Tagebucheintrag 05.05.
Liebes Tagebuch/
Liebe Großmutter,
Wie geht es dir? Mir geht es genau in diesem Moment sehr gut, weil ich durch das, was ich hier schreibe, das Gefühl habe, mit dir reden zu können. Wie schon immer hast du mir geduldig zu gehört und so tust du dies hoffentlich auch, wenn ich mein Tagebuch für dich schreibe. Seit dem tragischen Ereignis, was uns auseinander brachte, ist mein Leben nicht mehr das selbe. Du bist jetzt dort oben und schaust hoffentlich mit Stolz auf mich hinab. Was auch immer ich tun werde, ich werde an dich denken und dich nie vergessen. Mein ganzer Erfolg sei dir gewidmet. Das ist der Grund, warum ich so viel Energie in das Schwimmen stecke und vielleicht auch warum ich darin so gut bin. Ich verstecke mich bei Wettkämpfen und tue so geheimnisvoll, aus Angst. Aus Angst vor den Kommentaren anderer.
Der Tag, an dem du von uns gingst, war der schlimmste Tag in meinem gesamten Leben. Nach diesem dunklen Ereignis ist so viel passiert. Ich versuche es als Antrieb zu nutzen, ich versuche es wirklich! Aber ist es auch genug? Seit diesem Tag trage ich meine Narbe, die einerseits zu meinem Merkmal und andererseits zu meiner größten Unsicherheit geworden ist. Ich vermisse dich so! Warum musste das alles nur passieren? Warum ist das Schicksal so hart zu mir? Es fällt mir immer noch schwer an den Vorfall zu denken und ich bezweifle, dass das jemals anders sein wird...
Doch manchmal hilft es mir, mich auch auf die schönen und wichtigen Dinge zu fokussieren. Schwimmen.
An meinem Geburtstag warst du auch für mich da und hast an mich gedacht. Wusstest du, als du ihn geschrieben hast, dass du mir den Brief nie persönlich geben könntest? Wie gerne würde ich jetzt deine Stimme hören und dich noch einmal umarmen. Aber an meinem Geburtstag, als ich den Brief zum ersten Mal laß, fühlte es sich wirklich so an, als wärst du ganz nah bei mir. In der letzten Woche, nach meinem Geburtstag, habe ich den Brief so oft und immer wieder gelesen, weil ich so das Gefühl habe, du sprichst zu mir.
Du hast für mich gesorgt und mir so das größte Geburtstagsgeschenk beschert, was man mir hätte machen können. Ein noch größeres Geschenk wäre, wenn das alles nie passiert wäre und du jetzt noch bei uns wärst. Doch du hast mir immer gelehrt, man soll sich nicht mit den trüben Gedanken der Vergangenheit herumschlagen, denn diese kann man eh nicht mehr ändern. Man solle sich stattdessen lieber auf die Zukunft freuen, sich aber deswegen keine Sorgen machen. Doch das wichtigste, sagtest du immer, sei die Gegenwart, denn einen Moment kann man nicht wieder zurück holen!
Ich versuche das, was du mir beigebracht und mir als Ratschläge mitgegeben hast, so gut es geht anzuwenden, aber es gelingt mir nicht immer. So mache ich mir auch zum Beispiel sehr viele Gedanken wegen morgen. Levi und ich werden uns am See treffen, doch dort bin ich angreifbar. Dort bin ich verletzlich. Was, wenn er mein Geheimnis erfährt oder mir zu nahe tritt? Ich darf niemanden an mich heranlassen, denn das schadet meinem Erfolg und meiner Seele. Aber was, wenn genau das morgen passiert? Ich möchte nicht durch eine unglückliche Situation das verlieren, was ich mir jahrelang erarbeitet habe. Ich habe Angst! Und das alles wegen dieser dummen Projektarbeit in der Schule. Ich bin so aufgeregt, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es wegen etwas Gutem ist. Jedoch weiß ich es nicht genau und das macht mir angst. Ich hasse Ahnungslosigkeit.
Wenn ich an morgen denke und daran denke, was alles passieren könnte, wird mir kalt und ich beginne zu zittern. So eine Angst trage ich mit mir und so eine Unsicherheit strahlt von mir. Aber das alles wird überdeckt, mit MakeUp und meiner gespielten, abschreckenden Fassade.
Vielleicht wird morgen auch alles gut und ich habe Glück... Bitte drück mir die Daumen und sei für mich da, wenn ich dich brauche.
Jetzt muss ich aber auf andere Gedanken kommen und genau das hättest du mir jetzt auch geraten. Sowieso wolltest du nie, dass ich mich unter Druck setzte. Aber das ist schon überall zu spät. Der Druck der auf mir lastet ist riesig, doch ich kann dieser Last noch stand halten.
Gerade wird auch überall Druck auf mich gemacht, weil am 09.05. ein super wichtiger Wettkampf ist, den ich nicht verpassen darf. Es würde meiner Karriere sehr viel schaden. Das ganze ist nächsten Dienstag und bis dahin muss ich fit sein. Das Training am Sonntag und nächsten Montag wurde auch um jeweils eine Stunde verlängert, damit ich noch extra intensiv trainieren kann. Die letzten Tage war nämlich mein Training sehr wechselhaft, aber ich war den groß Teil nicht bei der Sache. Ich habe keine Ahnung woran es liegt, vielleicht an Levi. Egal, das darf mir am Dienstag auf gar gar keinen Fall passieren.
Es ist jetzt schon spät geworden und ich muss gucken, ob ich heute Nacht überhaupt ein Auge zu kriege. Wünsch mir bitte Glück für morgen und das alles gut wird!
Nun sitze ich hier und bange, dass ich morgen nach dem Treffen erleichtert nach Hause gehen kann. Dann muss ich mich auf den wohl wichtigsten Wettkampf meiner Karriere konzentrieren. Menschen wie Levi haben einfach keinen Platz in meinem einsamen, aber schönem und erfolgreichem Leben. Jetzt frage ich dich, weil ich selbst ratlos bin: muss man sich wirklich so fern von allen Menschen halten, um erfolgreich zu sein und möchte ich dieses Leben überhaupt?
Eines steht aber fest: mein tiefer Wunsch ist es, dass du stolz auch mich sein kannst und hoffentlich erreiche ich dies mit meinen Schwimmerfolgen. Es ist zu meinem Herzensprojekt geworden.
Bitte vergiss mich nicht!
Ich habe dich lieb und bis bald,
deine Dwyn.
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