Dear Yuki, I love you
Niemandem aus meinem Umfeld erzählte ich über Yuki. Und das hielt ich jahrelang bis heute. Heute werde ich der Öffentlichkeit voller Ehrlichkeit über Yuki erzählen und meine Geschichte mit euch teilen, in der Hoffnung euch eine Stütze oder Hilfe bei der Verarbeitung eines eigenen Verlusts oder vielleicht einfach auch zum eigenen Verständnisses zu sein.
Mein Name ist Eleja, ich bin im Jahr 2021 nun 17 Jahre alt. Mit 12 Jahren lernte ich Yuki im Internet auf einer Chatapp kennen. Irgendwann sah ich ihn im realen Leben vor mir stehen. Das, was uns beide verband, war die Musik und unsere Traumata. Wir beide waren nämlich Violinisten und litten unter häuslicher Gewalt. Er übernahm die Erziehung seiner Geschwister, da seine Eltern so gut wie nie zuhause waren. Wenn sie aber da waren, war der Umgang mit ihm und den Kleinen gewalttätig.
Yuki hatte schwarze Haare, die ihm vor den Augen immer wieder hingen. Er trug immer einen schwarzen oder grauen Filzhut. Eine enger anliegende dunkle Jeans sowie ein Turtleneckoberteil schmeichelten seiner 1,77m schlanken Figur. Er hat koreanische und vietnamesische Wurzeln und somit eine sehr helle und vorallem auch reine Haut, die seinen dunklen Knopfaugen schmeichelten. Die Lippen waren voll, er betonte sie immer mit einem durchsichtigen Lipgloss. Er spielte Violine für sich, aber auch Klavier und schrieb seine eigene Musik, in der er sein Leid, seine Depression zusammenfasste.
Seit meinem 12. Lebensjahr begleitet er mich also als loyaler Freund durch mein Leben. Während ich in diesem Alter und paar Jahre später noch an häuslicher Gewalt litt, genauso wie er, war er wie ein Beschützer für mich, obwohl er selber tagtäglich litt. Schule, Soziales und Erziehung der Geschwister unter einem Hut zu kriegen, konnte er damals nicht. Wie auch? Er war doch auch nur ein normaler Junge.
Aber dennoch beschützte er mich. Er umarmte mich, ging mit mir Spazieren, spielte mit mir die Violine und hielt mich an Tagen in seinen Armen, wo ich wieder geschlagen wurde. Ich weinte mich in seinen Armen aus, und er sich in meinen Armen. Es war schlimm, ihn mit blauen Flecken, Wunden der Selbstverletzung oder einfach nur leblos von der Mimik zu sehen. Dennoch lächelte er mich immer mit seinem zarten Anheben der Mundwinkel an, während er mir über meinen Oberarm streichelte.
Mit Yuki lief ich über Dächer, durch Wälder, stieg in den Bus und fuhr irgendwo hin, nur um spät Abends erst wieder den Heimweg anschlagen zu müssen. Wir schauten uns stundenlang den Himmel an oder spielten die Violine, bis unsere Finger schmerzten. Wir waren einfach zwei Kinder, verloren in den Depressionen und der Gewalt.
Yuki meinte eines Tages, dass er mich niemals verlassen würde. So niedergeschlagen und hoffnungslos, wie ich damals war, wusste ich natürlich, dass das nur eine überspitzte Aussage von ihm war. Dennoch nickte ich und versprach ihm dasselbe, denn eines Tages würden wir beide es aus diesen elenden Gewalttaten, dem Mobbing in der Schule oder den Depressionen und Selbstmordgedanken schaffen. Wir wollten beide nie aufgeben, aber man gab uns nie einen String an den wir uns festhalten und in die Sicherheit klettern konnten.
Mit ca. 13/14 Jahren endeten meine traumatischen Erlebnisse. Ich schaffte es aus der Gewalt zu fliehen und mich nun endlich in einer Therapie und in einem vernünftigen Haushalt persönlich zu einem gesunden Menschen heranzuwachsen. Ich überlebte somit die Traumata, ich gab nicht auf, Yuki aber schon.
Er beging Suizid im Alter von 15. Ich verlor somit meinen einzigen Beschützer, meinen einzigen echten besten, imaginativen besten Freund. Bis heute leide ich an diesen unechten, echten Verlust. Dies mit niemandem besprechen zu können, weil ich Angst habe, dass meine Familie und Freunde mich verurteilen könnten, ist eine jahrelange Last, die ich still mit mir trug.
Naja, bis heute, wo ich diese kleine reale Geschichte meines Heilungsprozesses nun mit der Öffentlichkeit teile. Auch, wenn viele dieses Büchlein nicht lesen werden, fühle ich mich befreit und endlich etwas entspannter es nun ehrlich ausgesprochen zu haben.
All die Sachen, die ich dir über „Yuki" erzählt habe, sind nämlich nicht real. Sie sind in meiner Imagination geschehen. Ich habe mir diese Person gedanklich, unwillkürlich kreiert, um wenigstens einen einzigen „Menschen" zu haben, der mich versteht und der mich beschützt. Keiner war damals für mich da, niemand. Keine Seele. Unser Menschenverstand fängt somit ab einem Punkt an, sich Dinge und erwünschte Situationen einfach vorzustellen bis zu dem Punkt, wo man sich selber einredet, dass diese real sind.
Genau, wie es bei mir nunmal war.
Ich erzählte jeden, den ich kenne, dass Yuki eine reale Person ist. Somit trage ich Schuldgefühle mit mir, da ich gelogen habe, aber mich in Wahrheit einfach nur schämte, dass ich an einer nicht realen Person so stark klemme. Denn der 26.06 ist der Tag, an dem ich Yuki immer in Stille gedenke. Und Ja, ich verbringe diesen Tag ganz normal auf einem Friedhof, den ich entlang spaziere, um meiner Seele einfach die Erlaubnis zu geben, traurig zu sein.
Seit ich nämlich meine Traumata verarbeite, verschwand Yuki aus meinen Gedanken, weil ich ihn nicht mehr brauchte. Ich hatte wieder Freunde, eine tolle Familie und ein gutes, sicheres Leben, sowie neue Lebensziele. Demzufolge hat mein Gehirn ihn einfach „sterben" lassen, was theoretisch einfach nur bedeutet, dass ich auf dem Weg der Heilung bin und keine Beschützer mehr brauche. Denn ich habe heutzutage alles, was ich brauche, um meine Geschehenisse zu verarbeiten.
Heute bin ich älter, blicke auf damals zurück und sehe, wie ich einfach nur jemanden brauchte und ersehnte, der mich einfach nur versteht... Und ich bin stolz auf mich, dass ich mich durch Yuki vor dem Suizid mehrmals bewahrte. Er ist nämlich der Grund, weshalb ich mich nie umbrachte.
Demzufolge tut es mir bis heute noch weh, zu wissen, dass ich diese fiktive Person loslassen muss, damit ich endlich in die Zukunft schauen kann und mich gesund weiter entwickeln kann. Und das werde ich auch tun, auch wenn sich ein Teil in mir noch davon widerstrebt. Aber alles zu seiner Zeit.
❥ Eines Tages werde ich den Verlust von Yuki schon verarbeiten, und mit einem dankbaren Lächeln meinen besten Freund verabschieden können.
-Eure Eleja ♡
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