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Die restliche Woche besteht eigentlich nur noch aus der Chemie- und der Koreanischprüfung, die beide tatsächlich relativ gut laufen, und Tage gehen schnell vorbei, wenn man nur lernt oder schläft. Ich trage auch nichts anderes als Jenos Hoodies und Jogginghosen. Aber Letzteres liegt vor allem daran, dass ich nicht mehr in meine Jeans passe.

Ich bin zu dick geworden.

Über die Woche kann ich mich nicht dafür interessieren, ich esse ja sowieso kaum durch meine Aufregung und wenn, dann durch Jeno, und da könnte ich sowieso nichts sagen. Aber als er Samstagvormittag duschen ist, probiere ich alle meine Hosen durch, und meine Vermutung bestätigt sich – keine von ihnen passt mir noch.

Ich schlucke die Tränen des Frustes herunter und gehe nach Jeno duschen, wiege mich und stelle fest, dass ich seit meinem letzten Mal deutlich zugenommen habe. Und das ist gerade mal einen Monat her, sogar weniger.

Ich weine immer noch nicht. Ziehe nur den größten Hoodie an, den ich finden kann, und verstecke meinen Bauch vor Jeno. Ich hoffe, er merkt es nicht.

"Warum isst du nicht, Baby?", fragt er aber leise, als ich nur neben ihm sitze und ab und zu ein wenig Reis mit ganz viel Wasser herunterspüle.

"Keinen Hunger", murmle ich.

Er mustert mich besorgt. "Du musst aber was essen, du hast die ganze Woche schon viel zu wenig zu dir genommen. Wenigstens eine kleine Portion", schiebt er noch hinterher.

Ich schlucke. "Ich hab zugenommen, Jeno."

Ein Strahlen geht über sein Gesicht. "Baby, das ist großartig!" Was zum Teufel soll daran toll sein, geschweige denn großartig?

"Ist es nicht", erwidere ich deshalb, "ich– Ich bin zu dick für meine Hosen geworden."

Jeno wendet sich mir zu und streicht leicht über mein Bein. "Die deine Mutter kaufen musste, weil du in deine eigentlichen nicht mehr passt."

"Und wo sind die dann? Ich hab's doch eben ausprobiert, keine einzige passt mir mehr!" Ich kralle mich in meinen Hoodie und muss mich davon abhalten, mich von Jeno abzuwenden.

"Baby. Komm her. Na komm", etwas nachdrücklicher, als ich mich nicht rege. Ich schlucke die Tränen herunter und drehe mich zu Jeno, der meine Hände in seine nimmt und sie sanft drückt.

"An welches Gewicht erinnerst du dich?"

"Siebenundfünfzig", murmle ich, "a-aber ich hab mich ...um Renjuns Geburtstag gewogen und da– da waren es bisschen weniger als sechsundfünfzig."

"Du bist bis vierundfünfzig runtergegangen, Nana. Vielleicht sogar noch weiter. Und das, obwohl du die meiste Zeit normal gegessen hast. Vierundfünfzig Kilo, Baby", wiederholt er mit Nachdruck. "Ich wieg knapp über sechzig, und das sind keine sechs Kilo Muskelmasse."

Ich unterdrücke ein Schluchzen. "Ich hab die Knöpfe alle nicht mehr zugekriegt."

"Das ist was Gutes, mein Engel." Jenos Stimme ist so sanft. "Das ist großartig. Es fühlt sich vielleicht nicht so an, aber so ist es. Ich weiß nicht, wo deine alten Hosen ist, da musst du deine Mutter fragen. In die wirst du aber mit Sicherheit passen. Vermutlich mit Gürtel, aber sie werden dir passen. Und bevor du den nicht weglassen kannst, hörst du nicht auf zu essen."

Ich wische mir über die Wangen. "Und wenn du mich nicht mehr tragen kannst?"

"Baby", flüstert er liebevoll, "ich werde dich immer tragen können. Du hast gar keine andere Wahl."

"Ich will nicht so viel wiegen."

"Wie viel?"

"Über siebenundfünfzig."

"Prinzessin." Ich schluchze. "Das ist nicht viel. Nicht ansatzweise. Du kannst mehr wiegen als ich und es ist immer noch nicht viel."

"Doch", wimmere ich.

"Nein, Baby. Du musst nicht zunehmen, wenn du das nicht möchtest, aber nimm nicht ab, okay?"

"Okay."

"Okay." Jeno drückt mir einen Kuss auf den Handrücken. "Komm her, mein Engel." Er lässt meine Hände los und streckt seine Arme aus, sodass ich gegen ihn sinke und in seine Schulter schluchze. Ich will weder zunehmen noch abnehmen, und auch nicht bei meinem Gewicht bleiben. Ich will einfach kein Gewicht haben.

"Dein Gewicht ist völlig in Ordnung", flüstert Jeno in meine Haare. "Und es ist mir egal, ob du mehr wiegst als ich, ich werde dich immer tragen. Und wenn das der einzige Grund ist, aus dem ich trainieren gehe."

