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Jeno ist das ganze Wochenende bei mir.

Dementsprechend verbringe ich neunzig Prozent meines Sonntages in seinen Armen, entweder schlafend oder mit ihm redend oder spielend oder einfach in die Gegend starrend. Er schläft nicht, auch wenn er manchmal die Augen schließt, öffnet sie immer, sobald ich mich rege.

"Jeno?"

"Hm?" Er schaltet sein Handy aus.

"Wann gehst du?"

"Wann soll ich gehen?"

Nie wieder, will ich sagen, aber zucke stattdessen mit den Schultern. "Du musst morgen zur Schule." Eomma will nämlich nicht, dass ich gehe. Aber da ich mich heute außer für zwei kleine Mahlzeiten noch nicht aus dem Bett bewegt habe, kann ich es nachvollziehen. Abgesehen davon, dass ich mich scheiße fühle.

"Hm." Er drückt mir einen Kuss auf die Haare. Ich liebe es, wenn er das tut. "Ich frag Renjun mal nach Hausaufgaben."

Ich sehe zu, wie er ihm schreibt, und als er fertig ist, nehme ich ihm sein Handy weg und lege stattdessen meine Hand in seine.

Er streicht über meine Schulter. "Von eins bis zehn, wie fühlst du dich?"

"Körperlich?"

"Beides."

Darüber muss ich nachdenken.

"Drei", murmle ich dann in seine Schulter. "Du?"

"Irgendwo zwischen drei und vier." Er seufzt leise. "Sollen wir was dagegen machen?"

"Nein", sage ich nach kurzem Zögern. "Ich... will gar nichts gerade."

"Okay." Schon wieder ein Kuss. Ich schüttle den Gedanken ab, ihn auf meinen Lippen zu spüren. "Ich will aber jetzt die Insel umgraben."

Ich grinse schwach. "Hab ich schon gemacht."

"Hm. Dann flieg ich durch die Gegend."

"Spiel doch Zelda", schlage ich vor, leise.

"Nee, die Monster klingen mir zu eklig. Außerdem muss ich da die Welt vor ihrem Untergang retten, das ist mir zu viel Stress."

Grinsend sehe ich ihm dabei zu, wie er mich abmeldet und sich anmeldet. "Wohl wahr."

Nur die Stimmen der Bewohner halten mich davon ab, einzuschlafen.

"Jen", sage ich irgendwann leise, "warum lässt du mich das machen?"

Er pausiert das Spiel. "Was meinst du?"

"...Dich küssen. Einfach so."

"Was könnte es den Besseres geben, als mich von dir küssen zu lassen?" Er klingt so ernst und so sanft und es ist so schön, wenn er so mit mir spricht.

"Verletzt es dich nicht?"

"Nein. Ich sag dir schon Bescheid, wenn wir was ändern müssen."

"Versprochen?"

"Versprochen."

Ich schließe meine Augen und vergrabe mein Gesicht an seiner Brust, kann sein Herz hören. Am liebsten wäre es mir, er ginge gar nicht mehr nach Hause.

"Was wünschst du dir zum Geburtstag?"

"Frag mich was Leichteres."

"Muss ich jetzt darüber nachdenken?"

"Du musst mir auch-"

"Doch", unterbreche ich ihn, "ich schenk dir was."

"Pff." Ich höre ihn lächeln. "Wenn's sein muss."

"Muss sein."

Sein Handy vibriert. Er sieht drauf und seufzt.

"Ich muss noch eine Bildbeschreibung in Bio machen und Musik auch irgendwas."

"Das... heißt?"

Er vergräbt seine Nase in meinen Haaren. "Dass ich nicht erst um zehn nach Hause kann", nuschelt er in sie hinein.

Ich drücke mich fester an ihn. "Wann dann?"

"Ich frag Eomma, wann wir essen. Wenn sie überhaupt zu Hause ist. Wenn nicht, kann ich auch mit euch essen." Ich nicke, und er tippt auf seinem Handy herum, ehe er wieder beide Arme um mich legt.

"Du warst schonmal so", sagt er leise. "Dieses Wenn du nach Hause gehst, musst du mich mitnehmen. Also, als wir schon zusammen waren. Da ging's dir auch nicht gut. Du hast auch so viel geweint und mich nie gehen lassen können."

Die Tränen in meinen Augen kommen davon, dass ich mich nicht erinnere und von dem, was er beschrieben hat - ich will ums Verderben nicht, dass er geht.

"Und wenn ich gegangen bin, hast du geweint", fährt er fort. "Wenn ich dich angerufen habe, hast du geweint. Das war, als wir in Englisch den Leistungsangleich gemacht haben. Da bin ich auch zu dir gekommen und hab hier gelernt, weil ich mich sonst nicht konzentrieren konnte und du so fertig warst, weil wir uns nicht gesehen haben."

