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tw: selfharm, scars
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Herr Kim ist mir zu gut gelaunt und zu energetisch, aber wenigstens aus gutem Grund. Er sagt, dass ich vermutlich schon ziemlich bald zur Schule kann - und das erleichtert mich, da ich Sachen von unseren Lehrern geschickt bekommen habe, und teilweise nicht ansatzweise Ahnung habe, was auch nur das Thema ist. Auch wenn Jeno mir Hilfe angeboten hat, bin ich doch froh, sie dann von Lehrern zu kriegen - und überhaupt, ich darf wieder zur Schule... Ich erinnere mich vielleicht nicht daran, aber ich weiß dennoch, dass ich es gehasst habe, nicht gehen zu dürfen. Ich wollte von Anfang an nicht zu Hause bleiben müssen.
Wie es Jeno geht, ob es ihm besser geht, weiß ich nicht so richtig. Er redet mit mir nicht darüber, was auch vollkommen okay ist, aber ich mache mir einfach Sorgen um ihn. Den Verband trägt er immer noch, auch als er wieder zur Schule geht, ist vom Sportunterricht befreit. Er ist nicht mehr so glücklich wie früher, aber überraschend ist das nicht. Ich hoffe, dass er sich wenigstens freut, dass ich bald wieder zur Schule kann.
Ich freue mich vielleicht etwas zu sehr, als er unangekündigt in meiner Tür steht. Und dann fallen mir drei Dinge auf: Er trägt seine Brille, hat seine Haare geschnitten und hält zwei Schachteln Blondierung in der Hand.
"Oh", sage ich.
"So schlimm?", fragt er.
"Nein, das... Ich... Hast du das heute...?"
Er nickt. "Hat mich genervt."
Ich stehe auf und gehe auf ihn zu, er schließt die Tür hinter sich. Als ich vor ihm stehe, nehme ich seinen Kopf in meine Hände und drehe ihn zu beiden Seiten.
"Das steht dir so gut", werde ich dann doch noch los. "Wirklich."
"Das ist gut."
"Hast du's nicht gesehen?"
"Hatte meine Brille noch nicht auf", er grinst schief, "also nicht so richtig."
"Willst du's sehen?"
Er zuckt mit den Schultern. "Muss ja nicht drei Stunden in den Spiegel starren."
"Musst du auch nicht." Ich pfeffere die Blondierungen auf mein Bett und schiebe ihn zu meinem Spiegel. "Du siehst wirklich gut aus, Jeno."
Eine Weile starrt er nur in den Spiegel.
"Oh", sagt er dann auch. "Anders."
"Aber gut."
"Ich muss mich daran gewöhnen."
"Ans Blond nachher noch mehr", ergänze ich, zögerlich meine Arme von hinten um ihn schlingend.
"Definitiv."
Aber da er seine Finger auf meine legt, sie noch etwas fester um sich zieht, lege ich auch noch meinen Kopf auf seiner Schulter ab. So sehen wir eine Weile nur in den Spiegel, bis er mich loslässt und die Farben wieder von meiner Matratze nimmt.
"Bevor ich keine Motivation mehr hab."
Wieder zerre ich ihn mit mir, und gefühlte Sekunden, aber ewiges Gerede später fallen wir wieder auf mein Bett, ich auf meinen Rücken, Jeno bleibt sitzen.
"Ich war heute beim Arzt."
Er sieht zu mir herunter. "Und?"
"Ich darf diesen Monat vielleicht schon wieder zur Schule."
Seine Augen werden groß. "Ernsthaft?"
Ich nicke. "Wegen der Prüfungen. Weil ich die mitmachen will, weil ich nicht wiederholen will."
"Weiß ich. Schulzeug hast du?"
"Hab von Jeon eine Sammelmail gekriegt."
"Gut."
Stille.
"Dir steht blond", sage ich leise. "Und der Schnitt auch."
"Fühl dich geküsst."
Innerhalb von Sekundenbruchteilen werden wir beide knallrot, ich drehe mich auf die Seite und er setzt seine Kapuze auf.
"Tut mir leid", murmelt er.
"Schon gut."
