Luft und schloss die Augen. „tot." Er hörte wie seine Mutter sich die Hand vor den Mund schlug und entsetzt die Luft einsog. „Wie?", flüsterte sein Vater leise. Noah erklärte rasch was geschehen war, dann verstummte er. Seiner Mutter rannen stumme Tränen über die Wangen während sein Vater einen Arm um ihre Schulter gelegt hatte. „Wir – Wir müssen mit ihr reden. Bitte, bring mich zu ihr." Professor McGonnagal meldete sich zu Wort. Sie hatte bei der kurzen Unterredung stumm daneben gestanden, doch ihr Gesicht verriet, dass auch sie geschockt war. Immerhin kannte sie Adam, er war bis zur fünften Klasse in Hogwarts, sogar in Gryffindor gewesen. „Ich bringe sie zu ihrer Tochter. Folgen sie mir." McGonnagal lief rasch die Marmortreppe hinauf und Noah und seine Eltern folgten ihr. Sie redeten nicht, denn der Schock saß tief. Das Portrait der Fetten Dame schwang ohne nach dem Passwort zu fragen beiseite und sie traten in den Gemeinschaftsraum, der zum Glück fast leer war. Die Schüler waren im Unterricht, nur ein paar der älteren hatten Freistunden und verbrachten sie mit Hausaufgaben oder faulenzen. Viele staunten nicht schlecht, als die Schulleiterin in Begleitung zweier Erwachsene und einem Zweitklässler aus Ravenclaw hereinkam.

Wortlos öffnete McGonnagal die Tür zu Jades Schlafsaal. Sie saß noch immer auf ihrem Bett und starrte auf die Wand, die Augen aufgerissen und immer noch von Trauer erfüllt. Sie waren gerötet und verrieten, dass sie noch vor kurzem geweint hatte. Jill war auch noch da, sie saß jedoch schweigend auf ihrem Bett und sah Jade mitleidig an. Sie stand auf als sie die Neuankömmlinge sah. Taktvoll verließ sie den Gemeinschaftsraum und ließ Jade Zeit mit ihren Eltern. Jade sah nur kurz zu ihrer Mutter, einen Moment sahen sie sich in die Augen, dann brachen Tränen aus ihren Augen hervor und sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Sie schüttelte sich vor Schluchzern während sie geräuschvoll weinte. Ihre Mutter lief schnell zu ihrer Tochter und nahm sie in den Arm, sie strich ihr beruhigend über das feuerrote Haar, welches sie ihr vererbt hatte. Jade klammerte sich an ihre Mutter, als würde sie ihr jeden Moment erzählen das Adam noch leben würde, das alles ein schlechter Scherz gewesen sei und er jeden Moment lachend durch die Tür kommen würde und sie sein Füchschen nennen würde. Doch vergebens. So saßen sie, fast zehn Minuten, Mutter und Tochter, sich umklammernd und weinend. Noah wusste nicht, ob Jade jemals so aufgelöst war, doch sie so zu sehen, so verletzt, brach ihm sein eigenes Herz. Doch er hatte keine Ahnung was er tun konnte um sie zu beruhigen. Er hatte nur den schmetterlingsförmigen Anhänger in seiner Tasche, das letzte was Adam Jade gegeben hatte. Er holte ihn heraus und öffnete ihn langsam. Er sah das Bild, welches Adam vor Jahren gemalt hatte, wie er sich Jade vorstellte wenn sie erwachsen wäre. Etwas, dass er nie sehen würde. Noah spürte wie seine Augen brannten und auch ihm die Tränen kamen. Er überwand die kurze Distanz zu seiner Schwester und gab ihr vorsichtig den Anhänger. Sie betrachtete das Bild kurz und der Anflug eines Lächelns erschien in ihrem verweinten Gesicht, doch es verschwand so schnell wie es gekommen war. Jade umklammerte den Schmetterling so fest, dass ihre Knöchel weiß hervor traten. Der Schmerz schien sie abzulenken denn nach einiger Zeit, hörte sie auf zu weinen. Nur von ihren unregelmäßigen Schluchzern wurde die Stille des Schlafsaals durchbrochen.

Noah wusste nicht, wie lange sie alle dort waren, doch nach einer gefühlten Ewigkeit stand ihre Mutter auf und Jade ging um ihren Vater zu umarmen. Sie war jedoch unfähig zu sprechen und kurz darauf legte sie sich in ihr Bett, den Anhänger fest in ihre Hand und die Augen stark gerötet. Noah deckte seine Schwester zu, dann verließen sie den Schlafsaal wieder und ließen Jade schlafen, sie würde es brauchen. Professor McGonnagal verließ sie, mit der Begründung sie hätte noch zu Arbeiten. Noah setzte sich mit seinen Eltern in ein paar nahegelegene Sessel. Jill war auch da und stellte sich zögerlich vor. „Ich danke dir, Jill. Danke, dass du dich um meine Tochter gekümmert hast.", sagte Mrs. Graeham nach einiger Zeit des Schweigens. Jill zögerte bevor sie antwortete und hielt sich recht wortkarg, was sonst gar nicht ihre Art. „Ich hab nur getan, was jede Freundin in diesem Moment getan hätte, auch wenn ich kläglich gescheitert bin, bei dem Versuch sie aufzumuntern." Sie zuckte kurz mit den Schultern, stand dann aber auf und entschuldigte sich, da sie noch Unterricht hatte.

Nach einer Stunde des Schweigens, in denen niemand die richtigen Worte fand, standen Noahs Eltern auf. „ich fürchte wir müssen uns schon verabschieden.", sagte seine Mutter traurig. „Ich wünschte wir hätten eine schönere Zeit gehabt, aber ich bin froh euch wenigstens gesehen zu haben." Sie umarmte Noah. „Wie versuchen an Weihnachten bei euch zu sein. Bis dahin, pass auf deine Schwester auf und mach nicht zu viel Unsinn. Minerva, ich meine, Professor McGonnagal ist ein guter Mensch. Richtet euch an sie, wenn ihr Probleme haben solltet." Sie drückte Noah einmal kurz fest an sich, bevor sie ihn wieder los ließ und er seinen Vater umarmen konnte. Noah wartete vor dem Gemeinschaftsraum, während sie noch einmal nach Jade sahen. Er begleitete sie noch bis in die Eingangshalle, wo er beobachtete wie sie über das Gelände gingen um dann zu apparieren.

Lange nachdem sie weg waren, ging Noah in die Große Halle und versuchte etwas zu essen, doch der Schock saß noch immer tief, also ließ er es nach ein paar Bissen bleiben. Unschlüssig ob er noch zur letzten Unterrichtsstunde gehen sollte oder nicht stand er auf der Marmortreppe. Doch er konnte sich jetzt nicht auf den Stoff konzentrieren, so spannend er auch nun war. Also ging er in seinen eigenen Gemeinschaftsraum, legte sich auf sein Bett und kraulte den wie immer dort liegenden Tatze. Nach einer Weile fielen ihm die Augen zu und der gleichmäßige Atem seines Katers gemischt mit den Schnurren, brachte ihm auch den Schlaf.

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