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Vielleicht war es eine wirklich schlechte Idee, Olivia meinen Mitbewohnern vorzustellen. Sie und Vera sind nämlich Freundinnen geworden oder zumindest haben sie sich gegen Andrew verbunden. Ich hoffe, ich werde nicht einer ihrer Opfer, denn dann muss ich mir neue Freunde und eine neue Wohnung suchen. Allerdings kann ich mich nicht davon abhalten zu lächeln, wenn ich Olivia so sehe. Mit Vera steckt sie unter einer Decke und sie lästern über Andrew und Olivia lacht, sie bringt ihre Witze. Lewis wäre stolz auf sie. Ich bin stolz auf sie. Es kehrt Normalität ein und Vera hat sich mich irgendwann vorgeknöpft.
,,Wie geht es dir?"
Sie kam zu mir in die Küche und eigentlich sollte sie für ihr Studium als Geologin lernen, was auch immer eine Geologin war. Ich wollte es mal im Internet nachschlagen. Ich glaube, ich war etwas betrunken zu dem Zeitpunkt und sie sah mich plötzlich so aufmunternd an.
,,Eigentlich ganz gut und dir?"
Sie hat den Kopf geschüttelt, als wäre meine Aussage völlig falsch.
,,Es geht um dich, Zack. Es geht nicht um Lewis oder Olivia, sondern um dich", sagte sie mir und setzte sich mir gegenüber. Sie ist wunderschön, habe ich gedacht. Sie ist so herzensgut. Sie ist so ängstlich, aber auch mutig.
,,Keine Ahnung, was ich darauf antworten soll, Vera", erklärte ich ihr nuschelnd. Mein Kopf bewegte sich nach links und rechts, ich fühlte mich wie im Rausch, obwohl ich nur zwei, drei, sechs Bier hatte. Ich fühlte mich schlecht, scheiße, beschissen, abgekratzt. Ich hätte gerne irgendwas kaputt gemacht, meinen Kopf gegen eine Wand geschlagen, aber es würde mir nicht helfen. Ich war müde und es war spät und ich hatte keinen Kaffee getrunken. Ich blinzelte nun mehrmals und hoffte, dass die Müdigkeit verschwand.
,,Denkst du, ich habe deine Ausraster nicht bemerkt? Dein verzweifeltes Gesicht? Du bist immer der gewesen, der alles eingesteckt hat, aber Lewis' Tod hat dich auch getroffen. Klar, du hast hinter dir aufgeräumt, aber deine verwuschelten Haare waren schon ein Zeichen. Ich habe mich Sorgen um dich gemacht", sie sieht sich in der Küche um und dann wieder zu mir. ,,Wir haben uns Sorgen gemacht. Andrew meinte, wir sollen dir einfach Zeit geben, aber Verdrängung bringt doch nichts, nur das Aufschieben von Problemen."
Das hätte glatt von mir stammen können. Richtig psychologisch.
,,Zack, überlebst du das?"
Keine Ahnung, habe ich gedacht. Ich habe meinen Kopf geschüttelt, ich war durcheinander. Ich konnte nicht mehr richtig sehen und legte meinen Kopf auf den Tisch. Meine Augen schlossen sich und Gott, ich habe mich genau in dem Moment gehasst. Ich war völlig besoffen und ich hatte keine Ahnung. Überlebe ich das? Fahr zur Hölle, Vera. Fahr zur Hölle. Ich versuche es zu überleben. Für Olivia. Für Lewis. Für mich.
Meine Mitbewohner und ich stehen uns nicht wirklich nah. Das war vermutlich das erste richtige Gespräch mit Vera, dass ich jemals geführt habe. Vera ist eher eine kleine Zicke, die sich sogar beschwert, wenn die Spülmaschine nicht ausgeräumt ist, obwohl sie fertig ist, aber ich arbeite zu dem Zeitpunkt noch an einigen Aufträgen. Reifenwechsel, Ölwechsel, sowas halt. Ich will zwar nichts auf Lewis, einen Toten, schieben, aber ich rauche neuerdings. So richtig wie ein tätowierter Typ mit geiler Frisur und einem Haufen Ärger hinter ihm. Ich will allerdings nach der Schachtel aufhören. Es reicht, dass ich als Teenager auf Partys geraucht habe und hin und wieder bekifft in einer Ecke träumte.