Ich weiß sogar, wie es sich anfühlt, und das macht es nicht wirklich besser. Gott
"Jaemin?"
"Hm?" Meine Stimme bricht.
Er lächelt. "Dir steht das Blond auch."
"Ich muss meine Haare schneiden."
"Ich mag sie lang." Ich spüre seine Hand in meinen Haaren, vorsichtig, zu kurz. Ich rolle ihr hinterher und liege somit direkt neben ihm, kann sein Waschmittel riechen. Zuhause. Ohne es richtig wahrzunehmen, streiche ich über seine Wange, und er nimmt meine Hand in seine, drückt sie sanft, bettet sie in seinem Schoß.
"Permanent will ich Eommas Schmerztabletten nehmen", flüstert er, "und dann kommst du und ich frage mich, wie ich überhaupt auf die Idee komme."
Ich lege seine Hand an mein Herz. "Es tut mir so leid", wispere ich.
"Ich weiß. Und mir auch, Jaem."
Ich drücke einen Kuss auf seine Knöchel, seine Augen sind unruhig, aber er sagt nichts. Dann schiebe ich seinen Ärmel höher, und er nickt, als ich ihn fragend ansehe, also löse ich einhändig den Verband.
Das erste Mal sehe ich seine Verletzungen.
Ich setze mich langsam auf, noch immer seine Hand haltend, und streiche über seine verletzliche, verletzte Haut. Er zuckt zusammen, nur leicht, also höre ich auf.
"Alles gut", sagt er leise. Trotzdem betrachte ich nur die Schnitte, neu und alt, rot und weiß. Ich kann nicht einmal etwas dazu sagen. Sie zu sehen, macht mich traurig. Er hat es nicht verdient, so sehr zu leiden, dass er sich das selbst antut.
"Tut es weh?", frage ich irgendwann.
"Manchmal. Wenn ich will, dass es wehtut. Es... geht mir mehr ums Bluten."
Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
"Soll ich dir den Verband wieder ummachen?"
"Später. Das kann Luft vertragen."
Und wieder sind wir still.
"Ich will nicht zur Schule."
Jeno gibt ein überraschtes Geräusch von sich. "Aber-?"
"Ja, nein, ja..." Ich seufze. "Ich will wieder zur Schule. Ich will euch jeden Tag sehen. Ich will wieder Unterricht haben. Ich will mich wieder mit unseren Lehrern rumschlagen. Ich will um Himmels willen wieder Prüfungen schreiben. Aber ich will unsere Klasse nicht wiedersehen. Scheiße, ich will Jisoo nicht wiedersehen. Ich will keine Fragen hören. Ich, Mann, ich weiß nicht, was ich will."
"Du kommst einfach wieder, wenn du kannst", sagt Jeno ruhig, "und wir entführen dich jede Pause, bevor dir jemand was tun kann."
"Das klingt nach einem Plan", murmle ich. Ich kauere mich zusammen und lehne meinen Kopf an seine Schulter.
"Ich muss dir noch was zeigen." Jeno schiebt mich vorsichtig von sich, ich schaue ihn schmollend an, aber er sieht es nicht, hält mir stattdessen sein Handy vor die Nase.
Es ist ein Video. Alle aus meiner Klasse sind zu sehen.
"Was..."
Ein zwanzigstimmiges, wirres "Jaemiiin!" schallt mir entgegen, als Jeno das Video startet, und sofort werden meine Augen wässrig.
"Hi!" Xiyeon als Klassensprecherin tritt vor, strahlend. "Wie geht's dir? Du glaubst gar nicht, wie alle hier ausgeflippt sind, als Herr Jeon uns gesagt hat, dass du noch lebst!"
Seungmin taucht hinter ihr auf, stellt sich neben sie. "Wir sind echt verdammt froh, dass du noch unter uns weilst", übernimmt er, ein Lächeln zeichnet sich auf seinen Lippen ab, "und wir werden definitiv zu dir kommen, wenn du wieder mehr Besuch empfangen darfst. Und nicht durchdrehst, weil wir alle in einem winzigen Raum stehen und was von dir wollen."
