2♡% - renjun
tw: selfharm; cuts,
mentioning of suicide attempt
Mein Handy klingelt zwei Sekunden, nachdem ich meinen Wecker auf Snooze gestellt habe, und ich bereue es, Harvey die Erlaubnis gegeben zu haben, mir vor meinen Eltern zu gratulieren.
"Good morning, baby."
Ich muss lächeln. "Morning."
"Oho, ein englisches Wort aus deinem Mund. Das hör ich doch gern."
"Mh."
"Weißt du, was heute ist, Injunnie?"
"'rtstag", murmle ich.
"Wenn du gerade 'Geburtstag' gesagt hast, war das richtig. Happy birthday~"
"Hm." Ich bereue es doch nicht mehr. Erst recht nicht, als er anfängt, für mich zu singen.
"Und jetzt raus aus den Federn, sonst kriegst du den Bus nicht." Ich bin stolz auf ihn, dass er sich die Redewendung gemerkt hat, aber beleidigt, dass er will, dass ich aufstehe.
"Will nicht", jammere ich, drehe mich auf die andere Seite, um mein Handy nicht mehr festhalten zu müssen.
"Mir egal, ich will dich noch küssen und dir dein Geschenk geben."
"Menno", schmolle ich, "noch fünf Minuten."
"Musst du duschen?"
"Ja."
"Bedeutet, du hast keine fünf Minuten mehr."
"V", jammere ich, "tu mir das nicht an."
"Och Injun", schmollt er zurück, "du hast das gestern selbst gewollt."
"Da war ich aber auch noch nicht so müde!"
Er gluckst fröhlich. "Ich mache dir einen Kaffee."
"Lieber küssen."
"Wen?"
"Dich, Idiot."
"Du musst herkommen."
"Ich weiß, ich weiß." Grummelnd setze ich mich auf. "Warte, ich mach meinen Wecker aus."
"Was?"
Ich muss lachen. "Warte." Ich schalte meinen Wecker aus und erkläre es meinem Freund, während ich zu meinem Schrank gehe, Klamotten rausnehme und ins Bad gehe.
"Willst du ASMR kriegen oder leg ich auf?"
Ich höre sein Grinsen. "Auflegen, ich muss auch duschen. See you later."
"Mh", ich gähne, "later, V."
"Hach, ich mag dein Englisch." Dann legt er auf, und ich gehe breit grinsend unter die Dusche. Und ich mag dich, Harvey Leigh Cantwell.
Da der Idiot, der sich mein Freund schimpft, gerade mal fünf Minuten Fußweg von der Schule entfernt wohnt, kann ich den früheren Bus an meiner Haltestelle nehmen, um ihm vor dem Schulbeginn einen Besuch abzustatten – schließlich bin ich eine halbe Stunde vorher an der Haltestelle und von da sind es zwei Minuten bis zu ihm. Wenn ich mich beeile, so wie ich es heute tue, brauche ich sogar gerade mal eine, da kaum jemand in meinem Alter freiwillig früher zur Schule fährt, als er muss, und ich hinter niemandem herdackeln muss, weil die alle laufen wie alte Greise, sogar wenn man die Rückenhaltung nicht beachtet.
Die Auffahrt renne ich sogar, und kaum habe ich geklingelt, geht die Haustür auf.
"Das ging schnell", grinse ich.
"Ich habe gewartet auf dich."
Es wird breiter. "Ich habe auf dich gewartet."
"Ich habe auf dich gewartet", wiederholt er, ich nicke und schmeiße mich gegen ihn.
"Hi", lächelt er, als ich zu ihm aufsehe.
"Hi", erwidere ich, und lasse mich nur allzu gern von ihm küssen.
Hm, ja, das kann so bleiben.
"My present", schmolle ich ihn an, und er pikst mich in die Seite, dass ich von ihm wegzucke.
"Du bist zu cute für mich."
"Hehe." Ich folge ihm ins Haus und ins Wohnzimmer, bin immer noch beeindruckt von der Größe des Ganzen, auch wenn er darauf besteht, dass es gar nicht so viel größer sein als unser Haus. Was nicht stimmt, aber die Diskussion haben wir schon hinter uns.
"Here you go." Ich schrecke zurück, nehme Harvey das sorgfältig eingepackte Geschenk aus den Händen.
