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Jenos Wecker weckt auch mich auf, und als Allererstes drehe ich mich zu ihm um und entschuldige mich.

"Dir auch einen guten Morgen", murrt er, den Wecker wieder ausschaltend, "vor sieben nehme ich keine Entschuldigungen an."

Ich sehe ihn wohl ziemlich bedröppelt an, denn er seufzt. "Wofür?"

"Für gestern."

"Nehm ich nicht an, weil da nichts ist, wofür du dich entschuldigen müsstest. Und jetzt kommst du entweder her oder küsst mich, ich will nämlich nicht aufstehen."

Ich will ihn küssen. Aber ich will es nicht wollen, will ihn erst lieben - also vergrabe ich mein Gesicht an seiner Brust und ignoriere es, dass ich ihn durch seinen Geruch noch viel dringender küssen will.

"Ich hab durchgeschlafen", murmelt er, "kannst du dir das vorstellen?"

"Ist doch gut", erwidere ich, gedämpft von seinem Shirt. Er legt einen Arm um mich und ich muss an seine Schnitte denken, kneife die Augen zusammen und versuche, wenigstens dieses eine Mal nur diesen Moment zu genießen.

"Hm", macht Jeno in meine Haare, gähnt. "Mal sehen, wie lange."

Ich nicke nur leicht, und wir sind still. Zwei Mal klingelt sein Handy noch, bevor er mich mit einem Seufzen loslässt.

"Möchtest du, dass ich bleibe?" Ich sehe zu ihm auf und sein Blick ist so ernst, ich will ihn

"Ich will immer, dass du bleibst", antworte ich, "aber du kannst zur Schule gehen."

"Ganz sicher?", hakt er nach, und ich nicke.

"Hunderprozentig", schiebe ich noch hinterher. Dann kann ich nämlich seine Briefe lesen, das schiebe ich schon ewig vor mir her.

"Na gut." Er streicht durch meine Haare. "Schläfst du weiter?"

"Als ob ich freiwillig so früh aufstehe", murre ich.

Er gluckst. "Wer täte das schon? Ich muss gleich das Licht anmachen, aber ich mach's sofort wieder aus, wenn ich's nicht mehr brauch."

"Okay." Ich zögere. "Sagst du mir noch Tschüss?"

"Wie könnte ich nicht?"

Tu's nicht, tu's nicht, tu's nicht.

Er steht auf und ich jammere leise, als er die Deckenlampe einschaltet, vergrabe mich unter meiner Decke. Ich höre, wie er sich umzieht, und hoffe, dass er mir sein Schlafshirt liegen lässt, aber ihn danach zu fragen, ist mir peinlich. Dann geht das Licht wieder aus, und ich sehe noch, wie er auf den Flur verschwindet.

Während er im Bad ist, gebe ich tunlichst alles, um nicht wieder einzuschlafen, was in Stille und auf Jenos Bettseite nicht so einfach ist, wie ich mir das vorgestellt habe. Deshalb schrecke ich auf, als die Zimmertür aufgeht, und blinzle mich halbwegs wach, bis Jeno bei mir ist.

Er lehnt sich zu mir herunter und seine Haare hängen ihm ins Gesicht und er trägt seine Brille und er lächelt und er ist mir so nah und riecht so gut oh Himmel

"Bis nachher. Ruf an, wenn was ist. Ich komm nur all zu gern wieder."

Ich grinse schwach. "Du musst aber in den Unterricht gehen, sonst hab ich niemanden, der mir das erklären kann."

"Freiwillig siehst du mich keine Stunde verpassen." Er lächelt und es ist so schön und ich

"Bis nachher, kkum." Ich küsse ihn mit so viel Zuneigung, wie ich aufbringen kann. "Promise."

"Promise", murmelt er, sieht mich noch eine Sekunde an, bevor er sich aufrichtet und aus dem Zimmer geht.

Ich ziehe mir die Decke über mein knallrotes Gesicht, taste nur noch nach seinem Shirt und vergrabe meine Nase darin.

Wie kann ich solche Aktionen durchziehen, ohne dass mein Herz ausflippt? Wieso spüre ich nicht mehr als Scham, dass das alles bei ihm so ehrlich ist und bei mir nicht?

Kkum. Traum. Weil ich bisher nur davon träume, ihn wieder zu lieben.

