11.

"Hast du nicht etwas vergessen?", raunte eine Stimme in mein linkes Ohr. Der warme Atem rief Gänsehaut in mir hervor. Ich stieß Ezra erschrocken von mir weg und beachtete sein Grinsen nicht weiter.
Wir befanden uns auf der Beerdigung von Michael Bruce und ich war schon aufgewühlt genug. Meine Schuhe sahen abgewetzt und dreckig aus, mein Anzug war nicht gebügelt und hing wie ein Laken an mir herab. Fehlte noch der Wind, der das Ding an mir fleddern und meine Figur noch abgemagerter aussehen ließ.
Und ganz nebenbei.... die Blumen. Ich hatte die verdammten Blumen vergessen. Aden, was kannst du eigentlich?
"Was machst du hier?", fragte ich Ezra genervt.
Ezra schnaubte und zog seine Lederhandschuhe an. "Würdest du mir glauben, wenn ich sage, dass ich gekommen bin, um dir seelischen Beistand zu leisten?"
"Nicht wirklich..." Ich ließ meinen Blick skeptisch an ihm runtergleiten und bemerkte, wie sich etwas an seiner Seite abhob.  Ezra folgte meinem Blick und hob das Jacket seines Anzuges ein Stück hoch. "Das Bild auf deinem Schreibtisch hat mich inspiriert. Aber so eine Sense ist nicht so einfach zu finden... und nicht gerade praktisch."
"Und was ist das dann?", fragte ich mit gedämpfter Stimme  und deutete auf eine riesige Schneide, die der Reaper an seinen Gürtel geschnurt hatte.
"Ein Katana. In irgendeinem Merch Laden gefunden und riesig. Nicht, dass ich es bräuchte, ich bin der Tod selbst, aber soll ich es dir zeigen?" Ezras Augen glitzerten, als er danach greifen wollte. Blitzschnell hielt ich ihn auf. "Nein, sollst du nicht! Wir befinden uns auf einer Beerdigung!"
"Beerdigungen sind langweilig.", murrte Ezra. "Alle gucken traurig und weinen Rotz und Tränen... du nicht, wieso bist du also hier?"
Ich stockte. "Naja... Es ist meine Schuld, dass er gestorben ist", flüsterte ich und mit den Worten kamen die Schuldgefühle wieder. "Ich sollte ihm zumindest die letzte Ehre erweisen..."
"Aber was bringt das?", unterbrach mich  Ezra. Er machte einen Schritt zurück und betrachtete mich abweisend. " Der Typ ist tot. Er wird nie sehen, wer bei seiner Beerdigung war beziehungsweise wird ihn das nie mehr interessieren."
"Ja, aber ich..."
"Menschen sind so egoistisch." Der Reaper hob den Kopf und blickte sich um. " Kommen zu einer Beerdigung, um eine Person zu ehren, die nicht mehr da ist. Die es einfach nicht mehr interessiert. Die sind doch alle nur da, weil es von ihnen erwartet wird. Und weil sie sich die Schuld für den Tod geben und nun ihre Schuldgefühle loswerden wollen.  'Leb wohl, ruhe in Frieden', ein bisschen Erde drüber und fertig ist, tschüss, viel spaß unter der Erde." Ezra's Blick wanderte wieder zu mir. " Was ist mit dir Aden? Du bist doch auch nur wegen dir hier."
Ich öffnete den Mund, allerdings fiel mir nichts schlagfertiges ein. Es stimmte, zumindest in meinem Fall. Wäre Bruce nicht wegen mir gestorben, würde ich jetzt nicht hier stehen. Aber als ich die Frau und Kinder von Bruce betrachtete, die unter Tränen den Sargträgern folgten, konnte ich nicht glauben, dass sie das nur wegen sich selbst taten. Sie taten es, weil sie Michael Bruce geliebt hatten und weil sie ihn auf seinen letzten Weg begleiten wollten. Auch wenn sie nur einen leblosen Körper trugen, er verkörperte Erinnerungen und Gefühle. Aber das konnte ich nicht Ezra erklären, der bereits wieder das Interesse verloren hatte und auffällig unauffälig in der Nase bohrte. 
Ich ließ ihn dabei stehen und gesellte mich zur Traube von schwarz gekleideten Menschen.  " Mein aufrichtiged Beileid.", hörte ich jemanden zu Mrs.Bruce sagen, die nur stumm nickte. Wie um die triste Stimmung zu untermalen, verdeckte eine Wolke die Sonne und der Sarg wurde in die Erde gelegt. Wie so jeder eine Schippe Erde über den hölzernen Sarg warf und sich mit jeder Person die Blumen und Andenken häuften, wiederholten sich die eben von Ezra gesagten Worte in meinem Kopf; Leb wohl, Ruhe in Frieden, ein bisschen Erde drüber und fertig ist, viel Spaß unter der Erde. Als ob das so einfach wäre, mit einer Person abzuschließen! Zudem sie auch noch tot ist...
Einen kurzen Moment flammte Mark in mir auf.  Und mit ihm Theresa. Der Schmerz setzte wieder ein und Tränen stiegen auf. Nein nein nein nein. Es war schon kaltherzig genug von mir, dass ich hier nur auftauchte, um meine Schuldgefühle los zu werden, noch schlimmer ist es, wenn ich auf der Beerdigung von meinem Kollegen wegen meinem Ex weinte.  Einfach ein und ausatmen. Ein und aus...
"Aden, du bist dran." Ezra war plötzlich wieder hinter mir und hatte seine Hand auf meine Schulter. Es war erstaunlich, wie er sich perfekt in die Menge eingliedern konnte, ohne andere auf sich aufmerksam zu machen. Er schob mich bestimmt nach vorne und drückte mir ein paar Blumen im die Hand, nicht ohne mir mitzuteilen, dass er sie von einem anderen Grab geklaut hatte.  "Mach schnell." Und damit war er wieder weg.
Ich schluckte und blickte auf das Loch vor mir. Was sollte ich sagen? Mir fiel nichts ein. In meinem Kopf herrschte absolute Stille. Beinahe panisch blickte ich auf und erwartete anklagende Augen auf mich ruhen zu sehen. Stattdessen beachteten die anderen mich einfach nicht. Jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. So streckte ich nur die Hand aus und sah zu, wie die geklauten Blumen auf das Holz fielen. Dann drehte ich mich um und überließ es der Person hinter mir, sich von Bruce zu verabschieden.

Als ich wieder zu Ezra stieß, sprühte der sich gerade mit Deo ein. Der starke Zitronengeruch drang mir in die Nase.
"Zitronendeo?", fragte ich verwundert.
Ezra hielt mir die Flasche hin und meinte: "Mit der belebenden Frische von Zitronengras! Sie werden jeden damit bezaubern können. Kaufen Sie nun das neue Nivea Deo!" Er räusperte sich. "So hieß es zumindest in der Werbung. Und Zitronen sind gesund, soweit ich weiß." 
"Was willst du mit gesund?", entgegnete ich genervt. "Du bist tot."
"Das mag ja sein..." Ezra sprühte ein letztes Mal und packte die Flasche zurück in seine Hosentasche. "... aber riechen tue ich immernoch. Sogar noch stärker als ihr Menschen. Schon mal von Verwesungsgeruch gehört? Der ist echt nicht gut, ganz und gar nicht gut."
"Willst du mir damit sagen, dass ich eigentlich gerade mit einer Leiche spreche?"
"Nicht direkt." Er zog die Augenbrauen hoch. "Und wenn, dann mit einer gutaussehenden Leiche."
Das ließ ich einfach unkommentiert.
 

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