"Thank you~"
"Ich soll deine Sprache lernen, du nicht meine."
"Damit musst du leben", grinse ich, und er schmunzelt, bevor ich das Papier auseinanderfalte.
Zum Vorschein kommt die Schachtel der besseren Version des Stiftes für mein Zeichentablet.
"Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich dir schenken soll", murmelt Harvey, "aber von dem Stift hast du geredet. So habe ich ihn besorgt."
"Also", lächle ich.
"Also habe ich ihn besorgt. Wenn du ihn nicht magst, kann... Shit, ich hab das Wort vergessen."
"Du musst ihn nicht umtauschen. Der ist toll. Danke." Ich umarme ihn und er erwidert es, streicht durch meine Haare.
"Gut, dass du dich freust. Küsst du mich jetzt?"
Lächelnd lege ich meine Lippen auf seine.
Wir sitzen noch eine Weile im Wohnzimmer, ich erzähle ihm von meinen Geschenken, während er durch meine Haare streicht, bevor wir losgehen, damit die anderen sechs Spasten, mit denen ich befreundet bin, sich nicht beschweren und mir gratulieren können, bevor der Unterricht anfängt, obwohl sie das vorhin auf der Busfahrt schon ausreichend getan haben und meine mobilen Daten davon nicht begeistert waren. Trotzdem ist es schön – obwohl sie mich durch Harvey dazu kriegen, eine dieser hässlichen Geburtstagskronen aufzusetzen.
Während des Unterrichts lassen sie mich in Ruhe, dafür muss ich in Koreanisch das schiefe Gesinge meiner Klasse über mich ergehen lassen. Es ist nicht all zu schlimm, aber ich mag es nicht, wenn für mich gesungen wird.
Im Laufe des Schultages schlägt die Müdigkeit wieder zu, und während wir draußen auf Nomin warten, die noch in der Sporthalle mit Jeon rumhängen, lehne ich meinen Kopf gegen Harveys Schulter.
"Was denkst du, wenn wir in die Stadt gehen und etwas essen und zu dir fahren?"
"Ich will eigentlich einfach nur schlafen", murmle ich in seinen Hoodie, "tut mir leid."
"Schlafen? Bist du müde?"
"Hm."
"...How much did you sleep?"
"Few hours", nuschle ich, weil ich es selbst nicht mehr so genau weiß.
"Also gehen wir jetzt. Wann geht der Bus?"
"Viertelstunde. Fifteen minutes", ergänze ich, als er mich fragend ansieht.
"Viertel...?"
"Viertelstunde. Fünfzehn Minuten."
"Ah. Warten wir noch?" Ich nicke. "Okay. Du schläfst, wenn wir bei dir sind."
"Ich muss vorbereiten. Meinen Geburtstag."
"Ich mache das. Du sagst mir, was zu tun ist, und dann schläfst du."
"Ich lass dich ganz bestimmt nicht die ganze Arbeit machen, V."
"Dann hilf mir. Aber erst schläfst du."
"Harvey", versuche ich es, aber er küsst mich, bevor ich mehr sagen kann.
"Halt den Mund", lächelt er. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Er riecht gut.
Als Nomin da ist, gehen wir ins Hauptgebäude, wo wir gerade noch auf Chensung und Markhyuck treffen, bevor wir alle in unterschiedliche Richtungen laufen. Harvey lässt sich von meiner Müdigkeit nicht aufhalten, hält meine Hand und erzählt mir fröhlich in einer Mischung aus Koreanisch und Englisch von irgendeinem Kumpel in Großbritannien – ich kann sowieso kaum etwas aufnehmen, und in einer anderen Sprache erst recht nicht.
Als wir im Bus sitzen – zum Glück; stehen zu müssen, hätte ich nicht ausgehalten –, lege ich meinen Kopf auf seiner Schulter und da wir beide Musik hören, und es hier viel zu laut ist, reden wir nicht. Erst als wir aussteigen, er mir den Kopfhörer aus dem Ohr zupft, geht es weiter, und auch wenn ich weder richtig zuhören kann noch Antworten gebe, könnte ich stundenlang so weitermachen.
"Und... wie hieß der jetzt?", frage ich vermutlich zum dritten Mal, als wir durch die Haustür treten.
Harvey gluckst. "Schon gut, Injunnie, das sage ich dir eine andere Zeit."