Ich lache, schluchze. "Dann bist du wenigstens motiviert."

"Genau", schmunzelt er, wird aber wieder ernst. "Ich möchte nicht, dass du für mich dein Gewicht veränderst, okay? Wenn du nicht weißt, wie viel du wiegen musst oder solltest oder weiß ich nicht, geh zum Arzt und lass dich beraten. Der kann dir das mit Sicherheit sagen. Und wenn du zufrieden bist, wie es ist, dann musst du auch nichts ändern. Aber mach das bitte nicht von den Hosen abhängig, die du gekriegt hast, weil du so viel dünner geworden bist."

Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

"Ich bin so in dich verliebt, Jeno."

Eine weitere Stille, ich werde knallrot und traue mich nicht, mich von Jeno wegzubewegen.

Dann bemerke ich, dass er zittert.

"Ich... Ich auch in dich."

Und schon weint er in meine Schulter.

"Tut mir leid", flüstere ich.

"Nein! Nein, Gott, das–" Er schluchzt. "Hast du das gerade wirklich gesagt?"

"Ich bin in dich verliebt, Nono", wiederhole ich leise, laufe wieder rot an. "Ich bin– Ich bin wirklich richtig in dich verliebt."

"Scheiße."

Dann kann er eine Weile nichts mehr sagen.

"Das macht mich so glücklich, Jaemin. Ehrlich."

Ich kraule durch seine Haare. "Das ist gut", flüstere ich, "dann sag ich das jetzt ständig."

Er lacht schwach auf. "Bitte."

"Ich bin in dich verliebt", sage ich wieder, und sein Schluchzen klingt so schmerzhaft wie erleichtert.

"Ich liebe dich, Jaemin. Ich, ich–"

"Kkum. Aegi. Nicht weinen. Bitte. Ich will doch, dass du glücklich bist."

"Ich bin glücklich. Das sind Freudentränen. Gott, Jaemin."

Eine unbändige Freude macht sich in mir breit. "Ich bin so unfassbar in dich verliebt."

"Hör auf, ich vertrag das nicht so oft."

"Tut mir leid." Ich bin in ihn verliebt. Ich habe ihm gesagt, dass ich in ihn verliebt bin. Das ist ja wohl hoffentlich die Vorstufe zu dem, was ich endlich erreichen will.

"Nana, Engel, das... Oh Gott."

"Können wir hochgehen, Jeno?", frage ich leise. "Ich muss dich küssen, bis du umfällst."

"Du musst essen, Baby."

"Ich nehm's mit. Und du auch. Und was zu trinken brauchst du auch, damit du nicht austrocknest. Ich halt dich auch fest, Nono, das versprech ich dir."

"Jaemin, das... Ich kann überhaupt nicht..."

"Ich bring dich hoch, aegi", flüstere ich, "und dann hol ich unser Essen und was zu trinken und kuschel dann mit dir, bis du dich besser fühlst. Klingt das gut?"

Er nickt in meine Schulter, also nehme ich vorsichtig seine Hände von meinem Rücken und halte seine rechte in meiner, helfe ihm auf die Füße und lege meinen Arm um ihn. So gehen wir nach oben, und ich überschütte ihn mit kurzen Küssen, als er auf unserem Bett sicher ist, bevor ich nach unten haste und mit den Sachen plus einer Packung Taschentücher zu meinem weinenden Freund zurückkehre.

Das Taschentuch gebe ich ihm auch als Erstes, kraule durch seine Haare und wische eine Wimper von seiner Wange, die er nicht erwischt hat.

"Weißt du was?", flüstere ich, seinen Kopf in meine Hände nehmend. "Ich bin in dich verliebt, Lee Jeno."

Er lacht und schluchzt und weint weiter. "Das werde ich nie wieder vergessen können."

"Das ist gut", lächle ich und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. "Ich werde damit nämlich erst aufhören, wenn ich dich liebe."

"Fuck."

Ich setze mich auf seinen Schoß und streiche vorsichtig über seine Wangen. Er ist so hübsch, auch wenn er weint und seine Wimpern verklebt sind und er mich kaum ansehen kann und ich muss ihn küssen.

"Du musst essen, aegi."

"Du auch."

Wir tun es beide nicht. Küssen uns nur, bis er aufhört zu weinen.

"Jetzt sag ich's erstmal nicht mehr, okay?" Ich beschäftige mich sorgfältig damit, seine Wangen zu trocknen. "Damit du essen kannst."

"Okay." Er atmet einmal tief durch und zieht mich an sich, vergräbt das Gesicht an meiner Schulter. Ich kraule durch seine Haare, bis er sich zögerlich von mir löst und wir essen, bevor ich wieder auf seinen Schoß krabble und die Arme um ihn schlinge.

