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Als ich endlich wieder aufwache, richte ich mich auf und schaue zu Olivia, die noch in Ruhe schläft. Mein Kopf scheint zu explodieren und mein ganzer Körper fühlt sich an, als wäre ich in Salzsäure getaucht worden, was vermutlich an dem Alkohol liegt. Wo Elias ist, weiß ich zwar auch nicht, aber der wird sicher auch nach Hause gefunden haben oder jetzt neben einer Mülltonne liegen. Jedenfalls nichts lebensgefährlich.

Gähnend stupse ich Olivia an und wiederhole mehrmals ihren Namen, damit sie aufwacht und tatsächlich schlägt sie genervt ihre Augen auf und hält sich eine Hand vors Gesicht, damit nicht gleich das ganze Licht auf ihre Augen fällt.

,,Warum weckst du mich, Zack?", faucht sie mich an und ich reibe mir meine Schläfen. Ihre Stimme bringt meinen ganzen Kopf durcheinander und ich muss mich sicher gleich übergeben, weswegen ich Olivia kurz sage, dass sie leise sein soll, bevor ich ins Badezimmer renne und mich über die Kloschüssel beuge. So ungern ich das jetzt erklären will, ich übergebe mich und bin froh, wenn ich im Bett liege. Die Fliesen sind verdammt kalt und die Magensäure verteilt sich in meinem Mund. Es schmeckt scheußlich und ich höre zwischen meinen Jurassic Park Geräuschen, wie Olivia aufsteht und die Badezimmertür schließt. Nicht gerade höflich, aber verständlich. Ich wollte immerhin auch nicht so meinen Morgen verbringen, aber das nimmt man in Kauf, wenn man sich besäuft.

,,Was machst du hier?", frage ich sie flüsternd, als ich aus dem Badezimmer krieche und mir vorher noch den Mund gewaschen habe.

,,Ich versuche zu schlafen", erklärt sie mir mürrisch, während ich mich neben sie stelle.

,,Außerdem stinkst du. Zieh dich um."

Kopfschüttelnd wende ich mich von ihr ab und verschwinde unter der Dusche. Ich bin vermutlich total verschwitzt und fühle mich auch verdammt widerlich. Nach einer ausgiebigen Dusche und neuen Klamotten mit halbtrockenen Haaren, stupse ich Olivia an, die ganz plötzlich vom Sofa fällt und sich den Kopf am Boden stößt, worauf sie erschrocken und mit schmerzendem Kopf hochfährt und mich wie eine tollwütige Katze anstarrt. Sicher schießen ihre Augen bald Laserstrahlen und bringen mich um.

,,Was ist jetzt wieder, du blödes Arschloch? Kriegst du keinen hoch oder hast du Herpes?", brüllt sie mich fast an und dennoch lasse ich mich nicht davon beeindrucken, auch wenn es höllisch pocht in meinem Kopf.

,,Steh auf, nimm von mir aus auch die Decke mit und komm in die Küche. Für einen Krieg mit dir habe ich keine Munition."

Sie rollt zwar mit den Augen, aber befolgt meine Anweisungen. Wenigstens kein Krieg, denke ich mir und hocke wenig später mit einer Tasse warmen Kakao vor Olivia am Esstisch. Sie nippt kurz an ihrer Tasse und blickt aus dem Fenster. Augenkontakt zu vermeiden war schon immer ihre Stärke. Bloß das Mädchen raushängen lassen. Sie ist ja auch nicht durch ein Portal in meine Wohnung gelangt oder saß aufgrund von Feenstaub auf meinem Sofa, während ich neben ihr auf dem Boden lag und meinen Rausch ausschlief. Lewis' Humor färbt wirklich langsam auf mich ab. Ist ja widerlich.

,,Was tust du hier, Olivia?"

,,Hm?"

Gute Strategie, Mädchen, aber auf unschuldiges Kind zu tun, durchschaue ich.

,,Ich wiederhole mich ungern. Ich kann mir ja schon denken, warum ich besoffen im Wohnzimmer liege, aber warum du neben mir auf dem Sofa lagst, ist ungeklärt. Also?"

Sie seufzt. Ein gutes Zeichen.

,,Ich hatte einen Albtraum und keine Ahnung.."

Sie atmet tief durch und schaut weiterhin aus dem Fenster.

,,Ich wollte nicht mehr in der Wohnung sein. Ich hatte totale Angst, warum auch immer. Ich hab geweint und Panik geschoben. Da du dich ja betrunken hast, konnte ich dich nicht erreichen und ich habe ja noch deinen Ersatzschlüssel. In die Wohnung wollte ich nicht mehr zurück und ich bin halt ganz schnell aus der Wohnung gestürmt."

Sie stockt zwar immer etwas beim Erzählen, aber ich weiß, dass ihr das nicht leicht fällt. Sie war noch nie so wirklich offen, aber ich versuche wirklich, dass sie mir alles erzählt und so schaue ich nur in meine Tasse. Ich weiß nicht, ob sie weint oder vielleicht sogar lächelt, aber dieses Thema bedrückt mich, uns beide.

,,Können wir das jetzt bitte vergessen? Ich will echt nicht darüber reden", murmelt sie und ihre nahezu kraftlose Stimme lässt mich aufblicken. Sie fühlt sich ebenfalls unwohl und bedrückt. Für einige Zeit herrscht dann doch Stille zwischen uns und ich weiß, dass das noch in nächster Zeit relativ schwer wird, aber wir müssen wieder in den Alltag zurück.

,,Ich hab mir Lewis' Notizen angeschaut, okay? Ich wollte sie nicht nochmal lesen, aber ich hab es dann doch und vermutlich war das der Auslöser. Jedenfalls wusste ich nicht, ob ich sie dir geben soll und jetzt hab ich sie schon dabei. Versprich mir aber, dass du sie nicht sofort liest", fährt sie irgendwann fort und irgendwie dreht sich alles nur um Lewis, was wirklich komisch ist. Es sind Wochen, vielleicht einige Monate, vergangen und dennoch ist er noch präsent.

Ich verspreche Olivia dann doch, dass ich es nicht sofort lesen werde und sie legt mir einen kleinen Collegeblock hin. Sie ist zwar kein Freak in Sachen Ordnung, aber es sieht wirklich noch gut aus, trotz den vermutlichen Kaffeeflecken und vergilbten Blättern. Das Ding muss sicher einige Jahre alt sein. Ich lege es in mein Zimmer und während Andrew gerade aufwacht, sitzt Olivia noch in der Küche. Sie unterhalten sich etwas über ihr Leben, was sie tun und ich denke, es war eine gute Idee, sie meinen Mitbewohnern vorzustellen. Ich lasse ihnen ihre Zeit und trinke meinen Kakao aus, während ich im Internet etwas nachgucke. Depressionen, Überwältigung von Verlusten, traumatische Ereignisse, sowas halt. Lewis' Kopf ist fast wie eine Goldgrube für Psychologen und Olivias Verhalten ist nahezu für jeden Interessierten ebenfalls spannend.

Ich stehe nicht wirklich auf diesen ganzen Kram, aber vermutlich ist es wichtig, dass Olivia langsam wieder in die Gesellschaft integriert wird. Sie muss mal offener werden, wieder ihre Witze machen und mit Leuten reden. Sie blockt ja gerne in der Öffentlichkeit Gespräche ab, was ich so zwischendurch mitgekriegt habe. Ich muss auch echt immer der Gute, Hilfsbereite sein. Als wäre ich eine Krankenschwester. Ich hasse dich, Lewis.

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