"Zu einer anderen Zeit", berichtige ich ihn.
"Wenigstens das kannst du noch." Lächelnd drückt er mir einen Kuss auf die Stirn. "Los, schlafen."
"Aber", jammere ich, doch er schiebt mich schon die Treppe hoch.
"Wann kommen deine parents?"
"Meine Eltern kommen irgendwann spät."
"Dann mache ich mir Musik an und bereite vor. Und du schläfst, verstanden?"
"Ja", murre ich, aber da er mir dafür sogar seinen Hoodie gibt und mich zudeckt, habe ich doch nicht mehr so viel zu meckern. Vor allem, weil ich echt richtig müde bin.
"Ich komme dich wecken."
"Hmm." Ich ziehe ihn zu mir herunter und küsse ihn. "Thank you."
"You're welcome, baby."
"Du kannst das auch auf Koreanisch sagen", murmle ich, mich zur Seite drehend.
"Baby? Aegi, ja?"
"Mir beides recht."
"Okay, aegi."
Ich grinse, bis ich einschlafe.
𖣓
Statt durch Harvey werde ich von selbst wach, und ich fühle mich deutlich besser. Der Blick auf meinen Wecker sagt mir, dass ich etwas mehr als eine Stunde hinter mir habe, weshalb ich aufstehe und noch einmal die Stille und Harveys Hoodie genieße, ehe ich meinem Freund Gesellschaft leiste.
Er bemerkt mich sofort, macht die Musik aus und kommt zu mir.
"Baby", strahlt er, und ich vergrabe daraufhin mein Gesicht an seiner Schulter. Er macht es jetzt also wirklich.
"Wie weit bist du?", nuschle ich.
"Fast fertig. Das Essen ist noch nicht fertig. Ich habe nicht die ganze Zeit gearbeitet."
"Besser so." Ich richte mich auf und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. "Thank you so much."
"Everything for my baby." Er grinst, als ich rot werde, und zieht mich an sich. "Gut geschlafen?"
"Ich denke. Wann wirst du nachher abgeholt?", fällt mir ein.
Harvey sieht mich schief an, hebt die Augenbrauen. "Nachher? ...Morgen?"
Jetzt sehe ich ihn blöd an.
"Ich schlafe hier, Injun."
Mir entgleisen die Gesichtszüge. "Ich hab das vergessen...! Warum... Wie..." Wie konnte ich das vergessen? Und außerdem, fuck, jetzt bin ich nicht darauf vorbereitet. Fuck, fuck, fuck, fuck, fuck.
"Wenn du nicht willst, dass ich hierbleibe, muss ich das auch nicht."
"Nein, ja, ich... Das ist es nicht, ich... Es tut mir leid..."
"Junnie. Hey." Er nimmt mein Gesicht in seine Hände. "Du musst das nicht jetzt entscheiden. Du kannst das auch nachher entscheiden. Das ist nicht schlimm."
"Si...cher?"
"Sicher. Und ich nehme es dir auch ... nicht übel, wenn du nicht möchtest, dass ich bleibe."
"Okay." Ich ziehe die Ärmel über meine Hände. "Tut mir leid."
"Es ist okay, Injunnie. Keine Sorge. Entschuldige dich nicht ständig."
"Okay. Tut– So– Himmelherrgott."
Schmunzelnd streicht er mir durch die Haare. "Hilfst du mir mit dem Essen?"
"Irgendwas kann ich für meinen Geburtstag ja machen, oder?" Auch wenn ich irgendwie nicht will, dass irgendjemand herkommt. Eigentlich will ich alleine in meinem Zimmer sitzen und das ganze Essen selbst essen.
Und weil Harvey mich die ganze Zeit so liebevoll forschend von der Seite ansieht, sage ich ihm das auch.
Er hält inne, sieht mich an. Ich kann sehen, wie es in seinem Kopf arbeitet. Dann holt er sein Handy aus dem Wohnzimmer und gibt etwas ein – vermutlich eine Übersetzung.
"Wenn du das nicht machen möchtest, kannst du absagen."
"Kann ich nicht", erwidere ich prompt, "Jaemin freut sich so drauf."
"Junnie, was Jaemin findet, ist völlig egal, wenn du das nicht machen willst."