Ich habe meinen Schlüssel vergessen und Andrew ist mit Vera irgendwo auf einer Party, weswegen ich vor der Tür auf dem Boden sitze und mir denke, in was für eine Scheiße ich wieder geraten bin. Wenigstens heilt langsam mein blaues Auge ab und ich bin froh, dass ich in keine neuen Schlägereien geraten bin. Ich lehne meinen Kopf an die Tür und hoffe, dass ich einschlafe, was natürlich nicht passiert, weswegen ich mein Handy aus meiner Hosentasche rauskrame und prompt einen Anruf meiner Mutter kriege, den ich ablehne. Es wird eh nichts wichtiges sein. Lediglich ein Gespräch darüber, wie es mir geht, ob Lewis wirklich tot ist, wie ich es verkraftet habe, wie die Beerdigung war, durch was Lewis abgekratzt ist, warum er es getan hat und dann bedrücktes Schweigen. Meine Schwester hat mich schon darüber informiert, dass Mutter völlig bestürzt darüber war, dass Lewis tot ist. Sie hatte ihn nur flüchtig kennengelernt, als ich Lewis von seinem Therapeuten abholen musste. Wir sahen beide zwar total betrunken und schrecklich unerwachsen mit dem ganzen Blut in unserem Gesicht aus, aber Lewis hat wieder sein charmantes Grinsen aufgelegt und abgewinkt. Wir haben uns gegenseitig gestützt und Lewis hat vor die Füße meiner Mutter gekotzt, aber sie fand ihn sympathisch und sagte mir, ich solle sie mal besuchen und Lewis gleich mitbringen.
Dalia, meine Schwester, ist bereits verheiratet und erwartet bald ihr erstes Kind, was mich natürlich freut, aber sie ist schon vor langer Zeit bei uns ausgezogen. Immerhin ist sie auch schon dreißig oder so. Josh, ihr Ehemann, ist ein lieber Kerl, der gerne Tieren hilft. Er ist Tierarzt, aber es kann auch sein, dass er Zahnarzt ist und lieber auf Zähne steht. Ich weiß es nicht mehr. Als sie es mir erzählt hat, war es irgendwann gegen fünf Uhr am Morgen und ich musste schon um sieben Uhr raus. Sie war total aufgeregt, hat fast geschrien und gekreischt, weil sie mit dem neuen, süßen Kerl, den sie wie auch immer kennengelernt hat, zusammengekommen ist. Jedenfalls hat diese Dalia mir bei irgendeinem Anruf mal gesagt, dass meine Mutter gerne zu Lewis' Beerdigung gekommen wäre, aber auf der Feier waren kaum Leute. Hier und da einige unserer Bekannten aus der Bar, Elias und ich. Mehr war auch nicht da. Seine Mutter würde eh nicht kommen, was bereits von Anfang an klar war und andere Verwandte oder Freunde hatte Lewis nicht. Olivia kam nicht zur Beerdigung. Ich habe ihr vermutlich auch davon abraten wollen.
Ich glaube, Tatjana oder wie sie hieß, ist auch aufgetaucht. Sie hat um Lewis geweint und ich hatte keine Ahnung, wer sie war. Sie sagte mir, ich wäre Lewis ein guter Freund gewesen und ich habe ihr gesagt, dass sie nicht herkommen brauchte. Jetzt fällt es mir allerdings wieder ein. Ihr Name war Tanja und Lewis hat sie gevögelt. Eine Verflossene, niemand wichtiges. Sie hat dich geliebt, hat sie mir gesagt, Lewis. Ich habe ihr gesagt, dass dich zu lieben nur Unglück bringt. Sie hat geschluchzt und gefragt, warum ich sowas nur über meinen besten Freund sagen konnte. Ich habe meinen Blick abgewendet. Ich habe Lewis geliebt, Olivia hat ihn geliebt. Es hat uns nichts gebracht.
,,Wieso musste Lewis uns nur so nahe stehen? Er hat sich das Leben genommen und wir konnten es nicht ändern", hat Olivia mir einmal gesagt.
,,Leute wie Lewis sind halt Herzensbrecher. Bei uns war es allerdings keine Absicht", habe ich geantwortet.
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