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Eomma will, dass ich wieder zur Schule gehe, aber ich will nicht. Schon klar, da finde ich besser zurück zum Stoff, und ich kann nicht für immer zu Hause bleiben, aber ich kriege allein bei dem Gedanken, Jeno allein zu lassen, Angstzustände. Okay, richtig allein ist er nicht, schließlich ist seine Mutter auch noch da – aber das hat ihn ja sonst auch nicht abgehalten. Außerdem kann ich nicht einfach zurückkommen und dafür sorgen, dass es ihm besser geht.

Freitag lässt sie mich noch zu Hause bleiben – hauptsächlich aber, weil ich Donnerstag gekotzt habe –, und auch wenn ich über's Wochenende mit ihr darüber diskutiere, fast streite, muss ich am Montag zur Schule. Dementsprechend schlafe ich nicht nur schlecht, sondern auch wenig, weshalb ich meinen Wecker direkt mit seinem ersten Klingeln auf Snooze schalte und mich mit einem Jammern wieder an Jeno kuschle.

Der wird erst beim nächsten Klingeln wach, schaltet es aus und vergräbt sein Gesicht im Kissen.

"Das ist Folter", murmelt er.

"'t mir leid", gebe ich zurück. Er schnauft nur, streicht ein Mal durch meine Haare.

Eine Viertelstunde quälen wir uns noch, bis ich mich endlich aufrichten kann und Jeno sich auf die andere Seite dreht. Ich fahre durch sein zerzaustes Haar und er dreht seinen Kopf meinen Fingern hinterher.

"Ich bin gleich wieder da", flüstere ich, er murrt leise und gottverdammt bist du niedlich wenn du müde bist.

Um noch eine Weile bei ihm sein zu können, beeile ich mich im Bad und ziehe mich dort auch an, um ihn nicht mit Licht zu strafen.

Es ist dunkel und still in meinem Zimmer, ich höre nur Jenos ruhiges Atmen. Er reagiert schon nicht mehr, als ich mich zu ihm setze, seufzt nur auf, als ich wieder durch seine Haare kraule. Sie sind weich unter meinen Fingern, und ich könnte den Rest des Tages hier verbringen.

Stattdessen sind es gerade einmal zwei Minuten, bis ich von Eommas Rufen zusammenzucke und meine Hand zurückziehe. Jeno regt sich nicht, und nach kurzem Zögern drücke ich ihm einen Kuss auf die Lippen.

"Bis nachher", flüstere ich, "ich meld mich bei dir. Schlaf dich aus. Promise, kkum."

Als ich ihn erneut küsse, erwidert er es.

***

Ich nehme mir vor, ihm jede Pause zu schreiben, aber in der ersten muss ich mich nach einem Guten Morgen an ihn erst einmal unseren Freunden widmen, die nämlich alle keine Ahnung haben, was seit Renjuns Geburtstag passiert ist.

Dass ich Jeno geküsst habe, sage ich nicht. Dass ich ihn immer noch küsse, auch nicht. Dass ich mich Donnerstag übergeben habe. Dass ich meinen Ring wiederhabe – der hängt an einer Kette von Eomma an meinem Hals. Dass mein Herz aus Sorge um Jeno den ganzen Tag ständig höher schlägt. Dass es bei dem Gedanken an seine Küsse diesen winzigen Satz macht. Dass ich seine Lippen vermisse. Ihn vermisse. Auch wenn sie wenigstens das wohl merken, allein schon, weil ich sogar im Unterricht immer wieder auf mein Handy sehe.

Je näher das letzte Klingeln kommt, desto unruhiger werde ich, als es erklingt, springe ich fast sofort auf, in der Hoffnung, dass Eomma schon da ist und ich mich aus gutem Grund beeile.

Von den anderen verabschiede ich mich trotzdem, verspreche ihnen sogar, Jeno – und Eomma – zu fragen, ob wir uns am Wochenende alle zusammen treffen können, bevor ich aus dem Haupteingang husche und zwischen einigen Schülergruppen hindurchquetsche.

"Jaemin!" Wie eingefroren bleibe ich stehen, sehe mich nach Jisoo um. Sie kommt vom südlichen Eingang, rennt, während ich ihr entgegengehe.