"Nein, ist es nicht! V, er hat uns ewig nicht sehen können und darf seit Ewigkeiten nicht mehr mit uns tanzen und klar sehen wir uns jetzt in der Schule, aber das ist doch ganz was anderes! Du hättest ihn an Jisungs Geburtstag sehen müssen, ich kann ihm das doch jetzt nicht wieder nehmen!"
"Aber er kann sich doch gar nicht erinnern."
Ich stütze mich auf meinen Händen ab, verstecke mein Gesicht dahinter. "Er kann sich nicht erinnern." Das vergesse ich immer wieder. "Ja, er kann sich nicht erinnern."
Harvey streicht über meinen Kopf, was mein Bedürfnis nach einem Tränenausbruch ein wenig senkt. "Ihr werdet das nachholen können. Sie nehmen dir das nicht übel."
"Ich weiß. Und das ist es doch auch gar nicht. Ich bin einfach fertig. Ich hab schlecht geschlafen. Außerdem hasse ich es, wie Jeno ihn ansieht, weißt du? Er wollte sich– Er wollte sich umbringen, auch wenn er es nie gesagt hat, aber das ist doch nicht zu übersehen. Hast du seine Arme heute gesehen? Der schneidet sich noch eine Sehne durch, so tief sind seine Schnitte." Ich muss durchatmen.
"Sich umbringen?"
Ich will heulen. "Er wollte sterben. Suizid. Suicide?"
"Oh."
Ich lache trocken auf. "Ja, oh. Ich will sie alle sehen", fahre ich fort, "ehrlich, und es ist doch auch immer schön, aber ich kann Jeno nicht ansehen, ohne daran zu denken, und wenn ich Jaemin sehe, muss ich immer daran denken, dass er fast nicht mehr hier gewesen wäre. Ich, ich meine... Wenn das passiert wäre, hätte Jeno ihn nach seinem Tod wenigstens wiedergesehen, weißt du? Aber er will sterben, obwohl Jaemin hier ist. Obwohl er ihn voller Liebe ansieht, obwohl sie es beide nicht merken. Obwohl es jetzt nur noch bergauf gehen kann. Ich will die beiden aber auch nicht nicht dabeihaben, weil es ohne sie einfach nicht das Gleiche ist. Aber es ist auch nicht das Gleiche, wenn sie sich traurig ansehen, und wenn Jeno sich die ganze Zeit am Arm kratzt, und wenn du weißt, dass Jaemin ihn umarmen will, sich direkt neben ihn sitzen will, sich an ihn kuscheln will, es aber nicht macht, es ist nicht auszuhalten mit den beiden. Eine Sekunde allein mit denen und ich heule für beide."
"Warte kurz", sagt Harvey leise. Während er nichts sagt, vermutlich Übersetzungen sucht, werden meine Handinnenflächen nass. Dabei hatte ich mir fest vorgenommen, nicht zu weinen, bevor sie nicht weg sind. Aber da mein Freund jetzt bleibt, wäre der Plan wohl eh hinfällig gewesen.
"Okay", beginnt genau der, "so lange du mich verstehst, sollst du mich mal kurz nicht berichtigen, sonst vergesse ich das alles wieder. Ich kann dich, ein Stück, verstehen, und ich kriege es von Jaemin und Jeno ja auch mit. Und ich kriege mit, wie es dir und den... anderen geht. Ein bisschen. Und... wenn du nicht feiern möchtest, dann feierst du nicht. Das kannst du ihnen ehrlich sagen. Ihr könnt das jetzt nachholen. Warte... Du musst abwägen, ob du feiern willst, oder nicht feiern willst. Du kannst entscheiden, ob du es ihnen sagen willst, wie es ist."
"Ich weiß es aber doch nicht", schluchze ich. "Ich will es ihnen nicht nehmen, aber es mir nicht antun."
"Komm her." Ich sinke in seine Umarmung. "Ich weiß das. Und das ist eine... scheiß Entscheidung. Aber du musst sie ...fällen?" Ich nicke. "Fällen. Wer hat sich das ausgedacht?"
Ich lache erstickt auf. "Ich mir bestimmt nicht."
"Du denkst dir bessere Sachen aus." Er drückt mir einen Kuss auf den Scheitel. "Wir setzen uns, und sehen weiter, alright?"
