Kapitel 1

Mein Tag war bis zu diesem Augenblick großartig. So großartig wie ein Tag in Quarantänen halt sein konnte. Am Morgen hatte ich meine Hausaufgaben gemacht und mittags mein Bruder von der Schule abgeholt. Später am Nachmittag bin ich laufen und habe Klavier geübt. So sah mein Tag im Schnelldurchlauf aus.

Am Morgen war mein erster Gedanke, heute wird etwas passieren. Keine Ahnung was genau. Einfach etwas. Doch mein Bauchgefühl sagte mir, dass es nicht was Schönes werden würde. Ich ignorierte es.

Und jetzt bin ich hier. Sitze auf dem Balkon. Mein Bruder Alex neben mir. Meine Eltern vor mir. Als mein Vater ein Anruf bekam vor wenigen Minuten, dachte ich es sein von der Arbeit. Als er jedoch mit mir reden wollte, wusste ich das etwas nicht stimmte.

Und wie etwas nicht stimmte. Anfangs habe ich gemeint es wäre eine Überraschung. Dummer Gedanke. Denn wer sah aus als würde es ihm Schmerzen bereiten zu reden, wenn man eine Überraschung verkünden wollte. Gott war ich dumm.

Natürlich war es etwas noch Schlimmeres als schlimm. Als meine Mutter mich anblickte, mit Tränen in den Augen, wollte ich schon in dem Moment weinen. Und jetzt da ich wusste was los war, konnte ich nicht weinen. Ich wollte lachen. Wie verrückt ist das denn?

Schmell stand ich auf und ging in mein Zimmer. Ich schmiss mich auf mein Bett und starrte die Decke an. Ich hörte die Tür knarzen. Konnte ich nicht einfach allein sein? Ich spürte wie sich die Matratze senkte, jedoch starrte ich die Decke weiterhin stur an.

"Es tut mir leid", flüsterte mein Vater. Ich räusperte mich bevor ich zu ihm schaute.

"Wieso hat sie das gemacht?", murmelte ich erschöpft. Ich wusste das mein Vater es nicht wusste. Aber ich wollte diese Frage einfach loswerden. Er zuckte mit den Schultern und beobachtete wie ich mich langsam aufsetzte. Einige Sekunden lang spielte ich mit meinen Fingern, als ich entschlossen aufstand. Verwirrt schaute mich mein Vater an. Bevor er etwas sagen konnte kam ich ihm zuvor.

"Ich gehe kurz laufen. Ich bin gleich wieder da"

Beim Hinausgehen schnappte ich mir meine Jacke und schlüpfte in meine Schuhe. Bevor ich ging nahm ich mein Handy und steckte sie in meine hintere Hosentasche. Da wir in einer kleinen Wohnung leben, die im zweiten Stock liegt, musste ich erst die Treppen runter. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, als ich endlich draussen stand. Ich atmete tief ein und liess meine Schultern sinken.

Bevor mich meine Mutter aus dem Küchenfenster sehen konnte, rannte schon los. Die frische Luft beruhigte mich. Ich fand ein Rhythmus beim Rennen. Ich plante immer den nächsten Schritt. Nicht mehr. Bald vergass ich die Zeit im Auge zu behalten. Ein atmen und wieder aus. Ein und Aus. Ich weiss nicht wie lange ich weitergerannt wäre, hätte mich das Klingeln meines Handys nicht aus meiner Trance hinausbefördert. Seufzend zog ich mein Handy aus der Tasche. Papi.

"Hey, was ist?", fragt ich ihn erschöpft und ausser Atem. Wie lange war ich gerannt.

"Das Essen ist fertig. Kommst du?", fragte mein Vater bevor er auflegte.

Erschrocken blickte ich auf meine Uhr und stellte überrascht fest das ich über 15 Minuten ohne Pause am Rennen war. Und dann erinnerte ich mich wieder wieso. Bevor ich etwas unternehmen hätte können, sammelten sich Tränen in meinen Augen und flossen kurz darauf über mein Wangen hinab zu meinem Kien und tropften auf den Boden. Ein Schluchzen kam aus meinem Mund. Wieso? Wieso hatte sie das gemacht?

Der Damm war gebrochen und aus meinen Augen flossen Wasserfälle. Schluchzer erschütterten meinen Körper und ich sackte zusammen. Nun sass ich dort auf dem Boden. Die Beine angezogen und umwickelt von meinen Armen. Mein Kopf lag auf meinen Knien. Ich wippte mich vor und zurück während ich nicht glauben konnte, was gerade passierte. Seit wann weinte ich so sehr?

Plötzlich war die Trauer und der Schmerz verschwunden und unbändige Wut machte sich über mich breit. Mein Blut brodelte in meinen Venen und ich konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Stattdessen biss ich mir auf die Lippe, bis ich Blut schmeckte. Ich wischte mit über den Mund und sah, eine rote Spur.

Abrupt stand ich auf und tigerte herum. Ich vergrub meine Hände in meinem Haar und stöhnte entkräftet auf. Wie konnte es so weit überhaupt kommen? Wieso hatte es niemand bemerkt? Ich hätte etwas machen sollen. Aber habe ich etwas gemacht? Nein. Stattdessen hatte ich sogar vergessen, dass sie auch noch da war. Wie konnte ich so egoistisch war.

Ich hatte dieses Verlangen etwas zu zerstören. Ich wollte mich verletzen. Ich wollte leiden. Ich wollte mich zerstören. So wie sie sich zerstörte. Wie war das nur passiert?

Ich war die schlechteste Freundin der Welt. Konnte ich mich noch so nennen? Frustriert atmete ich ein. Auf einmal kam mir ein Gedanke. Wie war es überhaupt passiert? Die schlimmsten Szenarien kamen mir in Sinn. Ich erschauderte und zwang mich auf andere Gedanken zu kommen. Essen. Ich musste nach Hause.

Fluchend rannte ich los. Gott, war ich viel gerannt. Schon nach kurzer Zeit machte sich der Seitenschmerz bemerkbar. Ich blieb immer wieder stehen und hustete. Da ich sowieso zu spät nach Hause kommen würde, joggte ich nun in einem gleichmässigen Tempo nach Hause. Dort angekommen, blickte ich noch einmal hoch in den Himmel bevor ich mit zittrigen Fingern auf die Klingel drückte.

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