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Auch wenn die Umstände die schlimmsten sind, es ihm unglaublich schlecht geht, etwas Schönes gibt es doch noch daran, dass Jeno hier ist.
Ich wache mehrmals in der Nacht auf, sehe jedes Mal nach, ob er noch schläft, ob er okay ist, ob er noch lebt besonders – und es ist immer ein Ja. Er ist unruhig, ist jedes Mal, wenn ich wieder wach werde, nicht mehr in meinen Armen, und wäre ich nicht so müde, gäbe ich es vermutlich auf. Aber da ich todmüde bin, kuschle ich mich jedes Mal wieder an ihn.
Letztendlich ist es trotz meiner zugezogenen Vorhänge relativ hell, als ich aufwache und entscheide, wach zu bleiben. Jeno will ich nicht wecken, weshalb ich liegen bleibe und ihn eine Zeitlang nur ansehe, bevor ich mein Handy vom Nachttisch nehme.
Renjun-ah~ (3 neue Nachrichten): bitte jaemin, ich muss wissen, ob es ihm gut geht
Oh je.
Renjun-ah
Eomma hat heute Morgen gesagt, dass es
gebrannt hat, und das war bei Jeno in der
Nähe
er antwortet mir nicht, deshalb muss ich
dich fragen: war es bei ihm? ist er okay?
bitte jaemin, ich muss wissen, ob es ihm
gut geht
Über die Antwort wirst du dich aber nicht freuen, Renjunnie.
Ganz ehrlich? Ich weiß nicht, wie es ihm
geht. Gerade schläft er aber noch, und
das ist auf jeden Fall was gutes
Aber ja, es war bei ihm, und vom Haus ist
nicht mehr so viel übrig. Er und Dabin und
die Katzen haben es alle heil überstanden,
mehr oder weniger wenigstens. Ich werde
ihm sagen, dass du ihm geschrieben hast,
und ich dir das gesagt habe. Ich schätze
mal, dass wir beide jetzt eine Weile nicht
mehr in der Schule auftauchen werden,
deshalb bitte ich dich darum, mir die
Sachen aus dem Unterricht zu schicken,
den wir zusammen haben. Ich bin auch
demnächst wohl wieder da, aber ich will
ihn einfach noch nicht allein lassen
Gott im Himmel
mach ich, und wenn ihr Hilfe braucht,
sagt einfach Bescheid, ich treib schon
jemanden auf der das kann was ihr
nicht hinkriegt
ich sag's auch den anderen, also sorry
im voraus falls einer von euch gleich
mit Nachrichten zugeballert wird
vielleicht können wir ja mal vorbeikommen
passt auf euch auf
und pass auf Jeno auf, auch wenn ich dir
das wohl nicht sagen muss
Nein
Danke, Jun
Von Herzen
schon ok
ich muss jetzt die Pfeifen auf den
neuesten Stand bringen
Sobald Jeno wach ist, esst ihr was!
Ja, Appa
hdm
ich bin froh, dass es ihm gut geht
euch beiden
Ich auch
Glaub mir, ich auch.
Ich habe mein Handy gerade wieder weggelegt, als Jeno die Augen aufschlägt.
"Hey", flüstere ich, lächle, und er blinzelt mich träge an. "Guten Morgen", erwidere ich, und er blinzelt wieder nur, schließt die Augen und dreht sich auf die andere Seite.
Ich sage nichts mehr, lege mich hinter ihn und so kuscheln wir einfach nur, mein Arm um Jeno gelegt, seine Finger zwischen meinen. Er atmet ruhig, aber ich weiß, dass er wach ist. Schließlich streicht sein Daumen so leicht über meinen, dass es unterbewusst sein muss.
"Jeno", wispere ich in seine Schulter, "Renjun hat geschrieben. Ich hab ihm gesagt, dass es bei euch gebrannt hat und wir erst einmal beide eine Weile nicht zur Schule kommen. Er schickt uns das Material. Und den anderen sagt er es auch."
Der Druck auf meine Hand bleibt die einzige Reaktion.
"Bitte sag was", flehe ich leise, "irgendetwas."
"Ich liebe dich", flüstert er, klingt so traurig. Ich drücke ihn an mich, als könnte das helfen.
"Wie hast du geschlafen?", frage ich, weil ich nicht weiß, wie ich reagieren soll, obwohl ich die Antwort eigentlich schon weiß.
"Scheiße", murmelt er, "aber wenigstens hab ich nie ewig wachgelegen."
"Das ist gut." Ich traue mich nicht, ihm zu sagen, dass ich mitbekommen habe, wie er sich hin- und hergewälzt hat. "Was hältst du von Essen?"
"Nichts."
"Du musst aber, du hast gestern schon nichts mehr gegessen."
"Kein Hunger."
"Was Kleines? Du kannst dir was aussuchen."
Lange nichts. Dann ein leises "Okay". Ich drücke meine Stirn gegen seine Schulter.
"Gut. Ich ess auch was. Und dann sehen wir weiter."
Wir brauchen aber erst einmal noch eine ganze Weile, um überhaupt aufzustehen.
Hand in Hand gehen wir nach unten, und ich helfe Jeno dabei, etwas zu finden, das er essen kann und will.
Bevor wir uns hinsetzen, halte ich ihn fest, und er dreht sich zu mir um.
"Wenn ich irgendwas machen kann", sage ich leise, "sag's mir."