Ich schniefe, wische mir über die Augen. "Alright."
Sein sanfter Griff führt mich zum unserem Sofa. Ich bin so dankbar, dass er hier ist.
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Natürlich lasse ich sie herkommen, etwas anderes hätte ich auch nicht übers Herz gebracht. Und das fünffache – Jeno, wann lächelst du endlich wieder? – Strahlen verrät mit, dass es das Richtige war.
"Alles Gute!", quietscht Chenle und schubst mich mit seiner Umarmung um.
"Das hatten wir doch schon, Lele." Trotzdem lege ich meinen freien Arm um ihn, halte Harveys Hand fester, als er meine loslassen will.
Und da ist es wieder, das Nomin-Dilemma. Jeno lässt Jaemin vor sich hineingehen und ich höre ihn schon fragen, ob dem Jüngeren kalt ist, während der noch darüber hinwegkommen muss, nicht Jenos Hand nehmen zu können. Wenn ich könnte, würde ich ihre Voodoo-Puppen aneinanderbinden.
Ablenken, hat Harvey gesagt. Ich drehe dessen Kopf zu mir und küsse ihn, und ich glaube, er hat es auch bemerkt, da er, als wir uns lösen, die Tür schließt und mich in die Küche zieht.
"Okay?", fragt er, drückt mir zwei der gekühlten Softdrinks in die Hand. Ich nicke.
Ja, okay ist es. Und es ist auch schön. Aber es gibt eben diese Momente, in denen Jaemin seinen Blick senkt, oder seinen Hasenblick draufhat, oder in denen Jeno ins Nichts starrt, von Jaemins Berührungen zurückweicht – was meistens das ist, was zum Hasenblick führt, der Jenos Zustand nicht besser macht. Sowieso ist er noch viel stiller als sonst, sitzt nur da, isst sogar kaum. Ich will ihn schütteln, auch wenn ich weiß, dass das nichts brächte. Komm doch endlich zu dir, Jeno. Du weißt, das alles gut wird. Wer redet dir ein, dass es nicht so ist?
Er kratzt und kratzt und kratzt und irgendwann ziehe ich ihn mit mir aus dem Raum, schließe die Tür zum Flur ruckartig hinter uns.
"Lee Jeno." Ich nehme seinen Kopf in meine Hände, damit er nicht wegsehen kann. "Warum um alles in der Welt fängst du jetzt an, dich umbringen zu wollen?"
"Hat Jaemin dir das gesagt?", übergeht er meine Frage.
"Nein, hat er nicht. Ich bin nur nicht so blind, wie du denkst, sind wir alle nicht. Beantworte meine Frage. Jetzt."
Er presst seine Lippen aufeinander. "Wenn es nicht mehr auszuhalten ist, gibst du eben nach."
"Was ist nicht auszuhalten? Jeno." Jetzt schüttle ich ihn doch leicht. "Wenn du immer den Mund hältst, kann dir niemand helfen."
"Ich weiß doch nicht, was ich sagen soll."
"Versuch's doch wenigstens! Du willst nicht, dass Jaemin darunter leidet, aber dein Verhalten macht es noch schlimmer! Rede mit ihm. Sag ihm, was du brauchst, und wenn es nur für diesen einen kurzen Moment ist. Rede mit mir, wenn du nicht mit ihm reden willst, mit Mark-hyung, Himmel, mit Soya, deinen Hyungs, du kannst uns alle fragen, warum tust du es nicht?"
"Kann mir irgendeiner von euch meinen Jaemin zurückgeben? Meine Schwester? Meine Familie? All das, von dem ich nicht einmal weiß, was es ist? Ich weiß nicht, warum es mir so geht, Renjun, ich weiß nicht, warum ich höher angesetzt und tiefer geschnitten habe. Wenn ich es wüsste, könnte ich ja auch etwas tun."
Ich verpasse ihm eine sanfte Ohrfeige. "Dann denk darüber nach, was es schlimmer macht, und tu etwas dagegen. Du stirbst nicht. Sonst brichst du Jaemin das Herz und nimmst Chenle seinen Lieblingshyung. Wenn du es nicht aushältst, okay, gut, gib auf. Wenn du dann im Himmel glücklich wirst, alles klar. Aber du hast hier einen Wert. Auch wenn du ihn selbst nicht siehst. Du hast ihn, Jeno, und wenn's sein muss, schreibe ich dir das alles auf, damit du es endlich einsiehst. Wach endlich auf. Es ist nicht leicht, und verdammt, das weiß ich, das sehe ich. Aber um Jaemin geht es hier doch, oder? Jaemin ist doch der, der das alles ausgelöst hat. Lüg mich nicht an."
