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Jenos Stimme weckt mich auf.

"Jaemin, bitte."

"Was..." Ich richte mich auf und sehe noch seine tränenüberströmten Wangen, bevor er gegen mich sinkt und ich überfordert meine Arme um ihn lege. "Was ist passiert?" Ich muss gähnen. Konzentrier dich.

"Du darfst nicht gehen." Er schluchzt. "Lass mich nicht allein."

"Hab ich nicht vor, ich... Hast du schlecht geträumt? Tut mir leid, ich bin noch nicht ganz wach." Ich fange an, durch seine Haare zu kraulen. "Beruhig dich einfach erst einmal, und dann sehen wir weiter, okay? Alles ist gut. Ich bin hier und ich werde bleiben."

Während er in meine Schulter weint, fallen mir immer wieder die Augen zu, aber ich zwinge mich, sie offen zu halten. Ich muss nur wach bleiben. Nur dafür sorgen, dass Jeno nicht allein ist. Nicht einschlafen. Nicht einschlafen.

Ich nicke natürlich trotzdem weg, zucke deshalb zusammen, als Jeno mich loslässt und sich aufrichtet.

"Okay?", frage ich leise, er nickt und ich trockne seine Wangen. "Möchtest du darüber reden?"

"Ich... kann mir nicht mehr wehtun. Weil du bei mir bist und weil ich– nichts dafür habe. Deshalb spielt... spielen meine Gedanken verrückt."

"Wie schlimm ist es?" Ich nehme seine Hände in meine.

"Ich war kurz davor, euren Tablettenschrank zu vernichten."

Ich schlucke trocken. "Danke, dass du mich geweckt hast. Du... du kannst mich immer wecken, okay? Bitte mach das auch. Ich will nicht... Ich will dich nicht verlieren, wenn ich bei dir bin und etwas hätte tun können."

"Ich versuch's. Promise", schiebt er hinterher.

"Promise", erwidere ich leise. Er hält mir sogar seinen kleinen Finger hin und ich verhake ihn mit meinem. Jenos Augen sind dunkel und schön und bringen mich dazu, ihn zu küssen.

"Möchtest du weiterschlafen?", frage ich, noch gegen seine Lippen.

"Gleich." Er küsst mich wieder. Es ist noch viel schöner, wenn es von ihm kommt.

Wir legen uns hin und er vergräbt sein Kopf an meiner Brust, also umarme ich ihn und vergrabe meine Nase in seinen Haaren. Es ist seltsam und trotzdem schön, dass er nach meinem Shampoo riecht.

"Bald bist du wie ich", murmle ich, "wenn du meine Klamotten und Duschsachen benutzt. Und das gleiche Waschmittel. Und Zahnpasta. Und..." Mehr fällt mir nicht ein.

"Das ist schön", erwidert er, bewegt seinen Kopf leicht, und sein Bein rutscht zwischen meine.

"Ja." Ich kann meine Augen nicht länger offen halten. "Aber du riechst immer noch am besten."

"Ansichtssache."

"Du musst mich immer wecken, wenn du wach wirst, okay?"

"Ich versuch's."

"Schlaf gut, Jeno", flüstere ich. Er antwortet nicht mehr, und auch ich bin kurz darauf weg.

Mein Handyklingeln weckt mich nicht viel später wieder auf.

"Ich hab den doch ausgemacht", murmelt Jeno in meine Schulter.

"Ist meiner." Ich taste auf meinem Nachttisch nach meinem Handy. "Hab den eigentlich umgestellt."

"Mach's weg", jammert Jeno, und ich lache schwach auf, finde in dem Moment den Bildschirm und wische das nervige Klingeln weg.

"Soll ich neu stellen oder schlafen wir aus?"

"Ausschlafen", murrt er, vergräbt sein Gesicht an meinem Hals.

Auf einmal bin ich hellwach.

Er liegt halb auf mir, ein Bein zwischen meinen, einen Arm über mir, und seine Hand rutscht unter meine Schulter. Ich kann seinen Atem spüren, seinen Herzschlag. Und er riecht so verdammt gut.

"Jeno-yah." Er reagiert nur mit einem leisen Geräusch. "Es ist schön mit dir zu kuscheln."

"Ich liebe dich."

Mein Herz macht einen Satz. Bist du endlich zurück, Jaemin?

***

Das nächste Mal wache ich auf, weil mir kalt ist. Jeno ist weg.

Jeno ist weg.

Ich setze mich auf und taste neben mich, als könnte ich nicht schon sehen, dass er nicht mehr da ist, stehe auf und taumle aus der Tür, weil mein Kreislauf versagt.

"Jeno?", rufe ich halblaut, und er taucht zwei Sekunden später unten an der Treppe auf, sieht besorgt zu mir hoch. Ich will etwas sagen, schwanke aber, mein Blickfeld verdunkelt sich – und ich falle gegen Jeno.

"Du fällst mir nicht nochmal die Treppe runter", droht er mir liebevoll, und ich kralle mich an ihn, während ich langsam wieder sehen kann.

"Geh nicht einfach weg", nuschle ich in seine Schulter.

"Ich bin vor zwei Minuten vielleicht runtergegangen, ich wusste ja nicht, dass du so schnell wach wirst." Er streicht über meinen Rücken, mustert mich, als ich mich aufrichte.

"Was hast du gemacht?", frage ich, mit seinen Hoodiebändern spielend. Es ist einer von seinen, die ich ihm geklaut habe.

"Ich hatte vor, Essen zu machen."

"Dann helf ich dir."

"Erstmal", er stupst gegen meine Nase, "ziehst du dir was über, sonst wird dir kalt."