"Wir haben ein paar Fragen gesammelt, die wir dir gerne stellen würden", kommt es wieder von Xiyeon, sie lächelt sanft. "Du musst sie uns auch nicht sofort beantworten und auch nicht alle, aber einige hier zerplatzen vor Neugier und Sorge."
Seungmin lacht leise, greift nach einem Papier auf dem Lehrerpult, reicht es der Klassensprecherin.
"Okay, also... Wann kommst du zurück in die Schule? Wie lange bleibst du noch in Behandlung? Was haben die mit dir gemacht? Ist alles in Ordnung mit deinem Körper? Wie lange braucht dein Immunsystem noch, um wieder einsatzfähig zu sein? Dürfen wir dich überhaupt irgendwann besuchen kommen oder müssen wir warten, bis du zurückkommst?" Sie sieht vom Zettel hoch, direkt in die Kamera. "Wir freuen uns darauf, dich wiederzusehen. Mach's gut! Meld dich bei uns!" Die Klasse winkt, und das Bild stoppt.
"Sie haben an mich gedacht..."
"Natürlich haben sie das." Jenos Finger berührt meine Wange, streicht eine Träne weg.
"Haben sie blöde Fragen gestellt?"
"Ein paar. Aber es war nicht so schlimm. Eigentlich waren sie alle nur froh, dich lebend zu wissen."
"Niemand hat gefragt, warum du nicht in der Schule warst?"
Er schüttelt den Kopf, lächelt leicht. "Vielleicht haben sie es gar nicht gemerkt. Ist mir auch egal, ich bin froh, dass ich dazu nichts sagen musste."
Ich nicke, schluchze. "Ich hasse euch alle."
Jeno lacht leise. "Ich weiß. Willst du auch ein Video aufnehmen?"
Ich schüttle heftig den Kopf. "Ich seh aus wie der letzte Dreck."
"Das stimmt nicht. Aber okay, schreibst du dann einen Brief und ich lese ihn vor?"
"Das... würdest du machen?"
"Natürlich."
Ich wische mir über die Wangen. "Hilfst du mir beim Schreiben?"
"Klar." Er streicht mir über die Haare, etwas unbeholfen. Weil ich es nicht aushalten kann, stehe ich auf und hole meinen Collegeblock und meine Federtasche, setze mich damit zurück zu Jeno und suche eine freie Seite heraus.
Eine Weile sitzen wir an dem Text, bis ich endlich zufrieden bin.
"Zuerst einmal Danke, dass ihr an mich gedacht habt und auch für das Video. Und dann die Antworten auf eure Fragen: Ich kann nicht genau sagen, wann ich wieder in die Schule komme, aber das wird ziemlich bald sein. Schon diesen Monat auf jeden Fall. Keine Ahnung, wie lange ich in Behandlung bleibe, ich nehme gerade aber nur Tabletten und Vitamine für mein Immunsystem. Alles Weitere wird mein Arzt mir hoffentlich sagen. Meinem Körper geht's ganz gut, denke ich, ich könnte jeden Tag zwölf Stunden schlafen, aber man gewöhnt sich daran. Ich bin noch unsportlicher geworden als früher, also erwartet bloß nicht von mir, dass ich euren Sportunterricht mitmache. Und ihr müsst warten, bis ich zurückkomme, aber das ist ja nicht mehr lange. Ich will gefälligst für jeden verpassten Geburtstag Süßigkeiten kriegen. Lebt unsere Pflanze eigentlich noch? Ihr habt mich bei allem auf den neuesten Stand zu bringen, und das ist keine Bitte. Ich freue mich, euch wiederzusehen. Bis bald!" Ich sehe vom Papier auf, in Jenos Lächeln.
"Wir können das auch aufnehmen. Also, eine Audio."
Ich spiele mit dem Zettel. "Und wenn ich mich verspreche?"
"Ist doch nicht schlimm. Dann könnten sie einfach mal wieder deine Stimme hören. Ist nur eine Idee."
Ich überlege, zögere.
"Ja."
