Leseprobe Kapitel 1
Damian
Damian starrte fassungslos auf die Szene vor ihm. Eine Verwandlung ging durch den lächerlichen Menschen. Das Reißen von Stoff war zu hören, Ryders Kleidung platzte an den Nähten auf. Seine Gestalt wuchs in die Höhe, sein Schädel verformte sich, wurde spitzer, wie der eines Hundes. Außerdem sprießten plötzlich überall Haare auf seinem Körper. Mit einem Brüllen streckte sich das, was einmal Loan Ryder gewesen war.
Damian stolperte einen Schritt rückwärts. Das Monster holte mit einer krallenbesetzten Pfote aus, traf den Vampir, der Sophia aus dem Fenster gestoßen hatte, und schickte ihn ihr hinterher. Mit einem Schrei stürzte er hinaus und ein dumpfes Geräusch zeugte von seinem Aufprall. Ryder – besser gesagt das behaarte Vieh – drehte sich zu Damian um. Es hatte Lefzen, aus denen der Speichel tropfte. Spitze Zähne ragten aus einer fellüberzogenen Schnauze. Aus schräg stehenden Augen sah er sich um, ihre Pupillen groß, die Iriden fast schwarz.
Ein Wolf, schoss es Damian durch den Kopf. Aber wie konnte das sein?
Das Monster stürzte auf ihn zu und Damian sprang zur Seite, fürchtete, dass es gleich die Klauen in seinen Leib schlagen würde. Stattdessen ignorierte Ryder ihn, stolperte die paar Stufen zum Flur hinunter in Richtung Haupteingang und rannte fort – auf allen vieren. Seine Schritte und der hektische Atem hallten noch nach, bis er verschwand. Erst als sie verklungen waren, trat Damian ans zerbrochene Fenster und blickte nach draußen. Die Gestalt kletterte gerade über die Mauer, mit nur einem Satz. Ryder rannte auf den Waldrand zu, der sich hinter dem Anwesen erstreckte. Einen Moment später wurde er von den Bäumen und der dort herrschenden Dunkelheit verschluckt.
Schmerz einem Nadelstich gleich durchfuhr ihn, in der nächsten Sekunde war er verklungen. Damian hatte so etwas Ähnliches schon einmal gespürt, aber dieses Mal war es anders. Verwunderung machte sich in ihm breit, was konnte das bedeuten?
Ein Stöhnen ließ Damian den Blick senken. Oswin rappelte sich gerade hoch und renkte seine Schulter ein, die beim Sturz ausgekugelt sein musste. Er sah zu Damian hinauf und dieselbe Verwirrung spiegelte sich in seinen Augen wider. Ein weiteres Stöhnen erklang und zu Damians Überraschung regte sich auch das kleine Menschlein.
Die Rothaarige fasste sich an den Kopf, verzog das Gesicht vor Schmerz und kämpfte sich dann auf die Unterarme. Das Bein war noch immer gebrochen, doch mit einem Knacken richtete es sich. »Was zum ...«, nuschelte sie und sah sich um. Als sie Oswin erblickte, der sie mit gerunzelter Stirn musterte, kreischte sie auf und rutschte zur Seite, was ihr erneut ein Stöhnen entlockte.
Fasziniert starrte Damian das Menschlein an. Sie hätte tot sein müssen. Er ergriff den Fensterrahmen, kletterte hinauf und machte einen Schritt vor. Die Luft sauste an ihm vorbei, im richtigen Moment ließ er sich auf ein Knie fallen und bohrte die Faust in den Rasen, um seinen Sturz abzufangen. Macht durchströmte ihn, pulsierte in ihm. Seit er von dem Blut der Vanatoren getrunken hatte, war er nicht mehr derselbe Vampir. Er richtete sich auf, den Blick starr auf das verängstigte Mädchen gerichtet.
»Du müsstest tot sein«, stellte er nüchtern fest.
»Was?«, zischte sie und sah ihn verständnislos an.
Er überbrückte die geringe Distanz zwischen ihnen, musterte ihren Körper. Die Hose war blutdurchtränkt, aber das Bein heil und gesund. Die Haare am Hinterkopf blutverklebt, doch das Mädchen wach. Er kniete sich vor sie ihn. Etwas war seltsam. Dass sie diesen Sturz überlebt hatte, war nicht das einzig Merkwürdige. Der Älteste legte den Kopf schief, kniff die Augen zusammen. Die Rothaarige rutschte von ihm weg, schien sich unwohl unter seinem forschenden Blick zu fühlen. Er scannte sie von oben bis unten. Ihr Körper war in einer außerordentlichen Geschwindigkeit geheilt. Wie konnte das sein? Sein Blick verharrte auf ihrem Brustkorb, mehrere Sekunden lang. Als er begriff, sog er scharf die Luft ein und erhob sich abrupt. »Bei Asrath! Du hast dich verwandelt!«
Die Rothaarige riss die Augen auf, rappelte sich umständlich auf. »Was? Verwandelt? Wo ... wo ist Loan?«
Damian schnaubte. Oswin knurrte, als er sich wohl ebenfalls an den verlausten Pelz erinnerte, in den sich Ryder verwandelt hatte. Damian deutete zur Mauer und erklärte gelangweilt: »Er ist abgehauen.« Oswins Schultern sanken erleichtert herab.