***

Ich schlafe noch ein paar Stunden mehr, bis ich von selbst aufwache und duschen gehe, bevor ich den Karton mit Briefen öffne. Sie stecken alle in Umschlägen, mit ihren Daten beschriftet, Jeno muss also schon vorgehabt haben, sie mir zu geben. Lange dauert es nicht, bis ich den nächsten finde, und ich halte ihn eine Weile nur in der Hand, bevor ich ihn öffne.

Ich weiß, dass es dir heute richtige scheiße ging, und das ist ätzend, aber es war schön, bei dir zu sein. Du
Du riechst gut. Das ist voll aus dem Kontext gerissen, aber ich hab eben gerade deinen Hoodie an und der riecht nach dir und das ist toll und du riechst einfach gut und ich schreib schon wieder nur Unsinn. ;-;
das ist deine Schuld <3
Dir geht es schon wieder besser als vorhin, das ist gut. Ich hätte sonst nochmal zu dir kommen müssen, und dann hätte Eomma mich umgebracht.
Wieso hast du mich angerufen? Ausgerechnet mich? Obwohl ich dir vorher nicht auf deine Nachrichten geantwortet habe? Woher hast du gewusst, dass ich rangehe? Oder war ich in deiner Verzweiflung einfach die erste Person, die dir eingefallen ist? Aber warum?

Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, was du mir bedeutest. Die Welt, das ganze verdammte Universum, okay, aber
Auf welche Art liebe ich dich, Jaemin? Und wieso ist es so schwer, das herauszufinden? Außerdem sollte es doch eigentlich Antwort genug sein, dass ich mir diese Frage überhaupt stelle. Aber mal im Ernst, sowas wie uns findest du doch nicht noch ein zweites Mal. Und irgendwie verschwimmt die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe bei uns doch schon.
Ich denke gefühlt permanent darüber nach und finde trotzdem keine Antwort, das nervt mich.
Fragst du dich das auch? Hast du auch schon darüber nachgedacht, wie es wäre, mit mir zusammen zu sein? Mich zu küssen, ganz in Echt? Und wenn nicht, was sagt mir das? Was sagt es mir, dass ich darüber nachdenke?
Ich schätze, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben. Ehrlich gesagt, ich habe zwar Angst davor, aber was ist letztendlich das Schlimmste, das passieren kann? Ich verliere dich auch wenn du das erwiderst, auch wenn du mit mir befreundet bleibst.
Wären wir überhaupt in der Lage zu einer Beziehung? Ich hab schon irgendwie Angst, dass es doch nicht funktioniert und wir letztendlich gar nichts mehr haben - aber ich darf dich vorher bestimmt noch küssen
I Ich hab d as gerade wirklich geschrieben oder
Fuck, das darf nicht passieren
Morgen sieht die Welt anders aus. Ich schlaf drüber un
Scheiße, Nana
Das darf doch nicht wahr sein

Er hat seine Unterschrift vergessen. Und der Brief ist kürzer. Ich frage mich, wie verzweifelt er an dem Tag war.

Wie lange hat ihn das beschäftigt? Hat er mit irgendjemandem darüber geredet? Habe ich es jemals bemerkt? Gott, ich will mich doch nur erinnern.

Egal. Ignorieren und weitermachen, sonst komme ich nie weiter.

Ich liebe dich, Jaemin. Ich weiß es.

Na das fängt ja toll an. Ich blinzle, um nicht heulen zu müssen.

Das ist eigentlich auch alles. Du hast es mir heute bewiesen. Und ich hoffe, dass ich dir das auch noch sagen kann, damit du es mit in deinen Tod nimmst.

Du machst das nicht besser, Jeno. Du machst das echt nicht besser.

Außer dir werde ich das niemandem sagen, dann werde ich am Ende noch bemitleidet.
Wann ist das passiert, Nana? Seit wann habe ich immer wenn du lächelst das Bedürfnis, dich zu küssen? Warum lässt du mein Herz so rasen? Wann zum Teufel ist das alles passiert?

Wenn ich das wüsste, Nono. Wenn ich das nur noch wüsste.

Heute ist es mir ja wenigstens klar geworden. Wie lange ich wohl schon auf dem Schlauch stand? xd
Ich mag, wie du mich ansiehst. Du gibst mir immer das Gefühl, etwas wert zu sein, weil ich es in deinen Augen bin. Und das merke ich. Und es gibt dieses eine Lächeln, das du nur mir schenkst. Ich habe mich in beides verliebt. Besonders aber in dich.