"Ist er", erwidert er schwach, und ich bin mir sicher, dass ich die erste Person bin, vor der er das zugibt. "Aber–"
"Ich weiß, dass du nicht willst, dass er sich schlecht fühlt, und ich weiß, dass das nur die letzte Schneeflocke vor der Lawine war. Aber Jeno, er ist noch hier. Und er wird bleiben. Und wenn du gehst, geht er kaputt. Das weißt du. Er tut dir weh, wenn er nur bei dir ist, ich weiß. Aber wenigstens für ihn musst du doch bleiben können."
"Ich versuch's, Renjun. Ehrlich."
"Ich weiß. Das reicht mir. Du darfst das nicht vergessen."
"Ja. Okay."
"Gut. Und jetzt lässt du ihn seine Beine auf deinen Schoß legen, damit ihr aufhört, auszusehen wie getretene Hunde." Er nickt, ganz leicht, und wir gehen zurück zu den anderen.
Erst als ich sitze, bemerke ich es. "Wo ist Jaemin?"
"Wollte Wasser trinken", kommt Hyuck mir zur Hilfe. Sofort sehe ich zu Jeno, der erst jetzt realisiert, was das heißt, und seine Augen aufreißt. Er hat alles gehört.
Das Zufallen der Haustür erschüttert das gesamte Gebäude und wir bleiben noch zwei Sekunden wie erstarrt sitzen, bis Jeno aufspringt und wir ihm gesammelt auf den Flur folgen.
"Seine Schuhe und mein Mantel sind weg", teilt er uns mit.
"Er hat sein Handy hiergelassen", verkündet Jisung hinter mir, Angst in der Stimme.
"Wir suchen ihn", sagt Mark, "jetzt sofort. Wer nicht will, kann bleiben. Alle, die gehen, nehmen ihre Handys mit. Keiner geht allein. Zieht euch warm an und nehmt etwas für Jaemin mit, sonst friert er sich noch zu Tode da draußen."
Ich kann nicht mehr machen als das, wozu er uns angeleitet hat, Harvey hilft mir in meine Handschuhe. Wir bilden zusammen mit Jeno ein Team, gehen in die gleiche Richtung, während Mark und Jisung, Hyuck und Chenle in jeweils andere gehen.
"Jeno, du kennst ihn immer noch am besten."
"Wenn er einfach nur drauflosgerannt ist, hilft uns das aber leider auch nicht."
Ich antworte nicht, weil er Recht hat.
Wir laufen schweigend weiter, manchmal rennen wir, manchmal bleiben wir sogar stehen. Ich bin auf einmal froh, so abschüssig zu leben, so kann man jemanden wenigstens besser finden, weil niemand sonst so spät unterwegs ist.
An einem Punkt bleibe ich stehen, weil ich das Gefühl habe, etwas gehört zu haben, und das nimmt Jeno als Aufforderung, Jaemins Handy einzustecken und sich zu uns umzudrehen, wo er vorher vor uns hergehastet ist. Ich schätze, die Stimme der Liebe seines Lebens erkennt man auch über mehrere Kilometer Entfernung.
"In zehn Minuten seid ihr immer noch hier oder zurück. Nicht eine Sekunde länger. Ruft auf Jaemins Handy an. Okay?"
"Okay", sage ich noch, dann ist er weg, seine Schritte werden kurz darauf von Stille verschluckt.
Ich ziehe Harvey in eine andere Richtung mit mir. Ich kann nicht einmal darüber nachdenken, was gerade passiert, ich will einfach nur Jaemin wiederfinden.
Sechs Minuten sind es bis zu Jenos Anruf.
"Renjun? Ich hab ihn."
Ohne Harveys Griff wäre ich auf die Straße gesunken. "Gott sei Dank. Wir sagen den anderen Bescheid, bring du ihn einfach zurück und wärm ihn auf. Ich hab auf meinem Bett ein Kirschkernkissen liegen und du kannst ihn in einen von Harveys Hoodies stecken. Tee ist neben der Spüle oben."