»Du lügst!«, spuckte ihm das Mädchen entgegen.
Ein süffisantes Lächeln legte sich auf seine Lippen. »Das spielt keine Rolle. Viel interessanter ist es, herauszufinden, warum du jetzt eine von uns bist.« Neugierig umrundete er sie, musterte sie von allen Seiten.
»Was? Ich gehöre nicht zu euch!« Ihr Protest klang kläglich und sie zitterte am ganzen Leib.
Während Damian sie umrundete, verfolgte sie ihn mit ihrem Blick, umschlang dabei ihren Oberkörper mit den Armen, um das Beben zu unterdrücken. »Bist du vor Kurzem gebissen worden?«
Sie lachte trocken auf. »Nur von dir.«
Schock flutete seinen Körper, dicht gefolgt von Erkenntnis. Das war es also gewesen. Schadenfreude mischte sich unter die anderen Gefühle. Ihre Augen weiteten sich, als sie es ebenfalls begriff. »Das ist Wochen her.«
Damian rieb sich gedankenverloren über das Kinn, musterte das Mädchen nun mit ganz anderen Augen.
»Ja, ich ... seitdem fühle ich mich etwas anders«, flüsterte sie abwesend.
»Das erklärt aber noch lange nicht, warum du dich nach dem Sturz verwandelt hast. Nach meinem Biss warst du definitiv am Leben, du hast geatmet und ich habe dein Herz schlagen hören. Jetzt ist da nichts mehr«, fasste Damian zusammen und realisierte erst in diesem Moment, dass es stimmte. Er konnte ihren Herzschlag nicht mehr hören. »Und du hältst die Luft an«, fügte er sachlich hinzu. Auch wenn er eine solche Situation bisher nie erlebt hatte, blieb er überraschend gelassen.
Als hätte er damit etwas in ihr ausgelöst, atmete sie tief durch. »Ich ...« Dann verstummte sie. Ihr Brustkorb senkte sich, hob sich daraufhin nicht. Sie brauchte nicht mehr zu atmen, sie war wahrlich eine von ihnen.
»Wie faszinierend«, wisperte Damian, faltete seine Hände und legte beide Zeigefinger an seine Lippen. Er hatte das Mädchen vor Wochen gebissen, sie war das Weibchen dieses Ryders, der sich – nun ja – in einen Wolf verwandelt hatte. Einen Werwolf? Aber erst nachdem sie aus dem Fenster gefallen war. Und der Einzige, der sie gebissen hatte, war er selbst. Das bot nicht nur einige Komplikationen, sondern auch Chancen.
»Quinton muss davon erfahren«, unterbrach Oswin seine Gedanken.
Augenblicklich zuckte Damian zusammen und senkte die Hände. »Nein!«, fuhr er ihn an. »Niemand wird hiervon erfahren!«
Oswin wirkte nicht so, als würde er dem Befehl Folge leisten. Damian traute ihm nicht. Er war einer von Quintons Männern. Loyal dem verhassten Ältesten gegenüber und damit eine Gefahr. Bevor Oswin auch nur blinzeln konnte, war Damian bereits an seine Seite getreten und schlug ihm die Zähne in den Hals. Ein Kreischen erklang hinter ihm und ein Keuchen seitens Oswins. Innerhalb weniger Sekunden hatte er den Vampir leergesaugt. Dieser sackte besinnungslos auf die Knie. Damian packte Oswin am Hals und mit einem Ruck brach er ihm das Genick. Ein Knacken ertönte, er sackte zur Seite und fiel zur Erde. Dort blieb der Vampir liegen und würde es auch weiterhin. Aus kalten, toten Augen starrte er ins Leere.
Der Älteste drehte sich zu dem Mädchen um, schritt mit federnden Schritten auf sie zu. »Und nun zu dir. Warum seid ihr gekommen? Nur wegen der Tagebücher?«
Sie schluckte und ihre Unterlippe bebte. »D-das kann ich dir nicht sagen.«
Damian lachte hart auf. Das Grinsen konnte er nicht länger unterdrücken. Mit einem Hochgefühl im Bauch, dass durch seinen ganzen Körper prickelte, trat er dicht an sie heran. »Ich fürchte, du hast keine andere Wahl. Denn wenn es stimmt, was du sagst, bist du mir nun untergestellt.«
Sie riss ihre Augen noch ein Stück weiter auf. Angst spiegelte sich in ihren blauen Iriden. »Was willst du damit sagen?« Ihre Stimme glich einem Flüstern.
