☬Prolog☬

Dicke, schwarze Wolken zogen über den Himmel und verschmähten jeden Lichtstrahl, der vermochte, hervor zu dringen. Die Unerbittlichkeit der der dunklen Wand würde jedem Angst einjagen, der drohte, darin eingekesselt zu werden. Das laute Donnergrollen ließ einen jeden zusammen zucken und man konnte über den laut prasselnden Regen schmerzerfüllte Schreie hören.

Es war ein Tag, der von erdrückender Trauer und tiefem Schmerz geprägt wurde. Ein Tag, an dem das Gleichgewicht verloren ging und alle auf ihn hinab schauten. Auf den einen, der sich mehr genommen hatte, als ihm zustand.

Er lief mit einer Gleichgültigkeit durch den verwitterten Garten, die selbst jede höhere Macht mit Erstaunen erfüllte und seine glänzenden Augen waren schon bald nicht mehr die einzigen, die auf der einst strahlend weißen, nun nicht mehr als aschgrauen Skulptur lagen, die sein Dasein dominierte.

Als er das erste Mal aufwachte, war sie das einzige, was er sehen konnte. Ihr Antlitz, so makellos, dass er nicht mehr wegsehen wollte. Ihre weichen Gesichtszüge so anmutig, dass er jede Sekunde von ihr träumte. 

Sie war diejenige, die für ihn bestimmt war und der Grund seiner Existenz. Das wusste er.

Und trotzdem lag sie nun nicht in seinen Armen. Denn sie tauchte nicht auf. Wo war sie? Würde sie jemals zu ihm kommen? Er wusste es nicht und es brach ihn in Stücke.

Die Ungeduld hatte sich über Jahrhunderte aufgebaut und an ihm genagt, bis er es nicht mehr aushielt und den einen Schritt wagte, der sein Verhängnis sein sollte. Denn er hatte die Sterbenden aus den Fingern derer gestohlen, die dazu bestimmt waren, die Seelen bis auf alle Ewigkeit zu geleiten. Er hatte sie von ihren rechtmäßigen Wegen gelockt, bis hin in seine Griffe, aus denen sie nun nicht mehr fliehen konnten.

Und ihre qualvollen Schreie durchschnitten den so grauenvollen Tag, dessen Ende noch unbestimmt war.

Der Mann bahnte sich seinen Weg an vertrocknetem Gebüsch und toten Bäumen vorbei. Alles schien sich der unumgänglichen Stimmung angepasst zu haben, die über der Welt schwebte. Von den verschmorten Grasbüscheln bis zu den modernden Blättern auf den alten Steinen. 

Er achtete nicht darauf und ignorierte es genau wie die Schreie. Er lief einfach weiter, bis er vor der Statue zum Stehen kam, die von Moos und Dreck bedeckt war. Die vielen Jahre hatten es mit dem Kunstwerk nicht gut gemeint, aber in seinen Augen war sie noch immer wunderschön.

Für einen Moment stand er nur vor ihr, starrte sie an, als hätte sie ihn in einen Bann gezogen, denn das hatte sie seit dem allerersten Moment getan. Dann streckte er hoffnungsvoll seine Hand aus und legte sie auf den nassen, kalten Stein.

Er wartete. Auf ein Zeichen, ein Rufen, ein Ziehen in seinem Inneren. Etwas, das ihm zeigte, seine Bestimmte war irgendwo da draußen. Doch er wartete vergeblich.

Nach ein paar Minuten, in denen seine Umgebung vor seinen Augen verschwamm, zog er sich zurück und schaute schmerzerfüllt in das einzigartige Gesicht. Es schien ihn zu verspotten und alles was er tun wollte, war schreien. 

Er wollte allen zeigen, welches Leid er in sich trug. Welche Angst und welche Wut in ihm brodelte. Und so schrie er bis seine Kehle schmerzte und er sich vorstellte, wie sie in einem blutigen Spektakel barst.

Als kein Ton mehr aus seinem Mund entfloh und sich alles in ihm zusammenzog, fing er an zu weinen.

Seine Tränen vermischten sich in einem kunstvollen Spiel mit den Regentropfen auf seinen Wangen und zusammen landeten sie auf dem grauen, farblosen Boden. Er schluchzte schmerzerfüllt - und dann hörte er auf. So plötzlich, wie seine Schreie begonnen hatten, brachen sie ab.

Genau wie der Regen. Genau wie die qualvollen Rufe, derer, die er entführt hatte.

Alles schien aufzuhören, stehen zu bleiben und die Luft anzuhalten.

Und dann polterte ein bebender Donner durch die Welt und ein Licht durchschnitt die Dunkelheit. So hell, dass er geblendet wurde und seine Augen abschirmen musste.

Stolpernd wich er zurück und wurde in die Knie gezwungen, bis er auf dem kalten Boden hockte, sein Blick gesenkt, die Welt um ihn ausblendend.

Obwohl er noch nie etwas derartiges miterlebt hatte, wusste er augenblicklich, was geschah. Es gab nur wenige Mächte, die Seinesgleichen ihren Willen aufzwingen konnten und er ahnte, dass es sich nur um die Mütter und Väter aller handeln konnte. Und so wartete er mit niedergeschlagenen Augen auf sein Urteil.