"Okay." Ich glaube, die Hintergrundgeräusche sind Jaemins Schluchzen. "Danke, Jun. Wir sehen uns bei dir. Ich ruf gleich schon Nayeon an, Nana will nach Hause. Du kannst die anderen auch beruhigen, okay? Er ist in Ordnung. Durchgefroren und aufgelöst, aber es geht ihm gut." Ein Wimmern, gefüllt von Verzweiflung. Oh, Jaemin. "Alles gut, Engel. Ich bring dich zurück." Himmel, diese Liebe haut ja sogar mich um. Ist Jeno, und Jaemin, bewusst, dass da gerade das Wort Engel aus seinem Mund gekommen ist?
"Ich sag's ihnen. Pass gut auf ihn auf, aber du bist der Letzte, dem ich das sagen muss. Du hast dich auch aufzuwärmen, wenn ihr zurück seid."
"Mach ich. Bis gleich, Renjun. Danke." Er legt auf, und ich reiße mich zusammen, ziehe Harvey mit mir in die Richtung, aus der wir gekommen sind.
"Er hat ihn?", fragt mein Freund nach. Ich nicke, wähle Hyucks Nummer.
"Ich will, dass du bleibst", kann ich Harvey noch sagen, bevor mein bester Freund abnimmt.
"Bitte sag mir, dass ihr ihn gefunden habt." Er klingt panisch, außer Atem.
"Ja. Jeno bringt ihn gerade zurück."
"Fuck, dem Himmel sei Dank."
"Ihr solltet auch zurückkommen. Ich ruf Mark-hyung gleich noch an. Wärmt euch auf und so. Und Jaemin ist okay. Durchgefroren und aufgelöst", zitiere ich Jeno, "aber okay."
Hyuck atmet aus, als hätte er die Luft ewig angehalten. "Gut. Dieser fucking Idiot, ich bring ihn um."
"Warte wenigstens, bis er wieder warm geworden ist."
"Seine Leiche ist doch eh wieder kalt. Gott, Lele, nein, er lebt noch! Himmel, tut mir leid, nicht weinen, Delfinchen. Junnie, wir sehen uns gleich bei dir, ja? Gott, dieser Tag muss vorbeigehen."
Ich lache schwach. "Oh, bitte. Bis gleich, Hyuck. Drück Lele von mir."
"Mach ich."
Mark-hyung, Mark-hyung, Mark-hyung.
"Renjun?"
"Jeno hat ihn."
"Oh, for fuck's sake, thank fucking God. Jisung-ah, Jeno hat ihn gefunden!"
"Hyung", höre ich Jisung im Hintergrund, und er klingt ebenfalls den Tränen nahe.
"Ihm geht's gut. Ist ein verheulter Eisblock, aber er lebt und wird wohl nicht mehr als eine Erkältung davontragen."
"Das ist gut. Bis gleich, Renjun-ssi, ich bring unseren Maknae zurück, sonst kippt der mir hier gleich um. Komm her, Jwi, deine Hyungs sind alle noch da." Ein für mich unverständliches Schluchzen. "Ja, er bleibt. Alles gut. Wir gehen zurück und ich mach dir einen Tee. Ja, du kannst ihn umarmen. Wir umarmen ihn gefälligst alle, dieser Idiot. Tut mir leid. Nein, das ist nicht böse gemeint. Ach, Jwi. Komm, wir kehren um."
"Bis gleich, hyung", sage ich.
"Bis gleich, Renjun. Ich hoffe, du hast Tee."
"Wenn wir nicht vor euch da sind, weiß Hyuck auch, wo der ist."
"Gut." Er legt auf. Ich stecke mein Handy weg, bevor ich es durch die Gegend pfeffern kann.
"Ich bring Jaemin um", grolle ich, "dieser..."
"Du zitterst, Injunnie."
"Vor Wut!"
Nein, vor Angst. Aber Jaemin ist wieder da, das ist alles, was zählt.
20-11-30 somebody - hrvy (obv lol)
honestly veyren just makes me so happy, they're so pure and adorable 🥺
bro. ich hab hier mal eben die Geschichte neu ausgerichtet i-
(hab das vor dem eigentlichen Kapitel geschrieben)
MAMA :(
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