9.
"Nananana...." , redete Ezra beruhigend auf mich ein, während er mir mit einer Hand auf den Rücken klopfte. "So schlimm ist das alles doch gar nicht. Kein Grund zu heulen, Aden. Kaffee kann man auch beim nächsten Supermarkt kaufen."
Ich schniefte und warf ihm einen bösen Blick zu. Schlimm genug, dass ich von allen Momenten gerade jetzt in Tränen ausbrach, noch schlimmer, dass mein eigener Tod mich nun trösten musste. Zudem er anscheinend annahm, dass ich wegen dem Kaffee weinte, welcher mir völlig egal war. Ich hasste Kaffee.
Ezra seufzte und erhob sich. Dann begann er langsam in meinem Zimmer herumzuschlendern, skeptisch mit dem Finger über die Regale zu fahren und den Staub missbilligend zu betrachten. Er wirkte relativ gelangweilt bei allem, was er tat: Meine Schuhe mit seinen vergleichen, die Deckenlampen inspizieren, eine vorbeifliegende Fliege erschlagen - dies nebenbei bemerkt mehrmals, er schlug zu, als würde es keinen Morgen geben und hörte erst mit einem "Tschuldige" auf, als ich ihm einen befremdeten Blick zuwarf- über meine Cornflakes lästern, die aufgeweicht in einer Schüssel auf meinem Schreibtisch standen. Ein Produkt zu großen Stresses am frühen Morgen. Er hörte erst mit seiner Zimmertour auf, als er den riesigen Haufen Recherchen auf meinen Schreibtisch entdeckte. Man sah regelrecht, wie er erstarrte und an Ort und Stelle damit haderte, ob er seine selbstauferlegte Coolness lassen und seiner Neugierde folgen sollte. Mit einem Aufblitzen in den dunklen Augen entschied er sich für letzteres und hüpfte regelrecht zum ausgedruckten Stapel.
"Du hast dich über mich informiert?", fragte er aufgeheitert. "Diesen Fleiß muss ich belohnen..." Er ließ sich auf den Stuhl fallen und fing an blitzschnell die Berichte zu lesen. In der Zeit, wo ich ein paar Mal Luft holte und mich wieder zusammenriss, hatte er bereits die Hälfte des Stapels durch und kommentierte alles zwischendurch mit einem Aufschnauben oder Auflachen.
"Ezra...", begann ich etwas zu laut, aber mit fester Stimme. "Wir müssen reden...!"
"Gleich, Schätzchen, gleich...", unterbrach der Reaper mich. Er stand mit gerunzelter Stirn auf und stellte sich vor den Spiegel. Dort hielt er eine Abbildung eines Sensenmannes vor sich hingestreckt und ahmte die Pose nach. "Sag mir, Aden... sollte ich mir auch eine Sense anschaffen?"
"Wenn du willst, aber....", fing ich überrumpelt an. "....Aber das würde nicht zu meinem Style passen, du hast recht." Ezra nickte und schmiss das Blatt über seine Schulter hinweg. Dann drehte er sich zu mir um, sah mir kurz und sehr intensiv in die Augen, ehe er an mir vorbei lief und sich auf dem Bett niederließ. "Du wolltest reden?"
"Ja..." Ich schüttelte den Kopf und verscheuchte das Bild seiner fast schwarzen Augen, die sich für einen kurzen Moment in mein Inneres gebrannt zu haben schienen. "Ich wollte wissen, weshalb du mich damals bei dem Busunfall gerettet hast. Wieso hast du mich nicht sterben lassen?"
"Jeder normale Mensch würde sich für seine Lebensrettung erst einmal bedanken...", murmelte Ezra und knackte aus Langweile mit seinen Fingern. Als darauf nichts folgte, blickte er zu mir hoch und sah mich abwartend an. Es vergingen weitere drei Sekunden, ehe mir klar wurde, was er von mir verlangte. "Ähm... Danke", kam es also trocken von mir. "Vielmals."
Ezra lächelte und nickte mir gönnerhaft zu. Dann forderte er mich mit einer Handgeste auf, fortzufahren. Da ich aber immer noch auf seine Antwort wartete, schwieg ich.
Der Reaper rollte darauf nur mit den Augen und meinte: "Nächste Frage."
Als ich darauf nur meine Arme verschränkte und ihn weiterhin anblickte, knackte er mit einem Finger und zischte: "Dein Name stand auf der Liste."
Liste? Was für eine Liste? Ezra sah meinen verwirrten Blick und grinste zufrieden. "Das ganze Prinzip ist nichts für dich, Aden. Glaub mir, du bist bei weitem besser aufgehoben, wenn du nichts weißt und einfach nur schön meine Befehle befolgst..."
"Was für eine Liste?", unterbrach ich ihn. "Was meinst du mit Prinzip?"
Ezra seufzte. Dann schloss er die Augen und hielt mir seine Hand hin. Verwirrt blickte ich erst zu ihm, dann zu seiner Hand, die-wie ich bemerkte- in einem schwarzen Lederhandschuh steckte. Was sollte das denn jetzt? Wollte er mich wieder irgendwo hin teleportieren? Oder mir etwas zeigen? Gedanken vermitteln? Ich war so in meinen Gedanken gefangen, dass ich zusammenzuckte, als er plötzlich laut "Drei!" rief und mir den Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger hinhielt. "Du hast drei Fragen, Aden."