»Alles zu seiner Zeit, wo bleibt denn sonst der Spaß?«
Ihr Kopf ruckte hin und her, als wäre sie auf der Suche nach jemanden. Aber vielleicht hielt sie auch nur Ausschau nach einer Fluchtmöglichkeit.
»Denk gar nicht erst daran, zu fliehen. Ich werde dich überall finden. Du bist allein. Dein Geliebter ist getürmt und hat dich hier zurückgelassen – wohlgemerkt mit mir.« Er erhaschte wieder ihre Aufmerksamkeit und zwinkerte ihr anzüglich zu. »Der kommt sicher so schnell nicht wieder, schließlich hält er dich für tot.«
»Tot?«, wisperte sie.
Damian deutete erst auf das Blut an ihrer Kleidung, dann auf das zerbrochene Fenster weit über ihnen. »Natürlich. Kein Sterblicher überlebt einen solchen Sturz. Du jedoch schon, und das ist merkwürdig.« Er kniff die Augen zusammen. »Spürst du schon den Hunger?«, fragte er aus reiner Neugier.
Ihr Blick lag auf ihren Hosenbeinen, aus großen Augen starrte sie das noch feuchte Blut an. Die Frage schien sie zu überfordern. »Ja, ich habe Hunger«, stellte sie mit matter Stimme fest.
»Dann sollten wir dir vielleicht etwas zu trinken besorgen?« Damian feixte sie an. Die anfängliche unangenehme Begegnung mit dem Wurm Ryder und seiner Kleinen entwickelte sich zu einer spannenden Möglichkeit. Die Verwandlung des Mädchens warf viele Fragen auf, aber wenn sie wirklich durch sein Gift verwandelt worden war, würde er nun alle Antworten von ihr bekommen, die er verlangte. »Komm«, rief er ihr zu und drehte sich schwungvoll um. Ohne zurückzublicken, ging er zum Hintereingang des Hauses. In der Luft lag ein fremder Duft, nach Eisen und Blut. Damian begriff, hier mussten die zwei ins Innere des Gebäudes gedrungen sein. Er machte sich eine geistige Notiz, die Hintertür in Zukunft besser zu sichern. Dank seines feinen Gehörs nahm er die zarten Schritte des Mädchens wahr. Sophia, fiel ihm ein. Nun schien es angebracht, sich ihren Namen zu merken.
In der Küche angekommen, öffnete er den Kühlschrank und holte einen Blutbeutel heraus. Die Vampire lagerten dort immer ein paar Beutel für den Notfall. Falls ein Artgenosse halb verhungert oder verletzt hier ankam. Den Beutel legte er mittig auf dem Tisch ab, ließ eine Hand darauf ruhen. »Wenn du davon trinkst, wirst du wahrlich ein Vampir.«
»Und wenn nicht?«
»Wirst du sterben.« Er zog die Hand zurück und ließ sie entscheiden.
Ihre Augen huschten hin und her, schienen nichts richtig fassen zu können. Damian nahm sich einen Moment, um sie eingehender zu mustern. Sie trug schwarze Kleidung, eine weite Hose und ein langärmliges Shirt mit einem Rollkragen. Ihr Haar hatte sich beim Sturz aus dem Zopfgummi gelöst und hing ihr nun wild um den Kopf, am Hinterkopf klebten einige Strähnen vom getrockneten Blut zusammen. Der Duft stieg ihm in die Nase und erinnerte ihn daran, dass er auch bald etwas zu sich nehmen sollte. Sie gab ihm Rätsel auf. Warum hatte sie sich erst so spät und nur nach ihrem physischen Tod verwandelt? Er hatte damals schon von dem Jägerblut gekostet und war dadurch stärker geworden. Konnte es damit zusammenhängen?
»Sei nicht so dumm!«, fuhr er sie an, woraufhin sie zurückschreckte. Es wirkte fast, als würde sie den Tod vorziehen. Ein Knurren drang aus seiner Kehle. »Ich befehle dir, zu trinken.«
Ein Ruck ging durch ihren Körper, mechanisch bewegte sie sich wieder auf den Tisch zu, als würde sie eine äußere Kraft dazu zwingen. Und diese Kraft war er.
»Wie ...?« Überraschung zeichnete sich in ihrem Gesicht ab.
»Beiß zu und trink!«, befahl er ihr.
Erneut liefen ihre Bewegungen mechanisch ab, sie wehrte sich gegen seinen Befehl, hatte aber keine Chance. Ihre Eckzähne verlängerten sich, sie griff nach dem Beutel. Eine Sekunde später vergrub sie ihren Kiefer in dem Plastik und begann zu saugen.
Das würde ein großer Spaß werden.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top