"Was–"

"Ich darf meinen Bus nicht verpassen", sie holt tief Luft, "aber ich wollte dich noch sehen. Wie geht's dir, wie geht's Jeno? Bei ihm hat's... gebrannt?"

Ich nicke. "Er und seine Mutter wohnen jetzt bei uns. Ich bin okay, bisschen angeschlagen, Jeno... ging es vorher deutlich besser." Und da ging es ihm ja schon nicht gut.

Sie sieht mich bestürzt an. "So schlimm?"

Ich zucke mit den Schultern. "Wenigstens halt ich ihn davon ab, sich umzubringen."

Sie erstarrt. Shit, das wusstest du doch gar nicht.

"Okay, Jaemin, wir reden nochmal darüber, wenn du das möchtest." Mir treten plötzlich Tränen in die Augen. "So wie du aussiehst, hast du das nämlich mit niemandem getan. Also, falls du willst, bin ich für dich da. Grüß Jeno ganz lieb von mir, er soll auf sich aufpassen und genug essen. Und trinken. Du auch, ja?"

Ich nicke. "Ich versuch's." Ich muss mich räuspern.

"Das reicht schon. Ich muss los. Ich hasse die Uhrzeiten", jammert sie, sieht mich aber gleich darauf wieder ernst an. "Ich weiß, dass du dich nicht daran erinnerst, dass ich deine Freundin statt potenzieller Beziehungspartnerin geworden bin, und wenn du erst einmal nicht mit mir reden willst, dann ist das vollkommen okay. Du musst es mir nur sagen. Wenn du mich ganz viel sehen willst, bin ich auch dabei, auch wenn das momentan mit den Prüfungen nicht klappt. Ich bin für das, was für dich am besten ist."

"Okay." Warum ist sie so toll?

"Gut. Meld dich mal zwischendurch, und wenn ihr Stoff oder Nachhilfe braucht, ich bin für euch da."

"Danke. Wirklich, danke, Soo."

Sie lächelt. "Hey, du erinnerst dich doch an was, Minnie."

"Das war's aber auch", murmle ich. "Ich will mit dir reden. Ganz dringend sogar. Ich sag dir Bescheid."

"Mach das. Wir sehen uns morgen wieder, hm?" Ich nicke. "Bis dann. Du bist toll und machst das großartig mit Jeno. Ihr seid toll."

"Ich hab ihn geküsst", platzt es aus mir heraus. "Und irgendwie machen wir damit jetzt weiter und es ist komisch, weil es nicht ist, weil ich ihn liebe, aber warum es dann ist, weiß ich auch nicht. Und, und..." Ich nehme den Ring heraus und halte ihn ihr hin. "Den sollte ich auch nur tragen, weil ich ihn liebe, aber ich trage ihn, weil ich mich sonst unvollständig fühle."

Sie sieht von meinen zitternden Fingern zu mir auf, nimmt meinen Kopf in ihre Hände. Es erinnert mich an Jenos Unfall, als ich auch so gezittert habe, weil ich mir solche Sorgen gemacht habe.

"Jaemin. Ich verspreche dir, dass wir darüber reden. Auch gerne heute, wenn du das brauchst. Jetzt muss ich aber los. Du kannst mich anrufen, wenn du zu Hause bist. Ich bin für dich da. Und es ist schon ein Anfang, dass ihr es überhaupt tut, okay? Was das letztendlich bedeutet oder auch nicht, kommt auch noch."

Ich blinzle heftig. "Er ist so traurig, Jisoo."

"Ich weiß. Gott, ich weiß. Aber das wird wieder, hörst du? Es wird alles wieder gut." Sie umarmt mich fest und ich kann es nicht einmal mehr erwidern, bevor sie mich schon wieder loslässt. "Ich hab dich lieb, Min."

"Ich dich auch, Soo."

Dann ist sie weg.

Ich schiebe den Ring wieder unter meinen Hoodie und mache mich auf die Suche nach Eomma.

***

Jeno ist nicht unten, als wir nach Hause kommen, und Dabin teilt uns mit, dass sie ihn nicht zum Essen kriegen konnte und er den ganzen Vormittag in meinem Zimmer geblieben ist. Also gehe ich als Allererstes nach oben – und finde ihn schlafend auf dem gemachten Bett. Er hat sich umgezogen, vermutlich auch ansonsten fertig gemacht – und da er mir geschrieben hat, kann er noch nicht all zu lange wieder hier liegen.