"Du hast übermorgen Geburtstag", flüstere ich. Ich muss bis dahin nur noch irgendwie mehr Klavier spielen, damit ich die beiden Stücke für ihn hinkriege. Einigermaßen kann ich sie jetzt schon, ich habe mir am Mittwoch von Yangyang in der Schule Nachhilfe geben lassen und die meiste Zeit mit Klavierspielen verbracht – und wie Jeno das so schön sagte, mein Körper erinnert sich. Ich konnte Stücke fast auswendig, die ich jahrelang nicht gespielt habe, also zumindest in meiner Erinnerung. Aber Jeno hat ja schon gesagt, dass ich wieder Klavier gespielt habe, also überrascht mich das nicht.

Ich habe in meiner Galerie gefühlt jedes meiner Stücke abfotografiert, sodass ich mich eine Weile einspielen konnte, bevor ich dann für Jeno gelernt habe. Irgendwie wird das langsam richtig viel für seinen Geburtstag, ich habe mit unseren Eltern nämlich auch abgemacht, dass wir abends was bestellen, und dann eben noch meine Geschenke. Eigentlich will ich ihm auch noch Energy kaufen, aber das schaffe ich wohl eher nicht mehr. Bis auf meine Dose sind die nämlich alle weg – ich traue mich irgendwie nicht, was dumm ist, weil ich bei Jenos jedes Mal auf eine sehr schöne Weise mitgetrunken habe – und er hat die für die Prüfungen gut gebraucht, meinte er. Vielleicht müssen wir morgen dann nochmal los.

Und vielleicht finde ich dann auch heraus, woran eine Energydose mich erinnern soll.

"Dann bin ich achtzehn." Er seufzt. "Die Zeit rennt."

"Mhm." Gefühlt war es gerade erst Ende Februar. "Mein Baby wird groß."

"Ich dachte, Jisung ist dein Baby."

"Ich hab zwei Babys. Ein Baby, das mein Kind ist, und ein Baby, in das ich unglaublich verliebt bin."

Er lacht schwach auf. "Du bringst mich wieder zum Heulen."

"Ich sag nichts mehr." Ziehe ihn nur so dicht an mich wie überhaupt möglich. "Brauchst du Energys?"

"Ich dachte, ich soll davon nicht so viele trinken."

"Sollst du auch nicht. Aber wenn sie dir in den Prüfungen helfen, dann erlaub ich das."

"Meine Mutter aber wohl nicht", schmunzelt er. "Außerdem will ich heute nicht nochmal raus."

"Morgen ist auch noch ein Tag."

"Mhm." Aufseufzend vergräbt er sein Gesicht an meinem Hals. "Ich liebe dich, Baby."

"Ich will dich nicht zum Weinen bringen, deshalb sag ich das jetzt nicht, aber ich denke es gerade."

Als er einatmet, zittert er. Ich drücke ihn also so fest ich kann an mich.

"Können wir doch Freitag mit den anderen feiern?", fragt er leise. "Ich will den Samstag mit dir verbringen."

Ich bin ein Chamäleon und Jenos Worte eine rote Wand.

"Ich bin da doch auch dabei."

"Ich weiß. Aber ich will ihn nur mit dir verbringen. Und mit dir kuscheln. Und andere Sachen."

Ich schnipse gegen seinen Hinterkopf, während meine Wangen noch hitziger werden. "Dann haben wir aber nicht viel von den anderen. Außerdem siehst du mich jeden Tag rund um die Uhr."

"Mir egal. Das wünsch ich mir zum Geburtstag."

Ich seufze leise. "Ach, Nono."

"...Ist das schlimm?"

"Nein. Und wenn du das so willst, dann hab ich auch keine Einwände. Aber Mark-hyung ist eben bald weg, deshalb, weißt du?"

"Ja." Ich spüre beinahe seine Lippen an meinem Hals. "Wir müssen uns auch nochmal mit ihnen treffen in den Ferien und das ganz viel ausnutzen. Aber wir schreiben nächste Woche vier Klausuren und da bin ich gestresst und du bist gestresst und da können wir das Wochenende gut zum Stressabbau gebrauchen."

"Bevor es dann wieder losgeht", murmle ich.

"Ich kann's dich vergessen lassen, glaub mir."

"Glaub ich dir auf's Wort."

Er lacht leise auf. "Du brauchst es nur zu sagen, Baby."

"Das heb ich mir noch auf."

"Dann wiederholen wir's einfach nochmal."

Stille.

"Ich weiß nicht, Jeno", flüstere ich.

"Musst du auch nicht, mein Engel. Lass dir Zeit."

Ich male auf seinem Rücken herum. "Ist das nicht... zu früh?"

"Das ist deine Entscheidung." Er haucht einen Kuss auf meinen Hals, aus dem aber schnell mehr werden.

Ich schließe die Augen. "Ich weiß es nicht."

"Dann tu, was du willst und was sich richtig anfühlt."

21-01-05 ;)
feelings - lauv

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