Stille.

"Ich will nicht, dass du gehst", schluchze ich leise.

"Ach, Engel." Nicht aufhören. Er streicht über meine Haare. "Ich kann morgen wieder herkommen."

"Und wenn es mir schlecht geht? Wenn es dir schlecht geht? Wenn keiner von uns beiden sich beim anderen meldet und- Wenn du dir was antust, Jeno? Wenn ich dich so vermisse, dass mir schlecht wird?"

"Ist telefonieren okay?"

Ich schluchze. "Du sollst bleiben."

"Ich kann nicht, Nana. Ich will unbedingt, aber es geht einfach nicht."

"Du kannst doch auch einfach nicht zur Schule gehen", ich hickse, "bei mir bleiben und mich nie wieder loslassen."

"Jaemin..."

"Bitte."

Er drückt mir einen Kuss auf die Stirn. "Ich frag Eomma. Ich erklär's ihr. Dann kann ich vielleicht hierbleiben, oder sie sagt mir, warum ich es nicht kann. Und dann komm ich morgen wieder, okay? Gleich nach der Schule. Ja?"

Ich nicke schluchzend, und da er Dabin anruft, versuche ich es zu unterdrücken, was aber erst durch Jenos Schulter funktioniert.

"Eomma sagt, ich kann bleiben", sagt er leise in meine Haare, "und ich soll morgen früh entscheiden, ob ich zur Schule geh oder nicht. Sie will, dass ich gehe, aber wenn nicht, dann nicht."

Ich nicke. Er fährt durch meine blonden Strähnen, spielt mit ihnen, und irgendwann beruhigt es mich.

Als ich nur noch schniefe, nicht mehr schluchze, hebt Jeno meinen Kopf an, drückt mir einen Kuss auf die Stirn. Ich gebe ein unzufriedenes Geräusch von mir, woraufhin er mich verunsichert ansieht, also mache ich auch nichts.

"Du kannst", flüstert er.

"Du auch", erwidere ich leise.

Eine, zwei Sekunden zögert er. Dann küsst er mich.

Ich frage mich, wie ich ohne gelebt habe.

Er ist kurz und sanft, aber schön. Wie immer.

Es reicht mir nicht.

"Fünf", wispere ich. Jenos Lächeln bleibt, auch als ich die Augen schließen muss.

***

Gegen Abend gehen wir mal wieder spazieren, aber nicht zu lang, weil Eomma das nicht will. Unser Ziel ist sein Zuhause, damit er Kleidung für morgen hat. Er hat mir schon wieder seinen Mantel geliehen und dafür bin ich ihm dankbar, weil mir ohne den kalt wäre und außerdem macht er es allein schon dadurch besser, dass es Jenos ist, aber ich sorge mich trotzdem darum, ob er nicht friert.

"Weißt du", sagt er plötzlich, zögert einen Moment, "am Freitag hast du etwas gerufen, oder?"

Ich nicke, beschämt. Ich meine, ich war verzweifelt, was hätte ich sonst tun sollen? Es war aber nicht so befreiend, wie ich es mir gewünscht hätte.

"Ich hab's gehört", fährt Jeno fort, "und obwohl es alles hätte sein können, wusste ich, dass du es bist. Und in welche Richtung ich muss. Und weißt du warum?" Er stößt geräuschvoll Luft aus. "Weil die kleine Version von dir darauf reagiert hat. Es hört sich bescheuert an, ich weiß, aber so war's."

"Es ist nicht bescheuert", erwidere ich leise, "ich bin froh, dass du mich gefunden hast. Ohne dich wäre ich doch erfroren."

"Irgendwann hättest du mein Handy mit Sicherheit gefunden. Spätestens, wenn einer von uns auf die Idee gekommen wäre, anzurufen."

Ich bin mir da nicht so sicher. Aber ich sage nichts, klammere mich nur an seinen Arm und schließe meine Augen, lasse mich von ihm führen.

"Wenn du nicht hinguckst, stolperst du noch." Ich sehe zu ihm hoch und direkt in sein Lächeln und es lässt mich nach seiner Hand greifen, meine Finger vorsichtig zwischen seine schieben. Und auch wenn wir beide Handschuhe tragen, fühlt es sich schön an.

Bis wir bei ihm ankommen, reden wir nicht mehr, und auch dann nicht, da Dabin nicht da ist und wir beide eher in Gedanken sind.

Während er seine Sachen umpackt, setze ich mich auf sein Bett und sehe ihm zu, merke wieder, wie gerne ich hier bin - in seinem Zuhause, seinem Zimmer. Es riecht auch für mich nach Zuhause, nach ihm.

