10•
Wieder in Lewis Wohnung zu stehen, fühlt sich verdammt merkwürdig an. Lange her, dass ich auf dem Sofa gelegen habe und in der Küche nach neuem Alkohol gesucht habe. Es sah unverändert aus und Olivia hatte nichts umgestellt, was ziemlich erstaunlich ist, weil ich eigentlich erwartet habe, dass sie einige Dinge entsorgt. Ich schätze, dass sie den Alkohol bereits ausgetrunken hat und die Zigaretten weggeworfen hat, aber mehr auch nicht, weswegen ich irgendwie stolz bin. Es fühlt sich zwar eher fremd an, aber Olivia gibt mir ein Lächeln.
,,Ich weiß, es ist merkwürdig, aber ich habe geputzt und Lewis' Klamotten aussortiert."
Das bringt mich zu einem erleichterten Lacher. Ich wäre echt nicht verwundert, wenn sie auch noch eine alte Unterhose von Lewis' verflossenen Liebschaften gefunden hätte. Allerdings war ich vor Lewis' Tod das letzte Mal hier in der Wohnung und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll.
,,Hol einfach den Alkohol, Olivia", sage ich ihr grinsend und gehe schon mal auf den Balkon. Die Aussicht ist wenigstens die selbe und ich komme nicht umher, mir vorzustellen, wie es damals mit Lewis war. Wir haben immer über sein Sexleben gelacht und irgendwie setzt sich das gerade in meinem Hals fest und ich muss tief Luft holen. Wenig später kommt Olivia schon zu mir und wir öffnen das erste Bier. Irgendwie ja schon melancholisch, aber anders hätte ich es nicht.
,,Hast du eigentlich schon eine Freundin, die ich bemitleiden kann?", fragt sie plötzlich und ohne Schamgefühl, aber so kenne ich sie.
,,Nicht wirklich, nein", antworte ich ihr monoton und nehme einen langen Schluck aus der braunen Flasche.
,,Du solltest aber langsam mal eine finden. Du wirst immerhin nicht jünger, Zack", sagt sie gehässig und obwohl mich das eigentlich die Augen verdrehen lässt, grinse ich.
,,Du solltest dir einen Freund suchen, aber wen interessiert das schon?"
Dass wir beide eh nicht wirklich der Typ für Beziehungen sind und auch nicht im Moment daran interessiert sind, verschweige ich, aber wir wissen es beide. So tritt dann auch Stille ein, denn darauf zu antworten, ist irrelevant.
,,Wie geht es Vera und Andrew eigentlich? Weißt du schon, dass die beiden ein Pärchen sind?"
Olivia konnte noch nie gut mit Geheimnissen umgeben, obwohl sie bei Lewis und mir wie ein Grab schweigen kann. Ihr ist sowas nie wichtig gewesen und sie pfeift gerne auf irrelevante Fakten.
,,Die beiden sind wie immer, aber woher weißt du das mit der Beziehung?"
,,Selbst wenn ich dumm wäre, hätte ich gewusst, dass die ein Paar sind. Immerhin haben sie sich immer wieder angesehen und einer von ihnen hat den anderen doch immer irgendwie angelächelt, obwohl sie es gut vertuschen können."
So aufmerksam wie Olivia war keiner, den ich kannte. Sie hat immer gemerkt, wenn jemand mit Lewis geschlafen hat und das war wirklich belustigend. Ich zucke mit meinen Schultern und nehme einen weiteren Schluck.
,,Wie läuft dein Leben so?", frage ich schließlich und bemerke, dass sie seufzt.
,,Geht so. Irgendwie normal und bei dir?"
,,Das Thema mit Lewis ist längst vorbei. Es dreht sich jetzt um eine Vierzehnjährige, die schwanger ist und um einen Typen, der betrunken seine Freundin als Hure beleidigte. In der Werkstatt läuft es auch gut und ich sehe nicht mehr aus wie ein Zombie."
So gesprächig war ich normalerweise nur beim Beleidigen von den Jungs, aber das hier ist Olivia und ich kann ihr jeden Blödsinn erzählen.
,,Nicht mehr im Mittelpunkt zu stehen, ist toll, aber ich denke immer noch an Lewis. Wenn ich einkaufen gehe, erinnere ich mich an ihn oder wenn ich auf mein Handy sehe."
Wie ein Fluch, oder?
,,Ich weiß", antworte ich lediglich und trinke mein Bier aus, bevor ich mir in der Küche eine Flasche Wodka nehme. Wer wusste schon, dass wir am Ende zusammensitzen und ohne Lewis weiterleben? Keiner von uns hat jemals so weit gedacht. Wir wollten nicht an Danach denken. Der Wodka schmeckt dezent warm und ich huste kurz, weil ich mich verschluckt habe.
,,Wir sind nicht hier um uns zu besaufen", höre ich Olivias Stimme hinter mir, als ich mir den Wodka in den Hals kippe.
,,Scheiß drauf", sage ich ihr und zucke mit den Schultern. So sitzen wir dann. Angelehnt an einer Wand in Lewis' Wohnung mit halb geöffneten Augen und kurz vor dem Einschlafen. Als Kind wollte ich nicht als Alkoholiker enden und sicher nicht als langweiliger Erwachsener, aber es kommt ja eh anders. Ich arbeite in einer Autowerkstatt, habe meinen besten Freund verloren und kann nicht aufhören an ihn zu denken. An unsere Prügeleien und die Schmerzen, über die wir lachten. Ich war niemals gewalttätig und jetzt seht mich an. Ich bin so erbärmlich wie ich es nur werden konnte. Der Alkohol benebelt mein Hirn und ich rappele mich auf, bevor ich wankend ins Badezimmer laufe und mir Wasser ins Gesicht spritze und mein Gesicht im Spiegel betrachte. Genervt wende ich mich ab, nachdem ich tief eingeatmet habe und fahre mir durch meine Haare, bevor ich Olivia hoch helfe und sie umarme, bevor ich verschwinde.
Ich dachte, es wäre vorüber und alles wird wieder normal, aber das wird es niemals. Ich kann Olivia nicht im Stich lassen und ich darf nicht versagen, denn ich muss so schnell wie möglich über Lewis kommen. Das war jetzt nur ein schwacher Moment. Den hat doch jeder. Ich fühle mich beschissen und übergebe mich daheim, bevor ich ins Bett falle. Vera und Andrew habe ich ausgeblendet und ich erinnere mich nicht daran, sie gesehen zu haben, aber das ist in Ordnung. Mein Handy klingelt und ich gehe verschlafen dran. Ich schaue nicht mal auf das Display, sondern nehme den Anruf nur entgegen.
,,Was ist?", frage ich und reibe mir mit der freien Hand über die Augen. Ich hoffe, dass ich keinen Kater morgen habe und der Alkohol schnell aus meinem Körper geht.
,,Hey! Kommst du ins Café?", höre ich Joes Stimme. Es ist bestimmt schon zwanzig Uhr und ich wusste nicht, dass ein Café so lange auf hat.
,,Gott, nein", murre ich und lege direkt auf, bevor er etwas einwenden kann. Vielleicht treffe ich mich morgen nach der Arbeit mit ihm im Café, aber nicht jetzt. Ich will nur noch schlafen und drehe mich auf die andere Seite. Über etwas hinwegzukommen ist doch schwerer als gedacht.
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