Er nickt leicht und zieht mich zu sich, so dicht, dass ich das fehlende Leuchten in seinen Augen sehe. Dabei war es doch gerade erst auf dem Rückweg.
"Du kommst mit, wenn wir wieder reindürfen?", fragt er.
"Wenn ich darf."
Eine Weile stehen wir nur voreinander, bis ich seine Hand loslasse, seinen Kopf in meine Hände nehme und ihn auf eine Reaktion wartend ansehe. Er rührt sich nicht vom Fleck, auch nicht, als meine Nasenspitze seine berührt, also küsse ich ihn, in der Hoffnung, dass es ihm etwas Leben einhaucht – was wenigstens für einen Moment der Fall ist.
"Sollen wir gleich raus?"
Jeno mustert mich, stupst mit seiner Nase gegen meine. "Nicht so lange."
"Mir geht's gut", schmolle ich, aber er hebt eine Augenbraue, und ich traue mich nicht, noch mehr zu sagen.
Sobald wir gegessen haben, wagen wir uns hinaus in die Kälte. Und nach ein paar Metern leisten uns Schneeflocken Gesellschaft.
Ich bleibe stehen und sehe nach oben, betrachte die weißen Flecken dabei, wie sie durch mein Blickfeld tanzen, meine Wangen kalt werden lassen.
"Der bleibt nicht liegen", murmelt Jeno neben mir. Ich sehe zu ihm, zucke mit den Schultern.
"Kommt ja auch spät. Und du kannst dich auch darüber freuen, ohne dass er liegen bleibt."
"Dann ist er aber nur kalt."
"Musst du dich eben zu Hause vor deinen Ofen hocken, du Wintermuffel."
"Es ist nicht mehr Winter", murrt er, "im Winter ist Schnee schön. Ich hab in weniger als einem Monat Geburtstag und es schneit, das ist doch nicht richtig."
"Das nennt man Klimawandel."
"Find ich doof."
Ich grinse, nehme seine Hand und ziehe ihn mit mir weiter. "Freu dich einfach über den Schnee. Oder wenigstens darüber, dass du, wenn wir zurück sind, deinen Winterschlaf wieder aufnehmen kannst."
"Jetzt kann ich ja wenigstens schlafen", sagt er leise.
Ich schiebe seine Hand mit meiner in meine Jackentasche, auch wenn sie eigentlich nicht beide hineinpassen. "Immer das Positive sehen, kkum."
"Ist nicht so viel Positives daran, dass Noonas ganzes Zimmer in Flammen aufgegangen ist", flüstert er.
"Ich weiß." Ich drücke seine Hand. "Aber irgendwas wird noch da sein. Ganz sicher."
Er antwortet nicht. Ich sage auch nichts mehr. Sehe auf dem Rückweg nur noch dem Schnee dabei zu, wie er so sinnlos zu Boden fällt, um noch kurz vorher zu schmelzen.
Als wir zurück sind, setzen wir uns mit zwei Tassen Tee und ausgetauschten Hoodies auf mein Bett, und ich gehe an Jeno gelehnt die Nachrichten durch, die Renjun mir schon geschickt hat.
"Wann ist die erste Prüfung?", frage ich Jeno.
"Siebzehnter. Englisch."
"Habt ihr einen Plan gekriegt?" Er nickt. "Schickst du mir den?" Wieder ein Nicken, er nimmt sein Handy vom Nachttisch – die einzige Sache mit den Klamotten, die er anhatte, die ihm geblieben ist. Gleich darauf vibriert meins, und ich verfalle in Stress, sobald ich nur den roten Marker sehe.
"Ich krieg das doch nie im Leben rechtzeitig auf die Reihe."
"Hey." Jeno nimmt meine Hand. "Und ob du das auf die Reihe kriegst. Du schreibst sogar volle Punktzahlen, wenn du kaum gelernt hast. Ich weiß, dir fehlt richtig viel Unterricht, aber wir besorgen dir den Stoff. Ich mach mit dir auch Nächte durch, um zu lernen." Er schmunzelt. "Guck nicht so, du kennst das vielleicht nicht, aber ich hab damit Erfahrung."
"Aber es ist so viel, das ich in so kurzer Zeit nachholen muss."
"Dann fangen wir eben heute an. Lass dir von Renjun Sachen aus einem Fach schicken und du hast das bis heute Abend drauf. Als hättest du jemals Schwierigkeiten gehabt, dir etwas selbst beizubringen."
"Aber du..."
Er streicht über meinen Handrücken. "Ich werd mich schon nicht überanstrengen. Aber ich helf dir."
Ich muss ihn umarmen. "Danke", murmle ich in seine Schulter.
"Du wirst mich nicht mit dem Pärchen und dem liebeskranken Hühnchen allein lassen. Nur über meine Leiche."
Ich lache leise auf. "Hab ich nicht vor. Ich hätte früher anfangen sollen", jammere ich leise.
"Du fängst damit an, wenn du es schaffst. Und du wirst dich jetzt auch nicht überanstrengen. Die Prüfungen ziehen sich bis Anfang Mai, für Mathe hast du noch einen ganzen Monat. Du machst dir keinen Stress, dann schaffst du das. Und wenn du irgendwas nicht allein hinkriegst, treiben wir schon auf die Schnelle Nachhilfe auf."
Ich schließe meine Augen und ignoriere die Tränen. "Promise, Jeno."
"Promise, Jaemin", lächelt er.
Dieser Junge bedeutet mir die Welt.
20-12-05 ich will nach frankreich
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