"Ich will auch", platzt es aus mir heraus, als er einen Hoodie einpackt, und er stockt mitten in seiner Bewegung, sieht zu mir.

"Einen Hoodie?" Ich nicke und spüre meine Wangen warm werden.

Er sagt nichts mehr, greift nur ein weiteres Mal in seinen Schrank und ich erkenne den Stoff als schwarz.

Was nicht besonders ist, weil er hauptsächlich schwarz trägt. Das Besondere ist aber die Erinnerung, die daran zu haften scheint.

Ich spüre plötzliche Traurigkeit, Einsamkeit, die mich packt und mir den Hals zuschnürt. Jeno muss herkommen. Aber er ist doch hier. Jeno.

Jeno. Jeno.

"Jeno-"

Er sitzt schon neben mir. "Alles okay?" Ich ringe nach Luft. "Atmen, Jaemin. Ganz ruhig. Alles gut. Erinnerst du dich an etwas?"

Ich nicke, brauche eine Weile, um wieder sprechen zu können. Jeno drückt meine Finger vorsichtig, seine alarmierte Haltung weicht einer beruhigenden.

"Es ist keine richtige Erinnerung." Ich drehe unsere verschränkten Hände hin und her. "Du... du fehlst mir. So sehr, dass es mir körperlich wehtut. Und ich bin traurig. ...Sensibel, deshalb. Der Hoodie, den... den hab ich an."

"Oh. Hm. Möchtest du mehr davon hören?"

Ich schüttle den Kopf. Dazu bin ich jetzt nicht in der Lage. "Tut mir leid."

"Alles okay. Sag's mir einfach, wenn du deine Meinung änderst." Er platziert einen Kuss auf meiner Hand. "Sollen wir zurück?"

"Bist du fertig?"

"Sonst würde ich nicht fragen."

"Dann ja."

Er hilft mir auf die Füße und wir gehen Hand in Hand nach unten, wo wir aber voneinander ablassen müssen, um unsere Schuhe wieder anzuziehen. Auf dem Rückweg traue ich mich nicht, wieder seine Hand zu halten, schiebe meine in die Manteltaschen und ignoriere das wachsende Bedürfnis.

Letztendlich führt das dazu, dass mir in meinem Zimmer Tränen in die Augen steigen und ich ihn umarmen muss, um nicht loszuheulen.

"Drei", bringe ich hervor.

Jeno beginnt zu singen, irgendetwas Fröhliches und trotzdem Ruhiges, Beruhigendes, teilweise nur summend, wohl weil er den Text nicht vollständig kann. Mein Atem wird ruhiger, ich werde ruhiger, muss nicht weinen. Seine Hände sind auf meinem Rücken, streichen über den Stoff, und er dreht sich kaum spürbar mit mir, mich leicht hin- und herwiegend. Ich klammere mich an ihn, damit er nicht auf die Idee kommt, mich zu früh loszulassen.

"Ich muss gleich Hausaufgaben machen", sagt er leise, und seine normale Stimme beruhigt mich noch etwas mehr, "und duschen will ich auch. Das mach ich nachher, und dann bin ich wieder ganz zu deiner Verfügung. Willst du mir bei den Hausaufgaben zusehen oder was anderes machen?"

"Zusehen", murmle ich.

"Ist dir demnächst lieber oder nachher?"

"...Nachher."

"Und jetzt?"

"Ku...scheln?"

"Ist das eine Frage?", schmunzelt er, mich mit sich zum Bett ziehend. Wir lassen uns darauf nieder, und ich lande in seinen Armen, lausche seinem Herzschlag.

Es ist schön. Ich fühle mich immer so wohl mit ihm.

***

Als Jeno duschen geht, legt er seinen Ring auf dem Nachttisch ab, ich höre das Metall auf Holz treffen, nimmt dafür seine Brille mit. Die Tür fällt leise klackend ins Schloss, ich blättere um, schreibe weiter an den Biosachen, die er mitgenommen hat. Es ist vor allem Zeug, das ich nachholen muss, und nachdem Jeno mir es vorhin erklärt hat, komme ich jetzt einigermaßen damit klar. Ansonsten hilft mir Mutter Internet.

Nach einiger Zeit, in der ich nur das Kratzen meiner Stiftes auf dem Heftpapier höre, gesellt sich das gedämpfte Rauschen des warmen Duschwassers dazu. Gleich darauf fällt mir ein, dass ich mir Jenos Ring genauer ansehen wollte. Ich weiß, er hat es immer verweigert, aber meine Neugier bringt mich um. Ich weiß auch, dass ich das nicht tun sollte, hadere mit mir. Minutenlang.

