blühende wiesen
Es war Demeter, die dort auf einem warmen Stein Platz genommen hatte und ihre dünnen Finger durch die Gräser gleiten ließ. Sanfte Winde wehten durch die schwachen Sträucher, deren Blätter sich in einem langsamen Rhythmus bewegten. Die hellhörigen Ohren der Göttin, vernahmen melodisches Vogelgezwitscher. Sie hatten sich in dem kleinen Wald versteckt, denn sie trauten sich noch nicht hinaus zu kommen. Doch Demeter wusste, es bräuchte nur ein wenig Geduld, bis die Tiere sie wiedererkennen würden.
Die Mäuse und Hasen, die Eulen und Amseln, die Rehe und Füchse, sowie der kleine Schmetterling. Alle würden die Göttin wiedererkennen, da war sie sich sicher. Sie und ihre langen blonden Wellen, die in der strahlenden Sonne golden schimmerten. Sie mit dem markanten und blassen Gesicht, welches im Licht zu glitzern schien. Sie mit den verträumten blauen Augen, die umherwanderten, als wären sie in einer anderen Welt gefangen.
Eine Welt, für die sie zu sorgen hatte. Für dessen Vielfältigkeit und Fortbestand, sie verantwortlich war.
Dessen Schönheit sie zu beschützen hatte.
Die Hand der Göttin hatte sich wieder auf den Stein gelegt, welcher von der Sonne wohlig gewärmt worden war.
Ein Windstoß huschte unter ihr weißes Kleid, sodass es selbst Demeter kurz schüttelte. Doch schmunzelte sie wegen des kitzelnden Gefühls. Ihr Blick war verträumt weitergewandert. Zuerst gen Himmel, um sich selbst zu beruhigen, denn es war nur helles Blau zu sehen. Kein Anzeichen eines Sturms, der auf sie zu brausen könnte. Dann wieder hinab, zu einer Gestalt, die noch lieblicher war, als es Demeter selbst zu sein schien. Eine jüngere Göttin, dennoch erwachsen und genauso mächtig, mit seidenen rotbraunen Haaren und noch hellerer Haut als sie selbst. Diese wurde von leichten dunkelgrünen Stoffen bedeckt, während sich in ihren feinen Haaren einige Schmetterling niedergelassen hatte. Demeter ließ ein zufriedenes Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen, denn es war ein solch schöner Anblick, dass es ihr das Herz erwärmte. Ihre Tochter stand vor einem hohen Felsen, auf dem so eben ein großer brummiger Dachs erschienen war. Die junge Frau sprach mit dem Tier, als würde es etwas bedrücken. Auch Demeter lauschte dem Gespräch, denn es schien dem Dachs nicht gut zu gehen. Doch wusste sie, ihre Tochter konnte ihm genauso gut helfen, wie sie es könnte.
Wieder war das zufriedene Lächeln zurückgekehrt und der Blick hatte sich nun auf den eigenen Schoß gesenkt. Eine Maus war dort hinaufgeklettert, um sich verzweifelt mit der Göttin zu verständigen. Sie war so klein, dass man sie fast gar nicht sehen konnte. Aber Demeter verstand trotz alledem, was das winzige Wesen ihr zu überbringen hatte. Ein leicht besorgtes Nicken bekam die Maus, dann verschwand sie wieder von dem Schoß Demeters.
Leichte Unruhe hatte sich bei ihr breit gemacht, nun da das kleine Geschöpf ihr von vergangenen Wochen erzählt hatte. Die klaren Augen der Göttin registrierten Bewegungen ihrer Tochter, worauf sie ihren Kopf wieder zu dem Felsen wandte. Nun war der Dachs ebenfalls fort. Rote Haare wehten federleicht im sanften Wind. Ihre Tochter hatte den dünnen Stoff in die Hände genommen und lief wie ein edler Storch durch das hohe Gras. Dann trafen die Augen Persephones auf die ihrer Mutter.
"Was erzählte er?"
Demeter hatte einen besorgten Blick auf dem jungen Gesicht bemerkt.
"Sie dringen weiter und weiter in die Wälder vor," seufzte Persephone. Ohne nur ein Geräusch zu verursachen, ließ die Göttin sich neben ihrer Mutter nieder. "Sie werden von Jahrzehnt zu Jahrzehnt rücksichtsloser. Es bereitet mir Sorgen, Mutter."
Demeter nickte gewissenvoll.
"Es wird schlimmer," stimmte die Göttin ihrer Tochter zu. Für einen Moment schweiften ihre Gedanken ab zu ihren Geschwistern, die beinahe dieselben Wörter wie Persephone von sich gegeben hatten. Poseidon, der erzürnt darüber war, wie die Menschen Kriege auf den Meeren führten und es mit großen hölzernen Schiffen versuchten zu bezwingen. Aphrodite, welche sich sorgte, denn es gab kaum noch echte Liebe zwischen all den Menschen, nur Egoismus und das Streben nach Macht. Athena, die sich ihrer Weisheit missbraucht fühlte, denn all die Ratschläge waren nur für Mord und Gräueltaten benutzr worden. Hermes, der für den Schutz der Reisenden und Kaufleute nichts mehr übrig hatte, denn die Memschen waren allesamt Diebe geworden.
