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Jemand tritt gegen meinen gesunden Arm. Langsam hebe ich den Kopf, spüre nichts, außer den unerträglichen Schmerz in meiner Schulter. Er kreist unter der Haut, schneidet mir ins Fleisch, kribbelt, brennt und verteilt sein Gift in meinem ganzen Körper.

Wieder tritt der Typ mich. Ich schaue ihn schwach an und sehe verschwommen, wie sein Mund sich bewegt, als er spricht.

"Komm mit! Man muss die Blutung stillen."

Ich keuche. "Es ist zu spät."

"Nein", antwortet er entschlossen und ruft dann einen vorbeilaufenden Mann zu sich. "Sir. Helfen sie mir bitte, diese junge Dame zu mir nach Hause zu tragen."

"Aber ja doch, Herr."

Dann spüre ich, wie man mich am Bauch packt und hochhebt. Das Messer steckt immer noch tief in meiner Schulter. Was muss das nur für ein Anblick sein?

Der Weg zu dem Haus des fremden Mannes kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Und als wir dann doch endlich ankommen, fühle ich mich, als hätte ich schon alles Leben was in mir steckte ausgeatmet. Auch die Finger des Mannes auf meiner Haut sind unsichtbar, wie Luft, ich spüre sie nicht. Irgendwann schließe ich die Augen, um nicht unnötige Energie zu verschwenden und höre nur noch wie eine Tür leise geöffnet wird und ich herein getragen werde. Dann werde ich wieder ohnmächtig.

***

"Ist sie wach?", höre ich eine bekannte Stimme, die ich allerdings nicht zuordnen kann.

Vorsichtig öffne ich die Augen und versuche mich aufzurichten, breche allerdings sofort wieder zusammen, als ich einen stechenden Schmerz an meiner Schulter spüre. Eine Sekunde muss ich mich besinnen, bis ich mich wieder erinnern kann, was passiert ist. Panisch fährt mein Blick zu der verletzten Schulter, doch anstatt dem Messer ist dort nur noch eine gut versorgte Narbe zu sehen. Verwundert hebe ich den Blick und schaue direkt in die Augen des jungen Mannes, der mich gerettet hat.

"Was ist mit meinem Arm?", frage ich ihn verwirrt.

"Wir haben die Wunde genäht. Es musste schnell gehen, du hattest schon zu viel Blut verloren", sagt er gleichgültig.

Ich starre ihn entgeistert an. "Aber wie...?"

"Wie wir sie genäht haben? Ich habe das gemacht", sagt er und krempelt seine Ärmel hoch. Darunter kommen mehrere Tattoos zum Vorschein und eine lange Narbe die sich über seinen Unterarm zieht.

Beeindruckt betrachte ich nun wieder meinen Arm, der wirklich sauber vernäht ist.

"Und woher kannst du sowas?", frage ich und löse den Blick von meinem Arm.

Ich kann es noch immer nicht glauben, das er einfach verheilt ist. Und das ich noch lebe.

Er zuckt mit den Schultern.

"Ich mache gerade eine Ausbildung zum Arzt. Aber das ist geheim, also wäre es nett, wenn du es niemanden erzählen könntest."

"Wieso?", frage ich belustigt. Er legt einen Finger auf die Lippen und springt dann auf. "Das reden wir nicht hier. Los komm - ich zeig dir dein Zimmer."

"Mein Zimmer?"

"Es wird dir gefallen. Und jetzt sei bitte leise, mein Dad weiß nicht das du hier bist und er soll es auch nicht wissen."

"Was soll das? Was willst du von mir?"


"Nichts. Mir ist nur waaahnsinnig langweilig hier." Damit drückt er einen roten Knopf, der in der Wand eingelassen ist und hinter uns öffnet sich lautlos eine Tür zum Nebenzimmer.

"Ich gehe jetzt", murmle ich verwirrt.

"Und was dann?", entgegnet er mit hochgezogenen Augenbrauen und zeigt auf meine Schulter, die trotz allem noch schlimm aussieht und höllisch weh tut. "Willst du weiter weglaufen? Es ist schon spät, Kleine. Bleib die Nacht hier, morgen kannst du gehen."