Doch die Neugier gewinnt. Und außerdem kann ich mich jetzt eh nicht mehr konzentrieren. Also pausiere ich meine Arbeit, lege den Stift weg und bin mit einem großen Satz aufs Bett gesprungen, nehme den silbernen Ring in meine Hände, betrachte ihn. Er ist trotz seines schlichten Aussehens wunderschön.

Erst als ich, fasziniert vom Glänzen, das Metall ein paar Mal gedreht habe, fällt mir die Gravur auf.

Nana soulmate & heartbeat

"Was machst du da?", werde ich von dem Ring losgerissen. Jeno steht in der Tür, seine feuchten Haare hängen durcheinander in seinem Gesicht, die Brille sitzt ein wenig tiefer als sie soll.

"Der Ring... Jeno, ist... Was..." Je näher er mir kommt, desto mehr Gefühle kommen in mir hoch.

"Ich hab sie letztes Jahr gekauft. Im November schon. Und vor Weihnachten kam noch die Gravierung dazu. Du hast auch einen."

"Wieso trage ich ihn dann nicht?"

Jeno setzt sich neben mich, streicht zärtlich über meine Wange. "Weil es nicht die Wahrheit ist. Nicht mehr."

"Was denn? Was steht in meinem?"

"Willst du ihn sehen?" Ich nicke, vielleicht zu heftig. Er steht auf und trotz meiner verschwommenen Sicht sehe ich, wie er in die Tasche der Hose greift, die er heute anhatte.

Als er sich wieder zu mir setzt, hält er mir einen Ring hin - meinen Ring. Heißt das, er trägt ihn immer bei sich?

Nono gift from heaven

"Es soll stimmen." Ich schluchze leise.

"Ich weiß. Tut es aber nicht, aber das ist okay, okay?"

"Ich..." Ich drücke das Metall an mich. Es ist nicht okay. Es tut weh. Aber es ist eben so. Und das tut auch weh.

"Hey, alles gut. Ich nehm ihn wieder, ja?" Seine Finger berühren meine, aber ich klammere mich an den Ring.

"Nein", schluchze ich, "ich will ihn behalten. Bitte, lass mich ihn behalten."

Jeno streicht über meine Wange, bevor seine Hände wieder auf die Matratze sinken. "Dann behalt ihn. Er gehört schließlich dir." Er seufzt. "Ich geh mir die Haare föhnen, okay?"

Ich nicke. Er drückt mir noch einen Kuss auf die Stirn, bevor er verschwunden ist.

Während er seine Haare trocknet, versuche ich verzweifelt, den Ring an meine zitternden Finger zu kriegen, und als ich es endlich geschafft habe, weiß ich, dass ich mich vorher ohne ihn unvollständig gefühlt habe. Dass er das war, was mir seit Jeno im Krankenhaus war gefehlt hat. Dass ich seinetwegen immer wieder gestutzt habe, wenn mein Ringfinger frei war.

Ich kauere mich zusammen, bis Jeno zurückkommt.

"Jaeminnie." Er spricht so sanft, ich heule noch mehr. Ich habe ihn nicht verdient. "Schon okay."

"Nein." Es ist nicht okay, dass ich dir das Herz gebrochen habe. Nichts von all dem ist okay. Ich nutze es jetzt ja auch noch aus, dass du mich liebst. Ich hätte einfach sterben sollen, Jeno, dann hätte ich mich nicht so an dich geklammert.

"Es ist okay." Er zieht mich auf seinen Schoß. "Du kannst immer weinen. Ich will nicht, dass es dir schlecht geht, aber wenn das so ist, bin ich für dich da."

"Ich tu dir nur weh."

"Tust du nicht. Ich liebe dich, Jaemin, nur bei dir zu sein, ist wunderschön."

Er klingt so ehrlich. Und das macht es noch schlimmer.

Was ist, wenn ich deine Liebe nicht erwidern kann, Jeno? Was ist, wenn es so zwischen uns bleibt? Dass ich dir immer nur einen Bruchteil von dem gebe, was das Richtige für dich wäre? Wie sollst du glücklich werden, wenn ich dich so an mich binde? Wenn du immer wieder zu mir zurückkommst und ich es hinnehme, weil ich dich brauche? Wieso lässt du mich nicht gehen, Jeno? Wieso hältst du daran fest?

"Ich will nicht mehr."

"Ich weiß, mein Engel, ich weiß."

Damit gibt mein Herz auf, ich falle gegen Jeno und bin weg.

20-12-04 ach bb
waste it on me - bts
das war das allererste Lied auf meiner nomin Playlist 🥺🥺

WARUM SAGT MIR EIGENTLICH KEINER DASS ES DER 23.12. IST? ICH MACH DOCH MORGEN EINE LESENACHT TAT
ich schreib dazu später eine Ankündigung, jetzt geh ich schlafen <3

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