Demeter fragte sich, wie die nächsten Jahrzehnte und Jahrhundert wohl aussehen würden. Denn, so hofften die Götter immer wieder , eine neue Generation würde Vernunft bringen. Doch sie wusste bereits ganz genau, dass es wohl bereits hoffnungslos war. Seit der Geburt Persephones war es von Jahrhundert zu Jahrhundert schlimmer geworden. Der Glaube der Menschen schien langsam dahin zu schwinden, und so die Macht und der Einfluss der Götter. Demeter fragte sich wie lange ihr Bruder dies noch dulden würde. Der Göttervater war ebenso abhängig von der Verehrung der Menschen, wie alle anderen.
"Vater ist wütend, doch er unternimmt nichts," murmelte Persephone nachdenklich in sich hinein.
"Wir sollten geduldig sein und Zeus Zeit lassen, um einen Plan zu schmieden."
"Dafür hatte er wahrlich genug Zeit, Mutter!" Persephone hatte sich erhoben und laut ausgeschnauft. Die Augen der jungen Göttin blitzten feurig auf, als sie an all die letzten Jahre denken mussten, in welchen die Menschen für das eigene Vergnügen den Wald missbrauchten. Aus Zeitvertreib getötete Tiere, durch Schlachten zerstörte Natur, das Wegwerfen von prächtigen Früchten und Pflanzen. All das über welches ihre Mutter verfügten, herrschten und den Dörfern und Städten gaben. Sie wussten es nicht sicher, denn der Glaube schwand dahin. Aber Persephone und Demeter waren verantwortlich dafür, dass die Natur blühte und sprießte. Dass die Felder gedeihten und die Tiere gesund heranwuchsen. Die Undankbarkeit machte Persephone wütend.
Demeter hatte zu ihrer Tochter aufgeschaut. Ein liebliches Lächeln war auf dem Gesicht der Mutter erschienen. Sanft strich sie mit ihren Fingern einige Strähnen aus dem jungen Gesicht. Dann legte Demeter ihre Hand an Persephones Wange.
"Du hast das Temperament deines Vaters."
Die blasse Stirn der Tochter hatte sich gerunzelt. Für einen Moment dachte sie ihr Gegenüber würde lächeln, doch dann schob Persephone entschieden die Hand ihrer Mutter weg. "Du weißt, dass ich nicht mit Zeus verglichen werden möchte."
Jegliche Wärme war aus ihrer Stimme entwichen. Demeter konnte nur nicken, als ihr Kind an ihr vorbeilief. Kurzerhand beschloss sie ihr zu folgen. Die Beine der Göttinnen trugen sie weg von der Lichtung, zu dem dichten Wald, dessen Dunkelheit sie zu verschlucken wollen schien.
"Es wird Zeit zu gehen, Persephone," meinte die Mutter. Ihre Tochter war schon einige Schritte weitergelaufen. Den Blick hatte sie sanft auf die riesigen Bäume gelegt, deren Äste die leichten empfindlichen Blätter im Wind trugen und hin und her wankten. Das leise Rauschen war wie Musik für sie. Sie wollte kaum von hier weg. Persephone wollte nur den Blumen beim Wachsen zu sehen. Den Bäumen bei ihrem Gewisper zuhören und den Tieren beim friedlichen Gemahl zuschauen.
"Wohin denn? In den Olymp? Lass mich noch ein wenig hier bleiben, hier ist es besser als dort oben."
Demeter musste seufzen.
"Es ist wirklich Zeit zu gehen, Tochter. Wir werden Zeus heute von unseren Sorgen berichten können."
"Unsere Sorgen interessieren meinen Vater nicht. Bereits um Hermes oder Aphrodite schert er sich mehr," gab sie von sich. Verträumt strich ihre blasse Hand über die harte Rinde eines dicken Baumstammes.
"Du brauchst nicht auf mich zu warten, Mutter. Ich werde bald nachkommen. Doch übertrage du Zeus unsere Erfahrungen allein. Er wird noch eher auf dich hören, als auf mich."
Demeter biss sich verhalten auf ihre Lippen. Nachdenklich legte sie noch für einige Augenblicke ihre Aufmerksamkeit auf Persephone, die mit ihrem zierlichen Körper weiter durch die Büsche und Bäume streifte.
Doch dann beschloss die Göttin auf ihre Tochter zu hören und sie verschwand alleine um zum Olymp zurück zu kehren.
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