Ich schreie in mein Kissen.

Es tut mir leid, dass ich dir das genommen habe. Wo du dir sicher warst, dass ich das niemals erwidern würde.

So klingt es nämlich, und ich bin ziemlich überzeugt, dass das stimmt.

Hör dir das an, wie eklig ich geworden bin. Wie reagierst du wohl, wenn ich dir das sage? Wenn du diesen Brief liest? Wenn du alle meine Briefe liest, wirst du merken, ab wann ich mich in dich verliebt habe?
Deine Finger. Ich liebe deine Finger. Das ist mir vorhin aufgefallen. Sie passen nämlich ganz genau zwischen meine und naja, alles an dir ist toll. Du bist toll. Und das hier ist irgendwie eine Liebeserklärung.
Argh, was machst du mit mir?
Ich hatte gerade Panik, weil du dich bewegt hast, aber du schläfst. Mit jedem Brief wird es schwieriger eine Erklärung zu finden. "Ja, also, ich schreib gerade auf, dass ich mich in dich verliebt hab" klingt richtig toll.
Hoffentlich geht es dir morgen besser. Du hast dich vorhin die ganze Zeit bewegt und warst vorher auch total blass, aber beides hat sich gelegt.
Ich muss Zähne putzen, damit ich nicht noch zu müde bin, aber eigentlich bin ich das schon. Aber wenn ich dich ansehe
Gott, es ist dunkel, ich trag keine Kontaktlinsen und trotzdem habe ich dich gerade ewig angestarrt und könnte auch ewig weitermachen. Aber was kann ich denn dafür, wenn du so w hübsch bist? Das ist unfair.
Ich will dich die ganze Zeit anschauen ;-; Eomma, ich will mein Leben-Abo nicht mehr, bitte danke.
Ich fühle mich so gemein, wenn ich solche Sachen sage. Tut mir leid.
Mann, ich kann ja nicht einmal sagen, dass ich gerne mit dir zusammen wäre. Ich meine, das wäre toll, das wäre großartig, aber ist es etwas, das ich wollen würde, würdest du meine Gefühle erwidern? Ich hasse es, dass ich so viel über Dinge nachdenke, die wohl eh nie passieren werden.

Okay, du niedliches, wunderschönes Wesen, das ich liebe, du bist gerade schon wieder am Hin- und Herrollen, ich geh mich fertig machen und umarm dich dann, damit du aufhörst. Das hilft nämlich immer.

Du bist toll. Das darfst du nicht vergessen. Du bist ein großartiger bester Freund und wärst garantiert auch ein grandioser fester.
Toll, ich bin für meinen besten Freund schwul. Klischeehafter geht nicht. Aber bei dir als besten Freund wundert mich das nicht.

♡♡♡♡♡♡

Damit ich nicht noch heule, höre ich auf, schiebe die Briefe zurück in ihre Umschläge und stelle den Karton wieder vor meinen Nachttisch. Ablenkung, Ablenkung, Ablenkung. Irgendwas, damit ich nicht durchdrehe.

Ich warte eigentlich die ganze Zeit nur darauf, dass Jeno wiederkommt. Er schreibt mir aber, und das macht mich glücklich.

Da Eomma mir schreibt, dass sie erst abends nach Hause kommt, mache ich es mir zur Aufgabe zu kochen, damit sowohl Jeno als auch ich eine vernünftige Mahlzeit zu uns nehmen.

Er ist früher zurück, als ich dachte, sodass ich noch nicht fertig bin, als ich ihm die Tür öffne.

"Müsstest du nicht erst in einer halben Stunde hier sein?", frage ich ihn deshalb auch.

"Jung musste seine Tochter abholen."

"Oh." Ich lasse ihn rein und schließe die Tür. "Warum?"

"Keine Ahnung, hat er nicht gesagt. Ich denk aber, ihr geht's gut, er war entspannt."

"Dann ist gut." Ich sehe ihm zu, wie er Mantel und Schuhe auszieht. Als er zu mir sieht, lächelt, sehe ich beschämt auf den Boden, bis mir das Essen wieder einfällt und ich in die Küche schlittere.