Leise seufze ich auf. Mit meiner Schulter komme ich sowieso nicht weit. Und wo soll ich schon hin? Also zucke ich erschöpft die Schultern.

Er grinst und zwinkert mir zu, als ich hinter mir Schritte von mehreren Personen höre. Vorsichtig, um meinen Arm möglichst nicht zu bewegen, drehe ich mich um und sehe drei Männer in der Türe stehen.

"Bewacht die Türen. Ich möchte, das sie morgen früh noch genau so wie jetzt in diesem Bett hier liegt", höre ich ihn hinter mir sagen.

Die drei Männer nicken untergeben und stationieren sich an den beiden Türen. Entgeistert drehe ich mich wieder zu ihm um und deute auf meine Zimmerwachen.

"Was soll das?"

Er nickt. "Keine Angst. Sie sind alle nett wie Schoßhündchen."

"Verdammt. Was verschafft dir das Recht, mich einzusperren und wie eine Gefangene bewachen zu lassen?!", knurre ich.

"Erstens: Du bist meine Gefangene. Und zweitens: Ich habe jedes Recht dich gefangen zu halten, da du ja anscheinend Stress mit der städtischen Polizei hast und mein Vater leider, leider der oberste Kommissar ist. Außerdem habe ich dir das Leben gerettet, vergiss das nicht. Da hab ich jetzt was gut bei dir."

Wütend schüttle ich den Kopf. Er hat mich reingelegt. Wäre ich doch lieber auf der Straße verrottet.

"Und ich finde, du kannst dich echt nicht beschweren", sagt er mit einem Blick auf das Zimmer. Ich wende den Blick von ihm ab und schaue mich etwas genauer in meinem Zimmer um. Es ist insgesamt sehr groß und die Möbel weisen darauf hin, das es dieser Familie nicht an Geld fehlt.

"Wohnst du hier?", frage ich mit einem abfälligen Blick auf ein großes Ölportrait an der Wand mir gegenüber.

"Oh, ja. Aber natürlich nicht hier, sondern oben", antwortet er. Kopfschüttelnd schaue ich mich weiter in dem Zimmer um, das vor Reichtum nur so protzt.

"Und das ist das Zimmer für eure Gefangenen?", frage ich spöttisch und starre auf den samtigen Teppichboden, in dessen Stoff immer wieder kleine Edelsteine eingearbeitet sind.

"Sei froh. Oben sieht es noch schlimmer aus", murmelt er und ich schaue ihn verwundert an.

"Findest de es etwa nicht schön hier?"

"Ich sage dir, das da oben ist zwar schön und jeder sieht sofort, dass es uns nicht an Geld fehlt. Aber dieses Haus kann man nicht ein zu Hause nennen, Kleine."

"Oh", murmle ich und starre neidisch auf die riesige Stehlampe, die ein sanftes Licht im Zimmer verteilt, nicht zu hell und nicht zu dunkel. Beschämt muss ich an die Kerzen denken, die bei uns, die zu teuren Lampen, ersetzen. Wie oft hat Mom sich schon die Finger blutig gestochen, wenn sie nichts mehr gesehen hat bei ihrer Arbeit? So eine Lampe wie diese hätte uns an vielen Abenden unglaublich geholfen.

Nachdenklich schaue ich wieder zu ihm. Anscheinend hasst er diesen Reichtum genau so, wie ich unsere Armut hasse.

"Na ja, ich hab jetzt noch etwas zu erledigen", sagt er schließlich und wendet sich zur Tür.

"Mmh?"

Er senkt verlegen den Kopf. "Ich treffe mich gleich mit meiner Verlobten. Wir müssen noch ein paar Sachen für die Hochzeit besprechen."

"Ach so", murmle ich und schaue schnell auf den Boden um mein knallrotes Gesicht zu verstecken.

Nervös fährt er sich durch die Haare. "Ja, also... ich geh dann mal", sagt er und dreht sich auf dem Absatz um.

"Hey, warte. Wie heißt...." Doch er ist schon um die Ecke verschwunden, bevor ich nach seinem Namen fragen konnte.

Und was ist so euer erster Eindruck von ihm?

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