Als sie anfingen zu sprechen, war es, als würde der Untergrund erzittern. Es hörte sich an, als wäre jede Stimme, die es je gegeben hatte, zu einer einzigen vereint und würde nun über ihn rollen. Er musste sich anstrengen, um nicht in sich zusammen zu sacken, denn die stark pulsierende Macht, schien ihn zu erdrücken.

"Du nahmst, was dir nicht gehörte, Sohn unser aller! Du stahlst von deinen Brüdern und verdammtest sie auf ewig! Du brachtest Unheil über die Seelen der Toten!"

Seine zusammen gekauerte Gestalt erschauderte. Er wusste, was er getan hatte, war nicht in seinem Schicksal geschrieben, und doch konnte er es für den Moment nicht bereuen. Das einzige, was durch seinen Körper floss, war die Sehnsucht nach der einen, die scheinbar nie kommen würde. 

So lange hatte er auf sie gewartet und doch gab es kein Zeichen, dass sie existierte. Er war einsam und verloren. Verkümmert und von nicht erfüllten Erwartungen verschmäht. Würde seine Liebe jemals zu ihm kommen? Er hatte die Hoffnung fast aufgegeben.

"Der Rat hat beschlossen, wie deine Taten bestraft werden. Das Schicksal gab uns sein Siegel. Es gibt kein Vorbeikommen an diesem Urteil."

Er bezweifelte, dass seine Bestrafung je das Ausmaß an Schmerz übertreffen konnte, welches seine Bestimmte verursacht hatte. Deshalb wartete er mit schwerem Herzen auf die nächsten Worte.

"Du nahmst dir die Geschenke deiner Brüder und Schwestern und verbanntest sie für immer. Als Strafe werden ihre Dämonen stets an deiner Seite verweilen und ihre Schreie sollen dein ewiger Begleiter sein. Du wirst herrschen bis in alle Ewigkeit, wie deine Bestimmung vorhersagt. Du wirst die Blüte deines Lebens spüren, wenn ihr Licht die Nacht das erste Mal durchdringt. Sie wird wachsen, erstrahlen und vergehen. Doch wenn sie die Dunkelheit erreicht, wird dein Sehnen unendlich vergebens sein. Ihr wird es nicht erlaubt sein, dein Land zu betreten. Genau wie es dir verboten sein wird, dein Land zu verlassen."

Er hob mit erschrockenem Ausdruck seinen Kopf. Er wusste nicht, wo er hinschauen sollte, da die Stimmen körperlos waren und einzig und allein das gleißende Licht ein Indikator für die Präsenz der Allmächtigen waren. Doch das brachte ihn nicht davon ab, endlich um Vergebung und Gnade zu flehen.

"Bitte! Bitte nicht! Sie ist alles, was ich je wollte! Es tut mir leid! Es tut mir leid!"

Seine Stimme war rau vom vielen Schreien und der deutliche Schmerz in seinen Worten hätten so manchen zum Mitleid getrieben. Aber die Mütter und Väter aller änderten ihre Meinung nicht und all das Betteln war vergebens.

Das Urteil hallte durch den Garten, das Licht verschwand. Und zurück blieb eine jämmerliche Gestalt, die sich nicht bewegen konnte. Ein atemraubender Stich schoss durch den Körper des Mannes und ein ohrenbetäubender Schrei wollte aus seinem Mund fliehen. Doch seine Kehle blieb stumm.

Der Fluch riss ihn in die Luft und er spürte, wie sein Körper barst. Jede Faser in ihm schmerzte und wehrte sich vehement gegen die Qualen. Doch die Mühe war vergebens. Die Macht zerrte an ihm, bis er keine Kraft mehr hatte und seine leere Hülle dumpf auf den Boden prallte. 

So lag er da und der Regen begann erneut sich zu ergießen. Die Tropfen, die sich erst kürzlich mit seinen eigenen Tränen vermischt hatten und ihm eine Art sanfter Trost gewesen waren, brannten nun auf den schwarzen Schlingen und Malen, die das verfluchte Urteil auf seinem einst makellosen Körper hinterlassen hatte.

Eine Weile, die für ihn wie eine ganze Ewigkeit erschien, lag er da und rührte sich nicht. Dann zwang er seinen Kopf, sich zu drehen, sodass seine Augen zu seiner Statue schauen konnten. 

Doch der Anblick schaffte es nicht, ihn zu beruhigen. Statt der vollkommene Form, die ihn sein ganzes Dasein begleitet hatte, thronte auf dem massiven Sockel nun nicht mehr als ein Haufen Gesteinsbrocken. Nur ihr Gesicht war noch zu erkennen, lediglich von einem klaffenden Riss geziert.

Die erbärmlichen Überbleibsel der Skulptur, die seinem Leben einen Sinn gegeben hatte, waren nun nicht mehr als eine stechende Erinnerung an seine Hoffnung und ein skrupelloser Spott des Schicksals. 

Er war verflucht. Und sie war verloren.




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