Trotzdem wecke ich ihn auf, weil er essen soll.

"Jeno-ssi." Ich stupse ihn an. "Kkum." Er schüttelt den Kopf. "Du musst was essen. Danach kannst du auch wieder ins Bett."

Keine Reaktion.

"Jen, du musst essen." Ein leises Schnaufen. Ich muss lächeln. "Sonst ess ich auch nichts."

Er murrt leise irgendwas in die Richtung, dass ich gemein bin, aber ich verstehe ihn kaum und bin auch zu abgelenkt von seinem Seitenprofil.

Ich platziere einen Kuss auf seiner Wange. "Wenn du aufstehst, kriegst du eine Belohnung", versuche ich es, und er schlägt die Augen auf, sieht mich misstrauisch an.

Ich muss grinsen. "Na komm."

Er blinzelt noch einmal, bevor er sich schwerfällig aufrichtet, sich die Augen reibt. Dann gähnt er und ich hasse es, dass er so niedlich ist.

"Geht doch." Er schnieft, sieht mich beleidigt an. "Ist ja gut." Himmel, dieses Lächeln. Es ist nur so klein und trotzdem so viel wert.

Ich lehne mich also zu ihm und muss davon schon lächeln, von seinem ungeduldigen Schmollen erst recht.

"Hi", flüstere ich dann, und küsse ihn.

Es fühlt sich an, als wäre alles in Ordnung, wenn seine Lippen auf meinen liegen. Als wäre alles ganz normal, als wäre er okay und ich auch.

"Ich hab mir–"

Gegen so eine Unterbrechung habe ich nichts. Ich lege meine Arme um seine Schultern, ziehe ihn dichter zu mir, und er scheint den Halt zu verlieren, denn ich falle gleich darauf auf die Matratze. Er bleibt über mir, seine Lippen auf meinen, und ich schiebe ihn erst von mir weg, als ich Luft brauche.

"Entschuldige", sagt er leise. Ich schüttle den Kopf und lasse meine Hände in seinen Nacken gleiten, kraule mit einer durch seine Haare, streiche mit der anderen über seine Wange.

"Wie war dein Vormittag?", frage ich.

Er zuckt mit den Schultern. "Hab gelernt."

"Und nichts gegessen", schelte ich ihn liebevoll.

"Vergessen", murmelt er. "Wollte eigentlich, nachdem Eomma mich gerufen hat, aber... Naja."

"Kannst du denn jetzt was essen?"

"Hm." Ich bin mir nicht hunderprozentig sicher, was das heißen soll, aber kann mich damit auch nicht weiter befassen, weil er mir nicht mehr in die Augen sieht und mich das auch ablenkt.

"Was ich eigentlich sagen wollte, bevor du mich unterbrochen hast: Ich hab mir überlegt, dass wir heute vielleicht ein paar Klamotten für dich kaufen. Ich find's toll, meine mit dir zu teilen, aber ich weiß nicht, ob sie reichen."

"Hm."

"Hörst du mir überhaupt zu?" Oder bist du zu abgelenkt von mir?

"Hm."

Ich muss lachen und küsse ihn. "Jetzt besser?"

"Hm." Er richtet sich auf. "Im Internet oder in der echten Welt?"

"Was dir lieber ist."

"Lässt deine Mutter dich raus?"

Ich setze mich auf und drücke ihm auf dem Weg einen Kuss auf die Lippen. "Können wir sie ja fragen, während wir essen."

Er nickt leicht und lässt sich von mir hochziehen, folgt mir die Treppe hinunter und in die Küche. Immer wenn er da so steht, mich einfach nur ansehend, mit einem Blick, den ich nicht verstehe, sieht er aus wie ein Welpe. Aber wären wir allein, würde ich ihn jedes Mal dafür küssen.

Ich kriege Eommas Erlaubnis, also gehen wir direkt nach dem Essen los. Erst einmal soll ich bezahlen, sagt sie, als Dabin nicht hinhört, ich kriege mindestens einen Teil des Geldes zurück.

Abgesehen von den Grundlagen treiben wir noch einige Hoodies und Shirts auf, und mit seiner Erlaubnis leiste ich ihm Gesellschaft in der Umkleide.