"Wie, drei Fragen?" Mit einem ungutem Gefühl blickte ich auf und traf abermals seine Augen. Er grinste überheblich und mein ungutes Gefühl verstärkte sich.
"Ich gebe dir drei Fragen frei, Aden.", flüsterte er. Zu seiner neutralen Stimme hatte sich ein gefährlicher Unterton geschlichen. "Ich werde dir jede einzelne Frage vollkommen ehrlich beantworten und nichts, was diese Frage betrifft, auslassen. Aber tue mir einen Gefallen und wähle sie gut."
"Was passiert, wenn ich dir mehr als nur drei Fragen stelle?" Er hob spöttisch die Augenbrauen und ich schickte schnell hinterher: "Und nein, das sollte nicht zu den drei Fragen gehören."
"Das willst du lieber nicht wissen." antwortete Ezra, klopfte sich ein paar Mal auf die Hose, als wolle er Staub loswerden, und stand wieder auf.
" Also? Was ist deine erste Frage?"
Ich blickte auf meine Hände und dachte nach. Mein Gehirn lief auf Hochtouren, schlug Fragen vor und verwarf sie sofort wieder, stellte eine Skala von Wichtigkeit auf und gab dann schließlich auf. Da ich von allem keine Ahnung hatte, gab es natürlich viel zu viele Fragen. Schließlich räusperte ich mich und fragte: " Was meinst du mit Liste?"
Ezras Augen blitzten. Er klatschte und sagte dann: " Die Liste, wieso wusste ich nur, dass du dieselbe Frage wie eben stellen würdest! Wenn ich nicht gerade in Spiellaune wäre und meine Meinung abrupt geändert hätte... tja Aden. Du solltest die Tatsache schätzen, dass ich nicht einfach abhaue oder dir einfach gar nicht antworte."
Ich unterdrückte ein genervtes Seufzen. Zufrieden klopfte Ezra sich selbst auf die Schulter und fuhr fort: "Es ist eine große umfassende Frage mit vielen Details, die du als Mensch eh nicht verstehen wirst." Mit ausholendender Geste ließ er sich auf meinem Schreibtischstuhl fallen. " Von daher werde ich es dir kurz und einfach erläutern. Die Liste. Jeder Reaper besitzt eine. Auf ihr sind sämtliche Namen von in Kürze sterbenden Menschen aufgelistet. Wir als Reaper haben die Aufgabe, zu den auf unserer Liste aufgelisteten Menschen zu gehen und ihre Seele aufzunehmen. Sie auf ihrem letztem Weg ins Jenseits zu begleiten, um es schön auszudrücken. Du müsstest mal wissen wieviele komische Menschen mir schon begegnet sind... Da gab es eine Story mit einem alten Mann und einer Katze...."
"Ezra", unterbrach ich ihn nachdrücklich. "Du bist mit dem Beantworten noch nicht fertig"
Der Reaper seufzte und fuhr fort: " Mit der Liste arbeitet man sozusagen seine Sünden ab. Vielleicht hast du es schon gelesen, aber man wird nur Reaper, wenn man etwas in seinem vorigem Leben verbrochen hat, bzw mehrmals. Etwas sehr schlimmes. Um es gut zu machen, wird man Reaper und muss sozusagen zwischen den Welten seine Strafarbeit absitzen. Und die Anzahl der Sünden findet sich in der Anzahl der Menschenamen auf der Liste wieder. Bist du mit allem fertig, wirst du erlöst und kommst weiter."
"Und mein ...."- Als ich das Zucken seiner Mundwinkel sah, klappte ich meinen Mund wieder zu. Ich sollte meine drei Fragen nicht so unvorsichtig aussprechen- eine davon war bereits gestellt. Und ich hatte ein paar Antworten. Das mit der Liste war mir vollkommen neu, nirgendwo im Internet war nur eine Spur davon zu finden. Theoretisch könnte Ezra auch hier einfach wieder lügen- aber er hatte viel zu viel Spaß daran, mir das alles zu erzählen. Also musste ich ihm jetzt einfach in dieser Sache vertrauen. Eine Liste also. Wie sah die aus? Ein Stück Papier oder mehr etwas spirituelles? Im Grunde konnte es mir auch egal sein, wie die aussah. Ich musste einfach nur einen Blick draufwerfen. Um zu schauen, ob mein Name immernoch draufstand. Immerhin war ich nicht im Totenreich oder was auch immer nach dem Tod kam. Logischerweise müsste mein Name also noch vorhanden sein. Und müsste daraus nicht folgen, dass ich jederzeit sterben könnte?
"Noch irgendwelche Fragen?", unterbrach Ezra die nachdenkliche Stille. Er schien Anstalten zu machen, seinen Job als Reaper fortzusetzen , weshalb ich panisch aufblickte. Dann erinnerte ich mich wieder an seine Forderung und schüttelte den Kopf. Ezras Mundwinkel zuckten. Dann streckte er die Hand aus und strich mir sacht mit einem Finger über die Wange - ich spürte das kalte Leder und schreckte zurück. Blickte ihn abermals befremdet an. Doch er zückte nur sein Handy, formte mit den Lippen "Text me" und war von einem Augenblick zum anderen verschwunden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top