Jeno folgt mir gleich darauf, und auf seinen Lippen erscheint ein Lächeln. "Was gibt's?" Er legt seinen Kopf auf meiner Schulter ab und ich verkneife mir den Drang, nach seinen Händen zu greifen und sie um mich zu legen. Ich hebe den Deckel für ihn an und er schiebt mich etwas näher an den Herd, um einen Blick hineinwerfen zu können. Daraufhin bleibt seine Hand für eine Weile an meiner Seite liegen, weshalb ich seinen Kommentar nur halb mitbekomme. Schwungvoll drehe ich mich zu ihm um, will eigentlich etwas sagen - aber was, vergesse ich, sobald ich ihn ansehe.

Fragend hebt er eine Augenbraue, schmunzelt. Ich sehe auf meinen erhobenen Zeigefinger, zurück in Jenos Augen, presse meine Lippen aufeinander und drehe mich wieder zurück.

"Dann nicht", murmelt Jeno mit einem Lächeln in meine Schulter. Ich versuche zwanghaft, mich auf das Essen zu konzentrieren - aber als er auch noch seine Arme um mich legt, vorsichtig, rutscht mir das Salz aus.

"Fuck! Jeno, du darfst mich nicht so ablenken", jammere ich, wenigstens einen Teil der Kristalle herauslöffelnd, um das alles nicht wegschmeißen zu müssen.

"'Tschuldige."

Stattdessen holt er Schüsseln heraus, und ich rette unser Mittag ausreichend, dass es essbar ist.

Zum Schluss lasse ich es nur noch köcheln und setze mich auf die Arbeitsfläche, sehe Jeno beim Trinken zu und winke ihn danach zu mir.

"Alles okay?", frage ich leise, biete ihm eine Umarmung an.

Mit einem erledigten Seufzen sinkt er gegen mich, schlingt seine Arme um mich und kuschelt sich in meinen Hoodie. "Ich mag Schule einfach nicht. Ist anstrengend."

"Hmm." Ich streiche über seinen Rücken. "Und ansonsten?"

"Alles beim Alten." Er richtet sich auf. "Essen?"

Ich nicke wortlos. Wenn er das Thema vermeiden will, gehe ich auch nicht weiter darauf ein.

Wir essen beinahe schweigend, er bedankt sich nur, worauf ich erwidere, dass es salzig geworden ist, und er grinst und entschuldigt sich, hängt noch hinterher, dass es gut ist, und als ich nichts darauf zu antworten weiß, sagen wir nichts mehr.

"Warum?", fragt er, als wir in meinem Zimmer stehen.

Ich drehe mich zu ihm um. "Was?"

"Warum kkum?"

"Weil ich bis jetzt nur davon träume, dich zu lieben", erwidere ich leise.

Zwei Atemzüge später nimmt er meinen Kopf in seine Hände, irgendwie grob und trotzdem liebevoll.

"Weißt du, wie ich das hasse?", flüstert er. "Wie ich es hasse, dass ich dir nicht mehr zeigen kann, wie sehr ich dich liebe, weil das über deine Grenzen hinausgeht? Und das ist okay, glaub mir, ich werde sie auch nicht überschreiten, aber ich muss mich doch sowieso dauerhaft zurückhalten, und dann sagst du solche Sachen, Jaemin, das..."

"Tut mir leid", wispere ich, mein Mund fühlt sich trocken an. "Ich versuch, es zu lassen."

"Das meinte ich damit nicht." Sein Griff wird lockerer, er streicht über meine Wange. "Du kannst sagen, was du willst."

"Kann ich nicht und werde ich nicht, wenn es dich verletzt."

"Allein bei dir zu sein, verletzt mich. Und gleichzeitig machst du mich schon wunschlos glücklich, wenn du nur die gleiche Luft wie ich atmest."

"Und doch tu ich dir weh." Ich schlucke den Frosch in meinem Hals herunter.

"Und weißt du was?" Er kommt mir noch ein Stück näher. "Ich steh drauf."

Ich lache erstickt auf. "Ich gebe dir irgendwann das, was du verdienst, kkum."

Jeno lächelt. "Ja, ich weiß. Das Warten lässt sich aushalten, wenn ich dann und wann deine schönen Lippen auf meinen haben darf."

"Jeno..."

"Jaemin?"

"Bitte sag mir, dass du noch ganz lange bleibst."

"Bei dir? Für immer. Hier? Bis acht, wie ich Eomma einschätze."

"Wenn du solche Sachen sagst, dann..."

"Dann?", hakt er sanft nach.

Aber ich antworte nicht, küsse ihn nur. Wenn allein das reicht, dass ich dich behalten darf, höre ich niemals damit auf.

20-12-04

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