"Fang mit den T-Shirts an", sage ich, als er zwischen den ganzen Kleidungsstücken hin- und hersieht. Er nickt leicht, und ich setze mich auf den Hocker, halte seine Jacke. Ich hoffe, dass sein Mantel noch da ist, noch ist es nämlich eigentlich zu kalt für so wenig Stoff.

Ich falle fast vom Hocker, als er sich das T-Shirt auszieht. "Oh mein Gott", entkommt es mir, "Jeno, was zum Teufel, heilige Scheiße–"

Er folgt meinen Blick zu seinem Bauch, auf dem man, wie man so schön sagt, Wäsche waschen könnte.

"Daran müsstest du dich eigentlich noch erinnern."

"Tu ich auch, aber, Himmel, das ist doch... das..." Ich schlucke, bin sprachlos. Und kann nicht wegsehen.

"Jaemin", Jeno spricht leise, "wenn du weitermachst, wird's für mich peinlich." Ich zucke zurück, entschuldige mich, und reibe mir die Augen, während er das erste T-Shirt anzieht.

Ich kann kaum an etwas anderes denken.

Am Ende sind es zwei Shirts und drei Hoodies, und Jeno bedankt sich leise bei mir, als wir den Laden verlassen.

"Ich hab auch Nutzen davon", erwidere ich, "jetzt kann ich dir wieder Hoodies klauen, ohne meine eigenen zu tragen."

Er lächelt schwach. "Stimmt."

Ich bleibe stehen und nehme seine Hand. "Das eben tut mir leid."

"Schon okay." Er sieht zu mir auf und auf unsere verschränkten Finger hinab. "Du wusstest das nicht."

"Tut mir trotzdem leid."

"Alles okay."

Trotzdem sagen wir nichts, bis wir wieder zurück sind, und dann auch nicht zu einander.

Stattdessen sind es Eomma und Dabin, die uns im Flur begegnen.

"Wir dürfen rein", sagt Jenos Mutter zu ihm, und seine Gesichtszüge werden noch ausdrucksloser. "Wollt ihr mit?"

Ich sehe Jeno an, und er schüttelt den Kopf. "Morgen", schiebt er noch hinterher.

"Ist gut." Wir kriegen gleichzeitig von unseren Müttern einen Kuss auf die Wange gedrückt, dann sind sie weg.

Ich folge Jeno stumm die Treppe hoch, und er stellt noch die Tasche ans Fußende des Betts, bevor er auf die Matratze sinkt und zur Seite fällt, die Augen schließt. Ich setze mich zu ihm, warte, bis er etwas sagt.

"Ich kann nicht mehr", flüstert er irgendwann. Ich biete ihm meinen Schoß an, als er die Augen öffnet, und als er seinen Kopf auf meinen Beinen ablegt, kraule ich durch seine Haare.

"Die anderen haben gefragt, ob wir uns bald wieder treffen können", erzähle ich leise. "Und mit Jisoo will ich mich auch bald treffen." Seine Augen zucken, aber er sagt nichts. "Da ich dich nicht länger allein lassen will als nötig, möchte ich, dass du, sofern du das willst, zu Mark-hyung oder so gehst. Oder einer kommt her, das ist mir egal. So lange du nicht allein bist."

"Okay", sagt er leise.

"Gut." Ich schließe meine Augen. "Und wenn du mich brauchst, komm ich zu dir. Jederzeit. Jisoo– Sie weiß Bescheid. Ist das okay?" Er nickt schwach. "Okay. Und deshalb ist das auch völlig in Ordnung, wenn du willst, dass ich zurückkomme. Vielleicht kommt sie auch her, ich weiß es nicht. Das erfährst du schon noch."

"Okay."

"Ich muss morgen erst zur dritten zur Schule. Wollen wir zusammen aufstehen?"

"Ja."

Ich betrachte ihn noch eine Weile, bis ich die erste Träne auf seiner Wange sehe. Dann küsse ich ihn, bis er nicht mehr weint.

20-12-07 glaubt mir wenn ich sage dass ich n mental breakdown beim raussuchen eines abs-bildes von jeno hatte ㅠㅠ

frohe Weihnachten euch allen ❤️
ich hoffe, ihr habt einen schönen Nachmittag und Abend, schlagt euch die Bäuche mit gutem Essen voll und freut euch über eure Geschenke. ich denke, wir sehen uns nach den Weihnachtsfeiertagen wieder. habt eine schöne Zeit ❤️

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