Ich drücke seine Hände an meine Brust, stelle dabei fest, dass sie kälter sind als meine. "Guten Morgen", sage ich dann leise.

"Guten Morgen", lächelt er, und dafür küsse ich ihn.

Als ich umgezogen bin, gehen wir zusammen nach unten und essen, bevor wir Englisch lernen. Da das relativ schnell geht, überrede ich Jeno dazu, noch mit Koreanisch anzufangen, weil wir das in der gleichen Woche schreiben.

Nach nicht all zu viel Zeit bin ich aber so frustriert, dass mir Tränen in die Augen treten.

"Nie im Leben krieg ich das hin."

Jeno legt das Buch zur Seite. "Und ob du das hinkriegst."

"Ich will eine Pause", schmolle ich.

"Dann machen wir eine."

Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen, pfeffere meinen Stift auf den Boden und werfe Jeno beinahe mit meiner Umarmung um.

"Danke, dass du mir hilfst", nuschle ich in seine Schulter.

"Ohne dich mach ich bei dem Zirkus nicht mit."

"Wie geht's dir?", frage ich leise.

"Okay, schätz ich. Ich weiß es nicht."

"Hm." Ich male Muster auf seinen Rücken. "Brauchst du irgendetwas?"

"Ich hab doch dich und His Hoodie."

Ich setze mich auf, betrachte den Stoff. "Warum hast du mir den geliehen?"

"Ich hatte ihn an Renjuns Geburtstag an. Wie hätte ich ihn dir nicht leihen können?"

"Oh." Ich bin froh, dass er das getan hat – wenigstens das ist geblieben. "War der dir nicht zu klein...?"

"Du hast ihn mir zu Weihnachten in der richtigen Größe geschenkt."

"Ah." Mir wird total übel, aber auf eine seltsame Weise. Es ist eine überwältigende Übelkeit, von der ich mich eigentlich auf der Stelle übergeben müsste – aber es passiert nicht. Ich sehe Jeno nur an, als hätte ich einen Geist gesehen.

"Was ist los?", fragt er besorgt.

"Hab... ich mich an Weihnachten übergeben?"

"Ja." Seine Augen werden groß. "Sag bloß."

"Ich muss kotzen, aber ich muss nicht, ich..."

"Willst du trotzdem ins Bad?" Ich nicke schwach, also steht er einfach so mit mir auf dem Arm auf, als wöge ich nicht mehr als eine Feder. Vor der Toilette setzt er mich ab, hockt sich vor mich.

"Du hast Tabletten gegen Übelkeit bekommen. Möchtest du versuchen, die zu nehmen?" Ich nicke wieder. So lange das aufhört. "Ich hol sie dir."

Dann ist er weg und gleich darauf wieder da und hilft mir, die Tabletten zu nehmen.

Ich sitze zwischen seinen Beinen, während wir darauf warten, dass es besser wird, seine Hand streicht leicht über meinen Bauch und das macht es irgendwie schon weniger scheiße.

"Deine Großeltern waren da", sagt Jeno leise. "Yuta und Si Cheng und Eomma und Jungwoo. Als du spucken musstest, hab ich dich ins Bett gebracht und mit dir gekuschelt, und du hast die ganze Zeit mit deinem Ring gespielt. Oder mit meinem. Wenn du nicht geschlafen hast."

"Er hat mir gefehlt", murmle ich, auf das Metall an meinem Ringfinger sehend. "Ich wusste nicht, was es war, aber da hat was gefehlt. Ständig. Ich hab auch manchmal das Gefühl gehabt, dass er da ist. Jetzt fühl ich mich wieder vollständig. Mehr oder weniger", schiebe ich noch leise hinterher.

"Das ist gut." Jeno nimmt meine Hand in seine und betrachtet meinen Ring. "Es ist schön, dich ihn wieder tragen zu sehen."

Ich schiebe meine Finger zwischen seine. Er drückt meine. Und dann muss ich mich doch übergeben.

"Ach Mann", höre ich Jeno hinter mir, und er streicht über meinen Handrücken, bis ich mich beruhigt habe.

"Ist es jetzt besser?", fragt er dann. Ich nicke leicht, zu benommen für irgendetwas anderes.

Bis wir wieder in meinem Zimmer sind, kriege ich nicht so richtig irgendwas mit, und dann auch nur ab dem Zeitpunkt, zu dem Jeno mir einen Kuss auf die Stirn drückt. Er hat mich ins Bett verfrachtet, sitzt neben mir, hält meine Hand.

"Aber Koreanisch", bringe ich hervor.

"Vielleicht später, Jaem. Jetzt schläfst du."

Meine Augen füllen sich mit Tränen. "Aber ich muss auf dich aufpassen."

Er lächelt sanft. "Jaeminnie. Ich bleib bei dir, bis du aufwachst, okay?"

Ich schluchze. "Versprichst du's mir?"

"Ich versprech's dir. Ganz fest." Er hält mir sogar seinen kleinen Finger hin und ich hake meinen hinein, drücke seine andere Hand an mein Herz.

Als ich seinen Finger loslasse, legt er sich neben mich und ich biete ihm meine Schulter an, woraufhin er über meine Wange wischt und sich an mich kuschelt. Bitte bleibt für immer hier.

"Wunder dich nicht, wenn ich auch einschlafe", murmelt er, einen Arm um mich legend.

"Bin ich gemütlich, ja?", schniefe ich.

"Und ob", lächelt er. Und weil es mir lieber ist, wenn er schläft, kraule ich durch seine Haare, bis meine Hand wehtut und ich zu müde bin.

"Werd nicht krank, okay?", höre ich Jeno noch leise sagen, und ich weiß nicht mehr, ob ich ihm eine Antwort gebe.

20-12-06

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