***
"Jeno, Sie sind dran." Ich sehe zu Jeon auf, der mal wieder eine Ankündigung im Matheunterricht gemacht hat, und hole mein Handy unter zwanzig neugierigen Blicken heraus.
"Was wird das?", fragt einer der Jungs in der ersten Reihe.
"Jaemin hat für euch was aufgenommen", erkläre ich, und die Freude ist so groß, dass ich mit meinem Handy eine Weile nur blöd dasitze, bevor ich es abspiele. Alle anderen sind totenstill, lauschen den Worten meiner Lieblingsstimme.
"...Hi. Äh, zuerst will ich mich für euer Video bedanken, und dass ihr überhaupt an mich gedacht habt. Und... die Antworten auf eure Fragen: Ich kann euch nicht genau sagen, wann ich wieder in die Schule komme, aber das wird ziemlich bald sein. Schon diesen Monat auf jeden Fall. Und ihr glaubt mir vielleicht nicht, aber ich freu mich mordsmäßig drauf." Er lacht leise, und ich sehe seinen Blick in meine Richtung vor mir, verstecke mein Lächeln hinter meiner Hand. Er ist so hübsch, wenn er lacht.
"Keine Ahnung, wie lange ich in Behandlung bleibe, ich nehm gerade aber nur Tabletten und Vitamine für mein Immunsystem und so. Alles Weitere wird mir mein Arzt hoffentlich sagen. Äh, meinem Körper geht's ganz gut, denk ich. Ich könnt jeden Tag zwölf Stunden durchschlafen, aber man gewöhnt sich dran. Ich bin noch unsportlicher geworden als früher, also erwartet bloß nicht, dass ich an eurem Sportunterricht teilnehme. Lieber bleib ich noch länger zu Hause. Ihr müsst mit dem Wiedersehen warten, bis ich wieder zur Schule komm, aber das ist ja nicht mehr lange. Ihr gebt mir gefälligst für jeden verpassten Geburtstag Süßigkeiten. Lebt unsere Pflanze noch? Scheiße, ich hab sogar den Namen vergessen. Gott, ich sollte niemals Kinder haben. Ähm, egal, wo war ich? Scheiße. Verzeihung, Herr Jeon. Das haben Sie alles gar nicht gehört. Hören Sie das überhaupt?" Er seufzt, und ich weiß noch, wie panisch er mich angesehen hat, weil er einfach so drauflosgeredet hat. Aber das ist genau das, was ich wollte - dass er einfach so ist, wie er ist, so ist er schließlich am besten und so kennen wir ihn alle auch. Und ich habe ihn auch davon abgehalten, es nochmal aufzunehmen. Das ist gut so gewesen, wie es ist.
"...Ihr habt mich bei allem auf den neuesten Stand zu bringen, und das ist keine Bitte, sondern eine Drohung, auch wenn ich nicht weiß, womit ich drohen soll. Ich freu mich, euch wiederzusehen. Jeno sagt euch schon noch, wann, damit ihr euch darauf vorbereiten könnt. Bis dann~"
Totenstille.
"Noch ein Spacken mehr, den wir ertragen müssen."
Die ganze Klasse bricht in Gelächter aus, ich stecke mein Handy wieder ein. Es ist nicht nur die bescheuerte Bemerkung, sondern auch Erleichterung. Vor allem Erleichterung. Ich betrachte den leeren Stuhl neben mir. Du fehlst mir, Nana. Hoffentlich bist du wirklich bald zurück.
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«Wie hat sich das angefühlt? Dass deine Klasse dir so ein Video geschickt hat.»
Jaemin braucht darüber nicht einmal nachzudenken. «Großartig. Sie haben mir gefehlt und es war schön, dass das auf Gegenseitigkeit beruht hat.»
«Du bist immer noch in der Schule, richtig?»
«Ja. Nicht so richtig durchgehend, weil ich ständig wieder überlastet bin und nicht durchhalte, nicht einzuschlafen, oder ich werde krank, aber an sich bin ich wieder da. Und wiederholen musste ich auch nicht.»
«Das ist doch schön. Wie ist deine Klasse mittlerweile zu dir?»
Er lächelt. «Es ist alles wieder wie früher.»
20-11-23
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